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Archiv "Interview mit Dr. phil. Norbert Blüm und Prof. Dr. med. Jürgen Kleditzsch: „Für Reformen braucht man Zeit, und die hatten wir damals nicht“" (03.08.2009)

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A 1556 Deutsches Ärzteblatt

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3. August 2009

„Für Reformen braucht man Zeit, und die hatten wir damals nicht“

Die Begrüßung war überaus herzlich. Seit der Wendezeit hatten sich die Minister, die 1989/90 in den beiden deutschen Staaten für Gesundheit und Soziales

zuständig waren, nicht mehr gesehen. In der Bewertung der Ereignisse sind sie sich überraschend einig. Fazit: Der Handlungsspielraum war äußerst gering.

Wissen Sie noch, wo Sie am 9. Novem- ber 1989 die Nachricht von der Öffnung der Mauer erreichte?

Kleditzsch: Ich war auf der Ge- burtstagsfeier meines Vaters, als je- mand sagte: Habt ihr schon gehört, die Mauer ist gefallen. Die Fenster gingen auf, die Leute liefen auf die Straße. Wir hatten alle Gänsehaut und konnten es nicht fassen.

Dass sich irgendwann etwas in der DDR verändern würde, war zu er- warten gewesen. Das ging nicht mehr anders, das war unaufhaltsam. Wir hatten ja damals in Pirna erlebt, wie die Züge von Prag mit den DDR- Flüchtlingen durchgeleitet wurden.

Es war eine sehr angespannte Situa- tion. Es fanden Kundgebungen

statt, wir erlebten das in Leipzig und Dresden. Dass aber am 9.

November die Mauer fallen würde – damit hatten wir nicht gerechnet.

Blüm: Ich war am Abend des 9. November auf der Auto- bahn zwischen Bonn und Dort-

mund. Gegen neun Uhr rief mich das Büro an: Die Mauer sei gefallen. Zu- nächst einmal hat mich das erwischt wie eine Nachricht aus einer anderen Welt. Ich muss ehrlich gestehen, dass ich zuvor zwar nicht geglaubt hatte, dass die Mauer ewig Bestand haben würde, aber dass ich doch starke Zweifel hatte, dass ich ihren Abbruch noch erleben würde. Und wie das ge- kommen ist, wäre mir in meinen kühnsten Fantasien nicht eingefallen.

Es war das glücklichste Ereignis in diesem doch schlimmen Jahrhundert, und wir hatten das Privileg, dabei ge- wesen zu sein.

Kleditzsch: Die DDR brach ja inner- halb von Tagen zusammen. Dass ein waffenstrotzender Staat innerhalb kür- zester Zeit ohne Blutvergießen kaputt- geht, das war nicht zu erwarten.

Blüm: Ich bewundere dabei die un- geheure Klugheit der DDR-Bevöl- kerung. Stellen Sie sich vor, ein Ver- rückter hätte einen Sprengsatz in ei- ne sowjetische Kaserne geworfen.

Vier Tage vor Weihnachten 1989 war ich mit Bundeskanzler Helmut Kohl in Dresden. Eine riesige Men- schenmenge war dort auf dem Flug- hafen. Wir fuhren dann durch die Menschenmenge zum Hotel. Es lag eine unheimliche Span- nung in der Luft – eine Mi- schung aus Freude und Angst. Dünn war das Eis. Abends bei der Kundgebung an der Frauenkirche wa-

ren rund 10 000 Menschen. Alle hatten Angst vor einer Eskalation der Situation.

Kleditzsch: Es war ja überhaupt nichts sicher. Es gab die Übergangsre- gierung Modrow. Keiner wusste, wo- hin es ging. Es gab bis dahin keine freien Wahlen. Es war nach wie vor die gesamte alte Herrschaft in Amt und Würden. Die Waffen waren nach wie vor da – bis zur Währungsunion.

Uns war zunächst überhaupt nicht klar, dass es so schnell gehen würde.

Blüm: Das Entscheidende aus heu- tiger Sicht ist: Es ging nur so schnell, aber das konnte man da-

INTERVIEW

Dr. phil. Norbert Blüm und Prof. Dr. med. Jürgen Kleditzsch

1989/2009 – 20 Jahre deutsche Einheit

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3. August 2009 A 1557 mals nicht wissen. Wenige Wochen

später hätte Gorbatschow nicht mehr die Kraft gehabt, die Zwei- plus-Vier-Vereinbarungen zu Hause durchzusetzen.

