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Archiv "Arbeitszeiten im Krankenhaus: Die Euphorie ist verflogen" (02.04.2004)

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ie Vorstellung war auch zu schön:

Ein fernes Gericht – der Europäi- sche Gerichtshof (EuGH) in Lu- xemburg – definiert die Bereitschafts- dienste als Arbeitszeit, und die deut- schen Ärzte müssen fortan bei voller Bezahlung dieser Dienste weniger ar- beiten. „Nur langsam dämmert es, dass der EuGH sich nur mit Arbeitsschutz beschäftigt hat und sich für Vergütungs- fragen gar nicht zuständig fühlte“, schreibt Dr. med. Kai Schorn, Berlin.

Die Ärzte ständen jetzt vor dem Dilem- ma, möglicherweise demnächst neue Arbeitszeitmodelle zu bekommen, die sie so nicht gewollt hätten. Aber es gibt wohl kein Zurück: Denn unter dem Me- dienschlachtruf der übermüdeten Ärzte falle es jetzt sehr schwer, sich gegen den fahrenden Zug zu stemmen, fürchtet der Assistenzarzt.

Auch Dr. med. Gregor Moßbrucker, Freiburg, ist der Auffassung, dass die fi- nanziellen Auswirkungen des EuGH- Urteils vom 9. September 2003 für die Klinikärzte in der veröffentlichten Mei- nung zu wenig beachtet werden: „Kein Zweifel: Nach neuem EU-Recht zu ar- beiten wäre traumhaft. Aber will einer von uns wirklich – als Akademiker mit extrem hoher Verantwortung – mit dem Grundgehalt BAT 2a oder 1b abge-

speist werden?“ Offenbar gebe es unter den Ärzten einige wenige, die nicht auf ihr Gehalt angewiesen seien und in der Öffentlichkeit viel Aufsehen erregten.

Zu den vehementesten Verfechtern der Regel „Bereitschaftsdienst gleich Ar- beitszeit“ zählen seit Jahren der Marbur- ger Bund und die Dienstleistungsge- werkschaft ver.di. Die beiden Arbeitneh- mervertretungen seien deshalb auf dem besten Wege, den Kontakt zur Basis zu verlieren, ist Schorn überzeugt. „Beide Gewerkschaften verschweigen konse- quent, dass gleichgültig auf welche Rege- lung man sich einigt, die Arbeitneh- mer/Ärzte einen erheblichen Einkom- mensverlust in Kauf nehmen und zusätz- lich häufiger in der Klinik sein müssen.“

Nach anfänglicher Euphorie über das EuGH-Urteil und seine Folgen unter- stützten deshalb mittlerweile die meisten Klinikärzte die eher abwartende Haltung der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) in dieser Angelegenheit.

Weniger gut auf die DKG zu sprechen ist Michael Sextro, Bocholt: „Die DKG ist eine reine Arbeitgebervereinigung, die ihre Interessen bisher relativ arm an Rücksicht auf dem Rücken der Kranken- hausärzte ausleben konnte.“ Die Verdre- hung der Tatsachen im Zusammenhang mit dem neuen Arbeitszeitgesetz zeige, in

welchem Stil die DKG gerne weiterhin Politik machen wolle.Sextro:„Und leider schreitet hier keine Regierungsstelle und keine Ärztekammer ein, wohingegen sonst viel geringere Verstöße gegen gel- tendes Recht gerügt werden.“ Für eine Gesellschaft, die sonst in ihren Zielen im- merzu den hohen Wert von Verträgen im Munde führt, sei dies ein Armutszeugnis.

Das DKG-Argument, wonach Ärzte feh- len, um das revidierte Arbeitszeitgesetz umzusetzen, lässt Sextro nicht gelten:

„Ob genügend Ärzte zur Verfügung ste- hen, ist neben den Arbeitsbedingungen auch eine Frage des Preises, den die Krankenhäuser zahlen.“ Es sei bekannt, dass Krankenhausärzte in den Nachbar- ländern in der Regel besser bezahlt wür- den als hierzulande.

Marktgerechte Bezahlung

Wozu dies führt, beschreibt Dr. med.

