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Archiv "Potentielle Gesundheitsgefahren durch Emissionen aus Müllverbrennungsanlagen: Der Aufnahmepfad" (20.08.1993)

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MEDIZIN

kommens, ihrer geringen Abbaubar- keit und hohen Fettlösigkeit zu einer deutlichen Anreicherung in der Nah- rungskette. Die Halbwertszeit für 2, 3, 7, 8- TCDD beträgt beim Men- schen 5-7 Jahre. Für 130 Proben aus der BRD kommt 2, 3, 7, 8- TCDD, der giftigste Vertreter dieser Stoff- klasse, nur in Mengen vor, die im Be- reich der Nachweisgrenze liegen."

„Andere weniger toxische Ver- bindungen liegen in relativ hohen Konzentrationen vor. Versucht man eine Bewertung mit Hilfe von Äqui- valenzfaktoren, dann ergibt sich eine TCDD-Äquivalenzkonzentration von im Mittel 20 pg/pro Gramm Milch- fett. Berechnet man anhand dieser Werte die Belastung eines 4 Monate alten Säuglings, so ergeben sich fol- gende Werte: Bei einer täglichen Aufnahme von 860 ml Muttermilch mit einem Fettgehalt von 3,8 Prozent nimmt der Säugling täglich 654 pg TCDD Äquivalent zu sich. Bei einem 6,5 kg schweren Kind wären das 100 pg toxische Äquivalent pro Kilo- gramm Körpergewicht und Tag."

„Dieser Wert liegt erheblich über dem Richtwert von 1 pg toxische Äquivalent pro Kilogramm Körper- gewicht und Tag, die als vorläufig duldbare tägliche Aufnahmemenge für den Erwachsenen angesehen wird. Auch der Interventionswert von 10 pg Kilogramm und Tag (BGA Umweltbundesamt 1990) wird für Säuglinge deutlich überschrit- ten. . . ."

„Insgesamt ist somit davon auszu- gehen, daß bei den z. Zt. vorliegenden Konzentrationen an Organochlorver- bindungen insbesondere aber TCDD und TCDF gesundheitliche Beein- trächtigungen bei gestillten Säuglin- gen nicht auszuschließen sind. Wie oben ausgeführt ist die Quelle dieser Stoffe zum überwiegenden Teil in der oralen und nicht in der inhalativen Aufnahme zu sehen. Wegen des ubi- quitären Vorhandenseins der Stoffe ist eine Zuordnung zu lokalen Quellen nicht möglich."

Hier handelt es sich um Mittel- werte, die für die gesamte Republik

gelten.

In belasteten Gebieten muß nochmals ein Faktor 2 bis 3 berech- net werden. Diese eindeutigen Be- funde, die den Menschen direkt be-

DISKUSSION

treffen und nur durch Meßwerte be- legt werden können, induzieren Handlungsbedarf: Der Interventions- wert des BGA und UBA ist 10 pg.

Unsere Kinder nehmen also das 100fache der akzeptierten täglichen Aufnahme auf und das 10fache von dem, was das für uns zuständige Bun- desgesundheitsamt vorgibt. Diese eindeutigen Tatsachen werden im Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer nicht erwähnt.

8. Die Verbrennung von Müll wird als wenig belastendes und ver- tretbares Verfahren beurteilt.

Grundlage für diese Beurteilung sind: Nagerexperimente, Emissions- und Immissionsmessungen, die lük- kenlose Einhaltung von Verwal- tungsvorschriften. Dies alles ergibt die „abgeschätzte Exposition des Er- wachsenen"

Für eine ärztliche Stellungnah- me fehlt:

—die Belastung für gestillte Kinder

—die Belastung für den Heranwach-

5. Der Aufnahmepfad Beim Studium der Bekanntma- chung der Bundesärztekammer zu den potentiellen Gesundheitsgefah- ren durch Emissionen aus Müllver- brennungsanlagen (MVA) fallen fol- gende Ungereimtheiten auf:

Es ist irreführend, einen akribisch berechneten Anteil der MVA-Emissi- on (z. B. „0,0003%") an der Gesamt- exposition der Bevölkerung gegen- über Schadstoffen anzugeben, wenn dabei der Aufnahmepfad der Sub- stanzen unberücksichtigt bleibt. Bis auf Benzol werden eben alle übrigen erwähnten Schadstoffe einer MVA nicht vorrangig inhalativ, sondern überwiegend oral aufgenommen. Be- sonders bei den Schwermetallen be- steht die „normale (?!) tägliche Auf- nahme" zu über 97 Prozent aus der Zufuhr von belasteten Lebensmit- teln. Daher ist es weder verwunder- lich noch bemerkenswert, wenn die Zusatzbelastung durch die MVA-E- missionen „weit unter 1 Prozent" der üblichen täglichen Schadstoffaufnah- me liegt. Würde man dagegen die Werte der MVA-Emissionen korrek- terweise auf die inhalative Kompo-

senden (diese beiden Gruppen sind besonders sensibel auf mutagene Substanzen)

—die Belastung für vegetarisch Le- bende und für solche Menschen, die besonders viel Fleisch essen

—die Belastung für Selbstversorger aus starkbelasteten Gebieten

—die Belastung für kranke Men- schen

—die Belastung für Schwangere

—die Belastungen bei allen Gruppen für Störfälle, die in jedes Gutachten gehören.

