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Archiv "Notfallmedizin: Ethische Kompetenz und praktische Erfahrung" (12.04.2013)

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A 706 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 110

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Heft 15

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12. April 2013

NOTFALLMEDIZIN

Ethische Kompetenz und praktische Erfahrung

Leitlinien oder Handlungsempfehlungen sind häufig für den Beginn therapeutischer Maßnahmen in der Notfallmedizin nicht praktikabel.

S

trukturen klinischer Ethikbe- ratung haben mittlerweile fes- te Formen angenommen (1) und sind vielfach aus dem klinischen Alltag nicht mehr wegzudenken (2–4). Trotzdem wird man gerade in der Notfallmedizin oft mit ethischen Problemen konfrontiert, die sich mit den klassischen medizinethischen Settings (ethische Fallbesprechung, ethisches Konsil, klinisches Ethik- komitee) nicht lösen lassen (5).

Gründe sind fehlende Zeit, feh- lende Informationen, fehlende Un- terlagen oder nicht erreichbare be- ziehungsweise nicht entscheidungs- fähige Angehörige (5, 6). Doch gibt es überhaupt Instrumente, die dem in der Notfallsituation Tätigen eine Hilfe bei der Suche nach einer me- dizinisch wie ethisch vertretbaren Entscheidung sein können?

In der Sektion 10 der Leitlinien zur Reanimation 2010 des Europe- an Resuscitation Council (7) findet man zum Outcome nach Reanimati- on widersprüchliche Angaben. Zu- nächst wird einleitend resümiert:

„Während einige Wiederbelebungs- versuche erfolgreich mit einem gu- ten Langzeit-Outcome einhergehen, trifft dies für die Mehrzahl der Fälle trotz großer Anstrengungen und ei- niger Verbesserungen in der Versor- gung von Herz-Kreislauf-Patienten während des letzten Jahrzehnts nicht zu.“ (Seite 737).

Diese ernüchternde Feststellung hindert die Autoren jedoch nicht, wenig später zu schreiben: „Etliche Studien haben gezeigt, dass eine er- folgreiche Reanimation nach Kreis- laufstillstand bei den meisten Über- lebenden eine gute Lebensqualität mit sich bringt. Es gibt nur wenig Grund anzunehmen, Reanimatio- nen würden zu einer großen Menge von Überlebenden mit inakzeptab- ler Lebensqualität führen.“ (Seite 738). Dieses scheinbare Dilemma wird mit der Bemerkung aufzuhe- ben versucht: „Zukünftige interven- tionelle Reanimationsstudien sollen ebenfalls Langzeitnachuntersuchun- gen umfassen.“ Durch die fehlende Evidenz wird der als Helfer Agie- rende letztlich auf seine morali- schen Auffassungen und ethischen Überzeugungen zurückgeworfen.

Das hinterlässt dann bei den Helfen- den einen bitteren Beigeschmack, wenn entweder Reanimationsbemü- hungen unterlassen oder abgebro- chen wurden oder aber, wenn der Patient zunächst erfolgreich reani- miert wurde und in der Folge auf der Intensivstation stirbt.

Wissenschaftliche Evidenz zur Klärung der Fragen ist, obwohl dringend notwendig, in den nächs- ten Jahren nicht zu erwarten.

Grundmann (8) verweist auf aus dem angelsächsischen Sprachraum stammende „Leitlinien, die auf die Autonomie des Patienten verweisen und den Arzt berechtigen, eine The- rapie einzustellen oder nicht anzu- wenden, wenn sie nutzlos ist und keinen Einfluss auf das Überleben des Patienten hat“. Weiterhin wird konstatiert: „Die subjektive Beur- teilung des Verlaufs und der erwar- tete tödliche Ausgang begründen die Entscheidung. Da nicht ausge-

schlossen werden kann, dass auch der Erfahrenste sich in seiner Pro - gnose irrt, wäre es wünschenswert, die Entscheidung über Therapiever- zicht oder -abbruch auf eine festere Grundlage als nur die subjektive Erfahrung zu legen.“

Die Aufnahme des Patienten auf die Intensivstation

Grundmann plädiert für eine The - rapieentscheidung, die aus klini- schen Entscheidungskriterien wie Patientenalter, Beatmungsdauer/In- tensivaufenthalt, Organversagen/

Schwere der akuten Erkrankung, Grundkrankheit, Katecholaminein- satz, Langzeitprognose und vermu- tetem Patientenwillen kombiniert ist. Dieser Entscheidungsprozess scheint für längere Verläufe auf der Intensivstation ein gangbarer Weg zu sein. In der Notaufnahme jedoch fällt das Kriterium Intensivaufent- halt/Beatmungsdauer bereits weg, auch der Katecholaminverbrauch ergibt sich meist erst im Langzeit- verlauf beziehungsweise gehört in der Akutphase (zum Beispiel Re- animation) zur wirksamen Thera- pie. Über den vermuteten Patienten- willen kann höchstens nach bestem Wissen und Gewissen entschieden werden (in dubio pro vita), da sich in der Notaufnahme schlecht Infor- mationen einholen lassen (5, 6).