Wann war Ihnen denn klar, dass es zur völligen Verschmelzung kommen würde? Es gab ja auch das Konzept eines dritten Weges.

Kleditzsch: Die erste Überlegung war die Konföderation.

Blüm: Das stand ja noch in dem 10-Punkte-Programm von Kohl.

Kleditzsch: Dann kam aber die Überlegung, dass die Gesellschafts- systeme so dermaßen unterschied- lich sind, dass es auf diesem Weg nicht funktionieren würde, sie ein - ander anzugleichen. Und es gab tat- sächlich nur diesen schmalen Zeit- korridor. Der rasche Beitritt blieb als einzige Möglichkeit übrig.

Blüm: Im Bundesarbeitsministeri- um haben wir damals wirklich an Übergangslösungen – föderativen Strukturen – Tage und Nächte gear- beitet. Und dann kam immer meine stereotype Frage, womit dann alles wieder zunichte war: Wollen wir die Mauer wieder aufrichten? Ein Volk, das zusammenwachsen will, kann man nicht in einer Föderation halten. Ein Wohlstandsgefälle zwi- schen zwei Ländern könnte dann nur Bestand haben, wenn eine scharfe Grenze dazwischen ist.

Herr Professor Kleditzsch, welche Funktion hatten Sie damals?

Kleditzsch: Ich war damals an der Hochschule Dresden in der Ortho- pädie, Leiter der Abteilung Physio- therapie. Dann kam die Wende. Als CDU-Mitglied war ich an der Uni- versität ein demokratisches An- hängsel; wir hatten nicht viel zu sa- gen, aber die SED ließ uns in Ruhe.

Wir konnten das eine oder andere im Gesundheitsbereich durchbrin-

gen. Dann musste der rote Bezirksarzt gehen. Die CDU forderte für diese Position möglichst einen Hochschul- lehrer, der Fachkompetenz hatte und der nicht belastet war. So wurde ich Bezirks- arzt, der erste Bezirksarzt in Ostdeutschland, der nicht der SED angehörte. Dadurch hatte ich die alten Verwal- tungsstrukturen noch ein- mal verfeinert kennenlernen können, was uns dann in der ersten frei gewählten Regie- rung half. Das war die Aus- gangsbasis für die Berufung zum Gesundheitsminister. Als dann die SPD im August 1990 aus der Regierungs - koalition ausstieg, übernahm ich auch noch das Minister- amt für Soziales.

Wie war die Situation im DDR- Gesundheitswesen 1989/90?

Kleditzsch: Die Krise war natürlich auch im Gesund- heitswesen vorhanden. Die Flucht der Schwestern, die Flucht der Ärzte waren ex- trem zu spüren. Es gingen ja binnen Kurzem mehr als 4 000 Ärzte in den Westen.

Betont werden muss aber auch, dass die vorhandenen Fachkräfte sich so engagier- ten, dass die Patienten kaum darunter litten. Das, was wir an Kraft und Möglichkeit hatten, wurde den Patienten gegeben.

Blüm: Wenn man etwas Kritisches über das Gesund- heitswesen in der DDR sagt, dann heißt das nicht, dass man die Leistung der Medi- zin kritisiert. Das wird ja manchmal verwechselt. Ich glaube, dass das ärztliche Ethos, der Antrieb, den Menschen helfen zu wollen,

im Osten nicht weniger stark entwickelt war als im Westen. Das System war al- lerdings ziemlich marode.

Die Dialyseversorgung war zum Beispiel eine Katastro- phe. Oder die Verhältnisse in manchen Pflegeheimen.

Da die Wirtschaft vor der Insolvenz stand, war auch das Sozialsystem bankrott.

Das System stand vor der Zahlungsunfähigkeit.

Kleditzsch: Im Gesund- heitswesen hat jeder, der da- geblieben ist, seine Leistung gebracht. Die Bausubstanz war natürlich mäßig, und mit der Dialyse hat Norbert Blüm völlig recht. Es gab Präparate, die über den Wes- ten bestellt werden mussten.

