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Archiv "Gutachten: Nicht so schlecht" (09.08.1999)

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A-1988 (4) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 31–32, 9. August 1999

S P E K T R U M AKUT/LESERBRIEFE

Gutachten

Zu dem Beitrag „Eine elementare ärztliche Aufgabe“ von Dr. med. Wolf- gang Hausotter in Heft 22/1999:

Als Hirten angetreten, nicht als Knechte

Trefflich skizziert der Ver- fasser, was – biblisch ausge- drückt – den Hirten vom Mietling unterscheidet. Sein Plädoyer gegen den Grund- satz salus aegroti suprema lex enthüllt ein Denken, das der Rolle des Gutachters die Sachlichkeit attestiert, die Objektivität, die Urteilsfähig- keit, während insbesondere der Hausarzt abhängig vorge- stellt ist von den Wünschen seiner Kranken, um deren Zuneigung er buhlen muß.

Der Gutachter ist frei, nicht weisungsgebunden, nur sei- nem Gewissen verpflichtet, entscheide ja nie, gebe stets nur ein Votum ab!

Der Verfasser hat recht!

Gutachter müssen nicht über Jahrzehnte hin vor den Be- troffenen Antwort geben für ihre Entscheidung, Gutachter haben Sachen, causae, zuzu- ordnen, leiden nicht für denk- bare Fehlentscheidungen, tra- gen keine Ver-Antwortung gegenüber dem einzelnen.

Die Medizin des (Haus-) Arztes jedoch sei human, muß nicht hinter jeder Klage eines Kranken Aggravation und Simulation vermuten.

Der Medicus curans freut sich, wenn „seine“ Kranken im Rechtsstreit schließlich obsiegen, ein Umstand, der Gutachtern mit gegenteiliger Tendenz noch nie nachdenk- lich und betroffen gemacht hat. Der Verfasser weiß nicht, daß die Grundaufgabe von Gutachtern (MdK) nicht Dia- gnostik oder Therapie ist, sondern die Kontrolle der Behandler und das Einsparen von Geld. Der Verfasser will nicht wissen, daß auch Gut- achter des Lied singen, des Brot sie essen, nebenamtlich durchaus auch die finanzielle Indikation weidlich nützen.

Wir (Haus-)Ärzte haben je- den Tag weitaus wichtigere

Entscheidungen zu treffen als die über ein paar Tage Krank- meldung, Prozente vom Ver- sorgungsamt oder Berentung jetzt oder später. Unsere Ent- scheidungen treffen nicht Ju- risten. Wir scheuen die Ver- antwortung nicht.

Gutachtende Humanme- diziner sollten bisweilen mehr daran denken, daß sie ur- sprünglich ja auch als Hirten angetreten sind und nicht als Knechte!

Dr. med. Dipl.-Theol. Tho- mas Lohmann, Steigstraße 34, 74321 Bietigheim-Bissin- gen

Nicht so schlecht

Der Aufsatz ist von Erfah- rung, ärztlichem Ethos und Verantwortlichkeit gekenn- zeichnet. Dies ist für ein kor- rektes Gutachten ebenso er- forderlich wie finanzielle Un- abhängigkeit. Dennoch lohnt es sich, angesichts der Ge- sundheitsreform 2000 und leerer Kassen den advocatus diaboli zu spielen. Um Inter- essenkollisionen zu vermei- den, hat der Gesetzgeber das Gutachterwesen überwie- gend vom Behandlungssektor getrennt. Im Sozialstaat ist ei- ne gigantische „Gutachterin- dustrie“ entstanden. Ange- stellte oder kontaktierte Ärz- te, Medizinischer Dienst der GKV und die drei Instanzen der Sozialversicherung kom- men ohne Gutachter nicht aus und machen reichlich da- von Gebrauch.

Die Kosten sind enorm.

