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Archiv "Potentielle Gesundheitsgefahren durch Emissionen aus Müllverbrennungsanlagen: Zusammenfassende Kritik" (20.08.1993)

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MEDIZIN

zugt Krebserkrankungen, Störungen des Zentralnervensystems, der psy- chischen Leistungsfähigkeit, des Im- munsystems und der Gonaden zu un- tersuchen und zu bewerten. Ohne die Kenntnis einer solchen Vorbelastung ist eine sachgerechte Urteilsbildung über gesundheitliche Zusatzbela- stung durch Emissionen aus Müllver- brennungsanlagen als „äußerst ge- ring und damit vernachlässigbar"

nicht möglich.

Dieses grundsätzliche Versäum- nis der Stellungnahme magunter ande- rem damit zusammenhängen, daß der Beirat nur aus Befürwortern der Müll- verbrennung zusammengesetzt ist.

Dr. Ursula Volz

1. Vorsitzende der Ärzte- und Apothekerinitiative Niederrhein für Umwelt und Gesundheit e. V.

Dachsberger Weg 47475 Kamp-Lintfort

12. Bodenakkumulation

Die in der Stellungnahme der Bundesärztekammer gezogenen Schlußfolgerungen zur Höhe der Zu- satzbelastung aus MVAs sind wissen- schaftlich nicht haltbar, da zur Ab- schätzung der Schadstoffbelastung aus MVAs Annahmen und Vernach- lässigungen gemacht werden, die zu erheblichen Verfälschungen der Hauptaussage führen können:

1) Zur Ermittlung der Zusatz- belastung durch eine MVA wird, so- weit es die emittierten Metallverbin- dungen betrifft, nur die durch Inha- lation immissionsbelasteter Luft auf- genommene Schadstoffmenge be- trachtet und mit der gesamten Schadstoffmenge (einschließlich der- jenigen aus Wasser und Nahrung) verglichen, die in ländlichen Gegen- den ohne eine MVA aufgenommen wird. In diesem Vergleich werden die zur Zeit nicht quantifizierbaren Schadstoffe aus MVAs, die durch den Verzehr von Nahrung aus immis- sionsbelasteten Böden aufgenommen werden, nicht berücksichtigt. Dies führt zu Fehlschlüssen hinsichtlich der Zusatzbelastung, denn die über die Nahrung aufgenommene Schad- stoffmenge ist um ein Vielfaches grö- ßer als die eingeatmete (Th. Eik-

DISKUSSION

mann und M. Exner: „Umwelthygie- nische Bewertung von Feinstäuben"

Z. Umweltchem. Ökotox. 4 (3) 151-157 (1992).

Eikmann und Exner betonen, daß dem Immissionseintrag in Böden in der Umgebung von MVAs unbe- dingt mehr Beachtung geschenkt werden muß, selbst unter der Prämis- se, daß die Nahrung der Bevölkerung nur zu einem kleinen Teil aus wohn- ortnahen Regionen stammt. Zudem ist zu erwarten, daß die Nahrungsan- teile, die von belasteten Böden in MVA-Nähe kommen, mit wachsen- der MVA-Dichte größer werden und wegen der Akkumulation der Schad- stoffe in den Böden immer stärker ins Gewicht fallen, je länger die MVAs in Betrieb sind.

Auch die Bundesärztekammer hält Bodenuntersuchungen in MVA- Nähe wegen ihres Einflusses auf die Nahrungskette für erforderlich. Um so unverständlicher ist es, daß bereits ohne sie weitreichende Schlußfolge- rungen gezogen werden, die die Ge- sundheit der Bevölkerung tangieren.

2) Offen bleibt auch, ob in den angegebenen Inhalationsbelastungen die Schadstoffe enthalten sind, die in MVA-Emissionen an Aerosole im Größenbereich unter 0,1 Mikrometer gebunden sind. In dieser Form kön- nen sie nämlich durch Filter im tech- nischen Maßstab praktisch nicht zu- rückgehalten werden (Ullmanns En- zyklopädie Techn. Chem. 4. Aufl. Bd.

2, Verfahrenstechnik I, S. 225). Ein- geatmet werden sie aber nachweis- lich in der Lunge deponiert (K. R.

Spurny, Physical and chemical cha- racterization of individual airborne particles, Verlag Ellis Horwood Ltd.

1986 S. 72).

3) Die Verdünnung der Schad- stoffkonzentrationen des Rauchgases durch Ausbreitung kann um Größen- ordnungen unsicher sein. Die ange- nommenen Verdünnungen zwischen 1:1 500 000 und 1:150 000 müssen nicht generell gültig sein. Verdün- nungen von nur 1:1000, die zumin- dest für kurze Zeiten für möglich ge- halten werden, führen bereits zu 100- bis 1000fach höheren Belastungen.