Damit fallen in der von Grund- mann vorgeschlagenen Entschei-

T H E M E N D E R Z E I T

Häufig muss der erstbehandelnde Arzt über Aufnahme oder Abbruch einer Therapie in der Notaufnahme entscheiden.

Foto: dapd Foto: picture alliance

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Deutsches Ärzteblatt

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12. April 2013 A 707 dungsfindung in der Notaufnahme

einige Parameter weg, was den Weg weniger gangbar macht und den Arzt wieder auf individuelle ethische Ent- scheidungen zurückwirft, da Infor- mationen über den vermuteten Pa- tientenwillen fehlen und einige kli- nische Verlaufsparameter erst im Langzeitverlauf beurteilbar werden.

Das Positionspapier der Sektion Ethik der Deutschen Interdiszipli- nären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) „Therapie- zieländerung und Therapiebegren- zung in der Intensivmedizin“ (9) führt zur „Therapiezielfindung“ Fol- gendes aus: „Bei Aufnahme des Pa- tienten auf die Intensivstation muss zunächst darauf vertraut werden, dass aus Sicht des zuweisenden Arztes ein erreichbares Therapie- ziel existiert. Deshalb steht zu- nächst die Sicherung und Aufrecht- erhaltung der Vitalfunktionen mit dem Therapieziel ,Lebenserhal- tung‘ im Vordergrund. In der Folge verschafft sich der Intensivmedizi- ner ein möglichst umfassendes Bild des Patienten . . .“

Durch Aufnahme auf die Inten- sivstation wird also bereits eine the- rapeutische Intention unterstellt.

Die Entscheidung über Aufnahme oder Unterlassung beziehungsweise Fortführung oder Abbruch einer Therapie wird dem in der Notauf- nahme erstbehandelnden Arzt an- vertraut. Hilfen bei der Erstent-

scheidung über Therapiemaßnah- men werden ähnlich wie bei Grund- mann 2008 (8), erst im Verlauf ge- troffen. Der Erstbehandler steht er- neut allein mit seiner individuellen medizinisch und ethisch motivier- ten Entscheidung.

Lösungswege aus dem Dilemma

Ähnliches gilt für die Empfehlun- gen der Bundesärztekammer und der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer zum Um- gang mit Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung 2010 (4): „In Notfallsituationen, in denen der Wille des Patienten nicht bekannt ist und für die Ermittlung individueller Umstände keine Zeit bleibt, ist die medizinisch indizierte Behandlung einzuleiten, die im Zweifel auf die Erhaltung des Lebens gerichtet ist.

Hier darf der Arzt davon ausgehen, dass es dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht, den ärzt- lich indizierten Maßnahmen zuzu- stimmen.“ Wortgleich findet man die Empfehlung in den Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztli- chen Sterbebegleitung (10). Gefragt ist also auch hier die individuelle medizinische und ethische Entschei- dung des erstbehandelnden Arztes.

Zusammenfassend kann festge- stellt werden, dass die Leitlinien und Handlungsempfehlungen zwar für den Verlauf der Behandlung hilfreich

sein können, aber für den Beginn therapeutischer Maßnahmen in der Notaufnahme nicht praktikabel sind.

Patientenverfügungen sollten für diese Situation eine Entscheidungs- hilfe darstellen (11, 12). Doch der Arzt, der bereits mehreren prakti- schen Problemen gegenübersteht, die in der kurzen Zeit der Notfall - situation schwierig zu lösen sind, muss auch interpretieren, was die Patientenverfügung über die mut- maßliche Patientenpräferenz in der gegebenen Situation aussagt (6).

Man hat es also wiederum nicht nur mit medizinischen, sondern auch ethischen Entscheidungen zu tun, die eine gewisse Routine im Um- gang mit den Formulierungen einer Patientenverfügung voraussetzt. Ge- fragt sind also ethische Kompetenz und praktische Erfahrung.

