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Archiv "Interview mit dem Berliner Sexualmediziner Prof. Dr. med. Dr. phil. Klaus M. Beier: „Eine dauerhafte Verhaltenskontrolle ist erreichbar“" (26.03.2010)

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A 530 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 107

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Heft 12

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26. März 2010

„Eine dauerhafte Verhaltenskontrolle ist erreichbar“

Über Täter und Opfer sexuellen Missbrauchs in Erziehungseinrichtungen

Herr Professor Beier, Ihr Institut ist bekannt durch seine Forschung zum sexuellen Missbrauch, insbesondere durch Pädophile, ein Thema, das aktuell die Schlagzeilen beherrscht.

Sind Pädophilie und auch Hebephilie überhaupt therapierbar?

Wenn also chronische Erkrankung – sind die Täter dennoch strafrechtlich verantwortlich?

Beier: Der Gesetzgeber hat die so - genannte schwere andere seelische Abartigkeit als Subsumtionsmerk- mal für die verminderte Schuldfähig- keit aufgenommen, unter der auch eine sexuelle Präferenzstörung wie die Pädophilie einzuordnen wäre.

Das Gesetz sieht aber vor, dass in ei- nem weiteren Schritt geprüft werden muss, ob zum Zeitpunkt der Tat der krankheitswerte Zustand die Steue- rungsfähigkeit „erheblich“ einge- schränkt hat, was in der Regel nicht der Fall ist: Die Täter können ihr Verhalten sehr wohl steuern, was un- ter anderem daran erkennbar wird, dass sie versuchen, sozial unkontrol- lierte Situationen herzustellen, um einen Übergriff zu begehen oder Missbrauchsabbildungen zu nutzen.

Letzteres wird verharmlosend als Kinderpornografie bezeichnet.

Was lehrt Ihre Erfahrung aus der Bera- tung pädophiler Männer: Können Täter nach einer Therapie wieder in pädagogi- schen Einrichtungen eingesetzt werden?

Beier: Ziel einer Behandlung ist die Akzeptanz der eigenen sexuellen Präferenz als unveränderbar und das Erlernen einer verantwortungs- vollen Kontrolle der pädophilen Impulse. Wir wissen aus unserer Arbeit mit nichtjustizbekannten potenziellen oder realen Tätern, dass sie von dieser Möglichkeit, einschließlich der Nutzung von me- dikamentösen Optionen, auch ohne justiziellen Druck Gebrauch ma- chen. Wenn diese Verantwortungs- übernahme sichergestellt ist, be- steht kein Hinderungsgrund, als Pä- dagoge tätig zu sein, wobei die Be- troffenen selbst vermeiden werden, mit Schülern oder Schülerinnen zu arbeiten, die das präferierte Körper- schema aufweisen. Entscheidend ist aber auch, dass pädophile Männer präventiv erreicht werden, bevor sie ihre Berufswahl treffen. Wer ver- antwortlich mit seiner Neigung um-

INTERVIEW

mit dem Berliner Sexualmediziner Prof. Dr. med. Dr. phil. Klaus M. Beier

Klaus M. Beier, Facharzt für Psychotherapeutische Medi- zin, leitet das Institut für Sexualwissenschaft und Sexual- medizin der Charité, das seit 1. Januar auch eine Hochschul- ambulanz betreibt. Beier und sein Team sind in der Diagnos- tik und Therapie pädophiler Männer besonders engagiert.

Vorreiter sind sie mit dem Forschungs projekt „Kein Täter werden“, das vorrangig der Prävention sexuellen Miss- brauchs im Dunkelfeld gewidmet ist.

