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Archiv "Die Ärzteschaft im politischen Spannungsfeld" (27.05.1976)

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Die Ankündigung eines Grundsatz- referates in unserer Tagesordnung ist einerseits anspruchsvoll und verlockend, sie zwingt aber ande- rerseits zur Beschränkung auf eini- ge wesentliche Fragen, wollte man nicht den zeitlichen Rahmen spren- gen, der einem Ärztetag gesetzt ist.

Dies ganz besonders angesichts einer Tagesordnung, deren Bewäl- tigung in dieser Woche unseren vollen Einsatz erfordern wird.

Auswahl zu treffen bedeutet aller- dings schon eine Ermessensent- scheidung mit der Folge, daß die Meinung darüber, was man behan- deln sollte oder was ausgeklam- mert werden könnte, sicher nicht einheitlich sein wird.

Es gibt aber einige Fragen der Ge- sundheits- und Sozialpolitik in un- serem Lande, die uns derzeit auf den Nägeln brennen, zu denen so- wohl unsere Kollegen als auch die Öffentlichkeit eine Antwort erwar- ten dürfen.

Im Hinblick auf die bevorstehenden Bundestagswahlen haben wir — und dies nicht zum erstenmal — eine gesundheitspolitische Veran- staltung in das Programm des Ärz- tetages aufgenommen, um den im Bundestag vertretenen Parteien Gelegenheit zu geben, ihre Vorstel- lungen zu erläutern. Man würde dabei vielleicht besser von Kom- mentaren zu Programmen spre- chen, denn schriftliche Äußerun- gen liegen uns ja aus allen politi- schen Quellen in reicher Zahl vor.

Wir suchen die Begegnung mit den politischen Parteien — und das

nicht nur auf Ärztetagen — nicht deshalb, weil wir die Medizin und das ärztliche Handeln politisieren wollen, sondern aus der Überzeu- gung heraus, daß der ärztliche Be- ruf von den Entscheidungen der Politik ganz besonders abhängt und nicht — wie manche immer noch meinen — in einem politisch sterilen Raum ausgeübt wird. Wir konnten dabei zugleich die Chance nutzen, unsere Vorstellungen zur ärztlichen Versorgung, zur Gesund- heits- und Sozialpolitik den Pro- grammen der Parteien gegenüber- zustellen.

Zahl der Ärzte wird steil ansteigen

Bevor ich mich diesen politischen Aussagen zuwende, scheint es mir nötig, grundsätzliche Überlegun- gen zur Entwicklung unseres Be- rufsstandes und damit zusammen- hängende Fragen vor Ihnen auszu- breiten. Dies auch deshalb, weil in den letzten Jahren Klagen über eine unzureichende ärztliche Ver- sorgung, über Ärztemangel in Stadtrandgebieten und auf dem Lande, ja, sogar über einen bevor- stehenden Notstand der ärztlichen Versorgung breiten Raum in der Publizistik und auch in den politi- schen Aussagen eingenommen ha- ben.

Dazu einige Zahlen: Nach einem Tiefstand von rund 1200 Studienan- fängern der Humanmedizin 1952 erreichten wir 1970 rund 5100, und 1975 wurden bereits mehr als 7500 deutsche Studienanfänger der Hu- manmedizin registriert. Im Gesund-

heitsbericht der Bundesregierung 1972 wird der Bedarf an Studienan- fängern mit 4500 angegeben. Eine vom Bundeswissenschaftsministe-

rium vor zwei Jahren in Auftrag ge- gebene Studie kommt zu dem Er- gebnis, daß bis zum Ende dieses Jahrhunderts maximal 7500 Stu- dienanfänger den Gesamtbedarf der ärztlichen Versorgung decken werden, wobei eine Zunahme der Nachfrage nach ärztlichen Leistun- gen um 50 bis 60 Prozent unter- stellt wird. Mit dieser Zahl an Stu- dienanfängern wird zum Ende des Jahrhunderts ein Arzt für 340 Ein- wohner zur Verfügung stehen.

Es zeigt sich demnach, daß die in die Zukunft projizierte Bedarfszahl schon jetzt erreicht ist, was erwar- ten läßt, daß auch die Arztdichte von 1 zu 340 nicht erst im Jahre 2000 Wirklichkeit sein wird.

Der zunehmende ärztliche Nach- wuchs zeigt sich schon jetzt in der Zahl der ärztlichen Approbationen.

1950 bis einschließlich 1954 waren es 14 400; in den Jahren 1955 bis einschließlich 1959 nur 4760. Wir erreichten 1960 bis einschließlich 1964 die Zahl von 9322 und in den Jahren 1970 bis einschließlich 1974 nicht weniger als 30 721 ärztliche Approbationen.

Durch diese Entwicklung ist die Zahl der Ärzte von 82 500 im Jahre 1960 auf 134 500 im Jahre 1975 an- gewachsen. Davon befanden sich 56 300 im Krankenhaus, von denen rund 88 Prozent der Nachwuchs- gruppe zuzuordnen sind. Trotz die- ser enormen Zunahme stehen der- zeit noch nicht genügend Ärzte für alle Bereiche ärztlichen Wirkens zur Verfügung. Dies zeigt zum ei- nen, daß strukturelle Lücken in der ärztlichen Versorgung nicht da- durch gefüllt werden können, daß schlicht die Nachwuchszahlen an- gehoben werden, zum anderen zeigt sich darin in beeindruckender Weise, welche Entwicklung die Me- dizin und das Bedürfnis nach ärztli- cher Versorgung in unserem Lande in den hinter uns liegenden Jahr- zehnten genommen hat. Wir wis- sen, daß die Medizin in den letzten

Die Ärzteschaft

im politischen Spannungsfeld

Tagesordnungspunkt 1 des 79. Deutschen Ärztetages:

Grundsatzreferat des Präsidenten der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages, Professor Dr. med. Hans Joachim Sewering

1490 Heft 22 vom 27. Mai 1976

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Blick aus dem Saal auf das Präsidium. Von links nach rechts: Prof. J. F. Volrad Deneke, Hauptgeschäftsführer; Prof. Dr. Hans Joachim Sewering, Präsident der Bundesärztekammer; die beiden Vizepräsidenten, Dr. Horst Bourmer und Dr.

Karsten Vilmar

Bericht und Meinung

Dekaden mehr Fortschritt gemacht hat als vorher in Jahrhunderten..

Das Krankenversicherungssystem der Bundesrepublik hat es möglich gemacht, den Bürgern diesen Fort- schritt voll zu erschließen. Wie wird es weitergehen?

Die bekannten Zahlen der Medizin- studenten lassen erwarten, daß die Zahl der Ärzte in den vor uns lie- genden Jahren steil zunehmen wird. Wird auch die Entwicklung der Medizin in gleicher Weise wei- tergehen oder noch konkreter:

wird es möglich sein, die ärztliche Versorgung auf den verschieden- sten Gebieten entsprechend weiter zu verdichten? Wir sollten dies an einigen Beispielen untersuchen:

Auch Kassen denken schon an Ärzte-Überangebot

Ich beginne mit der Niederlassung in freier Praxis, die nach unseren Vorstellungen mit der kassenärztli- chen Tätigkeit weitgehend iden- tisch ist.

Es sind nicht weniger als 75 Pro- zent aller Ärzte, die ihre Lebens- stellung in diesem Bereich finden.

Sie alle wissen, daß gerade in den letzten Jahren erhebliche Klage darüber geführt wurde, daß zuwe- nig Kassenärzte zur Verfügung stünden! Es scheint so, als ob die- ses Thema an Bedeutung bereits verloren hätte und die Überlegun- gen sich zunehmend einem zukünf- tigen Überangebot an Ärzten zu- wenden würden. Dafür sprechen Ausführungen des Sprechers des Bundesverbandes der Ortskranken- kassen, Herrn Töns, anläßlich einer Anhörung zur Änderung des Kas- senarztrechtes im Ausschuß für Ar- beit und Sozialordnung des Deut- schen Bundestages im November vorigen Jahres. Ich zitiere aus dem stenographischen Protokoll:

„Nicht sichergestellt ist die ärztli- che Versorgung, wenn an dem Ort, wo ein Arzt benötigt wird, kein Arzt erreichbar ist. Dieser Ort ist der Kassenarztsitz. Die Festlegung des Kassenarztsitzes ist daher notwen-

diges unerläßliches Mittel jeglicher Planung in der kassenärztlichen Versorgung. Ja, diese Planung be- steht gerade darin, den Kassen- arztsitz festzulegen. Im Hinblick hierauf ist es durchaus verfehlt, den Kassenarztsitz als Planungs- element aufzugeben, wie das durch die Änderung des § 368 a Abs. 1 und 2 RVO beabsichtigt ist. Nach dieser Regelung soll nicht das Pri- märe der Kassenarztsitz, der Ar- beitsplatz, nach dem sich der Arzt bei einer Niederlassung zu richten hat, bestimmend sein; bestimmend soll vielmehr die Niederlassung sein. Erst, so sieht das Gesetz vor, läßt sich der Arzt nieder, dann wird dadurch sein Ort der Niederlas- sung zum Kassenarztsitz."

„Nach unseren Vorstellungen" — ich zitiere noch Töns — „sollen al- lerdings förmlich nur diejenigen Arztsitze festgelegt werden, die für die ärztliche Versorgung der brei- ten Bevölkerung von existentieller Bedeutung sind. Das mögen 30 000 bis 40 000 sein."

