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Archiv "Notfallmedizin: Auf dem Weg zum Mars" (24.09.2010)

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A 1792 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 107

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Heft 38

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24. September 2010

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ie bemannte Raumfahrt stellt mit ihren immer länger dau- ernden Missionen nicht zuletzt auch die Medizin vor neue Herausforde- rungen. Durch den kontinuierlichen Ausbau der Internationalen Welt- raumstation ISS können sich mehr Menschen für längere Zeiträume in Schwerelosigkeit aufhalten, als dies noch zur Zeit der russischen MIR möglich war. Auch der zunehmende Weltraumtourismus sowie geplante Vorhaben mit erheblicher Reise - dauer, wie etwa ein Flug zum Mars oder eine kontinuierlich bemannte Mondstation, sind ehrgeizige Ziele, die besondere Anforderungen an die medizinische Versorgung der Astronauten beziehungsweise Kos- monauten stellen. In Moskau findet zurzeit ein ambitioniertes Projekt

statt, das einen bemannten Flug zum Mars in greifbare Nähe rücken soll. Im Rahmen des „Mars500“- Projekts werden sechs Freiwillige für 520 Tage vollkommen isoliert und simulieren einen Flug zum Mars – einschließlich Aufenthalt auf der Marsoberfläche.

Herausforderung: Physiologie unter Schwerelosigkeit

Bei einer bemannten Langzeitmis- sion muss besonderes Augenmerk auf eine eventuelle Notfallversor- gung gerichtet werden, da diese zeitkritisch und maßnahmeninten- siv sein kann. Die interdisziplinäre Forschungsgruppe der Universi- tätsmedizin Mainz unter Leitung von Prof. Dr. med. Wolf Jürgen Mann hat hierzu gemeinsam mit

der Klinik für Hals-Nasen-Oh - ren-Heilkunde und der Klinik für Anästhesiologie ein Konzept ent- wickelt. Dieses basiert auf einem früheren Projekt, das vom Deut- schen Zentrum für Luft- und Raumfahrt unterstützt wurde. Das Forschungsprojekt TEMOS wurde in enger Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern der Universitätsmedi- zin Mainz, dem Institut für Biome- dizinische Probleme (IBMP) in Moskau und dem Gagarin-Trai- ningszentrum für Kosmonauten („Star City“) in der Nähe von Mos- kau realisiert. Ziel und Ergebnis die- ser vorausgegangenen Studie war die Anpassung terrestrischer Notfal- lalgorithmen auf Notfall situationen, die unter Bedingun gen der Mikro- gravitation auftreten können.

NOTFALLMEDIZIN

Auf dem Weg zum Mars

Ein wissenschaftliches Simulationsprojekt untersucht, wie Laien im Rahmen der bemannten Raumfahrt für medizinische Notfallsituationen ausgebildet werden können.

Julian K. J. Graf, Matthias K. Schäfer, Wolf Jürgen Mann

Fotos: ESA, Mars500/S. Corvaja

Klinik für Anästhesio - logie, Universitäts - medizin Mainz:

Graf Klinik für Anästhesiolo- gie und Intensivthera- pie, Stiftungsklinikum Mittelrhein, Koblenz:

Dr. med. Schäfer Klinik für Hals-Nasen- Ohren-Heilkunde,

Universitäts- medizin Mainz:

Prof. Dr. med. Mann

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24. September 2010 Die medizinische Versorgung von

Kosmonauten muss besonderen Er- fordernissen gerecht werden, wobei die größte Herausforderung sicher- lich die veränderte Physiologie unter Schwerelosigkeit darstellt. So unter- liegt jeder Kosmonaut bei Eintritt in die Schwerelosigkeit einer Verschie- bung des Blutvolumens von peri- pher nach zentral. Der venöse Rück- fluss aus dem Kopfbereich ist auf- grund der fehlenden Schwerkraft re- duziert und führt zum sogenannten puffy face oder Pfannkuchenge- sicht: Es kommt zur vermehrten Ödembildung in der Kopfregion, was unter anderem eine Schwellung der Nasenschleimhaut zur Folge hat. Hierdurch sind sowohl die Nasenatmung als auch der Ge- schmacks- und Geruchssinn beein- trächtigt. Im Bereich von Larynx und Pharynx kann die Schleimhaut- schwellung zu erschwerten Intuba- tionsbedingungen führen.

Veränderungen der Körperpositi- on, wie zum Beispiel die stabile Sei- tenlage oder auch eine Schocklage- rung, haben unter Mikrogravitation keinen Effekt. Ohne eine durch Ven- tilatoren erzeugte künstliche Kon- vektion können sich während des Schlafs CO

2-Blasen um den Kopf des Kosmonauten bilden und eine Hypoxie verursachen. Langfristig ist eine nur teilweise reversible Reduk- tion von sowohl Knochendichte als auch Muskelmasse zu verzeichnen.

