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Archiv "Potentielle Gesundheitsgefahren durch Emissionen aus Müllverbrennungsanlagen: Angaben nicht gerechtfertigt" (20.08.1993)

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MEDIZIN

1. Angaben nicht gerechtfertigt

Entstehung und inhaltliche Aus- sagen des Papiers werfen einige grundsätzliche Fragen auf.

Eine Arbeitsgruppe des Wissen- schaftlichen Beirates zu einer so komplexen Frage wie der nach po- tentiellen Gesundheitsgefahren durch Emissionen aus Müllverbren- nungsanlagen muß personell so zu- sammengesetzt werden, daß alle me- dizinisch relevanten Aspekte der Problematik ausreichend berücksich- tigt werden. Die Arbeitsgruppe zum Thema Müllverbrennung ist im Ge- gensatz dazu fast ausschließlich mit Toxikologen, Arbeits- und Sozialme- dizinern, sowie nicht-ärztlichen Fachleuten zusammengesetzt. Nur ein Mitglied in der Arbeitsgruppe kommt aus einem klinischen Fachge- biet, das mit der Behandlung schad- stoffbedingter Erkrankungen befaßt ist. Alle übrigen klinischen Diszipli- nen (wie zum Beispiel Neurologie, Dermatologie, Innere Medizin, Gy- näkologie. . . ) sind in dem Gremium nicht vertreten.

Es geht hier nicht um Fragen des Proporzes: In der Auseinanderset- zung um die Risiken der Müllverbren- nung geht es um die grundsätzliche Frage, wie sehr wir uns als Ärzte unse- rer präventiv-medizinischen Verant- wortung verpflichtet fühlen. Die Dis- kussion dieser ethischen Dimension unserer ärztlichen Berufsausübung kann nicht an eine Arbeitsgruppe aus Toxikologen, Chemikern und Biolo- gen delegiert werden, deren Stellung- nahme dann in der Öffentlichkeit als offizielle Meinung der Ärzte verbrei- tet wird mit allen überwiegend unab- sehbaren politischen Folgen.

DISKUSSION

Zu der Bekanntmachung des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer in Heft 1/2/1993

Es ist daher zu fordern, daß — wenn der Vorstand der Bundesärzte- kammer eine Stellungnahme zur Müllverbrennung aus ärztlicher Sicht abgibt — die damit beauftragte Ar- beitsgruppe ein breiteres Spektrum repräsentiert sowohl bezüglich der beteiligten Fachdisziplinen als auch bezüglich unterschiedlicher wissen- schaftlicher Meinungen.

Im folgenden möchten wir mit einigen kritischen Anmerkungen zum Inhalt des Textes Stellung neh- men.

Bei 3.1 (Bewertungsgrundlage) wird aufgeführt: „In dieser Stellung- nahme werden insbesondere die Emissionen moderner Müllverbren- nungsanlagen beurteilt, die den An- forderungen des 17-BImSchV (Ab- luft) und Anforderungen der Rah- menabwasserverwaltungsvorschrift zum Wasserhaushaltsgesetz (abwas- serfrei) entsprechen. . ." Diese Ein- schränkung der Stellungnahme auf die Emissionswerte der 17-BImSchV führt zu einer falschniedrigen Bewer- tung der tatsächlichen Emissionen aus Müllverbrennungsanlagen, da bis heute auch für keine der in Betrieb befindlichen modernen MVAs der Beweis erbracht ist, daß sie kontinu- ierlich in Dauerbetrieb die niedrigen Emissionswerte der 17-BImSchV einhalten können. Immer wieder er- regen Pressemeldungen Aufsehen,

die erhebliche Grenzwertüberschrei- tungen auch bei MVAs der neuesten Generation aufdecken.

In der Stellungnahme der Bun- desärztekammer wird weiter hervor- gehoben, daß Grenzwerte oder Richtwerte für Fremdstoffe der Luft nur dann zur Beurteilung des Ge- sundheitsrisikos der Bevölkerung herangezogen werden können, wenn dabei die Vorbelastung in dem ent- sprechenden Gebiet zusammen mit der Zusatzbelastung aus der geplan- ten oder errichteten Müllverbren- nungsanlage gemeinsam berücksich- tigt wird. An keiner Stelle des Textes ist jedoch davon die Rede, daß auch die Vorbelastung der Menschen eine entscheidende Grundvoraussetzung ist, um ein zusätzliches Gesundheits- risiko richtig bewerten zu können.