Es ist folgendes Fazit zu ziehen:

Bevor die Schadstoffbelastungen aus MVA-Emissionen über die Nah- rungskette und über die Inhalation

von Aerosolen nicht genau bekannt sind, kann über das Maß der Zusatz- belastung sowie über die daraus re- sultierende Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung durch sogenannte moderne MVAs keinesfalls abschlie- ßend geurteilt werden.

Dr. D. Heitkamp Fliederweg 8 52428 Jülich Dr. C. Lehmann Siemensstraße 27 52428 Jülich

13. Zusammenfassende Kritik

Wir fassen unsere wesentliche Kritik an der Stellungnahme zusam- men:

1. Als Folge der starken Indu- strialisierung zählt Deutschland heu- te weltweit zu den am stärksten Schadstoff-belasteten Ländern. Eine weitere Zunahme ist toxikologisch nicht vertretbar.

2. Angesichts der zunehmenden Atemwegserkrankungen und Aller- gien muß jede weitere Verschlechte- rung der Atemluft vermieden wer- den. Anders als bei der Deponierung bedeutet die Verbrennung des Ab- falls eine Zunahme der Schadstoffe in der Luft und ihre großräumige Verteilung. Der mit der Müllver- brennung verbundene erheblich ver- mehrte CO2-Ausstoß würde auch den Versprechungen der Bundesre- gierung zur Verminderung des CO 2 -Ausstoßes diametral entgegenlaufen. 3. Bei Müllverbrennungsanlagen findet auch in Zukunft weder eine aus- reichende Eingangskontrolle des Mülls noch eine kontinuierliche, meß- technisch optimale Überwachung des gesamten Schadstoffausstoßes statt, noch nicht einmal bei Dioxinen.

Nur wenige „moderne Anlagen"

halten bisher den vom Gesetz gefor- derten Grenzwert für Dioxine von 0,1 ng TCDD Toxizitätsäquivalenten pro m3 in der Praxis ein. Dabei gilt diese Vorschrift nur für Dioxine und nicht für den großen „Rest" der emittier- ten Schadstoffe. Für diesen im Rah- men der verbesserten Filtertechnik eine parallele Reduktion anzuneh- men, entbehrt des wissenschaftlichen Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 33, 20. August 1993 (57) Al-2199

(2)

MEDIZIN

Beweises und ist daher reine Speku- lation. Außerdem ist nicht nur die Konzentration im Kubikmeter Ab- gas, sondern der Gesamtschadstoff- ausstoß von Bedeutung, der mit der vorgesehenen hemmungslosen Ver- mehrung von Müllverbrennungsanla- gen drastisch ansteigen wird.

4. Das von Müllverbrennungs- anlagen ausgestoßene komplexe Schadstoffgemisch weist qualitativ und quantitativ starke Schwankun- gen auf und ist noch nicht einmal analytisch bisher ausreichend unter- sucht, geschweige denn toxikologisch zuverlässig abschätzbar.

5. Eine umfassende „toxikologi- sche Testung der Gesamtemission"

ist bisher nicht bekannt.

6. Es ist in der Toxikologie lange bekannt, daß Wirkstoffe bei inhalati- ver Aufnahme rascher und stärker wirken als nach peroraler Zufuhr.

Die Toxizität insbesondere der inha- lativen Dioxin-Aufnahme ist bisher völlig unzureichend erforscht. Hier besteht sogar nach Ansicht des Bun- desgesundheitsamtes Forschungsbe- darf. Der Nahrungspfad kann daher nicht als alleiniger Maßstab für die Bewertung einer noch „zumutbaren prozentualen Belastung" über die in- halative Aufnahme gelten. Es zeugt von bedenklicher Leichtfertigkeit, die ohnehin 100- bis 1000fach zu ho- he Dioxin-Belastung über die Nah- rungsaufnahme (siehe unten) als un- schädliche Grundbelastung darzu- stellen und über dieses stillschwei- gend festgeschriebene überhöhte Ni- veau hinaus die zusätzliche inhalative Aufnahme als „unschädlich" zuzulas- sen.

7. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer ignoriert in beispielloser Weise, daß zumindest das 2,3,7,8-TCDD inzwischen inter- national als hochwirksames komplet- tes Kanzerogen gilt, und dies auch für den Menschen! Das von der ame- rikanischen Umweltbehörde EPA be- reits 1985 veröffentlichte „unit risk", wonach die lebenslange tägliche Auf- nahme von 0,006 pg TCDD TE/kg Körpergewicht bei gesunden Er- wachsenen einen zusätzlichen Krebs- fall auf eine Millionen Menschen ver- ursacht, wurde bei einer Anhörung der EPA im September 1992 in Vien- na, Westvirginia, USA, auf der Basis

DISKUSSION

epidemiologischer Studien und unter Berücksichtigung der Dioxin-Bela- stung der betroffenen Menschen voll bestätigt. Sogar das in Wirtschafts- kreisen geschätzte, eher konservative

„Wall Street Journal" kommentiert auf der Basis dieser wissenschaftli- chen Daten am 16. Oktober 1992,

„Dioxins health risks may be greater than believed".

