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Archiv "Die Bedeutung der Allgemeinmedizin in der ärztlichen Versorgung: Forschung und Lehre" (04.06.1981)

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84. DEUTSCHER ÄRZTETAG

Basis des ersten

Tagesordn.~ngspunk­

tes des 84. Deutschen Arztetages:

, , Die Bedeutung der Allgemeinmedizin in der ärztlichen Versorgung

"

bildeten fünf Referate; sie behandelten das Ge- neralthema aus den Aspekten:

...,. Forschung und Lehre (Referent Dr.

Hans Hamm, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin) ...,. Förderung durch das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Referent: Sanitätsrat Dr. Josef Schmitz-Formes als Vorstandsvorsit- zender des Zl)

...,. Rechtliche Grundlagen der Ausbil- dung, der Weiterbildung sowie der Fortbildung für

d~.n

Arzt und der Vorbe- reitungszeit für Arzte auf die kassen- ärztliche Tätigkeit (Referent: Dr. jur.

Jürgen W. Bösche

, Justitiar der Bun-

desärztekammer und der Kassenärztli- chen Bundesvereinigung)

...,. Aufgaben der Zukunft aus der Sicht

der

"

Deutschen Akademie für Allge-

meinmedizin' ' (Referent: Dr. Helmuth Klotz als Vorsitzender dieser Aka- demie)

...,. Aufgaben der Zukunft aus der Sicht der "Deutschen Akademie der Fach- ärzte" (Referent: Dr. Wolfgang Bech- toldt als Vorsitzender dieser Akademie)

Die Bedeutung der Allgemeinmedizin in der ärztlichen Versorgung

Forschung und Lehre

Dr. Hans Hamm,

Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin

Eingangs möchte ich mich für den Vorzug bedanken, über Ergebnis- se der Forschung und den Stand der Lehre in der Allgemeinmedizin berichten zu können. Hieraus wer- den dann einige Schlußfolgerun- gen zu ziehen sein. Damit möchte

ich bewußt dazu beitragen, eine

objektive, sachliche und weitge- hend emotionsfreie Diskussion und Entscheidung zu ermögli- chen .

Der Beginn einer wissenschaftli- chen Erforschung der Tätigkeit des Arztes in der Allgemeinpraxis liegt nunmehr rund 35 Jahre zu- rück. Der einfache Beweggrund hierfür war folgender.

Ich zitiere Professor Huygen, den bekannten niederländischen For- scher und Ordinarius für Allge- meinmedizin: "Es ist die auffallen- de Tatsache der Erfahrung von All- gemeinärzten, daß sich ihnen Krankheitsbilder in der Praxis ganz anders darstellen, als sie es in der Universitätsausbildung ge- lernt haben. Diese Erfahrung tei- len Allgemeinärzte in der ganzen Welt. I I Professor Heilmeyer sagte später 1965: "Es steht fest, daß die Medizin, die der Praktiker ausübt, nicht die Medizin ist, die der Stu- dent im Studium und in der Klinik erlernt hat. I I

Es kann deshalb auch nicht wun- dernehmen, daß Allgemeinärzte in

der Allgemeinpraxis sind. Es wäre letzten Endes auch e_rstaunlich, wenn sich hier nicht besondere Formen ärztlicher Tätigkeit ent- wickelt hätten. Die Veränderung des allgemeinärztlichen Tätig- keitsteldes hat das Ihre dazu bei- getragen, die Allgemeinmedizin abgrenzbarer und damit auch lehrbar zu machen. Beispielsweise darf ich nur daran erinnern, daß sich die Geburtshilfe, die früher eine Domäne des praktischen Arz- tes war, weitgehend in die Klinik verlagert hat. Das gleiche folgt aus dem Panoramawandel der Bera- tungsursachen von Patienten in der Allgemeinpraxis im Laufe der letzten Jahrzehnte. Hierdurch kam es zu einer Erweiterung des allgemeinärztlichen Arbeitsfeldes in den Bereich der psychosozialen und prophylaktischen Medizin hinein. Das alles zusammen und anderes mehr ergibt das Bild einer modernen Allgemeinmedizin, die sich in mancher Hinsicht von der Tätigkeit des praktischen Arztes früherer Zeiten unterscheidet.