Gerade die Vorbelastung des Menschen mit Dioxinen und Fura- nen ist jedoch erschreckend hoch und überschreitet für den Erwachse- nen schon heute den vom Bundesge- sundheitsamt empfohlenen ADI- Wert bei Erwachsenen um 50 bis 90 Prozent, bei gestillten Säuglingen um mehr als das 100fache!! Für eine ärztliche Stellungnahme ist es unver- zichtbar, auf diesen erschreckenden Tatbestand hinzuweisen!

Es werden Grenzwerte der TA- Luft, MIK und Richtwerte der WHO für die Luftqualität in Europa als Be- gründung für die Behauptung ange- führt, daß „bei Einhaltung dieser Werte eine nachteilige Wirkung auf die Gesundheit der Bevölkerung — Kinder, Alte und Kranke einge- schlossen — nicht zu erwarten" ist.

Die Behauptung ist nicht gerechtfer- tigt, da die angegebenen Grenz- und Richtwerte Minderheiten wie Alte und Kranke, sowie Kinder, insbeson- dere vor der Geburt und im Säuglings- alter gar nicht berücksichtigen. Gera- de dieser Mangel aller Grenzwert- festsetzungen ist einer der Hauptkri- tikpunkte gegen die Anwendung der Müllverbrennung, die unterschiedlos alle Bevölkerungsgruppen — also auch besondere Risikopopulationen

— mit Schadstoffen belasten.

An anderer Stelle wird ein- schränkend darauf hingewiesen, daß für kanzerogene Stoffe das Krebsrisi- ko für eine bestimmte Exposition aus Müllverbrennungsanlagen lediglich

Potentielle

Gesundheitsgefahren durch Emissionen aus

Müllverbrennungsanlagen

Al-2188 (44) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 33, 20. August 1993

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MEDIZIN

„grob abgeschätzt werden" kann. Es widerspricht unseres Erachtens jegli- chem präventiv-medizinisch verant- wortlichem Denken, eine ubiquitäre Exposition aller Bevölkerungsschich- ten für kanzerogene Stoffe zuzulas- sen, deren Krebsrisiko wir letztlich bis heute nicht beurteilen können.

Im Zusammenhang mit mögli- chen Schwermetallemissionen aus Müllverbrennungsanlagen wird die Technik der Entstaubung durch un- terschiedliche Filterverfahren als so wirkungsvoll dargestellt, daß die Im- missionszusatzbelastung mit Schwer- metallen durch den Betrieb einer Müllverbrennungsanlage nicht ins Gewicht falle. Nicht berücksichtigt bei dieser Bewertung sind die im all- täglichen Betrieb möglichen diversen Störungen der Filterprozesse, wie zum Beispiel das Zusetzen des Fil- ters bei starker Feinstaubentwick- lung, wodurch im kontinuierlichen Betrieb durchaus erheblich höhere Emissionen resultieren können. Dies ist insbesondere problematisch, da sich auch die krebserzeugenden Schwermetalle an Feinstäuben fin- den, die wiederum durch alle heute üblichen Filtertechniken nicht aus- reichend zurückgehalten werden können.

Im Anschluß daran heißt es im vorliegenden Text: „Der Einfluß (der Stäube) auf die Nahrungskette ist zur Zeit noch nicht ausreichend quantifi- zierbar. Gezielte Untersuchungen zu dieser Frage in der Umgebung von Müllverbrennungsanlagen sind erfor- derlich." Es ist nach unserer Auffas- sung in höchstem Maße unverant- wortlich, mit Billigung des obersten Gremiums der Deutschen Ärzte- schaft eine Technologie in großem Maßstab anzuwenden, über deren gesundheitliche Auswirkungen erst künftige epidemiologische Untersu- chungen in der Umgebung der Müll- verbrennungsanlagen Auskunft ge- ben können!

Wir wehren uns mit Nachdruck gegen solche, dem ärztlichen Berufs- ethos zuwiderlaufenden Schlußfolge- rungen!

Bei der Bewertung von polychlo- rierten Biphenylen (PCB) wird wie- derum im wesentlichen nur die Vor- belastung in der Luft berücksichtigt, sowie die Zufuhr über Nahrungsmit-

DISKUSSION

tel für Erwachsene. Die am stärksten belastete Bevölkerungsgruppe — Kin- der im Säuglingsalter — werden in diesem Zusammenhang mit keinem Wort erwähnt!