Dabei sind Gutachter weni- ger unverzichtbar als behan- delnde Ärzte. Beispielsweise die Krankenstände: Der Me- dizinische Dienst der Kran- kenversicherung hatte vor Einführung der Pflegeversi- cherung als wichtigstes Auf- gabengebiet bei begründeten Zweifeln der Arbeitsunfähig- keit zu kontrollieren. Der Krankenstand der Pflicht- mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen betrug 1980 5,7, 1997 4,1 Prozent. Obwohl sich der MDK jetzt mehr um die Pflegeversicherung küm- mert und seinen Etat fast ver-

Brustkrebs-Behandlung

England verkürzt Wartezeiten

L

ange Wartezeiten an den Krankenhäusern ha- ben dem staatlichen britischen Gesundheits- wesen in den letzten Jahren viele negative Schlagzeilen beschert. Damit soll jetzt Schluß sein – wenigstens was die häufigste Krebserkrankung der Frau, den Brustkrebs, betrifft. Auf Anordnung der Labour-Regierung erhielten im April alle Allge- meinpraktiker des Landes neue Richtlinien zuge- sandt. Sie verpflichten die britischen Kollegen dazu, Frauen mit einem neu diagnostizierten Mammakar- zinom innerhalb von 14 Tagen einen Termin bei ei- nem Spezialisten zu besorgen. Bisher wartete jede dritte Frau länger als drei Monate auf einen Operati- onstermin. Zu berücksichtigen ist auch, daß viele Frauen sich mit ihrem Verdacht nicht gleich zum Arzt trauen. Etwa 20 bis 30 Prozent der Frauen lassen hier drei Monate oder mehr verstreichen.

P

atientinnen und Arzt dürften damit in vielen Fällen eine Heilungschance vergeben. Eine von der Regierung in Auftrag gegebene Stu- die, die zeitgleich zur Ausgabe der neuen Richtlinien im Lancet publiziert wurde (1999; 353: 1119–26), fand nämlich heraus, daß die Fünf-Jahres-Überle- bensrate um zwölf Prozent sinkt, wenn zwischen Ent- deckung des Tumors und der Operation mehr als drei Monate vergehen. Für die Studie waren 87 Therapie- studien mit 101 954 Patientinnen ausgewertet wor- den. Für die britischen Onkologen bedeuten die Richtlinien Mehrarbeit. Immerhin erkranken in Großbritannien jedes Jahr rund 30 000 Frauen an Brustkrebs. Die Richtlinien führen dazu, daß in den nächsten Monaten neben den Neuerkrankungen auch die Wartelisten abgearbeitet werden müssen.

M

it einer eigenen retrospektiven Studie ver- sucht Richard Sainsbur (Leeds) ebenfalls im Lancet (Seiten 1132–35), die Ergebnisse der Regierungsstudie zu widerlegen. In einer Auswertung des Yorkshire Krebsregisters fand der Chirurg keine Hinweise auf negative Auswirkungen von längeren Wartezeiten auf die Operationsergeb- nisse. Möglicherweise hat er damit nicht ganz un- recht, wie ein Editorial anmerkt (Seiten 1112–3): Oh- ne Mammographie werden die meisten Karzinome erst entdeckt, wenn der Tumor bereits Mikro- metastasen gesetzt hat. Sainsbury meint, eine sorgfäl- tig geplante Behandlung sei beim Mammakarzinom wichtiger als eine überstürzte Operation. Bei den Betroffenen dürfte diese Ansicht nicht auf Zustim- mung stoßen: sie erwarten eine zügige und qualitativ

gute Behandlung. Rüdiger Meyer

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A-1990 (6) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 31–32, 9. August 1999

S P E K T R U M LESERBRIEFE

vierfacht hat. Die Kurven von Effekt und Aufwand ver- laufen nicht parallel. Über- wiegend ein bürokratischer Selbstläufer. Bei gutem Be- triebsklima und pflichtbe- wußten Mitarbeitern wäre idealerweise eine ärztliche Krankschreibung gar nicht nötig. Viele Betriebe verzich- ten denn auch bis zu drei oder acht Tagen (in Schweden) hinter vorgehaltener Hand auf das ärztliche Attest oder schauen es zumindest gar nicht an. Leider muß sich alles nach dem schwächsten Glied der Kette richten, und Ord- nung muß sein. Aber muß der Aufwand so groß sein?

Bei den Heilverfahren . . . verzichtet die BfA schon seit einigen Jahren bei Reha- anträgen mehr und mehr auf externe Gutachter. Der Haus- arzt füllt ein Formular aus, entschieden wird nach Ak- tenlage. Zu Recht, denn die Begutachtungen waren meist eine Farce. Wer wollte, be- kam seine Kur. Wenn die vor- gehaltenen Betten frei waren oder Beschwerden kamen, riskierte der Gutachter eine Einkunftsart, wenn er die me- dizinische Indikation nicht modellierte. Der Versicherte hat die Beiträge gezahlt, die Sanatoriumsbetten sind leer, das dortige Personal will Ar- beit, der Gutachter folgt dem Trend seines Auftraggebers.