Beier: Therapierbar, aber nicht heilbar. Die Pädophilie ist eine in den Internationalen Klassifikati- onssystemen (ICD-10, DSM-IV- TR) erfasste Störung der sexuellen Präferenz. Es besteht eine sexuelle Ansprechbarkeit für das kindliche Körperschema, nicht für ein kalen- darisches Alter. Bei der Hebephilie liegt hingegen eine sexuelle Erreg- barkeit durch das pubertäre Kör- perschema vor – welches ja von den meisten Mädchen und Jungen deutlich vor dem 14. Lebensjahr erreicht wird. Die pädophile oder hebephile Präferenz manifestiert sich als ausschließlicher oder nichtausschließlicher Typus im Jugendalter und bleibt hiernach lebenslang unveränderbar. Wie an- dere chronische Erkrankungen ist auch sie durch fehlende Heilbar- keit gekennzeichnet, weil sich die sexuelle Präferenz nach Abschluss der Pubertät nicht ändern lässt.

Umso mehr ist eine dauerhafte Ver- haltenskontrolle anzustreben und auch erreichbar. Das Behandlungs- ziel besteht folglich darin, dass aus den pädophilen Impulsen, die dem Betroffenen nicht vorgeworfen werden können, keine Taten wer- den, die ihm vorgeworfen werden müssen. Um dieses Ziel zu errei- chen, werden sexualmedizinische, psychotherapeutische und medika- mentöse Optionen genutzt.

Foto: privat

P O L I T I K

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26. März 2010 A 531 geht, wird immer Konsequenzen

ziehen, weil er selbst dafür Sorge tragen möchte, dass Kinder keinen Schaden nehmen. Das gilt selbst- verständlich auch für die Wahl der Kinder- und Jugendmedizin als Facharztgebiet.

Zu den Opfern: In der Presse ist zurzeit von „den Opfern“ die Rede, müsste da nicht unterschieden werden, etwa nach Intensität des Erlebens?

Beier: Je näher der Täter dem Opfer steht, je früher der Missbrauch be- ginnt und je länger er anhält, je mas- siver die Übergriffe sind und je we- niger sich das Opfer dem Täter zu entziehen oder sich anderen zu of- fenbaren vermag, umso gravierender sind die Spät- und Langzeitfolgen.

Insbesondere auf die protektive Wir- kung der Familienatmosphäre für die Überwindung von Traumafolgen muss immer wieder hingewiesen werden. Menschen sind grundsätz- lich angewiesen auf die Erfüllung psychosozialer Grundbedürfnisse nach Annahme und Akzeptanz in Bindungen, die Schutz bieten und auf die man vertrauen kann. Genau das wird Opfern genommen.

Fühlen sich diese Opfer befreit, wenn sie sich offenbaren und die Täter benannt werden?

Beier: Opfern muss das Vertrauen in das Gelingen von Beziehungen zurückgegeben werden, sofern dies überhaupt noch möglich ist, wenn der Täter eine Zuwendungsperson aus dem familiären Nahbereich ist und das Kind keinen Ausweg aus dem Einflusskreis des Täters findet.

Zweifelsohne hat aber die klare Verortung jedweder Schuld beim Täter eine wichtige, psychisch ent- lastende Funktion, so dass es immer sinnvoll ist, Täter zu benennen und zur Verantwortung zu ziehen.

Was halten Sie von der These, die Ge- sellschaft sei mitverantwortlich, weil in den 68er Jahren sexueller Verkehr mit Jugendlichen befürwortet worden sei?

Beier: Wir müssen akzeptieren, dass die menschliche Sexualität Er- scheinungsformen in einem sehr breiten Spektrum aufweist und Be- sonderheiten der sexuellen Präfe- renzstruktur zu diesem Spektrum

gehören. Dies gilt auch für die pä- dophile oder die hebephile Nei- gung, die es zeit- und kulturüber- greifend schon immer gab und im- mer geben wird. Der Versuch, sie mit Phänomenen des Zeitgeistes zu erklären, ist ein durchsichtiges Ab- lenkungsmanöver von der erforder- lichen Auseinandersetzung auch mit den schwerer verständlichen Aspekten menschlichen Daseins.

