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Archiv "Potentielle Gesundheitsgefahren durch Emissionen aus Müllverbrennungsanlagen: Sachliche Fehler" (20.08.1993)

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MEDIZIN

„grob abgeschätzt werden" kann. Es widerspricht unseres Erachtens jegli- chem präventiv-medizinisch verant- wortlichem Denken, eine ubiquitäre Exposition aller Bevölkerungsschich- ten für kanzerogene Stoffe zuzulas- sen, deren Krebsrisiko wir letztlich bis heute nicht beurteilen können.

Im Zusammenhang mit mögli- chen Schwermetallemissionen aus Müllverbrennungsanlagen wird die Technik der Entstaubung durch un- terschiedliche Filterverfahren als so wirkungsvoll dargestellt, daß die Im- missionszusatzbelastung mit Schwer- metallen durch den Betrieb einer Müllverbrennungsanlage nicht ins Gewicht falle. Nicht berücksichtigt bei dieser Bewertung sind die im all- täglichen Betrieb möglichen diversen Störungen der Filterprozesse, wie zum Beispiel das Zusetzen des Fil- ters bei starker Feinstaubentwick- lung, wodurch im kontinuierlichen Betrieb durchaus erheblich höhere Emissionen resultieren können. Dies ist insbesondere problematisch, da sich auch die krebserzeugenden Schwermetalle an Feinstäuben fin- den, die wiederum durch alle heute üblichen Filtertechniken nicht aus- reichend zurückgehalten werden können.

Im Anschluß daran heißt es im vorliegenden Text: „Der Einfluß (der Stäube) auf die Nahrungskette ist zur Zeit noch nicht ausreichend quantifi- zierbar. Gezielte Untersuchungen zu dieser Frage in der Umgebung von Müllverbrennungsanlagen sind erfor- derlich." Es ist nach unserer Auffas- sung in höchstem Maße unverant- wortlich, mit Billigung des obersten Gremiums der Deutschen Ärzte- schaft eine Technologie in großem Maßstab anzuwenden, über deren gesundheitliche Auswirkungen erst künftige epidemiologische Untersu- chungen in der Umgebung der Müll- verbrennungsanlagen Auskunft ge- ben können!

Wir wehren uns mit Nachdruck gegen solche, dem ärztlichen Berufs- ethos zuwiderlaufenden Schlußfolge- rungen!

Bei der Bewertung von polychlo- rierten Biphenylen (PCB) wird wie- derum im wesentlichen nur die Vor- belastung in der Luft berücksichtigt, sowie die Zufuhr über Nahrungsmit-

DISKUSSION

tel für Erwachsene. Die am stärksten belastete Bevölkerungsgruppe — Kin- der im Säuglingsalter — werden in diesem Zusammenhang mit keinem Wort erwähnt!

Im folgenden werden — im übri- gen recht ungenau — die verschiedenen Quellen der Dioxin- und Furan- emissionen in der Bundesrepublik Deutschland dargestellt. Es fehlt da- bei der Hinweis, daß die Vorbelastung des Bodens mit Dioxinen und Furanen zu etwa 25 Prozent auf die bis heute schon betriebenen Müllverbren- nungsanlagen zurückzuführen ist.

Die Bewertung der Dioxin- und Furanemissionen aus Müllverbren- nungsanlagen ist insgesamt lücken- haft und einseitig. So fehlt beispiels- weise ein Hinweis auf die sehr hohen Halbwertzeiten der Dioxine und Fu- rane in den oberen Bodenschichten, die für die Zukunft eine bedrohliche Kumulation dieser hochtoxischen Substanzen insbesondere auf unse- rem landwirtschaftlich genutzten Bo- den befürchten lassen. Es fehlen dar- über hinaus Hinweise auf neue wis- senschaftliche Erkenntnisse, die eine höhere toxische Wirksamkeit der in- halativ aufgenommenen Dioxinfrak- tion vermuten lassen.

Aus ärztlicher Sicht kann auch nicht unwidersprochen bleiben, daß der bisher fehlende Beweis einer tu- morinduzierenden Wirkung der Di- oxine und Furane beim Menschen dazu verwendet wird, die Langzeitge- fahren dieser Substanzklasse tenden- tiell zu verharmlosen. Für uns als Ärzte sollten epidemiologische Stu- dien, die einen Zusammenhang zwi- schen Dioxinen und Krebserkran- kungen aufzeigen, von mindestens ebenso großer Bedeutung sein wie tierexperimentelle und In-vitro-Ver- suche, deren Übertragbarkeit auf den Menschen immer in Frage ge- stellt werden muß. Daß jedoch die vielfältigen Schadstoffe, die aus Müllverbrennungsanlagen emittiert werden und die uns teilweise sogar noch gänzlich unbekannt sind, Kom- binationswirkungen im menschlichen Organismus verursachen können, de- ren Folgen sich unserer Kenntnis vollständig entziehen, wird nirgends auch nur angedeutet.