„Sind diese Arztsitze besetzt, dann kann sich nach unserer Vorstel- lung" — so Töns — „jeder Arzt niederlassen, wo er will. Die Be- schäftigung des Arztes für Rech- nung der Krankenversicherung in dieser Weise örtlich zu binden kann nicht als unbillig angesehen werden. Der Arbeitnehmer, die

Masse unserer Bevölkerung, hat kein gesetzlich fundiertes Recht auf einen Arbeitsplatz und schon gar nicht auf einen Arbeitsplatz an einem bestimmten Ort. Welchen Grund gibt es da, dem Kassenarzt, der aus den Beiträgen dieser Ar- beitnehmer bezahlt wird, gleich beides gesetzlich zuzusichern. Die Festsetzung von Kassenarztsitzen ist auch keine Einschränkung der Niederlassungsfreiheit. Niederlas- sen kann sich jeder Arzt, wo er will. Wenn er aber für Rechnung der Krankenkasse tätig sein will, dann muß er sich nach deren und nach den Bedürfnissen der Versi- cherten richten." Ende des Zitats.

Diese Ausführungen sind verständ- licherweise etwas verklausuliert.

Sie lassen aber für den Kenner deutlich werden, daß man offen- sichtlich auf seiten der gesetzli- chen Krankenversicherung bereits Überlegungen darüber anstellt, ob die Krankenversicherung verpflich- tet ist, jede Zahl von nachrücken- den Ärzten in die Kassenpraxis aufzunehmen und ihre Leistungen zu honorieren.

Niederlassungsfreiheit und Sozialpflichtigkeit

Daß man sich auch in politischen Kreisen mit ähnlichen Überlegun- gen zu befassen scheint, zeigen

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 22 vom 27. Mai 1976 1491

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Ausführungen im Entwurf eines ge- sundheitspolitischen Programms der CDU, die sich zwar nicht mit Ärzten, sondern mit Apothekern befaßten. Wir erinnern uns aber sehr wohl, daß das Apothekenurteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1958 im Grunde genommen be- reits die Entscheidung für das Ärz- teurteil vorwegnahm. Ich zitiere aus dem Entwurf des CDU-Pro- grammes:

„Die Zunahme der Apotheken hat zunächst zu einer Verbesserung der Arzneimittelversorgung geführt, gibt jedoch nunmehr zu Bedenken Anlaß. Es besteht die Gefahr, daß unter anderem aus Wettbewerbs- gründen die zum Schutze des Ver- brauchers bestehenden Pflichten nicht voll erfüllt werden. Eine Über- versorgung durch Apotheken gibt also zu gesundheitspolitischen Be- denken Anlaß."

Nach Ausführungen über das un- terschiedliche Recht in der Euro- päischen Gemeinschaft, teils Nie- derlassungsfreiheit, teils Bedürfnis- prüfung, heißt es dann im Pro- grammentwurf weiter — ich zitiere:

„Die CDU fordert daher Einheitlich- keit der Freizügigkeit oder eines Zulassungssystems in allen Län- dern der Europäischen Gemein- schaft, kritische Beobachtungen der Entwicklung in der Bundesre- publik und gegebenenfalls Prüfung der Möglichkeit, eine Begrenzung der Niederlassungsfreiheit vorzuse- hen."

• Es liegt nahe, aus den zitierten Äußerungen den Schluß zu ziehen, daß wir möglicherweise eines Ta- ges mit gleichartigen Überlegun- gen einer Begrenzung der Nieder- lassungsfreiheit auch im ärztlichen Bereich konfrontiert werden könn- ten.

• Ich halte es deshalb für gebo- ten, daß wir uns Gedanken darüber machen, wie der Grundsatz der freien Entscheidung des einzelnen Arztes über die Art und Weise ei- ner Berufstätigkeit einschließlich der freien Niederlassung mit dem Anrecht unserer Mitbürger auf gleichmäßige ärztliche Versor-

gung in allen Bereichen in Ein- klang gebracht werden kann. Vor dem A- und S-Ausschuß des Deut- schen Bundestages habe ich er- kärt, daß wir uns zur Sozialpflich- tigkeit unseres Berufes bekennen.

Wenn wir das Vertrauen unserer Mitbürger nicht erschüttern wollen, darf an diesem Bekenntnis auch in der Zukunft kein berechtigter Zwei- fel aufkommen.

Ziel: Gesunde Relation Allgemeinärzte — Fachärzte

Bei den niedergelassenen Ärzten kommt dem Verhältnis Allgemein- ärzte — Fachärzte besondere Be- deutung für die ärztliche Versor- gung zu. Die Veränderung in die- sem Verhältnis in der freien Praxis in den letzten 15 Jahren halte ich für besonders ernst. Während An- fang der 60er Jahre noch etwa zwei Drittel der niedergelassenen Ärzte Allgemeinärzte und nur ein Drittel Fachärzte waren, stehen heute im Bundesdurchschnitt etwa 54 Prozent Allgemeinärzten 46 Pro- zent niedergelassene Fachärzte gegenüber. Diese Verschiebung der Relation muß mit als ursächlich dafür angesehen werden, wenn uns für ländliche Bereiche zu wenig Allgemeinärzte zur Verfügung ste- hen, während die Zahl der Fach- ärzte in den Ballungsgebieten ste- tig zunimmt.

Die Sorgen werden noch weiter verstärkt, wenn man erfährt, daß in einem kurz zurückliegenden Zeit- raum nur 32 Prozent der neuzuge- lassenen Kassenärzte Allgemein- ärzte, aber 68 Prozent Fachärzte waren. Unter diesen lagen die In- ternisten weit an der Spitze.

Wir wissen alle, daß es keine regle- mentierenden Steuerungsmecha- nismen für den ärztlichen Nach- wuchs gibt, und wir wünschen sie auch nicht herbei. Jeder junge Arzt soll die freie Entscheidung darüber haben, welchem Gebiet er sich zu- wenden will, in welcher Art und Weise er seine ärztliche Tätigkeit in Lebensstellung auszuüben wünscht.

Die Entscheidung, sich als Fach- arzt in freier Praxis niederzulassen, wird durch unser System der kas- senärztlichen Versorgung zweifel- los begünstigt. Der Versicherte hat die freie Wahl unter den Kassen- ärzten; er kann also ohne eigene Belastung auch den Facharzt di- rekt in Anspruch nehmen, wenn er zu wissen glaubt, in welches Fach- gebiet seine Erkrankung fällt. Der niedergelassene Facharzt ist also nicht auf Patienten beschränkt, die ihm der Hausarzt, also der Allge- meinarzt, zuweist, wie dies etwa in den Niederlanden oder in Großbri- tannien der Fall ist. Nachdem aus wohlüberlegten Gründen niemand daran denkt, an diesem Prinzip der freien Arztwahl zu rütteln — die Er- fahrungen in den genannten Län- dern würden solche Überlegungen auch keinesfalls begünstigen, müs- sen wir nach anderen Möglichkei- ten suchen, das Interesse an der Allgemeinmedizin zu fördern, der Kassenpraxis ausreichend Allge- meinärzte zuzuführen.

Dazu einige Überlegungen:

Nach der Approbationsordnung war die Allgemeinpraxis zunächst der erste und wesentlichste Bereich für die Ableistung der Famulatur. In- zwischen wurden alle niedergelas- senen Ärzte einbezogen. Ich sehe aber gerade in der Begegnung des Studenten mit dem Allgemeinarzt in seiner eigenen Praxis die mit Ab- stand bedeutsamste Möglichkeit, den jungen Mediziner für diese Art der ärztlichen Tätigkeit zu gewin- nen und zu begeistern.

• Es muß also unser besonderes Anliegen sein, möglichst viele All- gemeinärzte davon zu überzeugen, daß sie nicht nur eine bedeutende Aufgabe der ärztlichen Versorgung erfüllen, sondern darüber hinaus geradezu Apostel der Allgemein- medizin bei unserem ärztlichen Nachwuchs sein müssen.

• Eine weitere Möglichkeit, den Studenten der Medizin an die All- gemeinmedizin heranzuführen, er- öffnet sich durch die Erteilung von Lehraufträgen an unseren medizi-

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Heft 22 vom 27. Mai 1976

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Bericht und Meinung

Präsidenten und Referenten, Pressestelle und Journalisten widmeten sich wie gewohnt dem Meinungsaustausch über die Themen des Ärztetages. Das öffentliche Echo war allerdings geschmälert; erst am Schluß der Ärztetagswoche erschienen die Tageszeitungen wieder in vollem Umfang. Nur über Funk und Fernsehen drangen während der Ärztetagswoche regelmäßige Informationen vom 79. Deutschen Ärztetag nach „draußen". Bild links: Blick in eine Pressekonferenz; Bild rechts: Lambert Dalbert vom WDR-Fernsehen interviewt eingehend Prof. Dr. Hans Joachim Sewering über die Ergebnisse dieses Ärztetages

nischen Fachbereichen, also die Lehrtätigkeit von Allgemeinärzten.

Hier ist — nachdem einige „Pionie- re" den Anfang gemacht haben — noch viel zu tun. Unser Ziel muß es sein, der Allgemeinmedizin an al- len Fachbereichen den nötigen Platz einzuräumen.

Dies ist allerdings nicht nur eine organisatorische Frage. Es bedarf auch der persönlichen Bereitschaft und Eignung von Allgemeinärzten, die sich für diese Aufgabe zur Ver- fügung stellen. Ich vertrete die Auf- fassung, daß Allgemeinmedizin nur von praktizierenden Allgemeinärz- ten, welche zusätzlich die Befähi- gung zum Lehren haben, überzeu- gend vermittelt werden kann. Dem beamteten Professor für Allgemein- medizin wird zwangsläufig die Überzeugungskraft und Ausstrah- lung fehlen, die nur aus dem tägli- chen Erlebnis der Allgemeinmedi- zin in der Praxis erwachsen kann.

• Schließlich muß auch an den Krankenhäusern sichergestellt wer- den, daß ein junger Arzt, der sein Berufsziel in der Allgemeinmedizin sieht, in seiner beruflichen Ent- wicklung nicht dadurch behindert wird, daß ihm der Wechsel von ei- ner Fachabteilung zur anderen er- schwert oder unmöglich gemacht wird. Wer Allgemeinarzt werden will, der kann nun einmal nicht jah- relang in der inneren Medizin oder

Chirurgie verbringen; er muß meh- rere Gebiete kennenlernen und wird trotzdem ein vollwertiger Mit- arbeiter in seiner jeweiligen Abtei- lung sein.

