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Archiv "Psychotherapeuten-Gesetz: Ein Auftragsgutachten mit Schlagseite" (15.08.1991)

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AKTUELLE POLITIK

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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b die weitreichenden und ziemlich konkreten Vor- schläge des „Meyer-Gut- achtens" die politische und vorparlamentarische Diskussion entscheidend befruchten werden, muß abgewartet werden. Zumindest stehen zur Zeit die Vorüberlegungen und politischen Planungen im von Dipl.-Volkswirtin Gerda Hasselfeldt (CSU) geführten Bundesgesundheits- ministerium nicht mehr so hoch im Kurs, wie es zum Zeitpunkt der mini- steriellen Ausschreibung des For- schungsgutachtens (23. August 1989) und nach Präsentation des Eckwerte- papiers des Lehr-Ministeriums (30.

November 1990) noch der Fall war.

Das Hamburger Gutachten soll- te verschiedene Modelle für die Mit- wirkung von psychologischen Psy- chotherapeuten (Diplom-Psycholo- gen) im System der Versorgung der gesetzlich Krankenversicherten (ein- schließlich des „Delegationsverfah- rens") unter Berücksichtigung der möglichen Modelle für den neu zu schaffenden Status des Psychothera- peuten und gegebenenfalls auch Al- ternativen darstellen. So sollte die Tätigkeit von psychologischen Psy- chotherapeuten gegenüber anderen Berufen besser abgegrenzt werden.

Dabei sollten die möglichen Tätig- keitsfelder von Psychotherapeuten beschrieben, die psychotherapeu- tischen Methoden überprüft und be- wertet werden, die für eine sinnvolle und erfolgversprechende Psychothe- rapie in Betracht kommen. Darüber hinaus sollte auch auf die notwendi- ge Qualifizierung der Personengrup- pen eingegangen werden, denen bei Anlegung strenger Maßstäbe über Übergangsregelungen der Zugang zum Beruf des Psychotherapeuten eröffnet werden könnte. Nicht zu- letzt sollten die Folgekosten eines Spezialgesetzes für psychologische Psychotherapeuten auch im Hinblick auf die Ausgabenwirkung bei den Kostenträgern (insbesondere den ge- setzlichen und privaten Krankenkas- sen) aufgezeigt werden.

Die Hamburger Gutachter (ne- ben Prof. Dr. Dr. Meyer: Priv.-Doz.

Dr. phil. Rainer Richter, beide Ham- burg; Prof. Dr. Klaus Grawe, Bern, Prof. Dr. rer. pol. J.-Matthias Graf von der Schulenburg, Hannover, und

Psychotherapeuten-Gesetz

Ein

Auftragsgutachten mit

Schlagseite

Kurz vor der nachrichtenflauen parla- mentarischen Sommerpause sorgte ein Gutachten von der „Waterkant" für einigen Wirbel und die Wiederbele- bung einer seit geraumer Zeit abge- ebbten Diskussion: ein 400 Drucksei- ten starkes „Forschungsgutachten zu Fragen eines Psychotherapeuten-Ge- setzes" (Psychologisches Psychothe- rapeuten-Gesetz), von Prof. Dr. phil.

Dr. med. Adolf Ernst Meyer, Universi- täts-Krankenhaus Hamburg-Eppen- dorf, II. Medizinische Klinik, Abtei- lung für Psychosomatik und Psycho- therapie, und vier weiteren Wissen- schaftlern im Auftrag des damaligen Bundesministeriums für Jugend, Fa- milie, Frauen und Gesundheit (dama- lige Ministerin: Dipl.-Psychologin Prof, Dr. phil. Dr. h.c. Ursula Lehr, CDU) erstellt. Es gibt Schützenhilfe für die bereits vor 13 Jahren (1978) ge- starteten Überlegungen für ein spezi- elles Psychotherapeuten-Gesetz.

Dr. jur. Bernd Schulte, München) stellten unter Berücksichtigung von Sekundärquellen wesentliche Män- gel und tendenzielle Unterversor- gungen fest.

Daten der Ist-Analyse

Hier einige Schlaglichter aus der Sicht der Gutachter:

1. Fünf Prozent der westdeut- schen Bevölkerung sind nach Aussa- gen der Gutachter psychotherapie- bedürftig. Die Zahl der psychothera- peutisch Tätigen betrug 1990: 7232;

etwa die Hälfte davon sind Nichtärz- te. In der kassen- und vertragsärztli-

chen Versorgung werden im Bundes- durchschnitt von den fünf Prozent ambulant behandlungsbedürftigen Patienten tatsächlich nur 0,2 Pro- zent, im mit Psychotherapie-Praxen gut versorgten West-Berlin 1,1 Pro- zent behandelt.

