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Archiv "Interview mit Prof. Dr. med. Karl Broich, Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM): Wissenschaftliche Rationale in Zeiten von Ebola" (28.11.2014)

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A 2098 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 111

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Heft 48

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28. November 2014 Herr Prof. Broich, Sie haben im August

Ihr Amt als Präsident des BfArM angetre- ten. Was haben Sie sich vorgenommen?

Broich: Unser Kerngeschäft verän- dert sich. Die Zulassung von Arz- neimitteln wird immer komplexer.

Innovationen sollen möglichst schnell die Patienten erreichen, was wir auch unterstützen. Das heißt aber bei innovativen Arzneimitteln manchmal eben auch: schnelle Zu- lassung auf limitierter Datenbasis.

Das bedeutet, dass wir über die Ri- siken noch nicht wirklich viel wis- sen. Hier im Interesse der Patienten den Ausgleich zu finden, kritisch genug zu sein, aber nicht zu kri- tisch, das ist mein zentrales Thema.

Welche Indikationen sind hier in erster Linie betroffen?

Broich: Das sind insbesondere On- kologika. Die europäische Zulas- sungsbehörde EMA spricht in die- sem Zusammenhang von „adaptive licensing“, sozusagen einer scheib- chenweisen Zulassung, beginnend mit kleinen Indikationen. Die Be- wertung der Zulassungsbehörden fußt also zunächst auf entsprechend kleinen Patientenzahlen. Für eine abschließende Sicherheitsbeurteilung braucht man aber eine möglichst breite Datenbasis. Da müssen wir den richtigen Weg finden. Die ameri- kanische Zulassungsbehörde FDA ist hier sehr dynamisch, in Europa sind wir ein bisschen konservativer.

Wie löst man den Konflikt zwischen schneller Verfügbarkeit und Patienten- sicherheit? Die Frage stellte sich ja

auch beim Einsatz des ungeprüften Präparats X-Map gegen Ebola.

Broich: Wir können als Zulas- sungsbehörden nicht einfach alle Sicherheitsaspekte über Bord wer- fen. Es ist wichtig, dass wir trotz der dramatischen Situation eine wissenschaftliche Rationale behal- ten. Wir brauchen klinische Prüfun- gen, um die Wirksamkeit gegen po- tenzielle Risiken abwägen zu kön- nen. Wir müssen die Behandlungs- daten zusammenführen, damit wir aus diesen Einzelfallbeobachtungen Hypothesen generieren können, wie man in Zukunft eine sinnvolle klini- sche Prüfung konzipieren kann.

Der Wissenschaftsrat hat dem BfArM gute Noten für den Kernbereich Zulas- sung erteilt. Welche Rolle spielt die Behörde in Europa?

Broich: Die innovativen Produkte durchlaufen alle das zentrale Zulas- sungsverfahren, das die EMA (Euro- pean Medicines Agency; Anmerkung der Redaktion) administriert. Dabei gibt es immer zwei Rapporteure, also Berichterstatter, die ein Präparat be- werten. Ausgesucht werden sie nach der besten verfügbaren Expertise für ein bestimmtes Anwendungsgebiet.

Das BfArM hat hier in den letzten Jahren Schwerpunkte entwickelt.

Wir sind sehr stark in der Onkologie,

INTERVIEW

mit Prof. Dr. med. Karl Broich, Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)

Wissenschaftliche Rationale in Zeiten von Ebola

Der Druck auf das BfArM wächst stetig: Die Zulassung von Arzneimitteln soll immer schneller erfolgen, aber zugleich ebenso sicher wie zuvor.

Der Präsident der Zulassungsbehörde sucht den Ausgleich.

Foto: Lajos Jardei

P O L I T I K

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Deutsches Ärzteblatt

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Heft 48

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28. November 2014 A 2099 beim Diabetes Mellitus, im Bereich

Antibiotika und bei ZNS-Erkrankun- gen. Hier möchte ich das BfArM in Zukunft noch stärker positionieren.

Wie hat sich das Zulassungsgeschäft verändert, seit mit dem Arzneimittel- marktneuordnungsgesetz 2011 die frühe Nutzenbewertung für neue Arzneimittel eingeführt wurde?

Broich: Unser Kerngeschäft hat sich dadurch eigentlich kaum verändert.

Allerdings gab es zwischenzeitlich Probleme: Die Präparate, die jetzt zur Zulassung kommen, sind ja seit fünf oder zehn Jahren in der Ent- wicklung. Da kam es immer wieder zu Diskrepanzen zwischen der vom Hersteller gewählten Vergleichsthe- rapie und der vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) vorgege- benen. Auch wir als Zulassungsbe- hörde wollten lieber von vorneherein neuere Arzneimittel miteinander ver- gleichen und nicht, wie es das AM- NOG ursprünglich vorsah, Innova- tionen mit altbewährten, preiswerten Medikamenten. Hier hat der Gesetz- geber inzwischen nachgebessert.

Was sind denn die Folgen solcher Diskrepanzen?

Broich: Wir haben zum Beispiel bei einem MS-Präparat, das in den klinischen Prüfungen sehr überzeu- gende Wirksamkeitsdaten geliefert hat, aus Gründen der Vorsicht die Zulassung auf schwerer betroffene Patienten begrenzt, die auf die Stan- dardtherapie nicht ansprechen.