• Alle diese Bemühungen dienen dem einen Ziel, eine gesunde, den Bedürfnissen und Notwendigkeiten der ärztlichen Versorgung entspre- chende Relation zwischen nieder- gelassenen Allgemeinärzten und Fachärzten herzustellen. Wir soll- ten uns darüber einig sein, daß das gesamte derzeitige System der kassenärztlichen Versorgung, der freien Niederlassung und der freien Arztwahl mit einer ausreichenden Zahl von Allgemeinärzten steht und fällt! An dieser Feststellung ändert auch der Umstand nichts, daß in Ballungsgebieten ein Teil der ärzt- lichen Primärversorgung von nie- dergelassenen Fachärzten über- nommen worden ist.

Ich stelle zur Diskussion, ob wir nicht alle Bemühungen darauf rich- ten sollten, ein Verhältnis von 60 Prozent Allgemeinärzten zu 40 Pro- zent Fachärzten in der freien Pra- xis anzustreben. Die Mindestforde- rung sehe ich jedenfalls in der Er- haltung der derzeitigen Relation.

Eine Zukunft wird dem neu zu schaffenden Gebiet der Arbeitsme- dizin vorausgesagt. Man spricht von 6500 Vollzeitstellen, die erfor-

derlich seien, um alle Betriebe werksärztlich zu versorgen. Die Schaffung dieser Stellen wird sich über Jahre erstrecken. Von den Nachwuchszahlen her gesehen, müßte es ohne Schwierigkeiten möglich sein, sie zu besetzen. Eine wesentliche Voraussetzung schaf- fen wir auch durch die Einführung der Gebietsbezeichnung „Arbeits- medizin". Es bleibt abzuwarten, ob dafür genügend Weiterbildungs- stätten angeboten werden. Im übri- gen muß sich aber wohl erst zei- gen, in welchen Bereichen es über- haupt sinnvoll ist, hauptamtliche Werksärzte einzusetzen. Für die Masse der Klein- und Mittelbetrie- be scheint mir die nebenamtliche werksärztliche Betreuung durch praktizierende Ärzte oder solche in einem anderen Hauptamt der ange- messenere Weg zu sein. Die Schaf- fung einer Zusatzbezeichnung ge- rade für diese Ärzte soll die Ent- wicklung fördern.

• Über eines sollten wir keinen Zweifel aufkommen lassen: Werks- ärztliche Tätigkeit bedeutet Schutz der arbeitenden Menschen vor den Gefahren des Arbeitsplat- zes. Versuche, daraus eine allge- meine Betriebspraxis zu machen, werden auf den härtesten Wider- stand der Ärzte stoßen. Wir hoffen, daß auch die in den Betrieben Täti- gen selbst wissen, welchen Wert die freie Arztwahl für sie hat — im

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 22 vom 27. Mai 1976

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Gegensatz zu einer Betriebspraxis, deren Auslastung mit sanftem

Druck erreicht werden könnte.

Mit Entwicklungsproblemen und Nachwuchssorgen zugleich bela- stet ist das Gebiet der Psychiatrie.

Am 25. November 1975 wurde der

„Bericht über die Lage der Psych- iatrie in der Bundesrepublik Deutschland — zur psychiatrischen und psychotherapeutisch/psycho- somatischen Versorgung der Be- völkerung" dem Bundestag über- geben. Mit großem Fleiß ist ein imponierendes Material zusammen- getragen und von zahlreichen Wis- senschaftlern und Fachleuten, überwiegend allerdings aus dem stationären und institutionellen Be- reich, bearbeitet worden. Dabei wurden auch die Ergebnisse der aus diesem Anlaß durchgeführten Studienreisen in ausländische Staa- ten eingehend gewürdigt.

Psychiatrie: Tatkräftig an Verbesserung mitwirken

Der Bericht über die Lage der Psychiatrie, die sogenannte

„Psychiatrie-Enquete", ist auf zwei Bände verteilt: den Schlußbericht mit 426 Seiten und den Anhang mit 1192 Seiten, der das gesammelte Material, die Gutachten, die Anhö- rungen sowie den Tätigkeitsbericht enthält. So verständlich es ist, daß der gewaltige Umfang des Berich- tes von zusammen 1618 Seiten vie- le am Berichtsergebnis Interessier- te resignierend nur die 36seitige Zusammenfassung als Auszug aus dem Bericht lesen läßt: Wir werden eine Stellungnahme und kritische Würdigung der Psychiatrie-Enque- te, aber auch der Sondervoten und Stellungnahmen nach eingehen- dem Studium des Gesamtberichtes durch unsere zuständigen Gremien abgeben. Dies besonders, da er- staunlicherweise die leider meist allein gelesene Zusammenfassung Feststellungen, Angaben und Zah- len enthält, die im Originalbericht überhaupt nicht enthalten sind, dennoch aber weite Verbreitung und Beachtung fanden. Dies gilt beispielsweise für die Feststellung:

Etwa jeder dritte Bundesbür-

ger hat bereits einmal in seinem Leben irgendeine psychische Krankheit durchgemacht und leidet noch daran."

Wir Ärzte wollen an der Verbesse- rung der psychiatrischen, psycho- therapeutischen und psychosomati- schen Versorgung der Bevölkerung tatkräftig mitwirken. Die Behand- lung dieses Themas auf dem Deut- schen Ärztetag 1971 in Stuttgart, die wesentlich Anstoß zur breiten Diskussion dieses Themas gab, mag als Beispiel dafür stehen. Un- sere Zusammenarbeit mit dem Be- rufsverband der Psychologen sei als weiterer, höchst praktischer Beitrag angeführt. Mag es auch Verbesserungsmöglichkeiten ohne großen finanziellen Aufwand ge- ben, an einer Feststellung ist nicht zu zweifeln: Die wirkungsvolle Ver- besserung der Versorgung dieser Patienten wird Geld kosten! Das den Bericht begleitende Schreiben des Ministers für Jugend, Familie und Gesundheit läßt in dieser Hin- sicht allerdings keinen Zweifel, daß die Realisierung nur sehr langsam und abgestuft möglich ist und zu- sätzliche Mittel gegenwärtig nicht aufgebracht werden können.

Ich möchte diese Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, ohne unseren Kollegen in diesen Krankenhäu- sern und allen ihren Mitarbeitern, vor allem dem Pflegepersonal, un- seren besonderen Dank und unse- re Hochachtung für die bewun- dernswerte Erfüllung ihrer so be- sonders schweren Aufgabe zum Ausdruck zu bringen. Sie sollen wissen, daß wir voll auf ihrer Seite stehen, wenn sie neben ihrer schweren Berufsarbeit auch noch veröffentlichte Diffamierungen hin- nehmen müssen.

• Das Interesse des ärztlichen Nachwuchses an der Psychiatrie zu fördern muß ein besonderes Anliegen sein. Dem dient es aller- dings nicht, wenn man zunehmend versucht, psychiatrische Institutio- nen auch in die ambulante psych- iatrische Versorgung einzuschalten mit der Folge, daß der Beruf des Psychiaters mehr und mehr ohne

Wahlmöglichkeit an ein Angestell- tenverhältnis gebunden sein würde.

Auch für den Bereich der ambulan- ten nervenärztlichen Versorgung ist der niedergelassene Arzt der beste Partner seiner Patienten.

Chirurgie und Anästhesie:

Mangel an Nachwuchs

Ein Gebiet mit echtem Mangel an Nachwuchs ist auch die Chirurgie geworden. Das liegt keineswegs an einer verblassenden Faszination dieses Gebietes! Ich sehe in die- sem Mangel eine konsequente Fol- ge einer verfehlten Personalpolitik, die sich kaum in einem anderen Fach so unglücklich auswirkte wie in der Chirurgie, weil dieses Fach die geringsten Ausweichmöglich- keiten in die freie Praxis hat. Von zehn jungen Ärzten, welche die An- erkennung für das Gebiet der Chir- urgie erhalten, kann nach heutigen Verhältnissen kaum einer damit rechnen, eine entsprechende Le- bensstellung zu finden.

• In keinem Gebiet der ärztlichen Berufsausübung läßt sich so über- zeugend demonstrieren, wie not- wendig die Schaffung von wesent- lich mehr Lebensstellungen für Ärzte an Krankenanstalten ist, die gleichberechtigt nebeneinander tä- tig sein können. Dies ist der einzi- ge Weg, der die Chirurgie aus ihrer personellen Krise herausführen kann.

Dabei sollte man endlich auch ein- sehen, daß der Begriff „Chirurg"

nicht identisch sein muß mit

„hauptamtlicher Arzt". Der Chirurg hat zwar seinen Schwerpunkt im Krankenhaus, er muß aber nicht minder auch für die ambulante ärztliche Versorgung zur Verfü- gung stehen. Mehrere Chirurgen an einem Haus können also genau- sogut freipraktizierende Belegärzte als hauptamtliche Krankenhausärz- te sein.

Ähnliche Überlegungen lassen sich für die Anästhesie anstellen, ein Gebiet, das derzeit ebenfalls über Mangel an Nachwuchs klagt. Ich muß mich auf diese beispielhaften Hinweise beschränken.

1494 Heft 22 vom 27. Mai 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Zusammenarbeit von Praxis und Klinik

Damit bin ich bei einer der derzeit meistdiskutierten Fragen der ärzt- lichen Versorgung angelangt: Bei der Zusammenarbeit von Praxis und Klinik. Gerade diese Frage hat auch in den gesundheitspolitischen Programmen der Parteien beson- deres Gewicht. Kommt ihr dies tat- sächlich zu?

Auszugehen ist davon, daß nach wie vor 90 Prozent der Morbidität in den ambulanten und nur 10 Pro- zent in den stationären Bereich fal- len. Von den 10 Prozent der Fälle, die vom ambulanten in den statio- nären Bereich überwechseln, sind ein guter Teil Akutfälle. Bei ihnen scheidet vorstationäre Diagnostik aus. Vielleicht drei von zehn Fällen sind vorgeplante Einweisungen.