2. Zwischen 21 und 33 Prozent der Patienten in Praxen von Allge- meinärzten/praktischen Ärzten so- wie Internisten leiden an psychoneu- rotischen/psychosomatischen Er- krankungen. Aber nur bei drei bis vier Prozent werden diese Erkran- kungen diagnostiziert.

3. Zwischen 28 und 38 Prozent der Patienten, die in Krankenhäu- sern der Regelversorgung behandelt werden, benötigen eine, die interni- stische (oder chirurgische) Behand- lung oftmals ergänzende Psychothe- rapie. In Ermangelung psychosoma- tisch/psychotherapeutischer Dienste an Allgemeinkrankenhäusern unter- bleibe eine solche in aller Regel.

4. Nur 30 Prozent der Psycho- therapie-Patienten, die in der ambu- lanten kassen- und vertragsärztli- chen Versorgung behandelt werden, sind in Primärkassen versichert, ob- wohl der Anteil dieser Patienten an der Gesamtbevölkerung doppelt so groß ist (fast 60 Prozent) und obwohl psychische Krankheiten in den unte- ren sozialen Schichten eher häufiger vorkommen. Dagegen machen Pri- vatpatienten und Selbstzahler rund 30 Prozent der Patienten in Psycho- therapie-Praxen aus, obwohl nur 10 Prozent der Bevölkerung privat krankenversichert sind.

5. Die Zahl der vorgehaltenen Betten beträgt in den klinischen Ein- richtungen 346, an städtischen Klini- ken 907 und im Rehabilitationsbe- reich 7046 (Basis: 1989).

6. Die gesetzliche Krankenver- sicherung wendet für diese Heilbe- handlung etwa 8,4 Prozent ihrer Ge- samtleistungen für stationäre Be- handlung auf. Gleichwohl wurden 1989 mehr als 10 000 Männer und Frauen (5,1 Prozent aller Frühbe- rentungen) wegen psychoneuroti- scher und psychosomatischer Er- krankungen frühzeitig zu Rentnern.

7. Im Leistungskatalog der ge- setzlichen Krankenkassen („Psycho- therapie-Richtlinien") finden sich nach Einschätzung der Gutachter Dt. Ärztebl. 88, Heft 33, 15. August 1991 (17) A-2689

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psychotherapeutische Techniken, deren Wirksamkeit bei psychischen Krankheiten wissenschaftlich nicht hinreichend gesichert ist. Zugleich seien wirksame Methoden ausge- schlossen.

8. Heute gibt es rund 3350 Psy- chologen, die nach dem „Erstat- tungssytem" arbeiten.

9. Nach Angaben der Gutachter würden sich rund acht Prozent einer Großstadtbevölkerung für eine me- dizinisch indizierte Psychotherapie entscheiden, wenn sie ihnen im Rah- men der kassen- und vertragsärztli- chen Versorgung angeboten würde.

Allerdings erhalten nur 13,4 Prozent dieser Bevölkerungsgruppe psycho- therapeutische Versorgung im Rah- men der gesetzlichen Krankenversi- cherung, 86,6 Prozent dagegen nicht.

Die Gutachter können daraus nicht abschätzen, welcher Anteil der letzt- genannten Bevölkerungsgruppe gar nicht, falsch oder außerhalb der ge- setzlichen Krankenversicherung be- handelt wird. Jedenfalls spiegele sich, so die Gutachter, in dieser Zah- lenrelation eine „Fehlversorgung"

wider, so daß viele Patienten eine

„Chronifzierung bis hin zur Beren- tung erfahren" würden. Mithin sei eine erhebliche Unterversorgung von psychisch und psychosomatisch Er- krankten im ambulanten Bereich festzustellen. Die vom Gesetz gefor- derte Sicherstellung im ambulanten psychotherapeutischen Bereich sei nicht gewährleistet.

Insbesondere werden dem auch von seiten der Krankenkassen als weiterentwicklungsfähig bezeichne- ten Delegationsverfahren Konstruk- tionsmängel und Schwachstellen nachgesagt. Zwar mache sich das Delegationsverfahren die Kompe- tenzen der psychotherapeutisch durchschnittlich höher qualifizierten psychologischen Psychoanalytiker und Verhaltenstherapeuten sowie der Kinder- und Jugendlichen-Psy- chotherapeuten zunutze. Es stelle aber seinerseits auf Grund der Mehrfachdiagnostik und der damit verbundenen Wartezeiten einen für den Patienten ungünstigen Zuwei- sungsmodus dar und behindere mit- hin eine zweckmäßige Versorgung.