Hierzu haben auch Forschungser- gebnisse aus der Allgemeinmedi- zin selbst beigetragen.

Die Grundlage aller wissenschaft- licher Arbeit im Bereich der Allge- meinmedizin sind die Funktionen des Allgemeinarztes, die man etwa wie folgt zusammenfassen kann:

vielen Ländern seit einigen Jahr- - primärärztliche Funktion zehnten darangingen, ihre Tätig-

keit zu überdenken und zu analy- - haus- und familienärztliche sieren. Dazu ist die Allgemeinme- Funktion

dizin seit jeher das Gebiet, in dem

mit großem Abstand die meisten - soziale Funktion Kranken behandelt werden. ln der

Bundesrepublik sind es weit mehr - Gesundheitsbildungsfunktion als 25 Millionen Menschen, die pro

Vierteljahr Patienten von Ärzten in - Koordinationsfunktion

1148 Heft 23 vom 4. Juni 1981 DEUTSCHES ARZTEBLATT

(2)

Die Information:

Bericht und Meinung

Zum ersten Punkt: Gemeint ist hier die sogenannte Primary medi- cal care, d. h. die ärztliche Basis- versorgung an der ersten Linie einschließlich des Aussiebens ge- fährlicher Krankheitszustände und der Notfallversorgung.

I> Zum zweiten Punkt: Hiermit ist die langzeitige ärztliche Behand- lung und Betreuung von Patienten unabhängig von Alter und Ge- schlecht im häuslichen Milieu und im Bereich der Familie (Familien- medizin) angesprochen, ebenso wie die Identität der Lebensberei- che von Patient und Arzt (Hausbe- suchstätigkeit).

> Zum dritten Punkt: Diese Funk- tion bedeutet die Aufgabe des All- gemeinarztes, soziale Hilfen aller Art in die Behandlung des Patien- ten zu integrieren und gleichzeitig das gesundheitliche Interesse des zu Behandelnden zu vertreten (Gesundheitsanwalt).

D Zum vierten Punkt: Der Be- griff Gesundheitsbildungsfunktion charakterisiert die allgemeinärztli- che Aufgabe einer umfassenden Gesundheitsberatung und Ge- sundheitserziehung des Patienten einschließlich von Maßnahmen der Prophylaxe und Rehabilitation.

> Zum fünften Punkt: Diese Funktion stellt die Abstimmung al- ler ärztlichen Behandlungsmaß- nahmen aufeinander und die Be- urteilung der Zumutbarkeit für den Patienten dar.

Weitere Grundlagen sind die De- finitionen des Gebietes Allgemein- medizin durch die Weltgesund- heitsorganisation (WHO) und für unseren Bereich die der Deut- schen Gesellschaft für Allgemein- medizin.

Von Anfang an — seit 1947 in den USA — gingen Forschung und Leh- re auch in der Allgemeinmedizin parallel, sie bedingen natürlicher- weise einander. An 120 von 123 Universitäten der USA gibt es heu- te wissenschaftlich ausgerichtete Departments für Allgemeinmedi-

Hans Hamm

zin oder Familienmedizin. Unab- hängig davon kam es 1963 zum ersten Lehrstuhl für Allgemeinme- dizin in Europa in Großbritannien durch Scott. 1966 wurde in Ut- recht durch van Es das erste Haus- arztinstitut in den Niederlanden begründet. Heute sind in diesen beiden Ländern und in Belgien In- stitute für Hausarzt- und Allge- meinmedizin an jeder Universität eine Selbstverständlichkeit. Paral- lel dazu kam es in ost- und südost- europäischen Ländern zu einer ähnlichen Entwicklung. Hier wur- de in Jugoslawien und in der DDR

— hier bereits seit 1967 nach einer vierjährigen strukturierten Weiter- bildung — die Bezeichnung Fach- arzt für Allgemeinmedizin einge- führt.