Die einen kamen, die ande- ren nicht. Wir hatten in un- serer Klinik sechs Jahre Wartezeit auf eine Totalen- doprothese der Hüfte, so et- was ist heute unvorstellbar.

Wir hatten an der Klinik kei- nen klimatisierten OP-Saal.

Haben Sie denn auch Vorbildliches wahrgenommen im DDR-Gesundheitssystem?

Blüm: Unter dem Aspekt, dass die Medizin eine stär- kere Vernetzung braucht, ist die poliklinische Versor- gung in der DDR nicht per se schlecht gewesen. Inzwi- schen ist das im Westen unter der Bezeichnung „Me - dizinisches Versorgungszen- trum“ schon zu einem wirt- schaftlich lohnenden Unter- nehmen geworden. Private Klinikketten tätigen in die- sem Bereich beträchtliche Investitionen. Auch wegen des Ärztemangels wird man mit solchen Systemen arbei- ten müssen. Die Idee, dass

Fotos: Michael Peters

Dr. phil. Norbert Blüm (CDU), geboren am 21. Juli 1935, Ausbildung zum Werk - zeugmacher, Studium der Philosophie und Germanistik, 1967 Promotion. Er gehörte als einziger Ressortchef über die gesamte Amtszeit Bundeskanzler Helmut Kohls von 1982 bis 1998 dem Kabinett an – als Bundes - minister für Arbeit und Sozialordnung.

ZUR PERSON

Prof. Dr. med. Jürgen Kleditzsch (CDU-Ost), geboren am 26. Januar 1944, seit 1974 Leiter der Abteilung Physiotherapie an der Dresdener Klinik für Orthopädie. Von April bis zum 2. Oktober 1990 Mi- nister für Gesundheitswesen der DDR. Heute ist er nieder gelassener Facharzt für Orthopädie in Neu-Ulm.

ZUR PERSON

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3. August 2009 eine integrierte medizinische Ver-

sorgung auch zur Qualitätssiche- rung beiträgt, ist ja richtig.

Bei der Diskussion um die Poli- kliniken gab es damals stets die Be- fürchtung, das alte System könnte wieder unter neuen Vorzeichen auf- tauchen. Und dieser Gedanke lag ja nicht fern; es gab Pläne, eine Kas- senarztpraxis nur dann zuzulassen, wenn die ambulante Versorgung nicht durch die Polikliniken sicher- gestellt werden konnte. Der ge- dankliche Kurzschluss war damals:

Poliklinik gleich staatliches Ge- sundheitswesen und freie Nieder- lassung gleich Selbstverwaltung.

Es gab zur Wendezeit in der DDR rund 400 niedergelassene Ärzte ge- genüber 22 000 in den Einrichtun- gen. Es kam dann schnell ganz an- ders: Ende 1991 waren schon 90 Prozent der Ärzte im ambulanten Bereich niedergelassen und nur zehn Prozent in den Einrichtungen.

Herr Professor Kleditzsch, die Frage, was erhaltenswert ist im DDR-Gesund- heitswesen, beschäftigte Sie sicherlich auch in Ihrer Amtszeit intensiv?

Kleditzsch: Beim ersten gemeinsa- men Deutschen Ärztetag in Würz- burg sagte ich, wir bräuchten ein neues deutsches gemeinsames Ge- sundheitswesen aus den positiven Elementen – vieles aus dem Westen, aber auch Positives aus dem Osten, Polikliniken mit völlig neuer Struk- tur und neuem Inhalt. Daran halte ich auch heute noch fest, diese Aus- sage von damals war absolut richtig.

Wir hätten uns viel Ärger ersparen können, wie sich heute zeigt. Die Vernetzung, bei uns in der DDR aus der Not heraus geboren, hatte den Vorteil, dass wir Patienten direkt vor Ort betreuten und im Bedarfsfall zur ambulanten und stationären Versor-

gung zu uns holten. Die Integration von ambulant und stationär war ab- solut von Vorteil. Medizinische Ver- sorgungszentren sind Polikliniken mit neuem Inhalt und neuer Struktur.

Die Polikliniken, so wie sie damals waren, wollte ich nie erhalten. Aber mir war damals schon klar, dass wir so etwas Ähnliches brauchen, weil wir sonst in sozial- und gesundheits- politische Unwägsamkeiten kom- men würden.