Dies führe zur Chronifizierung psy- chischer Erkrankungen.

Die (angebliche) Unterversor- gung im Bereich der ambulanten Psychotherapie führe dazu, daß psy- chotherapiebedürftige Patienten un- vertretbar lange im Primärversor- gungsnetz verbleiben und dort gar nicht, falsch oder unzureichend be- handelt würden. Dadurch trete eine vorzeitige Arbeitsunfähigkeit ein. In der Folge würde eine stationäre Form von Psychotherapie zu Lasten der Rentenversicherungsträger ver- anlaßt, obwohl eine ambulante The-

Vorschläge zur Mängelbehebung

Als Maßnahmen schlagen die Gutachter drei Interventionen vor:

Verbesserung der psychoso- zialen Kompetenzen (diagnostisch und therapeutisch) der primärver- sorgenden Ärzte durch eine Erhö- hung des Anteils der psychosozialen Pflichtkurse im Medizinstudium, ins- besondere des Faches Psychosoma- tik/Psychotherapie im Klinischen Stu- dienabschnitt sowie eine Intensivie- rung der Fort- und Weiterbildung.

°Vermehrung von Abteilungen für Psychosomatik/Psychotherapie in der Sekundärversorgung, also an kommunalen und städtischen Kran- kenhäusern, wobei jene vorrangig ei- nen effizienten Konsiliardienst zu er- bringen hätten.

°Vergrößerung des Angebots an ambulanter Psychotherapie durch Vermehrung qualifiziert ausgebilde- ter niedergelassener Psychothera- peuten.

• Die Hamburger Gutachter empfehlen prinzipiell die Koppelung einer berufsrechtlichen Zulassung an einer Kassenzulassung, wie sie auch das Eckwerte-Papier des Bundesge- sundheitsministeriums vom 30. No- vember 1990 enthielt.

• Demnach würde eine selb- ständige und eigenverantwortliche Ausübung der Psychotherapie durch Diplom-Psychologen eine Approba- tion zum „Fachpsychologen für Psy-

rapie in vielen Fällen wirtschaftli- cher und zweckmäßiger wäre oder gewesen wäre.

In mehr als 50 derartigen Fach- kliniken, die überwiegend „profitori- entiert" seien, arbeiten nach Anga- ben der Hamburger Gutachter etwa 900 psychologische Psychotherapeu- ten, von denen der überwiegende Teil hinreichend qualifiziert sei, das ambulante psychotherapeutische Versorgungsangebot nachhaltig zu verbessern.

chotherapie" (mit dreijähriger Wei- ter-/Ausbildung) voraussetzen.

Folgender Ausbildungs-/Weiter- bildungsgang wird vorgeschlagen:

Abgeschlossenes universitäres Psy- chologie-Studium; die anschließende Aus-/Weiterbildung zum Fachpsy- chologen soll mindestens drei Jahre dauern und soll berufsbegleitend an einer anerkannten Ausbildungsein- richtung erfolgen. Der erfolgreiche Abschluß wird mit der Approbation von den zuständigen Länderbehör- den bestätigt.

Vorgeschlagen wird ferner, daß parallel zum ärztlichen Berufsrecht spezielle Psychotherapeutenkam- mern als Körperschaften öffentli- chen Rechts auf Länder- und Bun- desebene eingerichtet werden kön- nen. Zur Sicherstellung der kassen- psychotherapeutischen Versorgung sollen Kassenpsychologische Verei- nigungen (KPV) gebildet werden — analog zu den bestehenden Kassen- ärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen (in Bonn gibt es be- reits seit Jahren einen eingetragenen Verein der Kassenpsychologischen Vereinigung, der sich als „Lobby"

künftiger Kassenpsychologen ver- steht).

Durch eine großzügige Über- gangsregelung soll es jedem Diplom- Psychologen ermöglicht werden, in die kassenpsychologische Versor- gung zu wechseln. Heute gibt es schätzungsweise 3500 niedergelasse- ne psychologische Psychotherapeu- ten. Hinzu kommt eine relativ hohe Zahl von arbeitslosen Psychologen von annähernd 8000 bis 10 000.