Nach dem AMNOG muss das Insti- tut für Qualität und Wirtschaftlich- keit im Gesundheitswesen (IQWIG) aber dann für den G-BA genau die- se zugelassene Indikation prüfen.

Die Kollegen beim IQWIG hatten folglich das Problem, dass unsere Zweitlinien-Indikation nur auf zehn Prozent der Patienten der klinischen Prüfungen zutraf, so dass sie aus formalen Gründen keinen Zusatz- nutzen attestieren konnten.

Bedeutet das, dass unter solchen Umständen den GKV-Versicherten ein eigentlich wirksames Arzneimittel nicht zur Verfügung steht?

Broich: Im Extremfall könnte es da- zu kommen. Zurzeit versucht man aber, für das konkrete MS-Präparat

eine Lösung zu finden. Aber die Sen- sibilität für das Zusammenspiel zwi- schen Zulassung und Sozialrecht fehlte. Deshalb ist es extrem wichtig, dass BfArM und G-BA gemeinsam eine frühe Beratung der Pharmaunter- nehmen durchführen. Dieser Wunsch ist allerdings beim G-BA noch nicht auf allzu große Gegenliebe gestoßen.

Der Wissenschaftsrat hat in einem ak- tuellen Gutachten gelobt, dass das BfArM seit 2012 eine eigene For- schungsabteilung hat. Allerdings be- mängelt er, die Forschung finde nicht strukturiert genug statt.

Broich: Wir haben in der For- schungsabteilung drei Schwerpunkte definiert. Erstens: Pharmakogenomik

und stratifizierte Medizin, wo man sich mit der Frage beschäftigt: Wie kommt das richtige Medikament in der richtigen Dosierung zur richtigen Zeit an den richtigen Patienten?

Zweitens Pharmakovigilanz und Pharmakoepidemiologie: Dafür he- ben wir den Datenschatz aus dem Spontanmeldesystem über Arznei- mittelnebenwirkungen oder über Ri- sikomanagementpläne der Unterneh- men sehr viel systematischer als frü- her. Und drittens: die Produkt- und Anwendungssicherheit von Medizin- produkten. Der Wissenschaftsrat äu- ßerte jetzt die Sorge, dass die Vernet- zung zwischen der Forschungsabtei- lung und dem Kerngeschäft des BfArM nicht gelingen könnte. Hier werden wir Berührungspunkte schaf- fen und die Vernetzung optimieren.

Die Ernennung der Leiterin der For- schungsabteilung, Prof. Dr. Julia Stingl, zur Vizepräsidentin war dazu bereits ein wichtiger Schritt.

Warum ist es wichtig, dass Sie als Zulassungsbehörde selber forschen?

Broich: Wenn wir zu Sicherheits- aspekten oder zu stratifizierten Po- pulationen speziellere Fragestellun- gen angehen, ist das komplementär zur Forschung aus Universitäten oder Pharmaunternehmen. Wir ha- ben einen anderen Blickwinkel.

Für unsere tägliche Arbeit ist es zudem enorm wichtig, dass wir ver- stehen, wie Forschung heute funk- tioniert, wie die Methoden, die Aus- wertungsstrategien sind. Das hilft

unseren Assessoren unmittelbar, wenn sie klinische Prüfungen zur Genehmigung vorgelegt bekommen.

Außerdem müssen wir mit den Wis- senschaftlern aus den Pharmaunter- nehmen auf Augenhöhe diskutieren können.

Woran forschen Sie konkret?

Broich: Wir schauen uns zum Bei- spiel den Methylphenidat-Ver- brauch in Deutschland an. Es gab immer wieder Hinweise darauf, dass es ein ganz unterschiedliches regionales Verordnungsverhalten gibt. Diese These konnten wir mit unserer Forschung jetzt belegen und damit auf mögliche Über- und Unterversorgung hinweisen.

Was ist denn der Grund für die regiona- len Verordnungsunterschiede?

Broich: Das geben die Daten nicht her. Im Grunde können wir nur be- stätigen, dass es diese großen Un- terschiede, dass es ein Stadt-Land- Gefälle gibt. So können wir aber Anreize dafür schaffen, einmal ge- nauer hinzuschauen und das auch auf andere Indikationen ausdehnen.

Unsere Forschung soll unter dem Strich Verbesserungen für die Pa-

tienten bringen.

Das Interview führten Jens Flintrop und Heike Korzilius Karl Broich (55) kennt sich aus im BfArM. Vor 14 Jahren

wechselte er aus der Klinik in die Behörde, leitete dort das Fachgebiet Neurologie/Psychiatrie und anschließend die Abteilung Zulassung. Im August übernahm er das Amt des Präsidenten. Den weißen Kittel hat er an den Nagel ge- hängt, weil er „in der Regulierungsbehörde dazu beitragen kann, die Qualität klinischer Prüfungen und die Patienten- sicherheit weiter zu verbessern“. Wichtig ist ihm, dass er mit seiner Arbeit den Patienten verbunden bleibt.

ZUR PERSON

Unsere Forschung soll unter dem Strich Verbesserungen für die Patientinnen und Patienten bringen.

P O L I T I K

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