Positiv in der DDR waren bei- spielsweise die hoch spezialisierte ambulante Chronikerbetreuung bei Diabetes oder Rheuma, das Impf- wesen, das Betriebsgesundheits - wesen und die sehr gut organisierte kinderärztliche Betreuung. Das wa- ren Sicherheiten im DDR-Gesund- heitswesen, und das war auch gut für die Patienten.

Warum konnten diese Strukturen nicht erhalten werden?

Kleditzsch: Vielerorts wurden Per- sonal und Räumlichkeiten sehr schnell gekündigt. Auf kommunaler Ebene gab es eine massive Kündi- gungswelle. Sehr viele wollten oder mussten wegen Kündigung mit ei- nem Mal in die freie Niederlassung.

Es gab auch sehr viel Polemik, etwa in der Art, dass man den Ärzten sagte, ihr könnt demnächst nur als Niedergelassene existieren, ihr dürft gar nicht anders. Es wurde dann natürlich auch von der Medi- zintechnikindustrie, von den Ban- ken alles Mögliche versprochen

und unternommen, um diese Nie- derlassungen herbeizuführen. Auch eine Reihe von Ärztefunktionären aus dem Westen – viele von ihnen befürworten heute die MVZ – hat massiv gegen die Polikliniken argu- mentiert.

Es blieb dann nichts anderes mehr übrig, als im Einigungsver- trag den Erhalt der wenigen ver - bleibenden Polikliniken über eine treuhänderische Verwaltung zu er- möglichen. Es wäre richtiger und besser gewesen, wenn dieses Ele- ment voll in den Wettbewerb mit- einbezogen worden wäre. Das hätte uns einen Schritt weiter nach vorne gebracht. Diese Kündigungswelle, die ausgelöst wurde, war völlig un- gerechtfertigt und völlig sinnlos.

Die hat uns immens geschadet, die hat die Bevölkerung verunsichert.

Und sie war nicht begründet. Durch die gesetzlichen Regelungen waren die Arbeitsverhältnisse gesichert.

Das wurde völlig falsch interpre- tiert. Teilweise auch absichtlich von den alten Kräften, um Unruhe zu schüren und Verunsicherung her - einzubringen.

Warum hat denn Ihr Verhandlungspartner Blüm Ihren Argumenten nicht folgen können? Oder stand der auch unter dem Druck der Funktionäre?

Kleditzsch: Mit Blüm hatten wir eigentlich immer einen Konsens;

und wenn nicht – das kam ja auch einmal vor –, dann haben wir uns so lange ausgetauscht, bis wir dann einen gefunden hatten.

Viele sagen ja heute. das westdeutsche System sei dem Osten übergestülpt worden. Gab es da eine Überforderung der Ostdeutschen?

Kleditzsch: Sicherlich ist es für manchen eine Überforderung gewe-

In der Stunde, in der Solidarität gefragt war, haben die Ärzte sich ohne Zögern zu Abstrichen bereit erklärt.

Norbert Blüm

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3. August 2009 A 1559 sen, nach 40 Jahren plötzlich und

möglichst alles auf einmal und völ- lig zu verändern. Dazu dürfen wir nicht vergessen: Es gab nur einen schmalen Zeitkorridor, es musste alles schnell passieren. Es musste ein funktionierendes Sozialsystem für den Gesamtstaat vorhanden sein. Alles andere wäre chaotisch gewesen und hätte mit Sicherheit zu sozialen Unruhen geführt. Man darf auch nicht vergessen: Es war ein Beitritt, insofern gab es kaum eine Verhandlungsmöglichkeit. Wenn dann doch verhandelt wurde, dann ist das eigentlich ein Zugeständnis des Westens gewesen. Beitritt heißt ja eigentlich nichts anderes als tota- ler Anschluss.