• Empfohlen wird, die Koope- ration zwischen Ärzten und Fachpsy- chologen für Psychotherapie durch

I

Plädoyer für berufsrechtliche Zulassung

A-2690 (18) Dt. Ärztebl. 88, Heft 33, 15. August 1991

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eine wechselseitige Konsultations- pflicht festzuschreiben. Ebenso wie

der Fachpsychologe verpflichtet ist, seinen Patienten bei Verdacht auf eine körperliche Erkrankung zur Konsultation eines Arztes anzuhal- ten, ist der Arzt verpflichtet, die Be- deutung psychischer Faktoren für die Entstehung, Verschlimmerung oder Aufrechterhaltung einer kör- perlichen Erkrankung durch einen (ärztlichen oder psychologischen) Psychotherapeuten abklären zu las- sen. Nur diese wechselseitige Kon- sultationspflicht könne gewährlei-

D

as „Echo" auf das Hamburger Auftragsgutachten war, wie zu erwarten, geteilt. Die Psychologen und deren Berufsverbände wittern Morgenluft; sie hoffen, daß mit Hilfe des avisierten Gesetzes und der wohl- feilen Argumente des Meyer-Gutach- tens der Status der psychologischen Therapeuten wesentlich verbessert und mit dem anderer akademischer Heilberufe (insbesondere Ärzte) gleichgeschaltet werden kann.

Aus dem „Delegationsverfah- ren" wollen sich die Psychologen schon seit langem emanzipieren. Sie propagieren unter Verweis auf die Eigenkompetenz und die angebli- chen Versorgungsnotwendigkeiten einen direkten Zugang zu den

„Krankenkassentrögen" (Prof. Hel- mut Schoeck, Mainz) — gleichviel, ob es dem Patienten nützt oder schadet, gleichviel, ob die Kassenausgaben explosionsartig in die Höhe getrie- ben werden, gleichviel, ob sich das Delegationsverfahren bewährt hat und weiterentwicklungsfähig ist.

Mehr Selbständigkeit und Gleichberechtigung im Vergleich zum Arzt — so die Losung der Psy- chologen und ihrer politischen Mit- streiter. Den Psychologen und ihren Interessenwaltern geht es also um ei- ne Statusaufwertung und handfeste materielle Interessen — alle wohl um- mäntelt mit der psychotherapeu- tischen Notwendigkeit und mit Schützenhilfe eines die Folgekosten und Auswirkungen unterschätzen- den Auftragsgutachtens (vgl. Schluß

sten, daß sowohl Fehlbehandlungen in der ärztlichen Primärversorgung als auch Fehlbehandlungen durch psychologische Psychotherapeuten verhindert werden, so die Gutachter.

Bei der Vergütung psychothe- rapeutischer Leistungen durch Fachpsychologen für Psychotherapie sollen die Regelungen des Kassen- arztrechtes Pate stehen. Die Gutach- ter schlagen eine spezielle Gebührenordnung für Kassenpsy- chologen vor, den Einheitlichen Be- wertungsmaßstab Psychotherapie (EBMP).

dieses Artikels) und ohne zu berück- sichtigen, wie der Sicherstellungsauf- trag und die Leistungspflicht der Krankenkassen dadurch grundle- gend verändert würden.

Entsprechend harsch ist denn auch die Kritik seitens der Ärzte- schaft, insbesondere der Kassenärzt- lichen Bundesvereinigung (KBV), und der Krankenkassen.

In bemerkenswertem Gleich- klang kritisieren KBV und Kranken- kassen die Unvollständigkeit und eklatante Unausgewogenheit des Gutachtens. Auch sei es statistisch lückenhaft und rechnerisch nicht schlüssig, so daß es kaum geeignet für die politische Entscheidungsfin- dung sein dürfte, so der Kommentar des Referenten für Psychotherapie in der Vertragsabteilung der KBV, Dr. med. Andreas Dahm, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates zum Hamburger Gutachten.

Trotz der auf den ersten Blick eingängigen Zahlen und zahlreichen Mängelrügen stellt das Gutachten fest, daß die ambulante psychothera- peutische Versorgung in der Bevöl- kerung der (alten) Bundesrepublik

„die mit weitem Abstand weltbeste ist". Die von den Gutachtern u. a. als

„Kronzeuge" angeführte Studie von Schepank (1984/1987) stellte eben- falls fest, daß es keine gravierenden Defizite im Angebot an psychothe- rapeutischen Leistungen gebe. Viel- mehr solle in erster Linie die psycho- diagnostische Kompetenz der Haus- ärzte verbessert und dadurch die

psychotherapeutische Versorgung in ärztlicher Verantwortung gestärkt werden.