Die meisten Aussagen in der Stellungnahme des „Wissenschaftli- chen Beirates der BÄK" sind kor- rekt. Durch Weglassen wesentlicher, nachgewiesener Befunde und wissen- schaftlicher Erkenntnisse kommt aber eine irreführende Stellungnah- me heraus.

Dr. med. Günter Baitsch

Leitender Arzt der Hochrheinklinik Bergseestraße 57

79713 Bad Säckingen

nente des Aufnahmepfades bezie- hen, ergäbe sich zum Beispiel bei dem kanzerogenen Arsen ein additi- ver Effekt von 40 Prozent: 0,02 Lug täglich zusätzlich über die Atemluft gegenüber einer „Hintergrundbela- stung" von 0,05 [ig (1)!

Bleibt die Frage, woher denn die indirekt angegebene, höchst uner- freuliche Belastung der Bevölkerung mit Schadstoffen durch Boden- und Nahrungsmittelkontaminationen stammt? Leider bleiben die ausgesto- ßenen (Schwer-) Metalle (Gravitati- onsgesetz!) nicht auf einer unendli- chen Erdumlaufbahn, sondern die Autoren geben zu, daß „die Deposi- tionen von Stäuben im Nahbereich von Abfallverbrennungsanlagen möglich" sind. Doch sei der „Einfluß auf die Nahrungskette. . . noch nicht ausreichend quantifizierbar". Diese angebliche Unwissenheit kümmert jedoch nicht sonderlich, zumal man behauptet zu wissen, daß beispiels- weise die Arsenzufuhr via Lebens- mittel „überwiegend durch das natür- liche Arsenvorkommen bedingt" sei.

Der Leser möge diese Aussage mit folgenden Angaben aus der Literatur vergleichen: >

Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 33, 20. August 1993 (51) A1-2193

(2)

MEDIZIN

Emission von Arsen aus natürli- chen Quellen: 8000 t/Jahr, Emission von Arsen aus anthropogenen Quel- len: 24 000 t/Jahr (2). Konzentration im Meerwasser: 2-5 ii,g/1 (3), in indu- striellen Abwässern: 6 mg bis 3 g (!)/1 (1). Hintergrundbelastung des Bo- dens: 20 mg/kg Trockensubstanz (4), in der Nähe von Metallschmelzereien und auf landwirtschaftlichem Boden mit hohem Pestizid- und Herbizid- einsatz: bis 1000 mg/kg (2). „Natür- lich" alles klar?!

Literatur:

1. Koch, R.: Umweltchemikalien, VCH Wein- heim 1989

2. Merian, E.: Metals and their Compounds in the Environment, VCH Weinheim 1991 3. Merian, E.: Metalle in der Umwelt, VCH

Weinheim 1984

4. Eikmann, Th.; Kloke A.: Nutzungs- und schutzgutbezogene Orientierungswerte für Schadstoffe in Böden, in: D. Rosenkranz, G. Ensele und H. H. Harraß Handbuch Bo- denschutz, Erich Schmidt Verlag Berlin 1989

Dr. med. Armin Mainz Stadtgesundheitsamt Obere Königstraße 3 34117 Kassel

6. Störfälle

Die Abhandlung ließ hoffen, daß einige Erkenntnisse der Auswir- kungen von Emissionen auf den Menschen einem größeren Kreis von Ärzten zugänglich gemacht würde:

Wie die von Oberg, Rappe et al. fest- gestellte Katalyse von Chlorphenolen zum Seveso-Dioxin durch das körper- eigene Enzym „Peroxidase" und die von Glenn Miller beschriebene Kata- lyse des OCCD zum Seveso-Dioxin durch Abspaltung von Chloratomen.

Beide Effekte erhöhen den Dioxin- gehalt (Toxisches Äquivalent des 2, 3, 7, 8-TCDD) um das mehrtausend- fache nach der Dioxinaufnahme, so daß ein Fachbeitrag aus medizini- scher Sicht auf großes Interesse sto- ßen würde.

Die Stellungnahme basiert auf Emissionen, wie sie von künftigen Verbrennungsanlagen im Normalbe- trieb von der 17. BImSchV gefordert werden. Wie sehen jedoch die Emis- sionen nach Berechnungen der Um- weltverträglichkeitsuntersuchung (UVU) zum Bau der zweiten Sonder-

DISKUSSION

müllverbrennungsanlage in Baden- Württemberg aus? Warum sind diese modernsten Anlagen nicht gegen Störungen gefeit, damit sie die Emis- sionen nach der 17. BImSchV einhal- ten?

