• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Diskussion um eine gesetzliche Regelung der Organspende: An der Widerspruchslösung scheiden sich die Geister" (14.02.1992)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Diskussion um eine gesetzliche Regelung der Organspende: An der Widerspruchslösung scheiden sich die Geister" (14.02.1992)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

A TU LE POLITIK

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

isher mußte eine ausdrückli- che Genehmigung des Ver- storbenen oder seiner eng- sten Angehörigen vorliegen, um Or- gane zu entnehmen. Rund 6000 Menschen warten jedoch derzeit in Deutschland auf eine Nierentrans- plantation. Ursache dafür ist nach Ansicht der SPD in Niedersachsen eine fehlende gesetzliche Regelung über die Entnahme von Organen.

Deshalb haben die Sozialdemokra- ten dort jetzt einen Gesetzentwurf vorgelegt, der vorsieht, daß Organe von Verstorbenen dann entnommen werden dürfen, wenn der Tod zwei- felsfrei festgestellt ist und der Ver- storbene zu Lebzeiten einem solchen Eingriff zugestimmt hat. Vorausset- zung für die Organtransplantation sollte allerdings das Einverständnis der Angehörigen sein. Falls keine Erklärung des Verstorbenen vorliegt und sich die nächsten Angehörigen nach „angemessener Bedenkzeit"

nicht äußern, so soll dies als Zustim- mung gewertet werden. Sollte kein Angehöriger erreichbar sein, können Organe dann entnommen werden, wenn durch die Übertragung die Le- bensgefahr oder eine schwerwiegen- de Beeinträchtigung der Gesundheit für einen Kranken abgewendet wer- den kann.

Voraussetzung ist außerdem, daß der Verstorbene Deutscher mit ständigem Wohnsitz in Niedersach- sen war und der am Ort des Todes zuständige Richter vor der Organ- entnahme konsultiert wurde und der Entnahme nicht widersprochen hat.

Für die Feststellung des Todes müß-

ten der vollständige und irreversible Stillstand von Herz und Kreislauf oder der vollständige und irreversib- le Ausfall aller Funktionen „entspre- chend den Regeln der medizinischen Wissenschaft" nachgewiesen und do- kumentiert sein. Der Hirntod müsse von zwei Ärzten festgestellt werden, die an der Organentnahme des Ver- storbenen nicht beteiligt sein dürf- ten.

Eine „Lebendspende" solle nur möglich sein, wenn sie das Leben ei- nes anderen Menschen erhalten kann oder wenn sie ein schweres Lei- den beheben oder mindern soll. Der Spender müsse in die Entnahme ein- willigen, nachdem er über Art und Umfang des Eingriffs sowie über mögliche Folgen für seine Gesund- heit aufgeklärt wurde.

Der Gesetzentwurf entspricht in wesentlichen Zügen dem Entwurf für ein Transplantationsgesetz, das von der Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Transplantationszentren und der Deutschen Stiftung Organ- transplantation den Gesundheitsmi- nisterien von Bund und Ländern vor- gelegt worden war.

. - -

Erklärung der Kirchen

Die niedersächsische SPD fühlte sich zu dem Papier ermutigt, nach- dem auch die Kirchen ihren Wider- stand zur Organspende aufgegeben hatten. In einer gemeinsamen Erklä- rung zum Thema „Organtransplan- tation" hatten die beiden christli- chen Kirchen die Bereitschaft zur

Organspende als Zeichen der Näch- stenliebe und Solidarisierung mit Kranken und Behinderten bezeich- net. Für die Organentnahme forder- ten sie folgende Bedingungen: Die Möglichkeit, Organe zu entnehmen, dürfe die Bemühungen um das Le- ben des Spenders nicht behindern.

Der Tod des Spenders müsse vor der Explantation zweifelsfrei feststehen.

Der Eingriff müsse die Würde der Verstorbenen achten und dürfe die Empfindungen von Angehörigen nicht verletzen.

Der zu Lebzeiten des Verstorbe- nen geäußerte Wille, sei es eine Or- ganspendeerklärung oder ein Wider- spruch, sei in jedem Fall zu respek- tieren. Wenn eine Erklärung des Verstorbenen fehlt, können die An- gehörigen in die Organentnahme einwilligen. Eine Transplantation ohne Widerspruch des Verstorbenen oder der Angehörigen wird von den Kirchen abgelehnt, „nicht nur, weil damit die Ausnahme, für die der Notstand gedacht ist, praktisch zur Regel würde, sondern auch, weil nie- mand unter Mißachtung seines aus- geübten Selbstbestimmungsrechtes zu mitmenschlicher Solidarität ge- zwungen werden darf". Nur wenn die Angehörigen nicht ermittelt oder nicht erreicht werden können, sei ei- ne Rechtfertigung durch Notstand zu bejahen.