Auch unter versorgungsepide- miologischen Aspekten muß in erster Linie der relativ hohe Anteil von psy- chotherapeutisch behandlungsbe- dürftigen Patienten, die eine Psy- chotherapie ablehnen (rund 65 Pro- zent), vermindert werden. Dabei kä- me in erster Linie dem Allgemein- und Hausarzt sowie dem niederge- lassenen Nervenarzt die Rolle zu, im Sinne einer fallbezogenen Unterstüt- zung die weitere Behandlungspla- nung mit diesen Patienten zu über- nehmen.

Unbegrenzbarer Bedarf .. .

Im übrigen ist es in Fachkreisen unbestritten, daß der Bedarf an psy- chotherapeutischer Versorgung nicht objektivierbar ist. Dies wird von den Gutachtern sogar an einer Stelle selbst eingeräumt. Zudem sind der subjektive Bedarf an Leistungen und damit das Inanspruchnahmever- halten der Patienten praktisch unbe- grenzbar. Werden neue Leistungen offeriert und wird ein ganzes Heer von psychologischen Therapeuten zu Lasten der Krankenkassenversor- gung aktiv, so wäre es nicht verwun- derlich, daß auch die Inanspruch- nahme überproportional zunimmt — mit horrenden Folgekosten.

Aus den Statistiken der KBV geht hervor: Im Bereich der Psycho- therapie steigt sowohl die Zahl der Behandler als auch die der Behand- lungsfälle überdurchschnittlich stark. Allein im Bereich der nieder- gelassenen Nervenärzte und Psychia- ter beträgt die jährliche Netto-Zu- gangsrate inzwischen zwischen fünf und sieben Prozent. Die an der kas- senärztlichen Versorgung teilneh- mende Zahl an Nervenärzten hat sich seit 1970 bis heute etwa vervier- facht. Die vom Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen festgeleg- te Meßzahl zur Feststellung der Be- darfsdeckung

von einem Nerven- Arzt

auf durchschnittlich 50 000 Ein- wohner ist inzwischen deutlich über- schritten worden. Es ist unhaltbar, dem Delegations-Verfahren vorzu-

Wie zu erwarten: Geteiltes Echo

Dt. Ärztebl. 88, Heft 33, 15. August 1991 (19) A-2691

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Für freiwilligen HIV-Test

Gemeinsame Stellungnahme zum Problem der Übertragung von HIV durch Zahnärzte und Ärzte werfen, es führe rundweg zur „Chro-

nifizierung psychischer und psycho- somatischer Erkrankungen". Diese schwerwiegende Behauptung wird an keiner Stelle des Gutachtens be- legt. Zudem steht sie in krassem Ge- gensatz zu den Ergebnissen einer zu Beginn des Jahres 1991 von der Ver- einigung der Kassenpsychologen durchgeführten Umfrage. Danach gaben 46 Prozent der Befragten an, die Wartezeit bis zum Beginn einer Einzeltherapie betrage bis zu drei Monate. Bei 36 Prozent der Befrag- ten wurde die Behandlung nach sechs Monaten aufgenommen.

... und die Kosten

Überhaupt nicht schlüssig sind die Berechnungen der Kosten und der Zahl der prognostizierten Lei- stungsanbieter.

• Das Gutachten geht von 2211 bis maximal 5500 niedergelassenen psychologischen Psychotherapeuten aus. Die Zunahme an Therapeuten in den nächsten fünf Jahren (nach Einführung einer gesetzlichen Rege- lung und nach Zulassung von psy- chologischen Therapeuten zur selb- ständigen Behandlung) wird auf 60 Prozent geschätzt.

Bereits 1988 sind in der (alten) Bundesrepublik 17 000 Psychologen beruflich tätig gewesen, darunter et- wa 40 Prozent freiberuflich. Damals war demnach die Zahl von knapp 7000 freiberuflich tätigen Psycholo- gen erreicht worden.

Unterstellt man eine durch- schnittliche Zahl der Hochschulab- gänger mit Diplom im Fach Psycho- logie von damals rund 1500 jährlich und eine Relation von rund einem Drittel freiberuflicher Psychologen, so waren 1990 rund 8000 Diplom- Psychologen tätig.

