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Archiv "Interview mit Dr. med. Martina Wenker und Prof. Dr. med. Friedemann Nauck: Die Medizinethik im Vordergrund" (23.01.2015)

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A 128 Deutsches Ärzteblatt

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Heft 4

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23. Januar 2015

Die Medizinethik im Vordergrund

BÄK-Vizepräsidentin Martina Wenker und Palliativmediziner Friedemann Nauck bekräftigen die Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung und konkretisieren die Möglichkeiten einer fürsorglichen Medizin an einer Serie von Fallbeispielen.

Frau Dr. Wenker, Herr Prof. Nauck, wa- rum halten Sie es für notwendig, dass wir im Deutschen Ärzteblatt eine Serie mit Kasuistiken zur ärztlichen Verant- wortung in der Medizin am Lebensende veröffentlichen?

Wenker: Wir erleben derzeit in der Öffentlichkeit eine intensive Dis- kussion über Sterbebegleitung und die damit verbundenen Maßnah- men zur Verbesserung der Betreu- ung schwerstkranker und sterben- der Menschen. Immer wieder wer- de ich von Kollegen angesprochen, die sich intensiv mit der ärztlichen Betreuung ihrer Patienten am Le- bensende auseinandersetzen und um konkreten Rat fragen, wie sie in schwierigen Situationen entschei- den sollen.

Was sind die Hauptprobleme?

Wenker: Viele Kollegen wollen wissen, wie sie, auch und gerade in unserer modernen Hochleistungs- medizin, unter Beachtung von

Selbstbestimmungsrecht und Pa- tientenwille ein Sterben in Würde ermöglichen können. Angesichts unserer modernen Medizin mit vie- len technischen und apparativen Möglichkeiten fällt es oft schwer, den richtigen Zeitpunkt für eine Therapiezieländerung zu erkennen und ärztliche Basisversorgung, gute Pflege und spirituelle Begleitung in den Mittelpunkt unserer Maßnah- men zu stellen. Dabei können die Grundsätze zur ärztlichen Sterbebe- gleitung mit ihrer klaren medizin- ethischen Orientierung hilfreich sein.

Nauck: Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin setzt sich für eine gute, curricular gestützte Aus-, Weiter- und Fortbildung ein, um zu zeigen, dass für die Be- handlung körperlicher Symptome, psychischer, sozialer und spirituel- ler Probleme gute Linderungs- möglichkeiten und Lösungen er- zielt werden können.

Könnten Sie einige Themen anreißen, die Sie in den kommenden Kasuistiken vorstellen werden?

Wenker: Ein mir persönlich sehr wichtiger Fokus wird sich auf die Situation von Patienten in der häuslichen Umgebung, in der Be- treuung in Altenheimen, in der hausärztlichen Versorgung richten.

Es wird zum Beispiel darum ge- hen, ob und wann man noch eine künstliche Ernährung oder eine In- fusionsbehandlung einleiten soll oder ob nicht eine gute Mundpfle- ge und pflegerische Versorgung die letzte Lebensphase ebenso er- leichtern kann. Es wird darum ge- hen, ob man einen alten, nicht mehr ansprechbaren Menschen, welcher sich offensichtlich in der beginnenden Sterbephase befin- det, noch notfallmäßig nachts ins Krankenhaus bringen muss. Und es wird um die Beachtung des erklärten oder mutmaßlichen Pa- tientenwillens bezüglich einer Ein- stellung, Begrenzung oder Unter- lassung lebensverlängernder Maß- nahmen gehen. Dazu sind wir im Übrigen bereits jetzt gesetzlich verpflichtet, und daran wird und soll sich auch nichts ändern. Trotz- dem fürchten viele Menschen, in der Sterbephase noch qualvoll durch Apparate am Leben gehalten zu werden.

Nauck: Mit der Serie wollen wir zudem Kollegen aufrufen, uns weitere Kasuistiken zu schicken.

Wir würden uns damit gern ausei- nandersetzen, um besser erfassen zu können, welche Problemlagen von besonderem Interesse sind und dafür Handlungsoptionen auf- zeigen.

INTERVIEW

mit Dr. med. Martina Wenker und Prof. Dr. med. Friedemann Nauck

Wir brauchen vor allem Zeit für die Betreuung schwerstkranker Patienten – darin sind sich Martina Wenker, Vizepräsi- dentin der Bundes- ärztekammer und Präsidentin der Ärzte- kammer Nieder- sachsen, und Friede- mann Nauck einig.

Nauck ist Direktor der Klinik für Pallia- tivmedizin an der Georg-August-Uni- versität Göttingen.

Foto: Klinikr Palliativmedizin, UMG

T H E M E N D E R Z E I T

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Über Hospizarbeit und Palliativmedizin wird derzeit in der Gesellschaft inten- siv diskutiert – ein in der „Charta zur Betreuung schwerstkranker und ster- bender Menschen“ formuliertes Anlie- gen. Sind Sie zufrieden mit dieser Ent- wicklung?

Nauck: In den Medien finden die Themen Palliativmedizin und Hos- piz meines Erachtens bislang nicht genug Widerhall. Meist wird doch eher reißerisch über negative Bei- spiele der Versorgung am Lebens- ende und den assistierten Suizid be- richtet. Dennoch hat sich viel be- wegt. Die Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen wurde zu einer Nationa- len Strategie weiterentwickelt und wird von vielen Organisationen un- terstützt.

Wenker: Das stimmt. Dabei beein- druckt mich persönlich beispiels- weise sehr, mit welchem Engage- ment alle an dem Chartaprozess Beteiligten sich auch ihrer ge - sellschaftlichen Verantwortung be- wusst sind. Gilt es doch, eine umfassende Versorgung für jene Patienten zu gewährleisten, die aufgrund einer fortschreitenden le- bensbegrenzenden Erkrankung mit Sterben und Tod unmittelbar kon- frontiert sind.