Patric Tralls, Köln: „Allein aus unserer Abteilung sind inzwischen fünf Kolle- gen in Benelux-Länder abgewandert.“

Diese Entwicklung werde sich noch be- schleunigen – „so hoch ist inzwischen das Maß an Frustration“. Auch die Be- reitschaft der älteren, angestammten Kollegen wachse, die Bedingungen nicht länger hinzunehmen und den Ar- beitsplatz zu wechseln. Die Tatsache, dass die Verdienstmöglichkeiten in deutschen Krankenhäusern so begrenzt seien, sorge für große Unzufriedenheit.

Tralls: „Viele Ärztinnen und Ärzte stel- len fest, dass ihre Freunde und Bekann- ten nach kürzeren Berufsausbildungen, bei weit geringerer persönlicher Ver- antwortung und viel freundlicheren Ar- beitszeiten auch noch mehr Geld ver- dienen – und das trotz der angespann- P O L I T I K

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A898 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 142. April 2004

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Krankenhaus

Ärzte in den Fängen der Verwaltung

Arbeitszeiten im Krankenhaus

Die Euphorie ist verflogen

Die Umsetzung des EuGH-Urteils zum Bereitschaftsdienst sorgt weiterhin für große Unruhe unter den Klinikärzten.

Ausschnitte aus Leserbriefen geben die Stimmung wieder.

Die Arbeitszeiten im Krankenhaus waren in den letzten Jahren immer wieder Thema des Deutschen Ärzteblattes. Allein fünf Titelge- schichten sind seit dem Jahr 2000 dazu er- schienen (nebenstehend), häufig aufgehängt an den Arbeitszeiten und an der Rechtspre- chung des Europäischen Gerichtshofes. Be- sonders heftige Reaktionen löste zudem ein Artikel über Mobbing im Krankenhaus aus.

Die Auseinandersetzungen dazu schlugen auch im Internet-Auftritt des Deutschen Ärz- teblattes hohe Wellen. Zurzeit findet das Fo- rum „Ausbeutung junger Ärztinnen und Ärz- te“ (www.aerzteblatt.de) regen Zuspruch.

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Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 142. April 2004 AA899

ten wirtschaftlichen Lage.“ Oft werde man mit einer Mischung aus Mitleid und Unverständnis geradezu belächelt dafür, dass man dies alles so hinnehme.

Ebenfalls eine im gesellschaftlichen Vergleich marktgerechtere Bezahlung der ärztlichen Arbeitskraft fordert An- dreas Schieweck, Hamburg: „Man sollte sich mal vor Augen führen, dass in allen akademischen Berufen ein angestellter Arbeitnehmer bei vergleichbarer Ausbil- dung (gutes Abitur, sechs Jahre Studium mit vier bestandenen Examen, Jahre Weiterbildung, Facharzt) mit einer 48- Stunden-Woche ein Gehalt erwirtschaf- tet, das problemlos eine maximal großzü- gige Familienplanung ermöglicht.“ Hier müsse der politische Ansatz sein, für den sich die ärztlichen Standesvertreter und auch das Deutsche Ärzteblatt als „Stan- desorgan“ einsetzen sollten.

Dr. med. René Sebastian Bauer, Mün- chen, sieht in der „von Lobby-Interessen geprägten Diskussion“ vor allem zwei Fakten zu wenig beachtet: die immer weiter zunehmenden Verwaltungsan- forderungen an die Ärzte und die befri- steten Arbeitsverhältnisse, vor allem für die Assistenzärzte. Die zeitliche Bela- stung ärztlicher Tätigkeit mit Verwal- tungsaufgaben im Krankenhaus liege in- zwischen bei 50 Prozent, schreibt Bauer.