Die Gutachter nennen folgende Zahlen: insgesamt 7912 Psychologen im Jahr 1990 mit Anerkennung als Klinischer Psychologe und 13 747 Psychologen, die die Erlaubnis nach

§ 1 Abs. 1 des Heilpraktikergesetzes erhalten hatten.

Unter Berücksichtigung der rund 5500 Arbeitslosen und 7500 be- ruflich Tätigen und weiterer Kompo- nenten werden in den nächsten fünf

Jahren 16 000 Psychologen arbeits- bereit oder berufstätig sein. Daraus errechnet sich, falls alle selbständig beruflich Tätigen zu Lasten der Krankenversicherung tätig werden, eine Ausgabenbelastung der Kran- kenkassen in Höhe von 1,44 Milliar- den DM jährlich ( = 1,16 Prozent der derzeitigen GKV-Ausgaben).

Die Gutachter dagegen rechnen mit der Minimalsumme von 792 Millio- nen DM, also rund der Hälfte der von der KBV geschätzten Summe.

• Unterstellt man eine höhere Behandlungsfrequenz (als von den Gutachtern angenommen) pro Di- plom-Psychologen im Bereich der Psychotherapie, so ergibt sich eine gesamte Ausgabenbelastung von 2,16 Millarden DM pro Jahr ( = 1,74 Prozent der gesamten Krankenkas- senausgaben).

Geht man von einer Prävalenz von 5,3 Prozent der Behandlungsbe- dürftigen aus, so ergäben sich Ko- stenbelastungen von mehr als 13 Mil- liarden DM jährlich — bei einem Be-

Der vornehmlich in den Medien geführte Streit über die von Bundes- gesundheitsministerin Gerda Hassel- feldt erhobene Forderung nach ei- nem freiwilligen HIV-Test für Ärzte, die bestimmte operative Maßnah- men durchführen, beruhte weitge- hend auf unbewußten oder auf be- wußten (?) Fehlinterpretationen.

Deshalb hat es bei der Bundesärzte- kammer auch keine „Kurswende"

gegeben (wie in einigen Zeitungen behauptet wurde). Dies macht eine gemeinsame Erklärung des Bundes- gesundheitsministeriums und der Bundesärztekammer zum „Problem der Übertragung von HIV-Infekti- onsrisiken bei invasiven Eingriffen"

sehr deutlich.

Danach sollen sich diejenigen Ärzte und Zahnärzte, bei denen In- fektionsrisiken bestanden oder be- stehen und bei deren Arbeit es zu blutenden Selbstverletzungen kom-

darf von rund 80 000 qualifizierten Psychotherapeuten.

• Die Krankenkassen haben errechnet, daß sich bei der angenom- menen Prävalenz von 5,3 Prozent nach fünf Jahren bis zu 26,1 Millar- den DM Zusatz-Ausgaben ergeben werden.

Dabei sei noch nicht abschätz- bar, welche Folgewirkungen sich aus der gesetzlichen Regelung zur Si- cherstellung für die Krankenkassen ergeben (berufsrechtliche Regelun- gen, Einbindung der Leistungspflicht in die gesetzliche Krankenversiche- rung). Dies gilt auch für die Frage, wie sich die Etablierung von psycho- logischen Fachtherapeuten auf das Leistungsgeschehen insgesamt aus- wirkt.

Schon haben die Krankenkassen neue effiziente Steuerungsin- strumente für die Selbstverwaltung gefordert, um die Kosten zu kontrol- lieren und die Qualität auch in die- sem Feld zu sichern. Schöne Aus- sichten also! Dr. Harald Clade

men kann, einem freiwilligen HIV-An- tikörpertest unterziehen. Bei negati- vem Testausfall und weiterbestehen- dem Infektionsrisiko sollen sie den Test in regelmäßigen Abständen wiederholen. Das entspricht letztlich der ethischen Verpflichtung des nihil nocere als oberster Grundsatz ärztli- chen Handelns. Die Arbeit an dieser gemeinsamen Empfehlung war be- reits Mitte des vergangenen Jahres unmittelbar nach Bekanntwerden ei- ner HIV-Übertragung durch einen amerikanischen Zahnarzt aufgenom- men worden. Beteiligt waren Vertre- ter verschiedener medizinischer Dis- ziplinen, der Fachverbände und Fachgesellschaften, der Arbeitsge- meinschaft der Leitenden Medizi- nalbeamten, der Bundesärztekam- mer und der Hygienekommission der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe.

Die Empfehlung hat folgenden Wortlaut:

A-2692 (20) Dt. Ärztebl. 88, Heft 33, 15. August 1991

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