Gibt es denn auch ausreichend Hospize und palliativmedizinische Angebote in Deutschland, wie in der Charta ge- fordert?

Nauck: Leider ist das regional sehr unterschiedlich. Wir haben viele stationäre Hospize, und auch die Etablierung der spezialisierten am- bulanten Palliativversorgung, kurz SAPV, ist mit großem Engagement angelaufen. Allerdings ist vielerorts die Finanzierung nicht gesichert.

Und die ist das A und O für eine gu- te Qualität der Versorgung.

Was müsste unter der Voraussetzung einer stabilen Finanzierung noch etabliert werden, um diese Qualität zu erreichen?

Nauck: Wir brauchen die palliativ- medizinischen Kompetenzen in al- len Bereichen sowie Palliativbeauf- tragte in jedem Krankenhaus und je- der stationären Pflegeeinrichtung.

Auch im ambulanten Bereich bedarf

es einer Stärkung der palliativen und hospizlichen Angebote sowie einer sektorenübergreifenden Ver- sorgung. Solange dies nicht gewähr- leistet ist, sollten SAPV-Teams ihre Kompetenz auch im Krankenhaus zur Verfügung stellen können und umgekehrt Krankenhausteams auch ambulant mitbehandeln dürfen.

Wenker: Und wir brauchen vor al- lem Zeit! Es gibt kaum etwas, was uns in der ärztlichen und pflegeri- schen Betreuung gerade schwerst- kranker Patienten mehr fehlt. Im Rahmen einer minutengetakteten medizinischen Versorgung lassen sich weder im stationären noch im ambulanten Bereich Patienten in Würde begleiten.

Nauck: Richtig! Denn die Planung und Kommunikation von Therapie- zieländerungen sind zeitaufwendig.

Es ist einfacher, eine kostenintensi- ve begonnene onkologische oder intensivmedizinische Therapie fort- zusetzen, als eine palliativ ausge- richtete Versorgung auf den Weg zu bringen. Wenn die finanziellen Res- sourcen optimaler eingesetzt wür- den, wäre vielen Patienten besser geholfen. Häufig wird die Wertig- keit dieser Behandlungsphase über- sehen. Da müssen wir sensibler werden.

Seit 2009 spielt die Palliativmedizin ei- ne größere Rolle bei der Ausbildung der Medizinstudierenden. Reicht das?

Wenker: Das ist auf jeden Fall ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Die Förderung einer in- tensiven Ausbildung, zudem aber auch einer kontinuierlichen ärztli- chen Weiter- und Fortbildung in diesem Bereich dient einer nachhal- tigen Verbesserung unserer ärztli- chen Kompetenz in der Versorgung von schwerkranken Patienten.

Denn die Medizin entwickelt sich rasant weiter, somit auch die Anfor- derungen an uns bei der Betreuung von schwerstkranken Patienten am Lebensende.

Als Fachgesellschaft kümmern Sie sich auch um die Forschung. Wie ist diese in der Palliativmedizin aufgestellt?

Nauck: Ehrlich gesagt: Da gibt es gerade im internationalen Ver- gleich noch deutliche Defizite.

Forschung in der Palliativmedizin wurde bisher hauptsächlich durch nicht staatliche Förderer, wie etwa die Deutsche Krebshilfe, finan- ziert. Wir brauchen dringend spe- zifische Förderprogramme durch die Deutsche Forschungsgemein- schaft oder das Bundesforschungs- ministerium.

Dennoch haben Sie für dieses Jahr das Erscheinen einer S3-Leitlinie angekün- digt . . .

Nauck: Ja, wahrscheinlich noch im ersten Halbjahr 2015 wird die S3-Leitlinie zur onkologischen Palliativmedizin fertiggestellt sein.

In diese ist sowohl viel Erfah- rungswissen als auch die aktuelle wissenschaftliche Evidenz einge- gangen.

Wenn Patienten den Lebenswillen ver- lieren, halten Sie dann den assistierten Suizid für eine mögliche Option?

Wenker: Meine Erfahrungen aus meiner langjährigen Tätigkeit in der pneumologischen Onkologie sind, dass Patienten, die aufgrund ihrer schweren Erkrankung den Lebens- willen verlieren und um Sterbehilfe bitten, mir damit signalisieren: Ich möchte so nicht mehr weiterleben.

Ich habe bisher keinen Patienten er- lebt, der mich gebeten hat, dass ich ihm einen Giftbecher auf den Nachttisch stellen möge. Patienten möchten auf Nachfrage, dass ich ih- nen helfe, dass ich Schmerzen, Luftnot oder Übelkeit lindere.

Nicht der ärztlich assistierte Suizid ist hier die Option, sondern eine fürsorgliche Medizin und ärztlicher Beistand beim Sterben.

Nauck: Es ist gut, dass derzeit das Thema mit viel Offenheit in der Ge- sellschaft diskutiert wird und wir Ärzte uns aktiv an dieser Diskussi- on beteiligen. Für mich ist Beihilfe zum Suizid keine ärztliche Aufga- be. Wenn aber Ärzte aufgrund ihrer vertrauensvollen Arzt-Patienten- Beziehung in einer Dilemmasituati- on eine Gewissensentscheidung hin zur Beihilfe zur Selbsttötung ge- troffen haben, ist dies bisher nach meiner Kenntnis nie strafrechtlich sanktioniert worden.

Die Fragen stellten Gisela Klinkhammer und Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann.

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