Wer bekommt eine Kur?

Ab März 1998 gibt es bundes- weit für alle BfA-Versicher- ten ein Wahlverfahren bei all- gemeinen medizinischen Lei- stungen zur Rehabilitation.

Der Versicherte kann entwe- der seinen behandelnden Arzt oder einen BfA-Gutach- ter aufsuchen, um die ärztli- che Stellungnahme zu seinem Gesundheitszustand zu erhal- ten, die der Beratungsärztli- che Dienst der BfA zur Bear- beitung des Antrags benötigt.

Der Patient kann frei wählen.

Er muß seinen AUD-Beleg (auf dem die Krankenkasse die Arbeitsunfähigkeitszeiten und -diagnosen der letzten drei Jahre bescheinigt), einen Selbstauskunftsbogen, einen Befundbericht des Arztes von zwei Seiten und dessen Ho-

norarabrechnung beifügen.

Die Wahl des bevorzugten Weges hat keinen Einfluß auf die Erfolgsaussicht des Reha- Antrags.

Dies ist ein Fortschritt ge- genüber früheren Verfahren, bei denen der Hausarzt kaum zu Wort kam. Durch Ein- schaltung einer teuren Büro- kratie wird zwar theoretisch, aber nicht praktisch eine ge- rechtere Verteilung der Res- sourcen gewährleistet. Die Gefahr für die Objektivität der Beurteilung beim „Haus- arztverfahren“ wird durch Unkenntnis und Interessenla- stigkeit der Gutachtenbüro- kratie nicht aufgewogen. Die Kosten aber sind höher. Das veränderte Prozedere der BfA zeigt, daß bei medi- zin-ökonomischer Abwägung der Interessenkollisionen der Hausärzte gegen bürokrati- sche Schwerfälligkeit der In- stitutionen die Praktiker ge- siegt haben. Der Hausarzt wird mit Recht in die Pflicht genommen. Dieses Vorgehen wäre auch in der Pflegeversi- cherung besser gewesen. Ge- fälligkeitsgutachten sind straf- bar.

Dennoch: Im Interesse des Gemeinwohls ist das ganze Verfahren nicht so schlecht, wie man annehmen möch- te. Wenigstens solange ein Gleichgewicht zwischen den Interessen von Kassen, Versi- cherten, Beschäftigten, Ein- zahlern und Verbrauchern besteht. Die Aufregung um die Reform 2000 zeigt aller- dings, das Faß läuft über.

Dr. med. Karl-Heinz Weber, Parkstraße 8, 45478 Mül- heim/Ruhr

Gewagte Unterstellung

Der von Hausotter aus gutachterlicher Sicht erhobe- ne Vorwurf, daß Therapeuten lediglich vermeintlich hilfrei- che Maßnahmen ergreifen und daß ihre Willfährigkeit letztlich die Ursache der ren- tenberechtigenden Erkran- kung der Betroffenen ist, dient nicht der geforderten sachlichen Zusammenarbeit, sondern ist so lange eine Die neue Folge der Sendereihe „37°“am 17. August im

ZDF, ab 22.15 Uhr, steht unter dem Motto „Unerreichbar nah. Vom Leben mit psychisch kranken Angehörigen“.

Der Film von Stella Tinsbergen zeigt an Einzelschicksalen die Not der Angehörigen und ihre Anstrengungen, sich nicht selbst zu verlieren und doch dem psychisch kranken Famili- enmitglied eine Hilfe zu sein. Berichtet wird über den Fall der krebskranken Katrin H., 18 Jahre alt, die selbst Hilfe bräuch- te, sie aber weder von ihrem schizophrenen Vater noch von der überlasteten Mutter einfordern kann. Dirk K.s Frau war Psychologin. Sie begann, sich in eine Paranoia hineinzustei- gern. Sie fühlte sich von Sektenmitgliedern verfolgt und warf ihrem Mann vor, mit ihren Verfolgern gemeinsame Sache zu machen. – Natascha B., vor einem Jahr bekam ihre Mutter wieder einen schizophrenen Schub, in dessen Verlauf sie ver- suchte, sich das Leben zu nehmen. Die Tochter steht vor der Frage, inwieweit sie die Pflicht hat, der Mutter auch unter Umständen gegen deren Willen zu helfen. EB

TV-Tip

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A-1991 Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 31–32, 9. August 1999 (7)

S P E K T R U M LESERBRIEFE

gewagte Unterstellung, bis dieser behauptete ärztliche Kunstfehler in jedem Einzel- fall bewiesen ist.