Im Vordergrund steht derzeit Miss- brauch durch Männer. Ist Missbrauch durch Frauen anders zu bewerten als der durch Männer?

Beier: Sexuelle Übergriffe durch Frauen sind meist Ausdruck von Er- satzhandlungen: Die sexuelle Präfe- renzstruktur der Täterinnen ist durch eine Ausrichtung auf das erwachse- ne Körperschema gekennzeichnet, aber aus verschiedenen Gründen in itiieren sie ersatzweise sexuelle

Handlungen mit Kindern. Derartige Ersatzhandlungen kommen aber we- sentlich häufiger bei Männern vor und erklären den Hintergrund von etwa 60 Prozent der Täter, die sexu- elle Übergriffe auf Kinder begehen.

40 Prozent sind pädophil motivierte Täter, und eine pädophile Neigung kommt wiederum bei Frauen nur ex- trem selten vor.

Gibt es verlässliche Zahlen über den Anteil Pädophiler an der Bevölkerung?

Beier: Aus Befragungen von Op- fern lässt sich zwar die Prävalenz sexueller Übergriffe in der Allge- meinbevölkerung abschätzen, aber es ergibt sich kein Aufschluss über den motivationalen Hintergrund der Täter. Dies ist nur möglich durch repräsentative Befragungen zum sexuellen Erleben und Verhal- ten. Mit der Berliner Männerstudie haben wir in Deutschland Zahlen ermittelt, wonach etwa ein Prozent der männlichen Allgemeinbevöl- kerung eine sexuelle Ansprechbar- keit für den kindlichen Körper auf- weist.

Können sich sowohl bei Opfern wie bei Tätern Erinnerungen an die Tat mit der aktuellen Missbrauchsdiskussion vermischen?

Beier: Aus der eigenen Arbeit mit Erwachsenen, die in ihrer Kindheit sexuell traumatisiert wurden, lässt sich klar ableiten, dass verschiedens- te Ereignisse geeignet sein können, um Erinnerungen an Missbrauchser- lebnisse wachzurufen. Dies können Zeitungsartikel sein, aber auch Film- szenen, die Intimkontakte zeigen. In- sofern wäre es überraschend, wenn die jetzige Diskussion nicht bei be- troffenen Opfern diese Erinnerungen anstoßen würden.

Wie kann man Mitarbeiter von Einrichtungen für Kinder für das Thema sensibilisieren?

Beier: Mitarbeiter aus pädagogischen Einrichtungen sind ja für das Thema sensibilisiert, aber im Umgang damit

nicht adäquat qualifiziert. Das wird schon daran erkennbar, dass Kinder und Jugendliche durch die Nutzung der neuen Technologien sexuelle In- halte kennengelernt haben, von denen viele Erzieher noch nicht einmal wissen, dass es sie gibt. 30 Prozent der Jungen sind bei Erstkontakt mit Internetpornografie zwischen acht und 13 Jahre alt, 15 Prozent haben be- reits strafrechtlich bewehrtes sexuel- les Bildmaterial gesehen. Sexuelle Aufklärung, die nicht hier anknüpft, wird unglaubwürdig, verlangt aber einen entsprechenden Ausbildungs- stand und eine Sicherheit im Umgang mit diesen Themen. Dies gilt übri- gens auch für die Ärzteschaft. Schwer verständlich ist daher, warum sich die Bundesärztekammer seit mehr als zehn Jahren gegen eine sexualmedizi- nische Weiterbildung sträubt. Eine entsprechende Zusatzbezeichnung gibt es bisher nur in Berlin. Mit Blick auf die aktuelle Debatte wäre es wün- schenswert, wenn die Medizin sicht- bar ihre diesbezüglichen Kompeten- zen nach außen tragen würde. ■ Das Interview führte Norbert Jachertz.

Ziel einer Behandlung ist die Akzeptanz der eigenen sexuellen Präferenz als unveränderbar und das Erlernen einer

verantwortungsvollen Kontrolle der pädophilen Impulse.

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