Einen wesentlichen Anstoß für Lehre und Forschung in der Bun- desrepublik hat das inzwischen schon fast legendäre Heidelberger Gespräch 1964 zwischen den Uni- versitätsprofessoren Jores, Mit- scherlich, Schäfer, Schön, Uexküll und Weizsäcker und den Prakti- kern Braun, Martin, Prosenc u. a.

gegeben. Eine gleiche Wirkung ist von Entschließungen der WHO in Alma Ata 1978 und des Europara- tes ausgegangen, die die Priorität der Primärversorgung und der Forschung in diesem Bereich postulierten.

Die inzwischen überall in der Welt erreichten Forschungsergebnisse

sind vielfältig; ich kann hier nur auf einzelne sehr wenige ein- gehen.

Die Amerikaner haben sich vor- wiegend mit den Grundlagen der Familienmedizin befaßt. Als ein Beispiel soll hier nur ein Bewer- tungskatalog streßauslösender fa- miliärer Ereignisse von Holmes und Rahe genannt werden. Dabei wurden statistisch nachweisbar krankmachende Einflüsse des All- tagslebens auf Grund jahrelanger umfangreicher Forschungen auf ihre pathogene Wertigkeit hin un- tersucht, die prospektive Aussa- gen über das Auftreten bestimm- ter Krankheiten machen lassen.

Weltweit bekanntgeworden ist die sogenannte Pillenstudie britischer Allgemeinmediziner. Hier wurden bei insgesamt 46 000 Frauen in der Allgemeinpraxis Wirkungen und Nebenwirkungen von Kontra- zeptiva im Vergleich mit Kontroll- gruppen wissenschaftlich über- prüft. Schon auf Grund der großen Zahlen, mit denen ja überhaupt in der allgemeinmedizinischen For- schung aufgewartet werden kann, und der absolut realistischen Un- tersuchungsbedinungen wurde diese Studie überall in der Welt richtungweisend für diese Art der Empfängnisverhütung.

Seit längerem gibt es in der briti- schen und niederländischen All- gemeinmedizin Meldesysteme zum Beispiel über das wöchentli- che Auftreten grippaler Infekte und anderer akuter Krankheiten in allen Landesteilen. Hieraus las- sen sich dann Ausbreitungstrends solcher Erkrankungen erkennen, die praktische Konsequenzen mit Vorbeugungsmaßnahmen, Schul- schließungen usw. haben können.

Der österreichische Allgemeinarzt Robert Nikolaus Braun leistete im europäischen Bereich wesentliche wissenschaftliche Grundarbeit für das neue Gebiet. Die von ihm ge- schaffenen diagnostischen Begrif- fe der Beratungsursache, der Leit- symptom-, der Syndrom- und Do- minanzklassifizierungen und sein DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 23 vom 4. Juni 1981

(3)

Dr. Hamm: Allgemeinmedizin / Forschung und Lehre

Fälleverteilungsgesetz sind allge- mein bekannt geworden. Seine Ar- beitshypothesen der „abwendbar gefährlichen Verläufe" und des

„abwartenden Offenlassens der Diagnose" haben auch über das Gebiet der Allgemeinmedizin hin- aus richtungweisend gewirkt.

Der eigentliche Begründer der Fa- milienmedizin im europäischen Bereich ist der Niederländer Huy- gen, der Ordinarius für Allgemein- medizin in Nijmegen. Er konnte aus jahrzehntelangen hausärztli- chen Beobachtungen vieler Fami- lien wesentliche neue regelhafte Erkenntnisse für die Allgemeinme- dizin gewinnen.

Für die Bundesrepublik erarbeite- te Häußler wichtige Grundlagen für die allgemeinärztliche Tätig- keit. Er war auch der erste deut- sche Allgemeinmediziner, der ei- nen Lehrauftrag an der Universi- tät, und zwar 1966 in Freiburg, er- hielt.

Bekanntgeworden ist als grundle- gende Strukturanalyse der Allge- meinpraxis in der Bundesrepublik die sogenannte Verdenstudie des Arbeitskreises um Haehn, Dreib- holz, Forstmeyer, Hildebrandt, Kossow und andere. Haehn ist heute Ordinarius für Allgemeinme- dizin in Hannover.