Sie lassen sich in aller Regel in der ambulanten Praxis so weit abklä- ren, daß die nur stationär mögliche Therapie sofort einsetzen kann.

Darunter fallen zum Beispiel ein großer Teil der operativen Behand- lungsfälle.

..,.. Schon diese Zahlen müssen den Verdacht erwecken, daß die gera- dezu zum Hauptschuldigen der Ko- stenentwicklung hochgespielte

"starre Grenze" zwischen ambu- lanter und stationärer Behandlung nicht ohne sehr hintergründige Überlegungen so besonders in das Blickfeld des öffentlichen Interes- ses gerückt worden ist.

Um nicht mißverstanden zu wer- den: Im Zuge einer weiteren Ver- besserung der ärztlichen Versor- gung und in dem Bestreben, Ko- sten zu sparen, müssen wir auch darauf achten, daß stationäre Kran- ken hausautenthalte vermieden werden, wo immer es möglich ist, und unvermeidbare so kurz gehal- ten werden, als es der einzelne Fall gestattet.

..,.. Die Durchführung aller diagno- stischen Maßnahmen vor der Ent- scheidung über eine stationäre Krankenhausaufnahme gehört aber in aller Regel nicht zu den Aufga-

ben des Krankenhauses, sondern ist eine der wesentlichsten Pflich- ten des niedergelassenen Kassen- arztes, bei Bedarf des fachlich zu- ständigen persönlich beteiligten

Krankenhausarztes.

..,.. Das bedeutet keineswegs, daß · nun jeder einzelne Kassenarzt alle nur denkbaren medizinisch-techni- schen Einrichtungen vorhalten soll- te, um eine so weitgehende Dia- gnostik zu betreiben. Der Auftrag zur Sicherstellung der kassenärztli- chen Versorgung ist ein gemeinsa- mer Auftrag an alle Kassenärzte; er kann von ihnen nur erfüllt werden, wenn jeder in seinem Bereich den nötigen Beitrag leistet. Daraus er- gibt sich ganz von selbst, daß der einzelne Kassenarzt auch nur die- jenigen Einrichtungen und Appara- turen vorhalten soll, deren ausrei- chende Aus/astung in seiner Praxis gewährleistet ist.

Dieser Grundsatz hat sich schon deshalb ohne Reglementierung weitgehend durchgesetzt, weil die Kassenärzte ja die einzigen im Be- reich des Gesundheitswesens mit- wirkenden Personen sind, die für jede ihrer Handlungen, sei es bei den Investitionen, sei es bei ihrer ärztlichen Tätigkeit, das höchst-

persönliche Risiko tragen.

e

Dennoch werden wir alles tun, um Fehlentwicklungen zu vermei- den und die interdisziplinäre Zu- sammenarbeit der niedergelasse- nen Ärzte weiter zu fördern. Dazu gehört auch die Bildung von Ge- meinschaftspraxen und die ge- meinsame Benützung von Appara- ten, das Tätigwerden unter "einem Dach".

Die fachliche Zusammensetzung der Kassenärzte und ihre apparati-

ve

Ausstattung straft schon heute jene Lügen, die behaupteten, die Öffnung der Krankenhäuser für ambulante Untersuchungen sei auch deshalb erforderlich, um dem Versicherten moderne Apparate nutzbar zu machen. Wo dies im Einzelfall erforderlich ist, geschieht es oder kann schon jetzt gesche- hen, ganz abgesehen davon, daß

Bericht

und

Meinung

alle Universitätskliniken ohnedies Polikliniken haben, die allen Versi- cherten zur Verfügung stehen.

e

Eine lnstitutionalisierung der vorstationären Diagnostik und nachstationären Behandlung bringt für den Patienten also keine Ver- besserung. Die Verbindung des Monopols der Krankenhäuser für die stationäre Behandlung mit der Chance, auch im ambulanten ärztli- chen Bereich wesentlich tätig sein zu können, würde aber die Arbeits- möglichkeit der niedergelassenen Ärzte und damit die Zukunftschan- cen des ärztlichen Nachwuchses ernsthaft gefährden.

Dies möchte ich erneut begründen:

Schon wiederholt habe ich drin- gend davor gewarnt, die Einfüh- rung der vorstationären Diagnostik durch das Krankenhaus an den we- nigen Fällen zu messen, die nach objektiven Gesichtspunkten dafür in Frage kämen. Welche Zukunfts- möglichkeiten von anderer Seite in ihrer Einführung gesehen wer- den, zeigt deutlich eine Äußerung eines Sprechers der Krankenversi- cherung. Er schrieb:

"Überdies darf er (gemeint ist der Kassenarzt), damit der Rahmen des Wirtschaftlichen eingehalten wird, Diagnostik nur betreiben, so- weit das für die Zwecke der kas- senärztlichen Versorgung notwen- dig ist. Sobald er erkennt, daß eine Krankenhausbehandlung notwen- dig ist, muß seine Diagnostik en- den bzw. sie ist dem Krankenhaus zu überlassen. Insbesondere wäre es völlig abwegig, wollte er in der ambulanten Behandlung Art und Voraussetzungen der von den Krankenhausärzten einzuschlagen- den Therapie abklären. Das ist al- lein Sache der Krankenhausärzte.

Ihre Aufgabe ist es, die hierfür er- forderlichen Untersuchungen an- zuordnen bzw. vorzunehmen."

"Krankenhausambulatorium"

oder MTZ: Spalt in der Tür ...

..,.. Hier wird klipp und klar das ei- gentliche Ziel offenbart: Die Her- auslösung der qualifizierten Dia-

DEUTSCHES ARZTEBLA'IT

Heft 22 vom 27. Mai 1976

1495

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gnostik mit medizinisch-techni- schen Hilfen aus der ambulanten Praxis und ihre Verlegung in das Krankenhaus. Ob man dann vom

„Krankenhausambulatorium", oder wie es so schön umschrieben im Programm der SPD heißt: „Me- dizinisch-Technischen Zentrum"

spricht, das räumlich eng mit dem Krankenhaus verbunden sein müs- se, ist belanglos.

• Die Einführung der vorstationä- ren Diagnostik und nachstationä- ren Behandlung erweist sich damit als der so harmlos erscheinende Spalt in der Türe, die dann aber je nach politischem Geschmack be- liebig weit geöffnet werden kann.

Eine überraschende weitere Be- gründung findet sich in einem Satz aus einer Presseverlautbarung der Deutschen Krankenhausgesell- schaft vom November 1975:

„Die DKG bezweifelt, daß das frag- würdige Experiment, den Lei- stungsumfang der niedergelasse- nen Ärzte auf Kosten der Kranken- hausversorgung auszuweiten, damit erkauft werden kann, daß man die Zahl der Arbeitslosen noch erhöht, indem man Krankenhauspersonal im Zuge der Stillegung von Betten entläßt."

• Das würde heißen, Ambulanz im Krankenhaus zur Aufrechterhaltung des Personalstandes trotz Reduzie- rung der Bettenzahl. Dieser Aus- weg wird von uns abgelehnt. Es muß ja — zunächst einmal — ge- klärt werden, welche Auswirkungen eine verkürzte Verweildauer über- haupt auf die personelle Besetzung des Krankenhauses hat. Es könnte sich auch herausstellen, daß we- gen des rascheren Umschlages pro Bett mehr Personal als bisher erforderlich sein wird.

Grundsatz

der Aufgabenteilung hat sich bewährt

Unsere ärztliche Versorgung geht derzeit von dem Grundsatz der Aufgabenteilung zwischen nieder- gelassenen Ärzten einerseits und Krankenhausärzten andererseits

aus. Jeder Arzt kann frei entschei- den, welchem Bereich er sich zu- wenden will. Dieser Grundsatz hat sich bewährt. Ich warne davor, ihn zugunsten verwaschener neuer Modelle aufzugeben. Gerade die Anerkennung des Grundsatzes der Aufgabenteilung macht es — ohne die Gefahr innerärztlicher Konflikte

— möglich, der einen oder ande- ren Seite zusätzliche Aufgaben zu- zuweisen.

Es ist ein bewährtes Prinzip unse- res Kassenarztrechtes, daß haupt- amtliche Krankenhausärzte dort an der kassenärztlichen Versorgung auf Überweisung teilnehmen, wo dafür ein Bedürfnis besteht — und hier gibt es viele Möglichkeiten.

Dabei sollte sich die Beteiligung an den besonderen Erfahrungen und Leistungen des einzelnen Kranken- hausarztes orientieren und nicht an seiner zufälligen Einordnung in die Hierarchie seines Krankenhauses.

Auf der anderen Seite gestattet das Prinzip der Aufgabenteilung zwang- los den Ausbau belegärztlicher Tätigkeit durch niedergelassene Ärzte. Ich wehre mich mit Ent- schiedenheit dagegen, die Begrün- dung für Fortführung und Ausbau der belegärztlichen Tätigkeit in der

„Überwindung der starren Grenzen zwischen ambulant und stationär"

oder gar „in der Kostenersparnis durch diese Überwindung" zu se- hen. Die belegärztliche Tätigkeit ist auf solche vordergründigen Argu- mente keineswegs angewiesen.

Wenn man — um es an einem Bei- spiel zu verdeutlichen — davon ausgeht, daß eine Frau in Jahr- zehnten ihres Lebens, die sie ihren Frauenarzt aufsucht, in aller Regel nur wenige Wochen stationärer Be- handlung bedarf, so liegt allein darin schon eine durch nichts zu widerlegende Begründung, dem ambulant tätigen Frauenarzt und seiner Patientin die Chance zu ge- ben, ihr über Jahre bestehendes Vertrauensverhältnis auch in den kurzen Spannen stationärer Be- handlung fortzusetzen. Die intime Kenntnis des körperlichen Zustan- des und gesundheitlicher Proble-

me, gewonnen in jahrelanger am- bulanter Behandlung, schafft gera- dezu ideale Voraussetzungen für eine stationäre Behandlung. Darin sehe ich eine echte Begründung für die Berechtigung belegärztli- cher Tätigkeit. Das Beispiel der Frauenheilkunde läßt sich ohne Zwang auf viele Bereiche ärztlicher Tätigkeit übertragen.