Die gleichzeitig beklagten

„Gefälligkeitsgutachten“ soll- ten dagegen für einen kompe- tenten Gutachter kein Pro- blem darstellen, denn gerade solche lassen sich gut erken- nen und disqualifizieren sich selbst. Nach übereinstimmen- der Meinung der medizini- schen Wissenschaft kann der Schmerzanteil eines Lumbal- syndroms im Einzelfall invali- disierendes Ausmaß anneh- men. Schmerzen können beim derzeitigen Stand der Wissenschaft nicht objektiv gemessen werden. Für eine angemessene, sozialmedizini- sche Beurteilung müssen also zwangsläufig andere Kriteri- en als sogenannte „objektive“

Befunde herangezogen wer- den. Die Definition von und Forderung nach „objektiven“

Befunden kann daher auch schon mal den Blick auf die medizinische Realität verstel- len und dann bei den Ent- scheidungsträgern folgen- schwere falsche Vorstellun- gen über die diagnostischen und therapeutischen Mög- lichkeiten der derzeitigen Medizin hervorrufen.

Die in langjähriger haus- oder fachärztlicher Betreu- ung erworbene Kenntnis der Person und des Sozialverhal- tens des individuell Betroffe- nen eröffnet eine gute Mög- lichkeit, eine möglichst zu- treffende Beurteilung des verbliebenen Leistungsver- mögens vorzunehmen. Ob eine derartige Einschätzung aufgrund einer einmaligen Schmerzquantifizierung bes- ser gelingt, ist nicht bewiesen.

Die Empfehlung an Thera- peuten, ohne „objektiven“

Befund keine Person zu be- handeln und zum Patienten zu machen, übersieht, daß die vorgeschlagene aufmuntern- de Beratung auch schon einen ärztlichen Eingriff darstellt.

Zur Überwindung der von ihm als bedeutsam bezeichne- ten Probleme zwischen The- rapeuten und Gutachtern sieht Hausotter Handlungs- und Korrekturbedarf nur bei

den Therapeuten. Vielleicht ist schon diese Haltung der größte Teil des angesproche- nen Problems.

Dr. med. Uwe Oppel, Laar- straße 2-4, 58636 Iserlohn

Auf den Punkt gebracht

In Ihrem Beitrag bringen Sie die Probleme des ärztli- chen Gutachters mit den nie- dergelassenen Kollegen auf den Punkt! Es ist schon er- staunlich, wie unkritisch be- ziehungsweise uninformiert sich teilweise auch Fachärzte vor den (subjektiven!) „Pati- enten-Karren“ spannen las- sen. Allerdings fehlt – wie so oft – eine auch zahlenmäßig wichtige Gruppe – nämlich die der Werks- und Betriebs- ärzte (falls noch nicht be- kannt: bis zum Jahr 2000 wer- den alle, auch Kleinstbetrie- be, betreut werden).

Einen gehörigen Teil mei- ner Arbeitszeit verbringe auch ich als Werksarzt eines größeren Werkes damit, Be- scheinigungen und Atteste zu prüfen. Hierbei sind auch wir als weisungsfreie und nur un- serem ärztlichen Gewissen verpflichtete Gutachter tätig.

Von daher sind meinen Kolle- gen und mir die geschilderten Probleme durchaus bekannt.

Eine gute Methode, die Spreu vom Weizen zu tren- nen, ist übrigens das Beste- hen auf Fakten, also verwert- bare Schreiben anstatt münd- licher Versicherungen, per- sönliche Kontaktaufnahme mit den an objektiven Ent- scheidungen interessierten Kollegen, Befunde statt Atte- sten. Auf dieser seriösen Ba- sis erreichen wir folgendes:

Die Zahl der „Forde- rungsschreiben“ von extern geht tendenziell auf die Be- rechtigten zurück.