Keller und Vagier stellten in ge- trennten Untersuchungen über- einstimmend fest, daß 35 bis 40 v. H. aller Patienten in der All- gemeinpraxis vorwiegend psycho- somatisch bedingte Krankheitsur- sachen aufweisen.

Mit einer Langzeituntersuchung in 90 bundesdeutschen Allgemein- praxen konnten wichtige Erkennt- nisse über das Vorkommen we- sentlicher Infektionskrankheiten bei Patienten in der Allgemeinpra- xis gewonnen werden. Die Häufig- keitsverteilung solcher Erkrankun- gen in der Allgemeinpraxis konnte geklärt und eine Hinausschiebung des Infektionstermines mancher derartiger Erkrankungen wahr- scheinlich gemacht werden.

Untersuchungen über die Com- pliance von Patienten in der Allge- meinpraxis ergaben zum Teil gün- stigere Ergebnisse als in der Kli- nik: Sie war allerdings von ver- schiedenen Faktoren abhängig, unter anderem auch von der Pra- xisgröße.

Darüber hinaus wurden in einer größeren Anzahl von Dissertatio- nen unter Leitung der Lehrbeauf- tragten wichtige Fragen aus der Allgemeinmedizin bearbeitet.

Seit 1978 Pflichtunterricht in den klinischen Semestern Die Deutsche Gesellschaft für All- gemeinmedizin als zuständige wissenschaftliche Fachgesell- schaft hat in der letzten Zeit nach jahrelanger Vorbereitung Vor- schläge für Richtlinien zu Ausbil- dung, Weiterbildung und Fortbil- dung, zur Familienmedizin und zur wissenschaftlichen Tätigkeit in der Allgemeinmedizin erarbeitet.

Zusammen mit entsprechenden Lehrbüchern sind damit die wis- senschaftlichen Grundpfeiler für das neue, gleichzeitig alte tradi- tionsreiche Gebiet in den Boden der Medizin eingerammt, auf de- nen es weiter aufzubauen gilt. Die- sem Zweck dienen auch die jähr- lich stattfindenden Kongresse der Deutschen Gesellschaft für Allge- meinmedizin, deren 15. im Juni 1981 in Freiburg stattfinden wird.

Die Lehre der Allgemeinmedizin wird seit 15 Jahren in rasch zuneh- mendem Maße an den bundes- deutschen Universitäten ausge- übt. Seit 1978 ist sie als „Kurs zur Einführung in Fragen der all- gemeinmedizinischen Praxis"

Pflichtunterricht für alle Medizin- studenten klinischer Semester. Es ist das besondere Verdienst von Häußler, nicht nur den ersten Lehrauftrag im Bundesgebiet zum Erfolg geführt zu haben, sondern auch die Lehre der Allgemeinme- dizin in der Bundesrepublik so weit vorangetrieben zu haben, daß sie heute an allen unseren Hoch- schulen erfolgen kann.

Die Lehrveranstaltungen werden jeweils von einem oder mehreren Lehrbeauftragen, die alle eine ei- gene Allgemeinpraxis haben, or- ganisiert und durchgeführt. Die Zahl der zu unterrichtenden Stu- denten je Universität beträgt bis zu 350 im Semester. Ein Teil des Kur- ses findet meist als Praktikum in der Universität selbst, ein anderer als Unterricht in Allgemeinpraxen statt. Hierbei können Studenten u. a. an der Praxistätigkeit, an den Hausbesuchen oder auch am Not- falldienst des Allgemeinarztes teil- nehmen. Wir sollten, glaube ich, diese Tatsache wohl vermerken, daß hier in der deutschen Medizin zum ersten Mal in diesem Umfan- ge Studenten pflichtmäßig in die Tätigkeit des Arztes in der Allge- meinpraxis eingeführt werden.