Zwei mögliche Lösungswege aus diesem Dilemma sind vorstellbar:

1. die Suche nach Kriterien und Handlungsempfehlungen, die es auch dem jungen Arzt in einer Not- fallsituation ermöglichen, medizi- nisch korrekt und ethisch sinnvoll im Sinne des Patienten zu agieren,

2. die Schulung der in der Not- fallmedizin Tätigen auf medizi - nischem, rechtlichem, moralisch- menschlichem und philosophisch- ethischem Gebiet (13, 14), so dass sie solchen Situationen fachlich und menschlich gewachsen sind. (15)

Am ehesten scheint eine Mi- schung aus beiden Lösungswegen sinnvoll zu sein. Eine engere Zusam- menarbeit zwischen notfallmedizini- schen Fachkräften, die praktische Er- fahrung besitzen, und Ethikexperten, die Distanz zum Problem haben, ist also erforderlich. Deshalb hat sich kürzlich eine Arbeitsgruppe „Ethik in der Notfall- und Akutmedizin“ inner- halb der Deutschen Gesellschaft In- terdisziplinäre Notfall- und Akutme- dizin (DGINA) gebildet, die sich mit dieser Problematik befassen wird.

Dr. med. Stefan Trzeczak M.A., Facharzt für Chirurgie , Facharzt für Innere

Medizin, Notarzt, AG „Ethik in der Notfall- und Akutmedizin“der DGINA, Helios-Hanseklinikum Stralsund, Notaufnahme, Große Parower Straße 47–53, 18435 Stralsund stefan.trzeczak@helios-kliniken.de

@

Literatur im Internet:

www.aerzteblatt.de/lit1513

T H E M E N D E R Z E I T

Gerade in der Not- fallmedizin wird man oft mit beson - deren ethischen Pro- blemen konfrontiert.

So fehlt zum Beispiel häufig die Zeit für eine ausgewogene Entscheidung.

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LITERATUR HEFT 15/2013, ZU:

NOTFALLMEDIZIN

Ethische Kompetenz und praktische Erfahrung

Leitlinien oder Handlungsempfehlungen sind häufig für den Beginn therapeutischer Maßnahmen in der Notfallmedizin nicht praktikabel.

LITERATUR:

1. Neitzke G: Formen und Strukturen klini- scher Ethikberatung. In: Vollmann J, et al.

2009, S. 37–56.

2. Schildmann J, Vollmann J: Evaluation kli- nischer Ethikberatung: Eine systematische Übersichtsarbeit. In: Vollmann J, et al.

2009, S. 71–86.

3. Bundesärztekammer: Stellungnahme der Zentralen Kommission bei der Bundesärz- tekammer zur Ethikberatung in der klini- schen Medizin. In: Vollmann J, et al. 2009, S. 279–94.

4. Bundesärztekammer: Empfehlungen der Bundesärztekammer und der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärzte- kammer zum Umgang mit Vorsorgevoll- macht und Patientenverfügung in der ärzt- lichen Praxis. Deutsches Ärzteblatt Jg.

107/Heft 18, 7. Mai 2010, S. 877–882.

5. Trzeczak S: Impulsvortrag zur Gründung einer Arbeitsgruppe „Ethik in der Notfall- medizin“ innerhalb der DGINA. Abstract in:

Notfall Rettungsmed. Supplement 1.2012, 13.

6. In der Schmitten J, Rixen S, Marckmann G: Patientenverfügungen im Rettungs- dienst (Teil 1). Geklärte und offene Fragen nach Verabschiedung des Patientenverfü- gungsgesetzes. Notfall Rettungsmed 2011; 14: 448–58.

7. Lippert F K, et al.: Ethik der Reanimation und Entscheidungen am Lebensende.

Sektion 10 der Leitlinien zur Reanimation 2010 des European Resuscitation Council.

Notfall Rettungsmed 2010. 13: 737–44.

8. Grundmann R T: Prognostizierbarkeit des Todes-Ärztliche Beurteilung oder Scores?

In: Junginger, et al. 2008, S. 153–63.

9. Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv-und Notfallmedizin: Therapieziel- änderung und Therapiebegrenzung in der Intensivmedizin. Positionspapier der Sekti- on Ethik der DIVI. www.divi-org.de 10. Bundesärztekammer: Grundsätze der

Bundesärztekammer zur ärztlichen Ster- bebegleitung. Deutsches Ärzteblatt Jg.

108/ Heft 7, 18. Februar 2011, S. 346–8.

11. Frewer A, et al. (Hrsg.): Patientenverfü- gung und Ethik. Beiträge zur guten klini-

schen Praxis. Jahrbuch Ethik in der Klinik (JEK) Band 2, Würzburg 2009.

12. Verrel T, Simon A (Hrsg.): Patientenverfü- gungen. DRZE-Sachstandsbericht. Frei- burg i. Br. 2010.

13. Hastedt H, et al. (Hrsg): Ethik. Ein Grund- kurs. Reinbek bei Hamburg, 1994.

14. Irrgang B: Grundriss der medizinischen Ethik. Stuttgart 1995.

15. Stern R, Böhnke V: Ethik im Krankenhaus.

Mehr als reine Intuition? Notfall Rettungs- med 2012; 15: 671–4.

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