Diese inhaltlichen Anmerkun- gen zu dem vorliegenden Entwurf

des Wissenschaftlichen Beirates sind sicher noch unvollständig. Sie rei- chen jedoch aus, um den Vorwurf der Unausgewogenheit, den wir gegen diesen Text erheben, zu belegen. Mit diesem befürwortenden Votum der Ärzteschaft wird es in naher Zukunft zu einem Boom in der Müllverbren- nung kommen, alle politischen Be- mühungen für Müllvermeidung und Müllverwertung sowie — darüber hin- ausgehend — für einen behutsameren Umgang mit den natürlichen Res- sourcen werden dadurch auf abseh- bare Zeit zunichte gemacht.

Für eine solche mögliche Fehl- entwicklung dürfen wir als Ärzte die Hand nicht reichen! In diesem Zu- sammenhang sollten wir uns auf eine der wichtigsten ärztlichen Aufgaben besinnen: Es ist die Pflicht unseres Berufsstandes, möglichen Gefahren für die menschliche Gesundheit vor- zubeugen. Dazu gehört, daß wir un- sere warnende Stimme auch dann er- heben, wenn unsere ärztliche Beob- achtung und Erfahrung uns plausible Hinweise für eine mögliche Gesund- heitsgefährdung der Bevölkerung of- fenbaren, auch wenn zweifelsfreie naturwissenschaftliche Beweise für diesen Zusammenhang noch ausste- hen.

Ökologische Ärzteinitiative Hochrhein

Dr. A. Dohmen Poststraße 11 79730 Murg-Hänner

2. Sachliche Fehler Der Artikel ist vordergründig um Objektivität bemüht, er weist je- doch einige sachliche Fehler auf. Ich will nur wenige Punkte nennen. So heißt es, die einzuhaltenden Grenz- werte seien „nach medizinisch/natur- wissenschaftlichen Kriterien" festge- legt. In dieser Formulierung trifft das nicht zu. 60 Prozent der Mitglieder der Kommission der TA Luft sind Vertreter der Industrie. Damit wer- den die Grenzwerte mehrheitlich nach anderen als gesundheitlichen Aspekten festgelegt.

Die amerikanische Gesundheits- behörde EPA hat sich für eine so strenge Beschränkung der Dioxin- Al -2190 (46) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 33, 20. August 1993

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EDIZIN

emissionen ausgesprochen, daß selbst die modernsten Müllverbren- nungsanlagen diese Werte nicht ein- halten können. Insofern sollte man diese Behörde nicht als Argument für die Müllverbrennung heranzie- hen.

Bei Dioxinen handelt es sich um Substanzen, die eine jahrzehntelange Halbwertszeit im Boden und im menschlichen Fettgewebe haben.

Mithin kann der Beobachtungszeit- raum seit Beginn der relevanten Ein- bringung in die Umwelt ab den sech- ziger Jahren noch gar nicht als zurei- chend angesehen werden.

Die große Anzahl der aufgeführ- ten Veröffentlichungen impliziert ein hohes Maß an Objektivität. Es wurde jedoch einseitig ausgewählt. Die Ver- fasser stützen sich auf zwei der Publi- kationen eines einschlägig bekannten Befürworters der Müllverbrennung, führen aber keinen Beitrag eines fachkundigen Kritikers dieses Ver- fahrens an.

Dr. Dorothea Böhm Theodor-Storm-Straße 14B 86356 Neusäß

3. Zweifel beim Betrieb der Anlagen

Angesichts der so kontrovers dis- kutierten Thematik überraschte mich die apodiktische Eindeutigkeit des Artikels (und der Präambel). Ange- nommen, ein Pharmareferent würde uns mit einer Abhandlung dieser Struktur über ein neues Antibioti- kum informieren: Wie würden wir — ohne die vorgelegten Daten im De- tail beurteilen zu können — die Studie hinterfragen, und würde sie uns überzeugen? Die formale Analyse, auf die ich mich hier beschränke, be- steht zunächst aus offengebliebenen Fragen:

Am Ende des Vorworts heißt es, daß „bei dem Betrieb moderner MVA gewonnene wissenschaftliche Da- ten. . ." in der nachfolgenden Stel- lungnahme einer kritischen Analyse unterzogen würden. In der Folge konnte ich keinen Hinweis finden, daß es sich um tatsächlich gemessene Werte handelt; vielmehr finden sich Formulierungen wie: „Immissions-

DISKUSSION

konzentratiorien, welche sich nach den zulässigen Konzentrationen der 17. BImSchV berechnen lassen, . ."

usw. Handelt es sich also bei den dis- kutierten Werten — wie in der Einlei- tung eindeutig formuliert — um tat- sächlich gemessene Werte?