Den tatsächlichen Hilfs- bedürftigen wird durch ar- beitsmedizinische Unterstüt- zung geholfen – was wir im Sinne der wirklich Kranken ja alle wollen!

Wilhelm Weber, Zahnradfa- brik Passau GmbH, Donau- straße 24-71, 94034 Passau

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A-1994 (10) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 31–32, 9. August 1999

de, daß nur wenige Wochen nach dem überzeugenden Plädoyer für die systemati- sche Übersichtsarbeit (Antes et al., Heft 10/1999) diese Methodik nun wiederum als bloße „Zweitverwertung von Daten“ abgestempelt wird.

Bothner und Meissner zei- gen wichtige, aber bekannte Schwächen der randomi- sierten Studie auf und em- pfehlen als Alternative die Datenbankanalyse. Letztlich kann aber das Data Mining nur zur Hypothesen-Gene- rierung, nicht aber -Testung dienen. Die Probleme rando- misierter Studien (Selekti- onsbias) lassen sich oft durch weitgefaßte Einschlußkrite- rien und multizentrisches Design lösen.

Kurz gesagt: Wir brau- chen mehr, keinesfalls weni- ger, gute Studien und Meta- Analysen als klinische Orien- tierungshilfe.

Dr. med. Stefan Sauerland, II. Chirurgischer Lehrstuhl, Universität zu Köln, Ostmer- heimer Straße 200, 51109 Köln

Evidenz schuldig geblieben

Wenn die Gründe, die für das Data Mining sprechen sollen, ähnliche Qualität ha- ben wie jene, die angeblich gegen klinische Studien spre- chen, so muß man befürchten, daß den Mineuren wegen un- zureichender Abstützung ih- rer Stollen bald einiges Unge- mach droht.

Nur drei Beispiele (womit nicht gesagt werden soll, daß die übrigen Argumente tref- fender sind):

Daß große Studien signifi- kante, aber durchaus nicht immer relevante Ergebnisse erbringen können, ist allein ein Problem der Fallzahl. Es hat mit dem Design der ran- domisierten, doppelblinden Studie rein überhaupt nichts zu tun und betrifft jede Form von Auswertung.

Daß klinische Studien den

„Durchschnittspatienten“ un- tersuchen, ist im Prinzip rich- tig. Daß Data Mining etwas anderes (Besseres?) kann, wie

hier impliziert wird, ist falsch.

Mit statistischen Verfahren können nur Gruppen von Pa- tienten und deren „Durch- schnitt“ beschrieben werden.

Wenn „wichtige Nuancen“

der Patienten einbezogen werden sollen und zu kleinen Fallzahlen führen, muß man die Gesamtfallzahl vergrö- ßern oder sich mit sehr unge- nauen Aussagen zufriedenge- ben – in jeder Form von Aus- wertung oder Studie.

Daß in klinischen Studien Ein- und Ausschlußkriterien deshalb „wissenschaftlich er- forderlich“ seien, um Unter- schiede in den Ergebnissen nicht „eventuellen Stör- größen zuschreiben“ zu müs- sen, ist schlichter Unsinn.

Dies gewährleisten Maßnah- men wie Randomisierung und Verblindung, ganz egal, ob man Einschlußkriterien formuliert oder nicht! Ein- und Ausschlußkriterien un- terstützen die Sicherung der Diagnose, die Abwehr von Risiken, Compliance und re- gulative Anforderungen. Man kann sie eher strikt oder eher locker formulieren. Letzteres wird in vielen praxisrele- vanten kontrollierten Studien getan.

Schließlich ist das Argu- ment, der kontrollierte Ver- such stamme aus der Zeit vor der Computerisierung, sei quasi eine Art Verlegenheits- lösung und könne daher bald abgelöst werden, ungefähr so treffend wie der Hinweis, das Rad sei erfunden worden, be- vor man das Telefon kannte, und daher sei es heute ent- behrlich.

Angesichts der sagenhaf- ten Möglichkeiten des Data Mining ist es sicher kleinlich, darauf hinzuweisen, daß die Autoren jede Evidenz dafür schuldig bleiben, daß diese Technik das leistet („ermög- licht die Verbesserung der Pa- tientenversorgung“), was sich die Autoren von ihr verspre- chen.