Jeder Patient, der einen Augenarzt, einen HNO-Arzt oder Urologen auf- sucht, wird froh darüber sein, wenn das Vertrauensverhältnis, das ihn zu diesem Arzt führte, auch bei sta- tionärer Behandlung nicht unter- brochen wird. Für die Möglichkeit, im nahe gelegenen heimatlichen Krankenhaus behandelt zu werden, ist der Patient besonders dankbar.

Die damit verbundene Kostener- sparnis ist ein weiterer wesentli- cher Faktor, der beachtet werden muß.

Noch ein weiteres Argument muß für den Ausbau belegärztlicher Tä- tigkeit ins Feld geführt werden:

Eine gleichmäßige ärztliche Ver- sorgung in allen Teilen unseres Landes macht es zwingend erfor- derlich, daß den Ärzten, soweit notwendig, auch Betten in regiona- len Krankenhäusern zur Verfügung stehen. Hier zeigt sich in besonde- rer Weise die Notwendigkeit, am- bulante und stationäre Behandlung in der Planung zu verbinden.

Daß der belegärztlichen Tätigkeit Grenzen gesetzt sind, ist nicht um- stritten. In Bereichen, die jedem von uns geläufig sind, müssen sich Ärzte völlig der klinischen Tätigkeit widmen, sei es in übergeordneten Zentren oder in Einrichtungen an Universitäten. Auch die Vorhaltung besonders aufwendiger Einrichtun- gen für seltene oder Risikofälle be- darf einer Zusammenfassung in zentralen Einrichtungen.

Weder die eine, noch die andere Art der ärztlichen Tätigkeit am Krankenhaus sollte deshalb zum Dogma erhoben werden. Es geht um ein gesundes Nebeneinander und nicht um ein Entweder- Oder.

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Bericht und Meinung Grundsatzreferat

Aber auch dann, wenn der Patient vom freipraktizierenden Arzt an den hauptamtlichen Krankenhaus- arzt weitergegeben wird, kann durch Übergabe bereits erhobener Befunde die Zusammenarbeit eng und komplikationslos gestaltet werden.

Die Beachtung des Grundsatzes der Aufgabenteilung zwischen am- bulant und stationär tätigen Ärzten mit den aufgezeigten Möglichkei- ten des Ineinandergreifens ist so- mit geeignet, nicht nur eine best- mögliche ärztliche Versorgung, sondern zugleich die Zukunftschan- cen unserer jungen Ärzte, die freie Wahl ihrer beruflichen Tätigkeit, zu sichern.

Maßnahmen

zur Gesundheitsvorsorge

Breiten Raum in den gesundheits- politischen Programmen, wenn auch mit deutlicher Abstufung, nehmen die Maßnahmen zur Ge- sundheitsvorsorge ein. Die Skala reicht von der Forderung nach im- mer mehr Gesundheitsvorsorgeun- tersuchungen bei der SPD bis zu einer sehr zurückhaltenden Beurtei- lung im schon zitierten Programm- entwurf der CDU.

Aus ärztlicher Sicht lassen sich heute einige gesicherte Aussagen machen. Trotz geäußerter wissen- schaftlicher Zweifel an der Wirk- samkeit eingeführter Vorsorgepro- gramme sollten wir daran festhal- ten, daß es im Interesse unserer Mitmenschen liegt, für schicksals- bedingte Erkrankungen Vorsorge- untersuchungen dann durchzufüh- ren, wenn mit relativ geringem Auf- wand optimale Ergebnisse erwartet werden können. Das trifft zu für die Untersuchungen der Neugebore- nen, Säuglinge und Kleinkinder und ebenso für die eingeführten Krebsvorsorgeuntersuchungen für Frauen und Männer.

Wert und Bedeutung der ärztlichen Betreuung während der Schwan- gerschaft läßt sich bereits an Zah- len ablesen. Die Komplikationsrate bei Mutter und Kind ist bei Frauen

nach regelmäßig durchgeführter ärztlicher Betreuung während der Schwangerschaft signifikant gerin- ger. Uns allen ist bekannt, wo die Grenzen der Methoden liegen. Si- cher optimal ist die Zytologie. Die Palpation der Brust erfaßt schon nicht mehr den ersten Beginn des Mammakarzinoms. Der tastende Finger fühlt das bereits vorhande- ne Prostatakarzinom, er trifft nur das tiefsitzende Rektumkarzinom.

Wenn es entsprechende Ausmaße erreicht hat. Die Mammographie und die Rektoskopie sind Metho- den der kurativen Medizin. Sie wer- den „nach ärztlichem Ermessen"

eingesetzt. Vielleicht überflüssig, vielleicht zu spät. Sie regelmäßig, also in jedem Falle, durchzuführen würde andererseits einen Aufwand erfordern, der nicht zu verkraften ist, von den Kosten abgesehen.

• Der Einführung von Vorsorgeun- tersuchungen für Herz-Kreislauf-Ri- siken wird jedoch jeder Erfolg ver- sagt bleiben, wenn es nicht gelingt, eine Bewußtseinsänderung unserer Bevölkerung hinsichtlich der Be- deutung der Lebensführung zu er- reichen.

• Das Schicksal des einzelnen Menschen kann beeinflußt werden durch die Vermeidung der Zigaret- te, größerer Alkoholmengen oder der Überernährung. Es wird nicht beeinflußt durch die alleinige Fest- stellung bereits vorhandener Schä- den persönlichen Fehlverhaltens, besonders, wenn, wie die Erfahrun- gen lehren, in aller Regel nicht da- mit gerechnet werden kann, daß trotz ihrer Feststellung Konsequen- zen gezogen werden.

Das Thema wurde oft genug be- handelt und soll heute nicht weiter vertieft werden. Es würde eine Ta- gesordnung füllen.

Problem Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

Wenden wir uns damit einer der heikelsten Fragen unserer gesund- heits- und sozialpolitischen Diskus- sion, nämlich der Kostenentwick-

lung im Gesundheitswesen, zu.

Niemand wird sich der Sorge ent- ziehen können, daß die Aufwen- dungen für die soziale Sicherung einschließlich der gesundheitlichen Betreuung unserer Versicherten — das sind runde 95 Prozent unserer Bevölkerung — Größenordnungen erreicht haben, die, würden sie gleichermaßen weiterwachsen, auch volkswirtschaftlich erheblich negative Auswirkungen haben könnten. Die Kosten der Kranken- versicherung stehen dabei — aus welchen Gründen auch immer — derzeit im Vordergrund der Diskus- sion.

Die vor wenigen Wochen erschie- nene zweite „Geißler-Studie" hat neue Beiträge zur Diskussion ge- liefert. Man kann zu den Prognosen stehen, wie man will — man kann die Art und Weise der Fortschrei- bung der Kostenentwicklung an- zweifeln, ohne bereits von einem

„Horrorgemälde" zu sprechen, die Zahlen sind dennoch von hohem Interesse. So wird angegeben, daß die vorausberechnete Kostenstei- gerung von 1960 bis 1980 bei den Verwaltungskosten der gesetzli- chen Krankenversicherung 790 Prozent ausmache, bei der ambu- lanten Behandlung durch Ärzte aber nur wenig höher, mit 890 Pro- zent veranschlagt wird. Die Kosten- entwicklung im Krankenhausbe- reich mit sage und schreibe 2180 Prozent erscheint demgegenüber geradezu atemberaubend.

Dabei verkenne ich keineswegs, daß zu den Kosten der ambulan- ten Behandlung schlechthin natür- lich auch diejenigen für Arzneien ; Heil- und Hilfsmittel zu rechnen sind, deren Steigerung für den gleichen Zeitraum mit 1600 Prozent veranschlagt wird.

Wenn dadurch die Steigerung der Gesamtkosten im ambulanten Sek- tor nach Geißler mit rund 2500 Prozent höher liegt als die der Krankenhauskosten mit 2180 Pro- zent, so sollten diejenigen, die dar- auf hinweisen, auch zugeben, daß im ambulanten Sektor, wie ich schon ausgeführt habe, 90 Prozent, im stationären aber nur zehn Pro-

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zent der Morbidität verkraftet wer- den müssen. Ganz abgesehen da- von, daß man bei einem solchen Vergleich im ambulanten Bereich die gleichen Arzneimittelpreise zu- grunde legen müßte, welche für Krankenhäuser gelten.

~ Dennoch scheint es mir sach- lich geboten, unsere Krankenhäu- ser vor der Rolle des "Buhman- nes" der Kostenentwicklung in Schutz zu nehmen. Die wesentlich- sten Faktoren der Kostenentwick- lung in den letzten 15 bis 20 Jahren sind nicht von den Krankenhäusern oder Krankenhausträgern zu ver- antworten.

~ Sie haben weder die Arbeitszeit- verkürzung zu vertreten noch die allseits begrüßte Verbesserung der Stellenpläne oder den Anstieg der sonstigen Fixkosten, welche den Etat eines Krankenhauses bela- sten. Sie sind auch nicht daran schuld, wenn allenthalben Ordens- frauen durch Tarifangestellte er- setzt werden mußten.

~ Gerade zu den Stellenplänen muß vermerkt werden, daß sie in erster Linie die Konsequenz eines verbesserten ärztlichen und pflege- rischen Angebotes sind. Den Ko- stendruck durch einfache Einspa- rung von Planstellen zu mildern würde deshalb eine Verschlechte- rung für die Krankenhauspatienten zur Folge haben.