Die Antwort gibt die Umweltver- träglichkeitsprüfung: Die schwersten Verseuchungen werden außerhalb der Verbrennungsanlage verursacht und sind nicht beherrschbar. Nach Angabe der Umweltverträglichkeits- prüfung lassen sich Störfälle und Verpuffungen (Explosionen) nicht ausschließen. Ebensowenig lassen sich falsch beschriftete Behälter, Be- hälter mit Beschädigungen und un- kontrollierte chemische Reaktionen verhindern (1).

Von den drei angenommenen Störfällen seien hier zwei erwähnt:

a) Ein Tanklastwagen mit einer leichtentzündlichen Flüssigkeit, die 12 g polychlorierte Biphenyle, 12 kg Benzol und je 600 kg Tetrachlor- ethen, Trichlorbenzol, Trichlorethan und Trichlorethen enthält, läuft aus und die Flüssigkeit gerät in Brand.

Der Brand dauert 4,8 Minuten. Die- ser Störfall erzeugt noch in 10 km Entfernung vom Störfall eine Dioxin- belastung der Luft von 12 678 000 fg/m3 TE (Toxisches Äquivalent) (1).

Dieser Spitzenwert in der Luft ist 705 000 mal höher als die US-Behör- de EPA als gesamte Dioxindauerbe- lastung (Luft, Wasser, Nahrungsmit- tel) zuläßt (2).

Nach einem derartigen Störfall wird auf die Betrachtung der Störfallauswirkungen auf Boden, Wasser, Pflanzen und die Nahrungs- kette verzichtet, da verhindert wird, daß die verseuchte Bevölkerung zu- sätzlich dioxinbelastete Nahrungs- mittel (Pflanzen, Tierprodukte, Fi- sche, Wein, Milch, Most, Wasser usw.) zu sich nimmt (1).

b) Der erwähnte Vilmar-Bericht gibt für einen Verdünnungsfaktor von 1 : 1,5 Millionen eine Benzolkon- zentration von < 0,01 ng/m 3 und eine Seveso-Dioxinkonzentration von <

0,1 fg/m3 an (1 femtogramm = 10 -15 Gramm). Die Benzolkonzentration beträgt jedoch nach Angabe der UVU bei Auslaufen eines Tanks, der unter anderem 52,5 kg Benzol ent- hält, in 1 km Entfernung 8 301 000 ng/m3 und in 3 km Entfernung

1 440 000 ng/m3 (1), dies sind 830 Millionen bzw. 144 Millionen mal mehr als der Vilmar-Bericht angibt.

Die Dioxinkonzentration ist in 10 km Entfernung vom Störfall 127 Mil- lionen mal höher (12 678 000 fg/m3 ge- genüber 0,1 fg/m 3). Bei dieser Dioxin- konzentration muß nach Berech- nungsunterlagen der US-EPA mit ei- ner Krebssterblichkeit von 2,4 Prozent der Bevölkerung für jeden Tag, den die Giftwolke über der Landschaft liegt, gerechnet werden (2).

Wenn Müllverbrennungsanlagen und Giftmülltransporte (alle 6 Jahre ein Störfall) (1) nicht beherrschbar sind, dürfen wir uns und unseren Nachkommen derartige Gefahren hinterlassen?

Anmerkungen:

1. Umweltverträglichkeitsuntersuchung für vier potentielle Standorte der zweiten Son- derabfallverbrennungsanlage in Baden- Württemberg. Auftraggeber: Regierungs- präsidium Stuttgart. Kapitel 8.6: Bewertung unter sicherheitstechnischen Gesichts- punkten.

2. 1985 gab die US-EPA den Wert von 0,006 pg TCDD TE/kg Körpergewicht für einen zusätzlichen Krebsfall auf 1 Million gesun- der Menschen an. Dieser Wert wurde bei einer Anhörung der EPA im September 1992 in Washington bestätigt.

Peter Bruch

Hohenlohestraße 74 74638 Waldenburg

7. „Pi mal Daumen"

Wir möchten uns in unserer Stel- lungnahme auf die Erfahrungen be- schränken, die wir als eine Gruppe von Ärzten in der praktischen Aus- einandersetzung mit dem Planungs- vorhaben Giftmüllverbrennungsanla- ge Kehl gewonnen haben. Wegen der gleichartigen Technik sind die Ver- hältnisse auf eine Hausmüllverbren- nungsanlage übertragbar, auch das Bewertungsverfahren ist identisch.

Alle Aussagen beziehen sich auf die offiziellen Genehmigungsunterlagen.

Der Bevölkerung in Kehl und Straßburg wurde eine funkelnagel- neue Anlage neuen Typs angeboten.

Geld spielte (damals noch) keine Rolle. Wir hatten die Erwartung von revolutionärer Technik und sicherer Schadstoffmessung, von fundierten Emissionsdaten und deren kontinu- Al-2194 (52) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 33, 20. August 1993

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