Daß hier Studenten den Arzt bei Hausbesuchen begleiten, wie das zum Beispiel in den Jatreien, den ärztlichen Praxen, während der Blütezeit der griechischen Medi- zin der Fall war, dürfte wohl kaum als nostalgischer Rückschritt, eher denn als höchst moderner Fortschritt zu werten sein.

Im folgenden möchte ich in Kürze ein Beispiel für die Organisation und den Inhalt des Unterrichts in der Allgemeinmedizin vorstellen.

1. Teil Universität

Pflichtpraktika für 4. bzw. 5. klini- sche Semester

mit Patientenvorstellungen wöchentlich je zweistündig Kleingruppenkurs mit einführen- der Vorlesung

2. Teil Allgemeinpraxis 5. klinische Semester 4 Alternativen:

2.1 Teilnahme an der Praxistätig- keit

1150 Heft 23 vom 4. Juni 1981 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(4)

Die Information:

Bericht und Meinung Dr. Hamm: Allgemeinmedizin / Forschung und Lehre

2.2 Teilnahme an der Haus- besuchstätigkeit

2.3 Teilnahme am Notfalldienst 2.4 Familienmedizinische Erhe- bung (im Hause des Patienten), zweistü ndig

20 Lehrpraxen

Kurs zur Einführung in Fragen der allgemeinmedizinischen Praxis Hamburg

Themenbeispiele

aus dem allgemeinmedizinischen Unterricht

Hamburg

Allgemeinärztliche Vorfelddiagno- stik

Langzeitbehandlung unter häusli- chen Bedingungen bei chronisch Kranken, Moribunden und Ster- benden

Gesundheitsberatung in der Allge- meinpraxis

Häufigkeitsverteilung von Krank- heiten in der Allgemeinmedizin Hausärztliche Vorsorge, Früher- kennung und Rehabilitation Behandlung von Notfällen in der Allgemeinmedizin

Hausbesuchstätig keit u. a.

Der Unterricht in der Allgemein- medizin an den bundesdeutschen Hochschulen richtet sich nach dem sogenannten Gegenstands- katalog Allgemeinmedizin, der in den Jahren 1976 bis 1978 von namhaften Mitgliedern der Ver- einigung der Lehrbeauftragten und der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin geschaffen wurde. Hiernach und nach den vorhandenen Lehrbüchern richtet

sich auch der Teil der Prüfung, den die Studenten nach dem 10.

Semester in der Allgemeinmedizin abzulegen haben.

Auch die Pflichtfamulaturen der Studenten werden sehr häufig über die Lehrbeauftragten vermit- telt. In Hamburg konnten so zum

Beispiel mehr als 1500 Praxisfa- mulaturen von mindestens vier Wochen Dauer in den letzten Jah- ren zusammen mit der KV orga- nisiert werden. Fast 70 v. H. da- von wurden in Allgemeinpraxen durchgeführt.

Die Lehrbeauftragten, die sich zu einer Vereinigung unter Häußlers Leitung zusammengeschlossen haben, kommen zweimal jährlich zu einer intensiven mehrtägigen Schulung zusammen. Außerdem findet einmal jährlich eine gemein- same Tagung mit den Dekanen der Universitäten statt. Beides wird vom Zentralinstitut der Kas- senärztlichen Bundesvereinigung finanziell ermöglicht. Hierdurch und durch die unermüdliche und selbstlose Arbeit der mittlerweile über sechzig Lehrbeauftragten und mehreren hundert Allgemein- ärzte in ihren Lehrpraxen ist es gelungen, den Kurs über Allge- meinmedizin in nur wenigen Jah- ren zu einem beliebten Unter- richtsteil zu machen. Hierbei han- delt es sich sicher um einen ehren- vollen Abschnitt in der jüngeren Geschichte der deutschen Ärzte- schaft. Wir sollten an dieser Stelle auch einmal denen Dank sagen, die dabei viel Mühe in einer Zeit auf sich genommen haben, die da- zu noch von gegensätzlichen Mei- nungen oder sogar von Auseinan- dersetzungen zwischen den Gene- rationen auch im ärztlichen Beruf nicht frei war.