~ Schließlich darf der guten Ord- nung halber noch festgestellt wer- den, daß auch die Bezüge der Krankenhausärzte der Tariford- nung entsprechen. Es ist höchst bedauerlich, daß durch die Art und Weise der Bekanntgabe eines Ein- zelfalles zu hoch abgerechneter Überstunden der Eindruck erweckt wurde, als ob die jungen Kranken- hausärzte für Nachtdienst und Überstunden das Geld sackweise abholen würden! Extraordinäre Ge- hälter für Krankenhausärzte gibt es nur dort, wo das Liquidationsrecht der leitenden Ärzte falschen Vor- stellungen einer fehlgeleiteten Krankenhauspolitik geopfert wur- de.

Eine Reihe von Faktoren, welche die Kostenentwicklung auf dem Krankenhaussektor in der hinter uns liegenden Zeit bestimmten, werden sich in der vor uns liegen- den Zeit nicht in gleicher Weise wiederholen. Die lineare Fort- schreibung der Kostenentwicklung muß demnach bedenklich erschei- nen. Andererseits ist aber nicht zu verkennen, daß der von der Öffent- lichkeit und den politischen Kräf- ten ausgeübte Druck auf eine im- mer stärkere Vermehrung der Krankenhausbetten einen Zustand des Überangebotes in weiten Be- reichen bewirkt hat, aus dem sich ein weiterer Kostenauftrieb erge- ben mußte.

Auch ein anderer kostentreibender Faktor kann nicht übersehen wer- den: Es ist der Hang zum Superla- tiv im Krankenhauswesen, der die vergangenen Jahre kennzeichnete und auch heute noch unsere Kran- kenhausbedarfspläne beherrscht.

e

Die Politik der Ausrottung klei- ner Krankenhäuser, die weit billi- ger arbeiten als die Großklinik, hat die Kosten hochgetrieben und wird es noch weiter tun, wenn kein Be- wußtseinswandel in der Beurtei- lung des kleinen Krankenhauses eintritt. Ein erheblicher Teil statio- när behandlungsbedürftiger Patien- ten kann in kleinen Häusern - üb- rigens ideal geeignet für Belegärz- te - bestens behandelt werden.

Dadurch werden teure Betten an Großkliniken gespart. Statt dessen redet man immer noch davon, die Bettenreduzierung durch Schlie- ßung kleiner Häuser zu erreichen.

Wenn Belegbetten in einem kleinen Krankenhaus mit einem Vermerk versehen sind, wonach sie nur be- trieben werden dürfen bis zur Er- richtung der Fachabteilung im Zen- tralkrankenhaus, dann zeigt dies das ganze Dilemma unserer Kran- kenhauspolitik.

Ja zur Empfehlungsvereinbarung KBV /RVO-Kassen-Verbände Angesichts der Zahlen, die nicht nur Geißler schon in seiner ersten Studie bekanntgab, war es im

Grunde genommen aus der Sache heraus nicht verständlich, daß sich die Angriffe von allen Seiten ganz besonders gegen die Kassenärzte richteten. Der Anstieg ihrer Hono- rare war zwar deutlich, blieb aber anerkanntermaßen hinter allen an- deren Bereichen zurück, was dazu führte, daß der Anteil der kassen- ärztlichen Honorare an den Ge- samtaufwendungen der Kranken- versicherung deutlich rückläufig war.

e

Wenn die verantwortlichen Re- präsentanten der Kassenärzte- schaft unseres Landes sich den- noch dazu entschlossen haben, für die Jahre 1976 und 1977 einer fühl- baren Begrenzung des Honorar- wachstums zuzustimmen, so offen- bart sich in dieser Entscheidung ein Maß an Verantwortung für das Gemeinwohl, wie es von den ande- ren Beteiligten zunächst noch ver- geblich erwartet wird. Ich bekenne mich zu diesem Beschluß, obwohl kein Zweifel daran sein kann, daß mit ihm Schwankungen der Morbi- dität und auch die Zunahme des Leistungsumfanges durch eine un- bekannte Nachwuchsgröße letzt- lich allein von den Kassenärzten ausgeglichen werden müssen.

I

Man wird uns aber nunmehr nicht verübeln können, wenn wir nachdrücklich fordern, daß un- verzüglich auch die anderen Be- teiligten ihren Beitrag zur Ko- stendämpfung leisten!

~ Es ist ohnedies für die gewähl- ten Vertreter der Kassenärzte- schaft kaum zu verkraften, ihren Kollegen zu erklären, warum sie Opfer bringen müssen, während zur gleichen Zeit zum Beispiel der Gesetzgeber für die sogenannten

"flankierenden Maßnahmen zum §

218", also durch die Finanzierung

der Abtreibung, die Krankenversi- cherung mit geschätzten zusätzli- chen 500 Millionen DM pro Jahr belastet.

~ Niemand wird verstehen kön- nen, warum der Gesetzgeber sich nicht entschließen kann, Fehlent- wicklungen durch die Rechtspre-

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Bericht und Meinung

Grundsatzreferat

chung der Sozialgerichte zu korri- gieren, welche dazu führten, daß der Zahnersatz und die Kieferor- thopädie nunmehr weitgehend ko- stenlos und sogar die Angorawä- sche von der Krankenkasse gelie- fert werden muß.

Wann endlich entschließt man sich, die überfällige Erhöhung der Selbstbeteiligung an den Arznei- mittelkosten von derzeit maximal 2,50 DM auf 4 bis 5 DM vorzuneh- men? CDU und FDP fordern dies in ihren Programmentwürfen.

Kostenehrlichkeit wiederherstellen!

Besonders bedenklich muß die Entwicklung im Verhältnis der Ren- tenversicherung zur Krankenversi- cherung erscheinen. Die Maßnah- men, welche der Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit der Arbeiter- Rentenversicherung dienen, sind eigentlich nichts anderes als Mani- pulationen zur Verschleierung des Bankrotts. Es ist ein offenes Ge- heimnis, daß die Rentenversiche- rung der Arbeiter bereits zahlungs- unfähig wäre, wenn sie nicht von den hohen Zuschüssen der Ange- stelltenversicherung gestützt wür- de, welche diese von den Beitrags- mitteln ihrer Mitglieder abzweigen muß, um nunmehr selbst in eine fi- nanzielle Situation zu geraten, die auch mit den einfachsten Grund- sätzen einer Versicherung nicht mehr in Einklang zu bringen ist.

Dies ist ganz besonders schwer- wiegend, wenn man bedenkt, daß wir einer Zeit entgegengehen, in der eine immer geringere Zahl Ar- beitender, also zahlender Versi- cherter, einer immer größeren Zahl von Rentenbeziehern gegenüber- steht. Dabei konnte man gerade die Forderung lesen, das Rentenal- ter zur Milderung der Arbeitslosig- keit noch weiter zu senken! Die großzügige Rentendynamisierung mit ihrer Orientierung am Brutto- lohn bei gleichzeitigem Festhalten an einem Beitragssatz, der in kei- ner Weise ausreicht, um die Auf- wendungen zu decken, fällt in die alleinige Verantwortung des Ge- setzgebers.

Er hat es auch zu vertreten, daß die aktiven Mitglieder der gesetzli- chen Krankenversicherung einen zunehmenden Anteil ihrer Beiträge für die Finanzierung der Rentner- krankenversicherung bezahlen müssen, nur deshalb, weil der Ge- setzgeber auch dadurch die längst fällige Erhöhung des Beitrages zur Rentenversicherung hinauszu- schieben versucht.

Die Verweigerung kostendecken- der Beiträge der Rentenversiche- rung zur Krankenversicherung der Rentner ist aber eine der entschei- denden Ursachen für die Finanznot der gesetzlichen Krankenversiche- rung und belastet alle, die in die- sem Bereich tätig sind. Hier wie- der Kostenehrlichkeit herzustellen müßte eine der vordringlichsten Aufgaben der nächsten Bundesre-

gierung sein.

Gesundheitliche Versorgung im europäischen Vergleich

Ich möchte damit zum letzten Ab- schnitt überleiten, zu den Vorstel- lungen der Parteien über die Ge- sundheits- und Sozialpolitik.

Hier sei zuvor einmal die Frage ge- stellt, wodurch die Entwicklung verschiedener Systeme der ge- sundheitlichen Versorgung eigent- lich ausgelöst und geprägt wird. Ist es der Zwang der medizinischen Entwicklung, oder ist es das politi- sche System, welches die Gesund- heitspolitik einer ideologischen Vorstellung unterordnet, ohne Rücksicht auf echte Notwendigkei- ten der gesundheitlichen Versor- gung?

Ein Rundgang durch Europa kann uns bei der Beantwortung dieser Frage vielleicht behilflich sein.

Wenn ich Europa sage, dann meine ich das Europa im Sinne der Geo- graphen, also den Erdteil vom At- lantik bis zum Ural. Politisch ist uns ja das Gefühl für diesen Begriff Europa weitgehend verlorenge- gangen. Der Eiserne Vorhang, wel- cher sich mitten durch diesen Erd- teil zieht, hat auch unseren Blick in diese Richtung eingeengt. Es sind

einschließlich des von uns getrenn- ten Teils von Deutschland nicht weniger als neun europäische Län- der, die unter kommunistischer Herrschaft stehen. In allen diesen Ländern herrscht im wesentlichen ein nach gleichen Grundsätzen or- ganisiertes System der ärztlichen Versorgung. Die freiberufliche ärzt- liche Tätigkeit ist fast völlig ausge- rottet, die Kranken werden ambu- lant und stationär durch Einrich- tungen des Gesundheitssystems versorgt, als deren Bedienstete die Ärzte arbeiten. Wollte jemand wirk- lich im Ernst behaupten, daß es sich hier um ein durch medizini- sche Notwendigkeiten bedingtes System der gesundheitlichen Ver- sorgung handelt? Das Gesund- heitssystem in diesen Ländern ist nichts anderes als die konsequente Durchsetzung einer Ideologie auf Biegen und Brechen und ohne jede Rücksicht darauf, ob es für die Be- völkerung gut und richtig ist oder

nicht.