Zustimmung

Die Deutsche Hospizhilfe kriti- siert diese „grundsätzlich positive Stellungnahme der christlichen Kir- chen zur Transplantation". Als Or- ganspender kämen in erster Linie junge Menschen mit schweren Hirn- verletzungen als Unfallfolge in Fra- ge. Die Organentnahme müsse in der Regel vor dem Tod des gesamten Organismus geschehen. Den Tod des Gehirnes jedoch als „Ende des Menschlichen" eines ganzen Körpers anzusehen, sei ethisch problema- tisch. „Dieses Konzept, das den Ge- hirntod mit dem Tod eines Men- schen schlechthin gleichsetzt, über- betont

den Wert des Gehirnes als

Sitz typischer menschlicher Lebens- art." Die Widerspruchslösung wird von der Deutschen Hospizhilfe ent-

Diskussion um eine gesetzliche Regelung der Organspende

An der Widerspruchslösung scheiden sich die Geister

Fast drei Viertel aller Bundesbürger sind dazu bereit, ihre Organe nach dem Tod für eine Transplantation freizugeben. Darüber hinaus sprach sich bei einer repräsentativen Umfrage des Dortmunder Meinungsforschungsinstituts „Forsa" eine Mehrheit von 54 Prozent dafür aus, daß Ärzte immer dann Organe von Verstorbenen entneh- men dürfen, sofern kein ausdrücklicher Widerspruch vom Patienten oder seinen Angehörigen vorliegt. Doch genau an diesem Punkt, der sogenannten Widerspruchslösung, scheiden sich die Geister.

Dt. Ärztebl. 89, Heft 7, 14. Februar 1992 (21) A1-441

(2)

Organtransplantationen

Deutschland Ost und West Fallzahlen

Niere 2.358

Quelle: KfH

©imu

91 05 26

Bauch- speichel- drüse

oll

39

Herz

485 Leber 329 schieden abgelehnt. Die Organisati- on fordert in jedem Fall die Zustim- mung des Opfers zur Explantation seiner Organe, weil jedem Menschen das Recht eingeräumt werden müs- se, selbst zu entscheiden, ob er einer Todesfeststellung zu einem „derart frühen Zeitpunkt" (Hirntod) zustim- men wolle. Auch sei es nicht zu rechtfertigen, Organe ohne Zustim- mung der Angehörigen zu explantie- ren.

Der Präsident der Bundesärzte- kammer, Dr. Karsten Vilmar, forder- te in einem Interview mit der „Kölni- schen Rundschau", daß ein künftiges Gesetz über die Organtransplantati-

an auf keinen Fall zu einem „Organ- beschaffungsgesetz" werden dürfe.

Vor dem Hintergrund des in Nieder- sachsen vorgelegten Gesetzentwurfs warnte Vilmar eindringlich vor Al- leingängen einzelner Bundesländer.

Der Präsident der Bundesärztekam- mer wandte sich gegen die von zahl- reichen Politikern favorisierte Wi- derspruchslösung.

Dieser Ansicht ist auch der Bun- desverband der Organtransplantier- ten (BDO). Zwar bestehe grundsätz- lich Bedarf nach einer gesetzlichen Regelung der Organentnahme, diese solle jedoch an eine Zustimmung des Spenders gebunden sein, heißt es in einer BDO-Erklärung. Die Wider-

spruchslösung sei nicht nur ungeeig- net, sie berge auch zusätzliche Schwächen. Außerdem werde der Befürchtung Vorschub geleistet, daß für Spender nicht mehr jede mögli- che Hilfe geleistet werde.

In Bonn erklärte die stellvertre- tende Vorsitzende des Hartmann- bundes, Dr. Ingrid Hasselblatt-Died- rich, jeder Patient müsse zu einer Operation seine Zustimmung geben.

„Dieses Selbstbestimmungsrecht des Menschen darf nicht an der Schwelle des Todes enden."

Im Vorfeld eines geplanten bun- deseinheitlichen Transplantations- gesetzes hat sich Bundesjustizmini-

Mehr als 3200 Transplanta- tionen wurden 1990 in den 27 westdeutschen und vier ostdeutschen Transplantati- onszentren vorgenommen.

Dabei lagen Nierenver- pflanzungen mit Abstand an der Spitze (West: 2015, Ost:

347).

ster Klaus Kinkel (FDP) dagegen ausgesprochen, daß Organspenden ohne vorherige Einwilligung des Verstorbenen entnommen werden dürfen. Eine Widerspruchslösung könne sich nachteilig auf die Bereit- schaft zur Organspende auswirken.