Falls nicht, wäre dies meines Er- achtens eine gravierende Irrefüh- rung: Es ist entscheidend zu wissen, ob über Theorie oder Praxis berich- tet und geurteilt wird.

Falls die Werte nicht real bestä- tigt sind, stellt sich eine weitere un- bedingt vorab zu klärende Frage:

Werden die postulierten Werte in der Praxis erreicht? — Die Tabellen sind nur von Relevanz, wenn beim Betrieb moderner Anlagen diese Vorgaben verläßliche Gültigkeit be- sitzen; deshalb die Frage: Ist die Ein- haltung der BImSchV im Routinebe- trieb moderner Anlagen für alle er- wähnten Substanzen gesichert, wer kontrolliert sie und in welcher Form?

Die Emissionen und Immissio- nen werden stets indirekt als Kon- zentrationen angegeben. Ist es rich- tig, daß TA-Luft und BImSchV nur Grenzkonzentrationen vorschreiben, aber keine absoluten Mengen? Wenn das stimmen sollte, dürfte es möglich sein, (zu) hohe Konzentrationen durch Emission eines größeren Luft- volumens weiter zu verdünnen, also analog Immissionskonzentrationen durch geeignete bauliche Maßnah- men (ich erinnere mich an das alte Schlagwort von der „Hoch-Schorn- stein-Politik") zu senken, ohne die tatsächlich emittierte (Absolut-) Menge zu reduzieren. Ist in diesem Sinn tatsächlich eine gewisse Umge- hung der Vorschriften zur Schad- stoffreduzierung möglich?

Wird der Ferntransport von Schadstoffen sowie die damit verbun- dene wechselseitige Überlagerung der Effekte vieler Anlagen integrativ mitberücksichtigt, oder wird diese Komponente bei der isolierten Ein- zelbeurteilung als Teil der („schon vorhandenen") Grundbelastung — al- so formal zugunsten der zur Debatte stehenden Anlage — miterfaßt?

Unter Punkt 3.1 (Mitte) wird festgestellt, daß die existierenden Grenz- oder Richtwerte nach medizi- nischen/naturwissenschaftlichen Kri- terien festgelegt wurden. Beeinflus-

sen de facto nicht auch technische Machbarkeit, Wirtschaftlichkeit, po- litische Durchsetzbarkeit, gesell- schaftliche oder gruppenspezifische Akzeptanz und Zumutbarkeit diese Festlegungen? Müssen dann unter anderem die verwendeten Grenz- oder Richtwerte nicht vorsichtiger und kritischer beurteilt werden?

Sind bei der Festlegung der Ein- zelwerte der TA-Luft und der zum Vergleich zugezogenen MIK-, MAK- und ADI-Werte, „deren Einhaltung eine nachhaltige Wirkung. . . nicht erwarten" lasse, mögliche Potenzie- rungseffekte bei Zusammentreffen vieler verschiedener Noxen und Be- lastungen berücksichtigt, und wenn ja, in welcher Form?

Für Metalle wird unter Verweis auf Tabelle 2 festgestellt, „daß eine durchschnittliche Immissionszusatz- belastung . . . nicht ins Gewicht fällt."

Lese ich die Tabelle fehlerhaft, sind falsche Einheiten oder Zehnerpoten- zen abgedruckt, oder fällt tatsächlich bei der präsentierten Datenlage die Beurteilung durch die Autoren wie oben zitiert aus?

Wie unbelastet (auch durch Ferntransport) sind die zum Ver- gleich aufgeführten „Reinluftgebie- te"? — Zur Dimension: Fallen hierun- ter etwa auch Gebiete, in denen es Waldsterben oder andere Hinweise auf anthropogene ökologische Schä- den gibt?

In Abs. 3.2.3.2 Mitte wird unter der Prämisse, daß die vorgeschriebe- nen Richtwerte in der Praxis lücken- los eingehalten werden („prognosti- zierte Immissionszusatzbelastung"), für Hexachlorbenzol usw. „eine nen- nenswerte Erhöhung der vorhande- nen Umweltbelastung. . . ausge- schlossen". Ähnliches wird danach für PCB festgestellt. Ich meine mich an eine relativ hohe Belastung zum Beispiel der Muttermilch auch durch diese Substanzen zu erinnern, des- halb die Frage: Bewegt sich die vor- handene Umweltbelastung bereits in einem kritischen Bereich, so daß wir eine Erniedrigung brauchen, oder haben wir tatsächlich noch Spielraum für eine Erhöhung, sofern diese kein nennenswertes Ausmaß annimmt?

Zumindest einige der genannten Punkte haben offensichtlich „neural- gischen" Charakter. Insbesondere Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 33, 20. August 1993 (47) A1-2191

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