DEUTSCHES
ÄRZTEBLATT
DER KOMMENTAR
Noch in diesem Jahr will Bun- desgesundheitsministerin Professor Dr. Ursula Lehr den Entwurf für ein Psychotherapeuten-Gesetz auf den Weg bringen. Wenigstens die Eck- punkte sollen bis zum Ende der Le- gislaturperiode festgeklopft sein, hofft die Ministerin. Ein Gutachten, das die Bundesregierung kürzlich in Auftrag gegeben hat, soll die Grund- lagen dafür bieten.
Wenn es dabei nach dem Be- rufsverband Deutscher Psychologen (BDP) ginge, stünde das Ergebnis ei- gentlich jetzt schon fest: Die gesetz- lich geregelte Berufszulassung von Klinischen Psychologen wäre ebenso unabweisbar wie die direkte Kassen- zulassung der neuen Heilberufler.
Um eventuelle Folgekosten für die gesetzliche Krankenversicherung müsse sich niemand ernsthaft sor- gen, denn die befürchtete Kostenla- wine bliebe aus, sagt der Psycholo- genverband.
Kosten der ambulanten Psychotherapie
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Seine Zuversicht gewinnt der BDP in erster Linie aus einer Unter- suchung, die er selbst beim Institut für Freie Berufe an der Universität Erlangen in Auftrag gegeben hat.
Der anspruchsvolle Titel des Gut- achtens: „Kosten der Psychotherapie bei Klinischen Psychologen".
Im Ergebnis kommt der Gutach- ter zu der griffigen Aussage, „daß bereits heute rund drei Viertel der Kosten ambulanter Psychotherapie von GKV-Versicherten durch selb- ständig tätige Psychologen auch von der GKV getragen werden". Hoch- gerechnet auf die Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversiche- rung wäre dies ein Anteil von gerade 0,065 Prozent — das Kostenargument gegen eine generelle Kassenzulas-
sung von Klinischen Psychologen verlöre also weiter an Schärfe.
Kein Wunder, daß das Gutach- ten beim Berufsverband Deutscher Psychologen hoch im Kurs steht, denn in der aktuellen Diskussion um das Psychotherapeuten-Gesetz läßt sich gut darauf verweisen. Doch ganz so eindeutig, wie Titel und Ergebnis der Erhebung auf den ersten Blick schließen lassen, liegen die Dinge keineswegs.
Aus Sicht der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), die ge- meinsam mit Peter G. Allhoff vom Leverkusener Institut für Medizini- sche Forschungsberatung die Erhe- bung analysiert hat, leidet das BDP- Gutachten nämlich an einer ganzen Reihe grundsätzlicher Mängel.
So geht die Erhebung beispiels- weise von „höchstens 3500 in freier Praxis tätigen Psychologen aus". Die tatsächliche Anzahl wird indessen nicht nur von der KBV weitaus hö- her eingeschätzt. Selbst aus Angaben von Dr. Angela Schorr, ehemalige BDP-Vorsitzende, im „Report Psy- chologie" (4/88) können Rückschlüs- se auf eine Zahl von freiberuflich tä- tigen Psychologen zu Beginn des Jahres 1988 von knapp 7000 gezogen werden.
Zweifel sind jedoch nicht nur an der Repräsentativität der Erhebung angebracht. Auch die Aussagen über die Kosten, die durch Selbsteinschät- zung der befragten Psychologen er- mittelt wurden, halten einer genaue- ren Prüfung nicht stand. Besonders augenfällig wird dies bei den Anga- ben zum Delegationsverfahren.
Nach dem Gutachten ergaben sich hier bei nichtärztlichen Psycho- therapeuten für Pflichtkassen und Ersatzkassen Kosten in Höhe von rund 49,5 Millionen DM — bezogen auf das Jahr 1987, aus dem die erho- benen Daten stammen. Die Abrech- nungsstatistik der Kassenärztlichen
Bundesvereinigung weist demgegen- über Kosten in Höhe von 134 Millio- nen DM für diesen Bereich aus. Die- se Angaben sind zwar wegen der Umstellung des Einheitlichen Be- wertungsmaßstabes (EBM) auf das Jahr 1988 bezogen, doch dürfte es in- nerhalb eines Jahres kaum zu einer Verdreifachung der Kosten im Dele- gationsverfahren gekommen sein.
Insgesamt errechnet das BDP- Gutachten Kosten für die ambulante Psychotherapie durch selbständig tä- tige Psychologen von rund 109 Mil- lionen DM bei Pflichtkassen und Er- satzkassen. Davon haben die Kassen nach Aussage des Gutachters über das Delegationsverfahren und Son- derregelungen 81 Millionen DM übernommen. Doch gerade die Son- derregelungen offenbaren die Pro- blematik.
Beseitigung des
Delegationsverfahrens?
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Im BDP-Gutachten wird bei- spielsweise auf das Modell der Tech- niker-Krankenkasse verwiesen, die ihren Versicherten den direkten Zu- gang zu nichtärztlichen Psychothera- peuten außerhalb des Delegations- verfahrens gestattet und dafür die Kosten weitgehend übernimmt. Im Erhebungszeitraum waren dies 16,7 Millionen DM.
Dieses Modell — übertragen auf alle Ersatzkassen — würde demnach bei etwa 1,4 Millionen Versicherten der Techniker-Krankenkasse gegen- über rund 12,6 Millionen Ersatzkas- sen-Versicherten insgesamt Kosten von 154 Millionen DM verursachen.
Tatsächlich dürften die Kosten aber mindestens um den Faktor 2 höher liegen, weil das Gutachten von we- sentlich weniger selbständig tätigen Psychologen ausgeht, als angenom- men werden muß. Ausgedehnt auf die Pflichtkassen würden sich die Kosten sogar auf knapp eine Milliar- de DM pro Jahr summieren.
„Insgesamt", so das Urteil von Peter G. Allhoff, „hat das Psycholo- gen-Gutachten in keiner Weise das
gebracht, was der Titel suggeriert,
nämlich eine ausreichend seriöse Kostenschätzung der Psychotherapie bei Klinischen Psychologen." JM
Psychotherapeuten-Gesetz
Schlechte Noten für das Psychologen-Gutachten
Dt. Ärztebl. 87, Heft 13, 29. März 1990 (19) A-995