Der SPD-Sozialexperte Rudolf Dreßler erklärte dagegen, daß seine Partei die Widerspruchsregelung zur Organspende unterstütze.

Nach dem Transplantationsko- dex, der von der Arbeitsgemein- schaft der deutschen Transplantati- onszentren ausgearbeitet wurde, rechtfertigt ein fehlender Wider- spruch gegen eine Organentnahme - im Gegensatz zu Ländern mit gesetz-

licher Widerspruchslösung — derzeit keine Organentnahme. „Nur Orga- ne, für die eine Einwilligung zur Ent- nahme vorliegt, werden entnommen.

Ist erkennbar, daß Angehörige be- reit sind, ihre Einwilligung unabhän- gig vom vorgesehenen Umfang der Organentnahme zu erteilen, so kann davon abgesehen werden, die Zu- stimmung für die Entnahme jedes einzelnen Organs einzuholen." Der Kodex betont, daß die Würde des Verstorbenen auf jeden Fall gewahrt bleiben müsse. Die Organentnahme müsse von erfahrenen Arzten vorge- nommen werden. Bei einer Mehror- ganentnahme, besonders von Nie- ren, Herz, Bauchspeicheldrüse und Leber würde die Operation durch Ärzte des Organempfängerzentrums oder durch besonders erfahrene Ärz- te des Spenderzentrums beziehungs- weise des Krankenhauses wahrge- nommen. Die Angehörigen des Ver- storbenen sollten nicht über die Identität des Empfängers bezie- hungsweise der Empfänger von Or- ganen informiert werden.

Eine Organspende von Leben- den wird unterschiedlich beurteilt.

Zwischen lebenden Verwandten werde sie von vielen Transplantati- onszentren für berechtigt gehalten.

„Eine Organtransplantation von le- benden Nicht-Verwandten wird grundsätzlich nicht durchgeführt."

Kritik an Organhandel

Einmütigkeit besteht beim The- ma „Organhandel". Eine Kommerzi- alisierung der Organspende bezie- hungsweise der Organtransplantati- on in jeder Form wird von der Ar- beitsgemeinschaft der Transplantati- onszentren abgelehnt. Auch die Kir- chen bezeichneten eine Transplanta- tion aus ökonomischen Motiven ebenso wie den Organhandel als ethisch verwerflich. In dem nieder- sächsischen Entwurf heißt es wört- lich: „Organe, Organteile oder Ge- webe dürfen nicht Gegenstand von Rechtsgeschäften sein, die auf Ge- winnerzielung gerichtet sind." Kin- kel kündigte eine gesetzliche Rege- lung an, die den kommerziellen Or- ganhandel strafrechtlich verbieten werde. Gisela Klinkhammer A1 -442 (22) Dt. Ärztebl. 89, Heft 7, 14. Februar 1992

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Es gibt nicht nur immer weniger Kinder, zudem haben immer mehr Eltern bei der Erziehung Proble- me, bei denen nun mit vereinten Kräften geholfen werden soll.. Rund 20 Prozent

Solche überzähligen Embryo- nen sollten nach Auffassung Die- drichs für weitere Behandlungen des Kinderwunschpaares kryokon- serviert werden „und müssen nach Abschluss

Die vier Lehrstuhlinhaber für Palliativmedizin sind allerdings grundsätzlich der Ansicht, dass in der Diskussion eine durch Regelungen zu erreichende Sicherheit für Patien- ten

(Der Unterschied zum Hausmüllvolumen ergibt sich aus der höheren Verdichtung auf der Deponie) Auch wenn sich die vorhandenen Untersu- chungen zum Thema Milchverpackung in

Heute macht er sich für die Vereinigung „Junge Helden“ stark und wirbt dafür, selbst eine Entscheidung zur postmortalen Organspende zu treffen. Er sagt: „Der Muff, den es

Nach Einschätzung der teil- nehmenden Ärzte deckt die ICD-10 die häufigsten Dia- gnosen in der Praxis zu 55 Prozent mit hoher bis sehr hoher Genauigkeit ab – ein Drittel der

Beläßt man es bei dem bisherigen Rechtszustand, dann bleibt voraus- sichtlich auch das Spendenaufkom- men so gering wie bisher. Angesichts der Ziele jeglicher Bemühungen um

Im Gegensatz zu den Autoren des Eckpunktepapie- res, die das Thema „Versicherungs- system" am liebsten allein der Politik überlassen wollen, halte er es für not- wendig, daß