Den Ärzten geht es in diesen Län- dern meist sogar noch etwas bes- ser als ihren Landsleuten. Sie sind aber gemeinsam die Leidtragenden eines Systems, das schon aus sei- ner phantasielosen Schematisie- rung heraus weder Leistung fördert noch echte persönliche Anliegen und Notwendigkeiten berücksich- tigt.

> Beim Blick in die skandinavi- schen Länder denkt man zuerst an das sozialistische „Traummodell"

eines Wohlfahrtsstaates, an Schwe- den. Die dort durchgeführte Sozia- lisierung des Gesundheitswesens offenbart inzwischen ihre Mängel derart, daß selbst zeitweilige Be- wunderer dieses Systems die zu- nehmenden Fehlentwicklungen nicht mehr übersehen können. Ein- zelheiten erübrigen sich, denn es ist genug darüber berichtet wor- den.

Tatsache ist, daß man in Schweden

— und dies sicher nur der Not ge- horchend — neuerdings der freien ärztlichen Tätigkeit wieder mehr Raum geben will, um wenigstens einigermaßen die Schäden zu mil-

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dern und den Menschen mehr Chancen für schnellere ärztliche Hilfe zu geben. Es offenbart sich also immer deutlicher der Schiff- bruch eines sozialistischen Experi- mentes.

C- In Finnland, Norwegen und Dä- nemark zeigen sich mehr oder we- niger Entwicklungen, die in die gleiche Richtung gehen. So erfolgt in Finnland die ambulante ärztliche Versorgung weitgehend durch kommunale Gesundheitszentren, in Norwegen ist die fachärztliche Ver- sorgung in die Ambulatorien der Krankenhäuser verlagert. In Däne- mark wurde 1960 ein nationaler Gesundheitsdienst eingeführt, 1974 hat man die Krankenkassen aufge- löst und kommunalisiert.

> In Großbritannien hat die Arbei- terpartei 1948 einen staatlichen Gesundheitsdienst eingeführt. Die Allgemeinärzte sind zwar in eige- ner Praxis tätig, jedoch völlig vom Gesundheitsdienst abhängig und damit an ein Honorierungssystem gebunden, das von vorneherein fruchtbare Initiativen für die Ausge- staltung ihres Aufgabenbereiches ausschließt. Die Fachärzte sind an Krankenhäusern tätig, von diesen völlig abhängig und können nur auf Überweisung in Anspruch genom- men werden. Dennoch sind die Ko- sten des staatlichen englischen Gesundheitsdienstes in den ver- gangenen Jahren enorm gestiegen.

Eine zunehmende Selbstbeteili- gung soll dem entgegenwirken.

> Auch in Holland hat man bei gleicher politischer Tendenz die Allgemeinärzte an ein Seelenpau- schale gebunden, während die Fachärzte wie in England nur auf Überweisung in Anspruch genom- men werden können. Sie behan- deln Kassenpatienten im Ambulato- rium des Krankenhauses und emp- fangen ihre Privatpatienten nach- mittags zu Hause in der Wohnuri -g.

D In Italien hat man einen fertigen Plan für die totale Sozialisierung des Gesundheitswesens beschlos- sen; lediglich seine Realisierung scheiterte bisher an der Finanzmi-

sere dieses Landes. Als ersten Schritt hat man bereits vor einigen Jahren das Abitur als Vorausset- zung für das Medizinstudium besei- tigt, um eine für das sozialisierte System nötige Massenproduktion von Medizinern zu ermöglichen.

D In Österreich haben die Ge- werkschaften die Krankenversiche- rung fest in ihrem Griff. Die Ärzte befinden sich in einem permanen- ten Abwehrkampf und werden im- mer weiter zurückgedrängt. Die Kassen errichten Ambulatorien praktisch nach freiem Ermessen und erschweren auf diese Weise die Situation der freipraktizieren- den Ärzte immer mehr.

In vielen der genannten Länder hat sich längst ein grauer Markt medi- zinischer Leistung entwickelt. Der Patient hat nur die Wahl, entweder zu warten, bis er endlich dran- kommt, oder heimlich aus eigener Tasche etwas in das Portemonnaie des Arztes fließen zu lassen, um sich auf diese Weise eine schnelle- re und bessere Behandlung zu si- chern.

I> Das noch freiheitliche System ärztlicher Versorgung in Belgien und Frankreich steht jedenfalls in Frankreich unter dem Schatten ei- ner drohenden Volksfrontregie- rung.

> Ein gesundes System der ärztli- chen Versorgung, das von Ärzten und Bürgern gleichermaßen getra- gen wird und auch von beiden ech- te Leistungen verlangt, haben sich die Schweizer Bürger bewahrt. Sie halten nichts von sozialistischen Experimenten. Das zeigte sich erst vor kurzem bei einer eindrucks- vollen Volksabstimmung, mit der die Bürger der Schweiz ihr beste- hendes Krankenversicherungssy- stem praktisch bestätigten und selbst Ansätze in Richtung auf So- zialisierung ablehnten.

Ich fasse zusammen: Niemand kann daran vorbeireden, daß in den genannten Ländern im wesent- lichen Linksregierungen hinter den Umstrukturierungen des Gesund-

heitswesens steckten und die Än- derungen eindeutig im Sinne ihrer Ideologie vorgenommen wurden.

Der Grad der Veränderung war und ist dabei fließend bis hin zur tota- len Verstaatlichung. Die Ärzte ha- ben sich wohl oder übel adaptiert:

Die Leidtragenden waren und sind in jedem Fall die Bürger als Patien- ten. Soweit die Kostenentwicklung in diesen Ländern noch offengelegt und zugegeben wird, was in den parlamentarisch regierten Ländern der Fall ist, zeigt sich eindeutig, daß die Bürger als Steuerzahler immer tiefer in ihre Tasche greifen müssen, um für immer mehr Geld immer weniger an ärztlicher Ver- sorgung zu erhalten.

Was planen nun die Parteien in unserem Land?

Wir müssen uns zur Beantwortung dieser Frage notgedrungen an die Programme oder Programmentwür- fe der Parteien halten. Ich sage:

notgedrungen. Denn wir wissen, daß Programme von Parteien in der parlamentarischen Demokratie entweder extreme Zielsetzungen ideologischer Prägung sein kön- nen, die in der Praxis keine Chan- ce der Verwirklichung haben, oder opportunistische Zusammenstel- lungen von Formeln, die der Wäh- ler hören möchte.

Trotz dieser skeptischen und relati- vierenden Einschätzung von Partei- programmen darf ich versuchen, die in den Programmen und Pro- grammentwürfen selbstgegebenen Orientierungshilfen zu werten.

Die Sozialdemokratische Partei Aus den Beratungsgremien der So- zialdemokratischen Partei liegen uns gesundheitspolitische Leitsät- ze sowie zwei Parteitagsbeschlüs- se ähnlicher Zielsetzung vor. Die Leitsätze, die von der gesundheits- politischen Kommission beim Par- teivorstand erarbeitet wurden, stimmen in vieler Hinsicht auch mit gesundheitspolitischen Plänen des Deutschen Gewerkschaftsbundes überein. Die Kritik am Bestehenden offenbart überdeutlich der Leitge-

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Bericht und Meinung Grundsatzreferat

danke des Parteiprogrammes:

"Ambulante und stationäre medizi- nische Versorgung sind starr von- einander getrennt. Ihre Leistungs- fähigkeit wird dadurch erheblich gemindert." Gefordert wird statt dessen ein "integriertes System der medizinischen Versorgung", das von den Versicherten, den im Gesundheitswesen Tätigen und den Gebietskörperschaften ge- meinsam verwaltet werden soll.

Wesentliche Elemente des Systems sollen niedergelassene Ärzte, Me- dizinisch-Technische Zentren und ein zentrales Informations- und Do- kumentationssystem sein. Aus- drücklich wird dabei gefordert, daß die Zuordnung des Medizinisch- Technischen Zentrums zum Kran- kenhaus gesichert sein muß. Man könnte also getrost von einem Krankenhausambulatorium spre- chen.

Von Interesse ist die Vorstellung über die Selbstverwaltung der me- dizinischen Versorgung. Die Selbstverwaltung der sozialen Krankenversicherung soll nur durch die Versicherten ausgeübt werden. Nachdem die Vertreter der Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung bekanntlich weithin identisch mit Gewerkschaf- ten sind, würde dadurch etwa nach österreichischem Vorbild unsere gesetzliche Krankenversicherung fast ganz in den Einflußbereich der Gewerkschaften geraten. ln der so- genannten integrierten ärztlichen Versorgung soll aber dann eine Selbstverwaltung mit Drittelparität eingeführt werden: Ein Drittel Ver- sicherte, ein Drittel im Gesund- heitswesen Tätige und sch.ließlich ein Drittel Vertreter der sogenann- ten Regionalparlamente.

..". Da sowohl die meisten Versi- chertenvertreter wie der im Ge- sundheitswesen Tätigen als auch ein gut Teil der Politiker Gewerk- schafter wären, muß man wenig Phantasie entwickeln, um auszu- rechnen, daß mit diesem Modell das gesamte Gesundheitswesen mit sicherer Mehrheit von den Ge- werkschaften beherrscht würde.

..". Nachdem diese drittelparitäti- sche Selbstverwaltung jeder Re- gion auch den Regionalplan der medizinischen Versorgung auf Grund einer Bedarfsplanung von Einrichtungen, Leistungen und In- vestitionen aufstellen soll, bedarf es keiner weiteren Frage mehr, welche Arbeitsmöglichkeiten frei- praktizierende Ärzte in diesem Sy- stem noch haben würden. ln einem System, das nach dem Grundsatz der Drittelparität organisiert ist, die in Wirklichkeit von einer absoluten Mehrheit der Gewerkschaften be- herrscht würde, können Sie be- stenfalls noch Außenbeamte der Medizinisch-Technischen Zentren sein, denen gar kein anderer Weg bleibt, als von der in der Empfeh- lung vorgesehenen Möglichkeit des Anstellungsverhältnisses Gebrauch zu machen.