Nachteilig ist, daß das neue Uni- versitätsgebiet der Allgemeinme- dizin noch nicht in ausreichendem Maße gleichberechtigt mit den an- deren Pflichtfächern in die Hoch- schule integriert wurde. Der einzi- ge Lehrstuhl besteht in Hannover.

Institute, die von ärztlichen Orga- nisationen finanziert werden, exi-

stieren in Frankfurt und in Ham- burg. Überwiegend sind aber die personellen und sachlichen Mittel im Vergleich zum Vorteil einer pra- xisnahen Ausbildung noch unzu- reichend.

Es wäre sicher nützlich, wenn auch der diesjährige Deutsche Ärztetag einen Appell an die zu- ständigen Stellen richten könnte, der Allgemeinmedizin überall die für ein Pflichtfach angemessene Stellung mit entsprechenden Ar- beitsbedingungen in Lehre und Forschung zu schaffen.

Die Entwicklung, die die Allge- meinmedizin inzwischen in For- schung und Lehre genommen hat, wäre bei uns noch vor 20 Jahren völlig undenkbar gewesen. Der Grund dafür ist auch nicht allein der, daß sich hier ein neues Gebiet aus einer alten ärztlichen Tätigkeit heraus entwickelt hat. Die Ursa- chen hierfür liegen viel tiefer und sind sehr ernst zu nehmen. An die- sem Vorgang offenbart sich eine moderne Entwicklungstendenz der Medizin überhaupt.

Im Laufe der letzten 150 Jahre hat es in der Medizin verschiedene Denkmodelle oder Paradigmen gegeben, die jeweils den Fort- schritt ärztlicher Tätigkeit beding- ten. Die Grundlage ist die natur- wissenschaftliche somatische Denkweise. Später kamen die psy- chologisch fundierte Medizin und in den letzten Jahren die soziale und soziologisch begründete Di- mension hinzu.

Vieles spricht dafür, daß wir er- neut an der Schwelle eines Wan- dels in der Grundauffassung über die Ausübung des ärztlichen Beru- fes stehen. Gemeint ist hiermit die Fortentwicklung der Medizin in ei- ne vertiefte humane Dimension hinein, wie sie seit Jahren von überall und immer dringender ge- fordert wird. Sicherlich kann die Medizin nicht dazu dasein, auszu- gleichen, was in vielen Bereichen des Lebens an Humanität verlo- rengegangen ist. Und doch haben wir auf unserem Gebiet gewiß un- DEUTSCHES

(5)

Dr. Hamm

seren Beitrag dazu zu leisten, den ständigen Bedrohungen einer Ent- humanisierung, Entpersönlichung und Verbürokratisierung Wider- stand zu leisten, woran wir aber alle, alle Ärzte — das sei hier betont

—, schon immer nach Kräften gear- beitet haben.

Mit der genannten neuen Entwick- lung eröffnet sich aber, wie ich früher bereits einmal erklärt habe, mehr denn je die Perspektive in die weite Dimension der Patient- Arzt-Beziehung, der subjektiven Interaktion, der Bindung zwischen beiden Partnern in den Raum der Persönlichkeits- und Individual- medizin hinein. Eine noch stärkere Besinnung auf den einzelnen in seiner Unverwechselbarkeit und Unaustauschbarkeit, besonders dann, wenn die Störfelder „sei- ner" Krankheit auf ihn einwirken, ist hierbei erforderlich. Dazu kommt noch eines: Die Medizin ist eine sehr praktische Wissen- schaft, sie kann keine l'art pour l'art sein und darf nicht zu einem Glasperlenspiel in unserem Elfen- beinturm werden.

Und wer wollte wohl daran zwei- feln, daß in diesem Sinne der Hausarzt mit seiner alten und gleichzeitig höchst modernen Funktion ein festes Bollwerk für unsere Patienten und die gesamte Medizin sein kann? Das Prinzip des hausärztlichen Tuns gilt es al- so auch in Forschung und Lehre mit allen unseren Kräften weiter zu fördern.