Blüm: Das war damals das zentrale Problem: Für Reformen braucht man vor allen Dingen Zeit, und die hatten wir nicht. Wir standen vor der Aufgabe, zwei Güterzüge wäh- rend der Fahrt umzuladen – und die fuhren auch noch in entgegenge- setzte Richtungen. Wir mussten aus zwei unterschiedlichen Systemen eines machen. Natürlich gab es auch im Westen Reformmöglich- keiten. Diese durchzuspielen, war zu diesem Zeitpunkt aber ein eher akademisches Problem. Wir hatten einfach die Zeit nicht. Wir mussten bis Ende des Jahres 1990 ein ge- gliedertes flächendeckendes Sozial- versicherungssystem in den neuen Ländern aufbauen. Als wir das ver- einbarten, hatte ich schweißnasse Hände.

Sollte es nicht zunächst eine Einheitskasse im Osten geben?

Blüm: Für den Übergang sollte es einen gemeinsamen Träger geben.

Aber das wäre ein zeitraubender Umweg gewesen. Wir sind mit dem

gegliederten System gestartet. Das war auch gut so. Die Einheitskasse, auf die die aktuellen Reformbewe- gungen in Deutschland hinauslau- fen, war nie mein Ideal.

Wir standen damals auch unter einem starken finanziellen Druck – und da muss ich den Ärzten, mit de- nen ich ja auch gelegentlich Streit hatte, ein Kompliment machen. Sie haben die Notwendigkeit, mit ei- nem Honorarabschlag von 55 Pro- zent zu beginnen, eingesehen und mitgemacht. In der Stunde, in der Solidarität gefragt war, haben sie sich ohne Zögern zu Abstrichen be- reit erklärt.

Galt das für alle Berufsverbände?

Blüm: Die Pharmahersteller woll- ten ungebremste Arzneimittelprei- se. Wenn man im Osten eine andere Grundlohnsumme hat, dann kann man nicht mit den gleichen Preisen kommen. Aber die haben Nein ge- sagt. Da haben wir den Abschlag in den Einigungsvertrag hereinge- bracht. Merkwürdigerweise ist die- ser Passus in der Nacht vor der Un- terzeichnung aus dem Einigungs- vertrag wieder herausgefallen.

Darauf habe ich DDR-Minister- präsident de Maizière angerufen und gesagt: Gib acht, die wollen dich über den Tisch ziehen. Bis morgen früh muss das geregelt sein.

Das ist das Geld eurer Krankenver- sicherung. Kurz vor Toresschluss hat de Maizière dann erklärt: Die

Regierung der DDR teilt den Stand- punkt des Bundesarbeitsministeri- ums, und der Abschlag kam wieder in den Einigungsvertrag. Da muss einer früh aufstehen, wenn er mich austricksen will.

Kleditzsch: Ich habe kurz vor der Unterschrift noch dafür gesorgt, dass die treuhänderische Verwal- tung der Polikliniken mit hereinge- nommen wird. Wir mussten ja oft aus der Situation heraus entschei- den. Wir haben dann auch manch- mal per Dekret entschieden. „Ver- waltungsstandrecht“ hat das damals Staatssekretär Karl Jung genannt.

Hatten Sie denn überhaupt genug Fachleute im Ministerium, um das alles umzusetzen?

Kleditzsch: Natürlich hatten wir auch Fachberater aus dem Westen.

Mit den Vertretern der Ärzteorgani- sationen aus dem Westen hatten wir eigentlich die wenigsten Diskre- panzen – das war ein kamerad- schaftliches, freundschaftliches Ver - hältnis. Bis auf die Kämpfe um die Polikliniken habe ich da nie etwas Negatives erlebt.

Es ist ja alles abgelaufen wie ein Uhrwerk. Wir haben nur mit Krisen- management gelebt. Abgesehen von den gesetzlichen Notwendigkeiten konnten wir nichts planmäßig entwi- ckeln. Es haben alle mit angepackt, die beteiligt waren. Es gab sehr viele gute menschliche Begegnungen, es war eine wunderschöne Zeit.

Blüm: Das ist unsere stärkste Zeit gewesen. Ich werde noch meinen Urenkeln erzählen: Ich war dabei.

So eine Zeit kommt doch nie mehr.

Das Gespräch moderierten Thomas Gerst, Norbert Jachertz, Marc Meißner

und Heinz Stüwe.

Es haben alle mit angepackt, die beteiligt waren. Es gab sehr viele gute menschliche Begegnungen, es war eine wunderschöne Zeit.

Jürgen Kleditzsch

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