Weiterhin weisen die Kosmonauten eine Schwächung des Immunsys- tems auf.

Technische Herausforderungen ergeben sich im Rahmen der Her- stellung und Verabreichung von In- fusionen und Medikamenten. Diese müssen luftleer gefüllt sein und mittels Druckmanschette oder In - fusionspumpe appliziert werden.

Aufgrund des hohen Transportauf- wands kostet ein Liter Infusions - lösung etwa 12 000 Euro, was die großzügige Bevorratung aus Ge- wichts- und Kostengründen limi- tiert. In Schwerelosigkeit müssen Patient und Helfer während notfall- medizinischer Maßnahmen, zum Beispiel bei der Reanimation, fi- xiert werden, vor allem für die kor- rekte und effektive Durchführung von Thoraxkompressionen.

Generelle Einschränkungen er- geben sich darüber hinaus auf- grund der speziellen Situation. Der Aufenthalt in einer extrem lebens- feindlichen Umgebung, in Isolati- on, mit eingeschränkten Kommu - nikationsmöglichkeiten und limi- tiertem Zugang zu medizinischer Expertise weist deutliche Paralle- len zu Expeditionen in abgelege- nen Regionen der Erde, wie bei- spielsweise der Antarktis, auf.

Notfallsituationen autark bewältigen

Die medizinische Ausbildung der Besatzung eines potenziellen Mars- flugs muss daher besonderen An - forderungen gerecht werden. Die Kosmonauten müssen in der Lage sein, zumindest medizinische Not- fallsituationen autark, ohne teleme-

dizinische Unterstützung und gege- benenfalls auch ohne ärztlichen Beistand, zu bewältigen. Eine bis zu 20 Minuten dauernde zeitliche Verzögerung aufgrund der großen räumlichen Distanz, die ein Funksig- nal zurücklegen muss, macht eine telemedizinische Betreuung unmög- lich und ist im Rahmen der Notfall- versorgung nicht akzeptabel. Not- fallpatienten müssen sofort versorgt und stabilisiert werden; eine ver -

zögerte telemedizinische Beratung darf den unmittelbaren Behand- lungsbeginn nicht verhindern. Ziel des Projekts war es deshalb, eine simulierte Besatzung eines Mars- flugs, bestehend aus Arzt und medi- zinischen Laien, in Behandlungs - algorithmen für medizinische Not- fallsituationen einzuweisen, um auch im Bedarfsfall nichtärztliches Personal zur Durchführung notfall- medizinischer Maßnahmen zu be- fähigen.

Ein derartiges, auch für nicht- ärztliches Personal geeignetes und etabliertes Schulungsprogramm be- steht im Advanced Life Sup- port(ALS)-Provider-Kurs des Eu - ropean Resuscitation Council. Die- ses vailidierte und mit kleineren Mo difikationen versehene Schu- lungssystem liefert – nach der Im ple men tierung von an die phy - sio lo gischen Bedingungen unter Schwerelosigkeit adaptierten Be- handlungsalgorithmen – ein mög - liches Ausbildungssystem für me - dizinische Laien beziehungsweise Kosmonauten. Notwendige Modifi- kationen sind die primäre Verwen- dung des Larynxtubus zur Atem- wegssicherung unter Verzicht auf die konventionelle und für Laien kaum sicher durchführbare endotra- cheale Intubation, die Verwendung eines intraossären statt eines intra- venösen Zugangs sowie die „Auto- mated External Defibrillator“(AED)- gestützte Rhythmusanalyse und Defibrillation.

Simulierter Marsflug:

520 Tage völlige Isolation

Durch eine Kooperation unserer Forschungsgruppe im Rahmen des Mars500-Projekts mit der „Euro- pean Space Agency“ und dem rus- sischen IBMP besteht die Mög - lichkeit, die Besatzung eines simu- lierten Marsflugs in notfallmedizi- nischen Maßnahmen auszubilden.

Die Crew, bestehend aus drei rus - sischen, zwei europäischen und einem chinesischen Kandidaten, be - gibt sich für den 520 Tage dauern- den simulierten Marsflug in völlige Isolation.