Im folgenden werden — im übri- gen recht ungenau — die verschiedenen Quellen der Dioxin- und Furan- emissionen in der Bundesrepublik Deutschland dargestellt. Es fehlt da- bei der Hinweis, daß die Vorbelastung des Bodens mit Dioxinen und Furanen zu etwa 25 Prozent auf die bis heute schon betriebenen Müllverbren- nungsanlagen zurückzuführen ist.

Die Bewertung der Dioxin- und Furanemissionen aus Müllverbren- nungsanlagen ist insgesamt lücken- haft und einseitig. So fehlt beispiels- weise ein Hinweis auf die sehr hohen Halbwertzeiten der Dioxine und Fu- rane in den oberen Bodenschichten, die für die Zukunft eine bedrohliche Kumulation dieser hochtoxischen Substanzen insbesondere auf unse- rem landwirtschaftlich genutzten Bo- den befürchten lassen. Es fehlen dar- über hinaus Hinweise auf neue wis- senschaftliche Erkenntnisse, die eine höhere toxische Wirksamkeit der in- halativ aufgenommenen Dioxinfrak- tion vermuten lassen.

Aus ärztlicher Sicht kann auch nicht unwidersprochen bleiben, daß der bisher fehlende Beweis einer tu- morinduzierenden Wirkung der Di- oxine und Furane beim Menschen dazu verwendet wird, die Langzeitge- fahren dieser Substanzklasse tenden- tiell zu verharmlosen. Für uns als Ärzte sollten epidemiologische Stu- dien, die einen Zusammenhang zwi- schen Dioxinen und Krebserkran- kungen aufzeigen, von mindestens ebenso großer Bedeutung sein wie tierexperimentelle und In-vitro-Ver- suche, deren Übertragbarkeit auf den Menschen immer in Frage ge- stellt werden muß. Daß jedoch die vielfältigen Schadstoffe, die aus Müllverbrennungsanlagen emittiert werden und die uns teilweise sogar noch gänzlich unbekannt sind, Kom- binationswirkungen im menschlichen Organismus verursachen können, de- ren Folgen sich unserer Kenntnis vollständig entziehen, wird nirgends auch nur angedeutet.

Diese inhaltlichen Anmerkun- gen zu dem vorliegenden Entwurf

des Wissenschaftlichen Beirates sind sicher noch unvollständig. Sie rei- chen jedoch aus, um den Vorwurf der Unausgewogenheit, den wir gegen diesen Text erheben, zu belegen. Mit diesem befürwortenden Votum der Ärzteschaft wird es in naher Zukunft zu einem Boom in der Müllverbren- nung kommen, alle politischen Be- mühungen für Müllvermeidung und Müllverwertung sowie — darüber hin- ausgehend — für einen behutsameren Umgang mit den natürlichen Res- sourcen werden dadurch auf abseh- bare Zeit zunichte gemacht.

Für eine solche mögliche Fehl- entwicklung dürfen wir als Ärzte die Hand nicht reichen! In diesem Zu- sammenhang sollten wir uns auf eine der wichtigsten ärztlichen Aufgaben besinnen: Es ist die Pflicht unseres Berufsstandes, möglichen Gefahren für die menschliche Gesundheit vor- zubeugen. Dazu gehört, daß wir un- sere warnende Stimme auch dann er- heben, wenn unsere ärztliche Beob- achtung und Erfahrung uns plausible Hinweise für eine mögliche Gesund- heitsgefährdung der Bevölkerung of- fenbaren, auch wenn zweifelsfreie naturwissenschaftliche Beweise für diesen Zusammenhang noch ausste- hen.

Ökologische Ärzteinitiative Hochrhein

Dr. A. Dohmen Poststraße 11 79730 Murg-Hänner

2. Sachliche Fehler Der Artikel ist vordergründig um Objektivität bemüht, er weist je- doch einige sachliche Fehler auf. Ich will nur wenige Punkte nennen. So heißt es, die einzuhaltenden Grenz- werte seien „nach medizinisch/natur- wissenschaftlichen Kriterien" festge- legt. In dieser Formulierung trifft das nicht zu. 60 Prozent der Mitglieder der Kommission der TA Luft sind Vertreter der Industrie. Damit wer- den die Grenzwerte mehrheitlich nach anderen als gesundheitlichen Aspekten festgelegt.

Die amerikanische Gesundheits- behörde EPA hat sich für eine so strenge Beschränkung der Dioxin- Al -2190 (46) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 33, 20. August 1993

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