Aber nur ein geringer Teil dieser büro- kratischen Aufgaben erfordere ärztli- ches Fachwissen. Bauer: „Nimmt man hinzu, dass in anderen Ländern Tätigkei- ten wie Blutabnahmen, Verbände wech- seln, einfache Anamneseerhebungen und vieles andere von gut ausgebildetem ärztlichen Hilfspersonal erledigt wer- den, was in Deutschland den in unbe- zahlten Überstunden billiger arbeiten- den Ärzten aufgebürdet wird, kann man ermessen, wie hoch der Rationalisie-

rungsspielraum hier wirklich ist.“ Zu- dem leiste sich Deutschland einen „hor- renden Verschleiß an Qualifikation“, weil die meisten Assistenzärzte nur be- fristet für ihre Weiterbildungszeit ange- stellt werden. „Wer endlich etwas kann und seine Facharztprüfung besteht, muss gehen. Es rücken unerfahrene Jungärzte nach – zulasten der Effizienz, der Patien- tenversorgung“, kommentiert der Chir- urg und Orthopäde. Da die Fragestellun- gen in den Praxen der niedergelassenen Ärzte völlig anders seien als in den Klini- ken, verkümmere dort die vormals ge- wonnene Kompetenz. Bauers Vorschlag:

„Die Einbindung niedergelassener Fachärzte in die Krankenhausversor- gung (Belegarztmodell) könnte viele Probleme lösen – auch für Arbeitszeiten –, setzt aber das Aufbrechen der Chef- arzthierarchien voraus.“

Schlechtes Arbeitsklima

Überhaupt ist die strenge Hierarchie in den Krankenhäusern mitverantwortlich dafür, dass immer mehr junge Ärztinnen und Ärzte ihr Glück im Ausland suchen.

Denn viele Ärzte, die im Ausland gear- beitet haben (und ihre Erfahrungen zum Beispiel in den Internetforen des Deut- schen Ärzteblattes unter www.aerzte blatt.de schildern), berichten zwar auch von langen Arbeitszeiten, klagen aber deutlich weniger darüber, weil das Ar- beitsklima in anderen Ländern offenbar wesentlich kollegialer ist. Es sind zwei Mechanismen, über die in deutschen Kli- niken Druck „von oben“ auf die jungen Ärzte ausgeübt wird: die befristeten Ar- beitsverträge und die Weiterbildungsan- forderungen. Wer bei seinem Chefarzt in Ungnade fällt, läuft Gefahr, seinen Ver-

trag nicht verlängert zu bekommen oder für die Weiterbildung notwendige Unter- suchungen und Operationen nicht durch- führen zu dürfen. Diese Abhängigkeit belastet auch das Verhältnis der Assisten- ten untereinander. Ellbogenmentalität wird gefördert. Mancherorts sind auch Mobbingaktivitäten zu beobachten.

Dr. med. Johannes Rank, Weißen- burg, sieht dann auch vor allem die be- troffenen Ärzte in der Pflicht: „Schuld an den desolaten Arbeitsbedingungen hat primär nicht die unselige Allianz aus Politik,Verwaltung und Chefärzten, son- dern die Krankenhausärzte selbst.“

Rank vergleicht die Situation mit der in einer schlechten Ehe: „Wer sich alles bie- ten lässt, der darf sich nicht wundern, wenn ihm noch mehr aufgebürdet wird.“

Nur Konsequenzen hätten Sinn, das heißt Dienst nach Vorschrift, Streik oder Kündigung. „Das Warten auf ein (eu- ropäisches) Wunder hat nichts gebracht und wird auch in Zukunft nichts brin- gen“, ist Rank überzeugt. Ähnlich argu- mentiert Schorn: „Um verbesserte Ar- beitsbedingungen durchzusetzen, hätte man kein EuGH-Urteil benötigt, son- dern die Ärzte hätten vor Ort für die Einhaltung der bis dato bestehenden ge- setzlichen Regelungen eintreten sollen.“

Ulla Peitz, Berlin, ist hingegen einfach nur sauer: „Mit zunehmender Müdigkeit im Bereitschaftsdienst packt mich die Wut, mit welcher Ignoranz diese Mara- thondienste erhalten bleiben.“ Wären die dadurch bedingten Fehler sichtbar, wie bei Piloten oder Busfahrern – schon längst wären die Ärzte von diesen unzu- mutbaren Arbeitszeiten befreit worden, ist die Assistenzärztin überzeugt. Peitz:

„Ich fühle mich nicht als Mensch wahr- genommen, sondern als Gebrauchs- und Verbrauchsgegenstand.“ Jens Flintrop

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