Zur Abrundung sei noch erwähnt, daß das Recht auf Privatliquidatio- nen für Krankenhausärzte selbst- verständlich entfallen soll.

Die Christlich-Demokratische Union Der Entwurf eines gesundheitspoli- tischen Programms der CDU ist mit weitem Abstand der umfangreich- ste. Auf 125 Schreibmaschinensei- ten wird zu allen relevanten Fragen der Gesundheitspolitik und der ärztlichen Versorgung Stellung ge- nommen. Als erstes fällt auf, daß in diesem Programm die "starren Grenzen" zwischen ambulanter und stationärer Behandlung kei- neswegs zum Hauptschuldigen der Kostenentwicklung und deren Auf- lösung zum Wundermittel erklärt wird. Die Forderung nach einer Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen ambulantem und statio- närem Bereich "mit Ausschöpfung aller Möglichkeiten diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen vor der Einweisung in ein Kranken- haus" wird von uns voll unterstützt.

Ein zentraler Gedanke des Pro- gramms der CDU verdient beson- dere Hervorhebung. Ich zitiere:

"Den Leistungsmöglichkeiten un- seres Gesundheitswesens sind fi- nanzielle Grenzen gesetzt. Diese

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Feststellung trifft für jedes System der gesundheitlichen Sicherung zu. Die Möglichkeiten einer nahezu grenzenlosen Medizin sind nicht bezahlbar. Das ,Mögliche' muß durch das ,Machbare' begrenzt werden, denn es ist ein Ungleich- gewicht zwischen den medizini- schen Möglichkeiten und den sich an diesen Möglichkeiten orientie- renden Wünschen und Bedürfnis- sen der Bevölkerung nach dem fi- nanziellen Rahmen zur Befriedi- gung dieser Möglichkeiten, Wün- sche und Bedürfnisse entstanden."

Ende des Zitats.

Wer die Anpassung des medizi- nisch Möglichen an das volkswirt- schaftlich Machbare fordert, be- weist damit Mut, muß sich aber auch darüber im klaren sein, daß damit der Versuch einer besonders schwierigen und verantwortungs- vollen Synthese gemacht wird. Wir Ärzte haben die Verpflichtung, das medizinisch Mögliche aufzuzeigen.

Den Politikern obliegt es, das volkswirtschaftlich Machbare fest- zustellen.

..". Wir stimmen mit den Politikern aber sicher darin überein, daß das Ergebnis der Synthese niemals sein kann und sein darf, die Mit- glieder der gesetzlichen Kranken- versicherung von Möglichkeiten und Chancen der Diagnostik und Therapie nach dem jeweiligen Stand der Medizin auszuschließen.

Wir sind aber mit ihnen der Mei- nung, daß Grenzen dort gezogen werden können, wo sie ohne Scha- den möglich sind, ja sogar nützlich sein können. Dazu gehört die Zahnprothese ebenso wie im ärztli- chen Bereich die Psychotherapie.

Ich darf dazu aus dem Programm- entwurf noch einmal zitieren:

"Die eigene finanzielle Inanspruch- nahme für bestimmte Leistungen kann gesundheitsfördernd wirken und zu einem gesundheitsgemäßen Verhalten sowie zur sinnvollen und verantwortungsbewußten Inan- spruchnahme von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung beitragen." Ende des Zitats. I>

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Es muß auch an die schon wieder- holt gestellte berechtigte Frage er- innert werden, ob die Versicherten- gemeinschaft für alle Schäden zu haften hat, welche ein Teil von ihr durch unsinnigen Alkohol- und Ni- kotinmißbrauch verursacht. Vor- schläge, Teile der Alkohol- und Ta- baksteuer als Risikoausgleich zur Verfügung zu stellen, sollten ernst- haft erwogen und nicht einfach un- ter den Tisch gewischt werden. Eine Reihe von Selbstbeteiligungs- maßnahmen - ich habe schon ei- nige von ihnen erwähnt - werden im Programmentwurf der CDU auf- gezeigt, übrigens in weitgehender Übereinstimmung mit Vorschlägen der FDP.

~ Ich betone noch einmal, daß wir Ärzte zur Mitarbeit an der Lösung dieser schwierigen Fragen bereit sind. Gesundheitspolitik und Medi- zin können nun einmal - wie alles in dieser Weit - nur auf dem Bo- den der Realitäten gedeihen. Wir wehren uns also - und das muß mit aller Deutlichkeit festgestellt werden - nicht gegen eine reali- stische Gesundheitspolitik, die Lei- stung und Beitrag von allen Betei- ligten verlangt, sondern dagegen, daß Gesundheitspolitik auf dem Buckel der Ärzte betrieben wird.

Zu unterstreichen ist schließlich die Forderung im Programment- wurf der CDU nach einem abge- stuften System leistungsfähiger Krankenhäuser bei gleichzeitiger Ablehnung der vorstationären Dia- gnostik und nachstationären Be- handlung durch das Krankenhaus.

Über die Art und Weise zugestan- dener Modellversuche wird noch zu reden sein. Wir haben unsere Vorstellungen dazu wiederholt dar- gestellt. Mit einer "Wissenschaft- ehen Absicherung" allein ist es je- denfalls bei solchen Modellversu- chen nicht getan.

Hinsichtlich des Umfanges der Si- cherung im Krankheitsfall hat der CDU-Vorsitzende Helmut Kohl ge- stern noch einmal ausdrücklich auf die Passage im Programmentwurf der CDU hingewiesen, in der es wörtlich heißt:

"Die CDU fordert, daß der Perso-

nenkreis erweitert wird, dem Ent- scheidungsfreiheit in der Wahl des Versicherungsträgers und damit freie Entscheidung über eine Versi- cherung bei der gesetzlichen Kran- kenversicherung oder der privaten Krankenversicherung oder über ei- nen kombinierten Versicherungs- schutz eingeräumt wird." Auch die- se Forderung wird unsere Zustim- mung finden.

Die Besprechung des Entwurfes ei- nes gesundheitspolitischen Pro- grammes der CDU muß ich ab- schließend leider "relativieren". Es ist nicht auszuschließen, daß es auf dem Wege durch die Parteiin- stanzen wesentliche Veränderun- gen und Abschwächungen ertährt.

Das wäre zu bedauern. Ich bin si- cher, daß der gesundheitspolitisch interessierte Wähler realistisch ge- nug ist, ein ehrliches Kontrastpro- gramm zu würdigen, auch wenn es nicht nur Versprechungen enthält.

Es wäre schade, wenn klare Aussa- gen in wesentlichen Teilen dem Opportunitätsprinzip oder gar dem Trend zum Linksüberholen geop- fert werden würden.

Sie werden es mir als Bayern nicht verübeln, wenn ich Herrn Dollinger für manche erfrischende Konkreti- sierung der Ausführungen von Herrn Kohl besonders dankbar bin. Das gilt nicht zuletzt für seine Aus- führungen über die Ausweitung des Leistungskataloges der sozialen Krankenversicherung auch auf die Kosten der Änderung des Abtrei- bungsparagraphen.

Die Freie Demokratische Partei Die FDP hat ebenfalls ein ge- sundheitspolitisches Programm im Entwurf vorgelegt, das gestern erläutert wurde. Der Entwurf hat einen deutlichen Schwerpunkt, der durch den Einleitungssatz gekennzeichnet wird: "Vorran- gig sind ambulanter und sta- tionärer Bereich der ärztlichen Ver- sorgung zu verbinden. Nur so läßt sich der Gesamtbereich der ärztlichen Versorgung bei gleich- zeitiger Kostensenkung an die Ent- wicklung anpassen."

Von dieser Grundüberlegung aus- gehend, werden in dem Entwurf ausführliche Vorstellungen über mögliche Verbesserungen entwik- kelt. Ich zitiere einen wesentlichen Abschnitt:

"Die Koordination zwischen den

Teilsystemen und deren Koopera- tion sind mangelhaft. ln besonde- rem Maße gilt dies für die Zusam- menarbeit von Klinik und Praxis.

Die starre Trennung zwischen sta- tionärer und ambulanter Patienten- versorgung ist eine Besonderheit des bundesdeutschen Gesund- heitswesens und wurde durch die Neuregelung des Kassenarztrechts 1955 mit dem sogenannten Sicher- stellungsauftrag festgeschrieben.

Diese scharfe Trennung trägt zu fachlicher Entfremdung der Ärzte beider Bereiche bei.

Sie ist unter anderem auch dafür verantwortlich, daß heute nur noch eine Minderzahl der Ärzte freibe- ruflich in eigener Praxis arbeitet, während die Mehrheit der Ärzte im Beamten- oder Angestelltenverhält- nis an den Krankenhäusern be- schäftigt ist. Bei der Entscheidung zugunsten einer Angestelltentätig- keit dürften auch die damit verbun- denen Vorteile, wie geregelte Ar- beitszeit und Fehlen wirtschaftli- chen Risikos, eine Rolle spielen. ln Arztpraxis und Krankenhaus führt dieses System zu erheblichen Dop- pelinvestitionen und zu unnötiger

Wiederholung diagnostischer Maß-

nahmen: Überhöhte Verweildauer in den Krankenhäusern kommt als weitere Folge dazu.

Der durchschnittliche Bettenbe- stand der Bundesrepublik ist zu hoch und nicht bedarfsgerecht ver- teilt. Eine Verbindung des ambu- lanten und des stationären Be- reichs ist die Voraussetzung für Wirtschaftlichkeit und Leistungs- verbesserung im ärztlichen Versor- gungssystem. Nur auf diese Weise ist es möglich, das Überangebot an Krankenhausbetten abzubau-

en!" Ende des Zitats.

Hier zeigen sich schwerwiegende Mißverständnisse, die dringend ei-

DEUTSCHES ARZTEBLATT

Heft 22 vom 27. Mai 1976

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