Priv.-Doz. Dr. Jürgen Winde- ler, Abteilung Medizinische Biometrie, Ruprecht-Karls- Universität Heidelberg, Im Neuenheimer Feld 305, 69120 Heidelberg

Zukunftschancen

Zu dem Beitrag „Via medici-Kongreß in Mannheim: Alternative Berufsfel- der“ von Dr. med. Kirsten Steinhausen in Heft 26/1999:

Gewerkschafts- populistische Töne

Mit der Forderung des Vorsitzenden des Marburger Bundes, Dr. Montgomery, nach einer Verkürzung der Weiterbildungszeit auf dem Via medici-Kongreß wurden nun zum wiederholten Male gewerkschaftspopulistische Töne angeschlagen, deren Gefährlichkeit nicht unkom- mentiert bleiben kann.

Die Verkürzung von Wei- terbildungszeit sowie die auch oftmals öffentlich an- gesprochene „Verschlankung der Weiterbildungsordnung“

mag für in Weiterbildung be- findliche Ärztinnen und Ärz- te eine naheliegende Forde- rung sein, verkennt aber, daß die Weiterbildung von Ärz- tinnen und Ärzten den Ärzte- kammern eine zur Durch- führung überlassene hoheitli- che Aufgabe ist, die an be- stimmte rechtliche Vorausset- zungen geknüpft ist.

So sind Weiterbildungs- bezeichnungen einzuführen oder haben zu entfallen, wenn eine wissenschaftliche Entwicklung und die Ein- führung einer Bezeichnung als Versorgungsbedürfnis für die Bevölkerung dies erfor- derlich machen. Hiermit kann es in diesem Feld keine Zweckmäßigkeitsüberlegun- gen dahingehend geben, ob eine Weiterbildung bequem zu absolvieren ist und wie viele Ärztinnen und Ärzte zweckmäßigerweise diese Be- zeichnung erlangen können.

Der Maßstab ist allein die medizinische Versorgung der Bevölkerung in Klinik und Praxis.

Es kann, ohne die Glaub- würdigkeit der Ärzteschaft zu gefährden, nicht weiter ange- hen, daß die Erfüllung dieses Staatsauftrages an die Ärzte- schaft zunehmend unter den Einfluß gewerkschaftlicher

Aktivitäten gerät. Wie sehr diese Vereinfachungstenden- zen Erreichtes gefährden könnten, mag der wöchentli- che Blick in den Anzeigenteil des Deutschen Ärzteblattes belegen. Dort sind in jeder Ausgabe Stellenausschrei- bungen zu finden, die sich auf Weiterbildungskategorien beziehen, welche durch die Weiterbildungsnovelle von 1992 neu etabliert wurden, wie beispielsweise die speziel- le Intensivmedizin in den ein- zelnen Gebieten.

Wer diese Weiterbildungs- kategorien wieder abschaffen will, muß ins Kalkül ziehen, daß er damit eine andere gewerkschaftliche Forderung gefährdet, nämlich die Schaf- fung von Lebensstellen in der Klinik unterhalb der Chefarzt- ebene.

Prof. Dr. med. Peter Knuth, Liebstöckelweg 9, 65191 Wiesbaden-Sonnenberg

Meta-Analysen

Zu dem Akut-Beitrag „Metaanalysen und ihre Grenzen“ von Rüdiger Meyer sowie dem Beitrag „Wissen aus medi- zinischen Datenbanken nutzen“ von Dr. med. Ulrich Bothner und Frank William Meissner, beides in Heft 20/1999:

Den Gold-Standard nicht verwässern

Randomisiert-kontrollier- te Studien und systematische Übersichtsarbeiten (Meta- Analysen) sind die zur Zeit wichtigsten Methoden, die uns zum möglichst unver- fälschten Vergleich von The- rapieverfahren zur Verfügung stehen. Beide Beiträge er- wecken jedoch den Eindruck, als ob diese Studientypen prinzipiell durch methodische Schwächen eingeschränkt sei- en.

Der Kommentar von Meyer schließt mit dem lapi- daren Satz: „Letztlich sind die Ergebnisse von Meta- Analysen immer anfecht- bar.“ Mit demselben Nihilis- mus kann man jede klinische Studie ablehnen. Es ist scha-

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