Die so außerordentlich komplexe und verantwortungsvolle haus- ärztliche Tätigkeit in der Allge- meinpraxis erfordert einen beson- ders befähigten und erfahrenen Arzt. Dieser Arzt muß in Wissen, Können und Verhalten in spezifi- scher Weise auf seinen Beruf vor- bereitet werden. Die Deutsche Ge- sellschaft für Allgemeinmedizin erwartet deshalb vom diesjährigen Deutschen Ärztetag eine Lösung, die eine solche hochqualifizieren- de Berufsvorbereitung mit dem Ziel einer geregelten Weiterbil-

dung ermöglicht.

Mein Beitrag zum Thema „Die Be- deutung der Allgemeinmedizin in der ärztlichen Versorgung" steht unter dem besonderen Aspekt der Förderung durch das Zentralinsti- tut für die kassenärztliche Versor- gung.

Wer die Literatur verfolgen konn- te, die sich in den letzten Jahren mit Problemen der ambulanten Betreuung von Kranken oder in ih- rer Gesundheit Gefährdeten be- schäftigt hat, wird mit mir darin übereinstimmen, daß — internatio- nal gesehen — dem Reiz einer möglichst weitgehenden Speziali- sierung der Versorgung seit An- fang der 70er Jahre eine gegenläu- fige Welle folgte — nämlich die so- genannte primärärztliche Versor- gung so weitgehend wie nur eben möglich wieder Allgemeinärzten zu übertragen. Diskussionen um die Belebung und Ausbreitung von „Community medicine" und

„Family medicine" in den USA, um den „Hausarzt" in Holland, den

„General practitioner" in Großbri- tannien, den praktischen Arzt — dort seit langem nur Arzt genannt

—in Dänemark und Norwegen, das sind einige wenige Beispiele da- für, wie sich der internationale Trend im Laufe der vergangenen Zeit gewandelt hat und noch wan- delt.

International hat die Bedeutung der Allgemeinmedizin ihren be- sonderen gesundheitspolitischen

—und ich betone bewußt den letz- ten Teil dieses Wortes — Ausdruck in der 1979 abgehaltenen Konfe-

renz der Weltgesundheitsorgani- sation von Alma Ata und der von dieser Konferenz verabschiedeten Deklaration gefunden.

Lassen Sie mich in diesem Zusam- menhang ein europäisches Bei- spiel für die Einsicht in die Bedeu- tung der Allgemeinmedizin und entsprechendes politisches Han- deln aus jüngster Zeit anführen:

Es betrifft unser Nachbarland Frankreich. Dort ist durch Gesetz die Ausbildung zum Arzt ganz grundlegend umgestaltet worden.

So ist zukünftig nach bestande- nem Universitätsexamen für 60%

der Absolventen ein mehrjähriges sogenanntes Residanat in Kran- kenhäusern und freien Praxen vor- gesehen, an dessen Ende erst die Berechtigung zur Ausübung allge- meinärztlicher Tätigkeit in eigener Praxis steht. 40 Prozent der Absol- venten sollen ein sogenanntes In- ternat, das ausschließlich an be- sonders zugelassenen Krankenan- stalten abzuleisten ist, passieren, an dessen Ende dann die Berech- tigung zur Ausübung fachärztli- cher Tätigkeit steht.

Wohlgemerkt: Ich führe dieses Modell nicht etwa an, um es zur Nachahmung in der Bundesrepu- blik zu empfehlen; hiergegen sprechen m. E. eine ganze Reihe gewichtiger, insbesondere auch rechtlicher Gründe. Ich erwähne es als einen Hinweis darauf, welch große Bedeutung der Sicherung des Bestandes der Allgemeinme- dizin in unserem Nachbarland bei- gemessen worden ist.

84. DEUTSCHER ÄRZTETAG

Die Bedeutung der Allgemeinmedizin in der ärztlichen Versorgung

Förderung durch das Zentralinstitut für die

kassenärztliche Versorgung

Sanitätsrat Dr. Josef Schmitz-Formes,

Vorstandsvorsitzender des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland

1152 Heft 23 vom 4. Juni 1981 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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