Gutachten
Nur eine Atempause
Die „Wirtschaftsweisen“
plädieren für das Kopfprämienmodell.
D
er Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamt- wirtschaftlichen Entwicklung hat kritisiert, dass im Gesund- heitswesen „wichtige Weichen- stellungen“ versäumt wurden.Das GKV-Modernisierungs- gesetz stelle zwar „einen er- sten Schritt hin zu einer um- fassenden Gesundheitsreform dar“, sei aber nicht mehr als eine Atempause. Eine rich- tungweisende Neuorientierung der Finanzierung der Gesetz- lichen Krankenversicherung (GKV) sei nicht in Angriff genommen worden, heißt es im Jahresgutachten 2003/2004, das der Rat am 12. November in Berlin vorlegte.
Die fünf „Wirtschaftswei- sen“ erneuerten ihr Plädoyer für ein Kopfprämienmodell.
Denn mit Einführung der al- ternativ diskutierten Bürger- versicherung würde der Steu- ercharakter der Beiträge noch ausgebaut werden, meinen die Sachverständigen. Höhere Beitragssätze führten nach wie vor zu höheren Lohnne- benkosten. Dies sei bei Kopf- pauschalen nicht der Fall. Die Bürgerversicherung schaffe zudem die private Kranken- versicherung in ihrer bisheri-
gen Form ab und schwäche damit die demographieresi- stente Kapitaldeckung im Ge- sundheitssystem. Der Sach- verständigenrat sieht die ent- scheidenden Vorteile des Kopf- prämienmodells vor allem in den „tendenziell günstigeren Beschäftigungswirkungen“.
Zudem sei es wegen der Ori- entierung am Äquivalenz- prinzip möglich, Umvertei- lungsanliegen in das Steuer- und Transfersystem zu verla- gern, wo sie zielgenauer reali- siert werden könnten.
Gegen beide Systeme spre- che allerdings, dass sie keine wirklichen Lösungen für die zu erwartenden Beitragssatz- steigerungen aufgrund der demographischen Entwick- lung und des medizinischen Fortschritts liefern. Hier kön- ne nur eine stärkere Kapital- deckung etwa in Form einer privaten oder betrieblichen Altersvorsorge helfen. Die Ka- pitaldeckung sei dazu geeig- net, die Lasten der demogra- phischen Entwicklung gleich- mäßiger über die Generatio- nen zu verteilen. JF
Organhandel
EU-Ausschuss fordert Verbot
Mehrheit gegen therapeutisches Klonen
F
ür eine klare Regelung zur freiwilligen unentgeltlichen Organspende sowie ein Ver- bot des Handels mit unverän- derten Zellen und Geweben hat sich der Ausschuss für Um- welt, Gesundheit und Ver- braucherschutz des Europäi- schen Parlaments ausgespro- chen. Der Ausschuss hat mit großer Mehrheit einen Be- richt des deutschen Europaab- geordneten Dr. med. Peter Liese (CDU) zu Qualitäts- und Sicherheitsstandards von Geweben und Zellen ange- nommen und sich damit gegen den gemeinsamen Standpunkt des Ministerrates vom Som- mer 2003 gestellt. Die Parla- mentarier plädieren dafür, die Regeln zur Anonymität von Spender und Empfänger stren- ger zu fassen, als dies der Mini- sterrat vorsieht. Überdies wol- len sie die Transplantation von geklonten Embryonen und daraus gewonnenen Zellen verbieten – sowohl aus ethi- schen Gründen als auch we- gen der damit verbundenen Gesundheitsrisiken.In Europa gebe es eine kla- re Mehrheit für ein Verbot des therapeutischen Klonens, kommentierte Liese. JB A K T U E L L
Wolfgard Wiegard (l.) und Bert Rürup überreichen das Gutach- ten an Bundeskanzler Gerhard Schröder.
Klinische Studien
Förderung beschlossen
Programm soll deutsche Studienkultur verbessern.
D
as Bundesforschungsmi- nisterium und die Deut- sche Forschungsgemeinschaft (DFG) wollen die klinische Forschung in Deutschland wieder wettbewerbsfähig ma- chen. Um dieses Ziel zu errei- chen, haben sie gemeinsam ein Programm für die patien- tennahe medizinische For- schung gestartet. Es finan- ziert klinische Studien unab- hängig von ihrer Fragestel- lung oder der jeweiligen Krankheit. Ministerium und DFG stellen jeweils für die Dauer von vier Jahren 20 Mil- lionen Euro zur Verfügung.„Klinische Studien sind un- verzichtbar, um die Ergebnisse
der Humangenomforschung in die Anwendung zu bringen und für die Weiterentwicklung von Prävention, Diagnose und Therapie zu nutzen“, sagte Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn bei der Vorstellung des Programms Mitte November in Berlin.
DFG-Präsident Prof. Dr.
Ernst-Ludwig Winnacker be- tonte, dass mithilfe der Förde- rung auch solche Studien fi- nanziert werden könnten, bei denen kleine Patientengrup- pen untersucht werden. An solchen Studien habe die Phar- maindustrie meist kein wirt- schaftliches Interesse.
Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) begrüßte das Programm. Da die Mehrzahl der international
bedeutenden Studien mittler- weile von Ärzten aus anderen Ländern geleitet würden, sei es notwendig, Deutschland als Standort für die klinische For- schung wieder interessanter zu machen. Kritik übte der VFA- Geschäftsführer Forschung, Entwicklung und Innovation, Dr. Siegfried Throm, jedoch an der Themenunabhängigkeit des Programms: „So eine För- derung mit der Gießkanne birgt die Gefahr, Deutschland in der Breite nur ein bisschen weniger mittelmäßig zu ma- chen, statt das Land auf ausge- wählten Gebieten an die Welt- spitze zurückzuführen.“
Informationen zur Antrag- stellung findet man im Inter- net unter: www.gesundheits forschung-bmbf.de. MM
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A3056 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 4721. November 2003
Foto:dpa