8. Die von einer Arbeitsgruppe angegebenen „Toleranzwerte für Umweltkanzerogene", wonach allein durch die sechs wichtigsten Stoffe — Dioxin-Spitzenwerte wurden hierbei nicht einmal berücksichtigt — im Mit- tel 400 Krebsfälle/eine Million Men- schen verursacht werden, sind ent- schieden zu hoch und sind allenfalls geeignet, den derzeitigen Belastungs- zustand festzuschreiben. Gleiches gilt für den vorgeschlagenen Wert von 150 Femtogramm TCDD TE/m 3 Luft. Würde zum Beispiel ernsthaft angestrebt, die Dioxin-Belastung der Säuglinge über die Muttermilch un- ter 1 pg/kg Körpergewicht und Tag zu drücken, müßte — die Akkumulati- on berücksichtigend — die Atemluft weniger als 5 Femtogramm TCDD TE/m3 enthalten.

9. Die allgemeine Dioxin-Bela- stung der Bevölkerung ist schon so hoch, daß für epidemiologische Stu- dien keine „Kontrollen" mehr ver- fügbar sind. Wie will die Standesver- tretung der deutschen Ärzteschaft verantworten, die Folgen riskanter Großtechnologien solange auf die Bevölkerung einwirken zu lassen,

„bis etwas sichtbar wird"? Dieses Verhalten wäre nicht nur unethisch, es mißachtet auch die Verpflichtung zur Präventivmedizin.

10. Einige Mitglieder des Wis- senschaftlichen Beirates propagieren auf der Basis längst überholter wis- senschaftlicher Erkenntnisse die

„Unwirksamkeit der täglichen Di- oxin-Belastung der Bevölkerung"

und halten eine Aufnahme von 1 bis 10 pg TCDD TE/kg KG und Tag für zumutbar. Ein „Toleranzwert" von 10 pg TCDD TE pro kg Körperge- wicht und Tag bedeutet für eine Po- pulation gesunder Erwachsener die bedenkenlose Hinnahme von 1500 zusätzlichen Krebsfällen pro eine Million Menschen nur durch die be- stehende Dioxin-Belastung. Von die-

sen Wissenschaftlern fehlt bisher jeg- liches Bekenntnis über den Anteil der durch Dioxine in der Bevölke- rung verursachten Krebsmorbidität und -mortalität.

Wir befürchten, daß sich die Bundesärztekammer durch die Ver- öffentlichung mitschuldig macht an der stillschweigenden Akzeptanz der hohen Krebsmorbidität und -mortali- tät in Deutschland.

Priv.-Doz. Dr. med.

C. Alsen-Hinrichs Dr. rer. nat. H. Kruse Prof. Dr. 0. Wassermann

Institut für Toxikologie, Klinikum der Christian-Albrechts-Universität Brunswiker Straße 10

24105 Kiel

Schlußwort

Unsere Stellungnahme im Deut- schen Ärzteblatt hat offenbar eine breite Diskussion im Kollegenkreis entfacht, und es war zu erwarten, daß sie nicht nur Zustimmung finden würde. Die Mitglieder des Arbeits- kreises begrüßen sachliche Diskussi- onsbemerkungen und berechtigte Kritik.

Manche Zuschriften waren aller- dings unsachlich und polemisch ab- gefaßt. Es überrascht, mit welcher Leichtfertigkeit sich einige nicht spe- ziell aus- oder weitergebildete Kolle- gen zu differenzierten Problemen aus fremden Facharztbereichen äußern.

Interessanterweise sind keine Kommentare von fachkundigen und renommierten Fachärzten für Phar- makologie und Toxikologie, Hygiene und Umweltmedizin sowie Arbeits- medizin eingegangen. Alle Leserbrie- fe und nahezu alle Stellungnahmen zu der Publikation beziehen sich auf umweltpolitische und allgemeinpoli- tische Aspekte der Müllverbrennung.

Die Ausführungen des Wissenschaft-.

lichen Beirates beschränken sich im Gegensatz dazu auf die Abschätzung

„potentieller Gesundheitsgefahren" für den Menschen durch entsprechende Emissionen.

Deshalb weist der Arbeitskreis den Vorwurf zurück, seine Sachver- ständigen als „Befürworter" der Müllverbrennung zu deklarieren. Ob Müllverbrennungsanlagen (MVAs)

A1-2200 (58) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 33, 20. August 1993

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