Das in Moskau auf dem Gelände des IBMP stationierte simulierte

„Raumschiff“ besteht aus mehreren

„Kosmonaut“

bei der Anprobe des Raumanzugs (oben); beim Mes- sen des Blutdrucks in seiner Kabine

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24. September 2010 hermetisch abgeriegelten Modulen

mit einem Volumen von insgesamt 550 Kubikmetern. Die drei Tage dauernde initiale Ausbildung der Testkosmonauten fand vor Ort in Moskau statt. Insgesamt wurden zehn potenzielle Teilnehmer ausge- bildet, von denen letztendlich sechs als Besatzung rekrutiert wurden. So- wohl der ALS-Algorithmus als auch das „Airway Breathing Circulation Disability Exploration“(ABCDE)- Schema wurden den Teilnehmern der Studie mittels Powerpoint-Prä- sentationen und Workshops vermit- telt. Dabei lag der Schwer punkt der Ausbildung deutlich auf dem Erwerb von praktischen Fähigkeiten.

Während der Isolation wurden und werden die Teilnehmer des Ex- periments mittels Simulationspup- pen und Fragebögen sowohl auf den jeweiligen praktischen wie auch theoretischen Kenntnisstand hin überprüft. Die Notfallszenarien, die in unregelmäßigen Abständen von den in zwei Gruppen aufgeteil- ten Besatzungsmitgliedern durch- gespielt werden müssen, beinhalten die gelernten ALS- und ABCDE- Maßnahmen. Das Gleiche gilt für

die Multiple-Choice-Fragebogen.

Eine der beiden Gruppen erhält während des Projekts zwei video - basierte Refresher-Kurse. Für die zweite Gruppe erfolgt kein weiteres Training, sie muss sich auf das initi- al erlangte Wissen über eine ad - äquate notfallmedizinische Versor- gung verlassen.

Parallelen zu Expeditionen in entlegene Regionen

Anhand eines Punktescores, der die für das Outcome des Notfall - patienten entscheidenden Maßnah- men nach Relevanz gewichtet, wer- den sowohl die Performance der beiden Gruppen als auch individu- elle Fähigkeiten beurteilt. Weiterhin wird ein kritischer Score bestimmt, der bei Unterschreitung ein Über - leben des simulierten Notfallpatien- ten sehr unwahrscheinlich macht.

Die praktische Performance wird anhand von Checklisten geprüft so- wie durch Auswertung von Video- aufnahmen der Szenarien wie auch der durch AED und Simulations- puppe gesammelten Daten.

Der bisherige Verlauf des Expe- riments ist erfreulich und planmä-

ßig. Der erste der insgesamt zehn Testtage während der Isolation fand Mitte Juli statt und konnte durch Mitarbeiter unserer For- schungsgruppe über die Inboard- Kameras verfolgt werden. Am En- de der 520 Tage einer simulierten Marsmis sion wird anhand der er- hobenen Daten ersichtlich sein, welche Maßnah men „preflight“

und gegebenenfalls „inflight“ not- wendig sind, um notfallmedizini- sches Wissen für Ärzte und medi- zinische Laien jederzeit abrufbar zu halten. Wir hoffen dabei auch Hinweise darüber zu erlangen, welche Maßnahmen besonders dem Verlernprozess unterliegen, um diese dann speziell zu trainie- ren und Gegenmaßnahmen zu ent- wickeln.

Darüber hinaus ergeben sich aus diesem Projekt auch Rückschlüsse auf die Versorgung medizinischer Notfälle bei Expeditionen in entle- genen Regionen, in denen eine tele- medizinische Betreuung nicht mög- lich ist, vor allem wenn es sich bei den Teilnehmern um nichtmedizini- sches Personal handelt.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2010; 107(38): A 1792–6

LITERATUR

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2. Evetts SN, Evetts LM, Russomano T, Castro JC, Ernsting J: Basic life support in micro- gravity: evaluation of a novel method during parabolic flight. Aviat Space Environ Med.

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3. Jay GD, Lee PHU, Goldsmith H, Battat J, Maure J, Suner S: CPR effectiveness in mi- crogravity: comparison of three positions and a mechanical device. Aviat Space Envi- ron Med 2003; 74: 1183–9.

4. Stewart LH, Trunkey D, Rebagliati GS:

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5. European Resuscitaition Council: Advanced Life Support Guidelines 2005. www.erc.

edu/index.php/guidelines_download _2005/en.

Anschrift für die Verfasser Julian K. J. Graf

Universitätsmedizin der Johannes-Gutenberg- Universität Mainz

Klinik für Anästhesiologie Langenbeckstraße 1 55131 Mainz E-Mail: Grafjuni-mainz.de Versuchsaufbau

im IBMP, Moskau:

In der linken Bild- hälfte ist die Mars- oberfläche zu se- hen, rechts das Landemodul und das Wohnmodul.

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Referenzen

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