134 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 110|
Heft 8|
22. Februar 2013M E D I Z I N
DISKUSSION
Intrauterine Chrirurgie bei der infravesizalen Obstruktion
Zum Thema der infravesizalen Obstruktion möchte ich gerne anführen, dass die von Ihnen genannte PLUTO- Studie (1) von Morris und Kilby abgebrochen wurde:
Durch intrauterines Shunting der Harnblase wurde den betroffenen Eltern ein verbessertes fetal Outcome (ge- ringere Mortalität) avisiert bedingt durch das Vorbeu- gen einer Lungenhypoplasie und nicht eine Verbesse- rung der Nierenfunktion (Morbidität).
Die Kinder, bei denen intrauterin ein Shunting vor- genommen wurde, sterben zwar nicht mehr an der Lun- genhypoplasie, haben aber eine sehr schlechte Nieren- funktion, die von früh an Dialyse und später Transplan- tation bedeutet. Erläuterungen solcher kritischen Nuan- cen in der Beratung haben dazu geführt, dass immer mehr Eltern sich für einen Abbruch oder eine „Non-In- tervention“ entscheiden und nicht für diese randomi- sierte Studie. Wegen der geringen Fallzahl wurde die Studie dann beendet. Alle vorhergehenden Studien zu diesem Thema zeigten, dass die Patientenselektion die- se unterschiedlichsten Krankheitsbilder der bestim- mende Faktor bleibt, um zu einer validen Aussage zu gelangen, für welche Gruppe eine Therapie eventuell in Frage käme. Ohne Ausnahme wird die schlechte Nie- renfunktion im Outcome beschrieben.
Eltern und behandelnden Ärzten muss keine falsche Hoffnung geboten werden. Es gibt keine Beweise da- für, dass intrauterines Shunting Nierenfunktion rettet oder erhält.
Die PLUTO-Studie hat gezeigt, dass die einzige sinnvolle Intervention bei der fetalen infravesikalen Obstruktion der Schwangerschaftsabbruch ist.
DOI: 10.3238/arztebl.2013.0134a
LITERATUR
1. www.birmingham.ac.uk/research/activity/mds/trials/bctu/trials/wo mens/pluto/index.aspx.
2. Diemert A, Diehl W, Glosemeyer P, Deprest J, Hecher K: Intrauterine Surgery—Choices and Limitations. Dtsch Arztebl Int 2012; 109(38):
603–8.
Dr. med. Annette Reuss
Praxis Central Essen, reuss@praxiscentral.de
Ergebnisse ins Gegenteil verkehrt
Frau Diemert zitiert, dass als Konsequenz aus der Inva- sivität offener Fetalchirurgie zur Behandlung von Un-
geborenen mit Myelomeningozelen, die Entwicklung minimal-invasiver Techniken zu fördern sei. Dabei weist sie auf einen von mir entwickelten fetoskopi- schen Ansatz hin, dem sie jedoch „eher ernüchternde Ergebnisse“ aufgrund „einer hohen Komplikationsrate“
konstatiert. Leider gibt sie damit eine veraltete Datenla- ge wieder und bezieht sich lediglich auf die ersten 19 von fast 70 behandelten Patienten. Dies hat Konse- quenzen.
Diemerts Beschreibung charakterisiert die klinische Einführungsphase dieses technisch komplexen Operati- onsverfahrens. Für die Gegenwart trifft das Gegenteil zu (siehe auch Kohl T, Kawecki A, Degenhardt J, Axt- Fliedner R, Neubauer B: Early neurological findings in 20 infants after minimally-invasive fetoscopic surgery for spina bifida at the University of Giessen 2010 – 2011 Ultrasound Obstet Gynecol 2012; 40(Suppl 1): 9.
und Degenhardt J, Schürg R, Kawecki A, et al.: Mater- nal outcome after minimally-invasive fetoscopic surge- ry for spina bifida . The Giessen experience 2010 – 2012. Ultrasound Obstet Gynecol 2012; 40(Suppl. 1):
9.), (1). Die frühen kinderneurologischen Ergebnisse der vergangenen zwei Jahre sind ausgesprochen ermu- tigend, denn sie attestieren einem Großteil der Kinder erstaunlich gute Beinfunktionen. Eine Besserung der Chiari-II-Malformation sowie eine geringere Notwen- digkeit zur nachgeburtlichen Shunt-Anlage werden ebenfalls regelmäßig beobachtet, und das bei einer niedrigen Rate maternaler und fetaler Komplikationen, einer fetalen Sterblichkeit von unter 3 % (1/40) und ei- nem Geburtszeitpunkt erst im letzten Schwanger- schaftsviertel bei inzwischen 85 % der Kinder.
Diemert und Kollegen verkehren die Ergebnisse ins Gegenteil – mit gravierenden Konsequenzen für Schwangere mit erkrankten Ungeborenen. Angesichts dieses fehlerhaften Fazits werden Betroffene weiterhin in hohem Maße zu einem Schwangerschaftsabbruch neigen. Zumindest ein Teil der Kinder, die dennoch, aber ohne vorgeburtliche Therapie zur Welt kommen, haben vermutlich einen deutlich schlechteren Start ins Leben.
DOI: 10.3238/arztebl.2013.0134b
LITERATUR
1. Degenhardt J, Kawecki A, Enzensberger C, Stressig R, Axt-Fliedner R, Kohl T: Reversal of hindbrain herniation within a few days after mi- nimally-invasive fetoscopic surgery for spina bifida indicates the de- sired water-tight closure of the lesion. Ultrasound Obstet Gynecol 2012; 40(Suppl. 1): 74.
2. Diemert A, Diehl W, Glosemeyer P, Deprest J, Hecher K: Intrauterine Surgery—Choices and Limitations. Dtsch Arztebl Int 2012; 109(38):
603–8.
Prof. Dr. med. Thomas Kohl
Universitätsklinikum Gießen-Marburg (UKGM) Deutsches Zentrum für Fetalchirurgie &
minimal-invasive Therapie (DZFT) thomas.kohl@uniklinikum-giessen.de
zu dem Beitrag
Möglichkeiten und Grenzen der intrauterinen Chirurgie
von Dr. med. Anke Diemert, Werner Diehl, Peter Glosemeyer, Prof. Dr. med. Jan Deprest, Prof. Dr. med. Kurt Hecher in Heft 38/12