• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Interview mit Prof. Dr. med. Dr. phil. Martin Härter, Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Freiburg: „Es geht um die Veränderung einer hierarchischen Beziehung“" (27.08.2007)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Interview mit Prof. Dr. med. Dr. phil. Martin Härter, Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Freiburg: „Es geht um die Veränderung einer hierarchischen Beziehung“" (27.08.2007)"

Copied!
3
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

A2320 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 34–35⏐⏐27. August 2007

P O L I T I K

I

n zehn bundesweiten Projekten der Fachbereiche Innere Medizin und Allgemeinmedizin, Neurologie und Psychiatrie erprobten Ärzte und Wissenschaftler von 2001 bis 2005, wie eine gemeinsame Entschei- dungsfindung von Arzt und Patient aussehen könnte. Das Bundesminis- terium für Gesundheit (BMG) för- derte diese Modellprojekte mit circa drei Millionen Euro. Da in allen Projekten des Förderschwerpunkts der Nutzen des „Shared Decision- Making“ nachgewiesen werden konnte, hat das BMG bis Sommer dieses Jahres weitere 300 000 Euro zur Verfügung gestellt. Das Geld ist in vier Transferprojekte an den Uni- versitäten Jena, Heidelberg, Freiburg und Hamburg geflossen. Wissen-

schaftler und Kliniker – unter ihnen Prof. Dr. med. Dr. phil. Martin Härter vom Universitätsklinikum Freiburg – haben die Ergebnisse der Modell- projekte in die klinische Praxis um- gesetzt (siehe DÄ 2004; 101[17]: A 1140/DÄ 2005; 102[22]: A 1560/DÄ 2007; 104[21]: A 1483–7).

Herr Prof. Härter, die Zusammenarbeit von Arzt und Patient wurde vor einigen Jahren noch als „zartes Pflänzchen“

bezeichnet. Ist daraus inzwischen eine Pflanze geworden?

Härter: Das war ein sehr schönes Bild. Ich glaube, es ist inzwischen mehr als ein zartes Pflänzchen. Der Förderschwerpunkt war sicher ein wichtiger Anlass und auch ein Mo- tor für die Weiterentwicklung der

Patientenbeteiligung. Aber es ist auch parallel in den letzten fünf, sechs Jahren sehr viel passiert, den- ken Sie zum Beispiel an die Gesetz- gebung und die daraus resultierende Patientenbeteiligung im Gemeinsa- men Bundesausschuss oder die För- derung der unabhängigen Patienten- beratung und Selbsthilfe sowie die Ernennung einer Patientenbeauf- tragten.

Ob die Umsetzung in den Praxen und Kliniken schon so fortgeschrit- ten ist, wie wir uns das wünschen – daran habe ich noch Zweifel. Denn der Förderschwerpunkt und die dar- aus hervorgegangenen Transferpro- jekte konnten nur regional begrenzt ansetzen.

Wie sind Sie bei den Transferprojekten vorgegangen?

Härter: In den drei Transferprojek- ten in Jena, Freiburg und Hamburg lag der Schwerpunkt auf der Aus- und Fortbildung von Studierenden und Ärzten, in Hamburg auf überre- gionaler Patientenschulung. Unser Fokus lag in erster Linie auf der Ent- wicklung eines Curriculums und Se- minarprogramms für die Universitä- ten, denn wir wollen ja letztlich die Medizinstudierenden erreichen. Wir haben unter anderem bundesweit mehr als 100 Lehrbeauftragte an Universitäten unterrichtet. In diesen Train-the-Trainer-Seminaren haben wir Lehrfilme zur partizipativen Entscheidungsfindung gezeigt und unsere Präsentations- und Se- minarmaterialien zum Einsatz ge-

„Es geht um die Veränderung einer hierarchischen Beziehung“

Der Frontmann des „Patient als Partner“-Förderschwerpunkts über Probleme der

gemeinsamen Entscheidungsfindung, Berührungsängste vieler Ärzte und Patienteninformationen in anderen Ländern

INTERVIEW

mit Prof. Dr. med. Dr. phil. Martin Härter, Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Freiburg

Fotos:Georg J.Lopata

„Ein Problem ist, dass sich die Ärzte bisher noch zu wenig mit dem The- ma Patientenbeteili- gung identifizieren können.“

(2)

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 34–35⏐⏐27. August 2007 A2321

P O L I T I K

bracht. Wir und die Heidelberger Kollegen wurden als Trainer ange- fragt, den entsprechenden Link fan- den Interessierte auf unserer Home- page. Als das Angebot besser be- kannt war, sind unterschiedliche In- stitutionen auf uns und die anderen Transferprojekte zugekommen.

Gibt es schon Ergebnisse der Transfer- projekte?

Härter: Die Aus- und Fortbildungs- maßnahmen des Heidelberger und Freiburger Projekts werden derzeit evaluiert. Wir wollten von den Ärz- ten wissen, wie sie das Training be- werten. Und wir wollten wissen – das war eine Idee der Heidelberger Kollegen –, wer solche Fortbildun- gen in Anspruch nimmt. In ein bis zwei Monaten wissen wir mehr, dann wird der Abschlussbericht vor- gelegt. Auch die anderen Arbeits- gruppen haben ihre Projekte abge- schlossen.

Hand aufs Herz: Trotz des bisherigen Engagements aller Beteiligten scheint noch viel Arbeit erforderlich zu sein, bis eine gemeinsame Entscheidungs- findung in der Fläche umgesetzt ist . . . Härter: Ein Problem ist, dass sich bisher noch zu wenige Ärzte mit dem Thema identifizieren können.

So war auch der Zulauf der Ärzte- schaft zu unseren jährlichen Fachta- gungen immer sehr begrenzt. Viele finden das Thema interessant, kom- men deshalb aber nicht unbedingt auf eine Tagung. Sich richtig dafür einzusetzen und dafür etwas zu tun, das wollen und können bislang nur wenige.

Liegt es daran, dass viele Ärzte das Thema „Kommunikation Arzt-Patient, gemeinsame Entscheidungsfindung“

als „weiches Thema“ abtun?

Härter: Viele Ärzte sind der Über- zeugung, dass das Gespräch zwi- schen ihnen und den Patienten oh- nehin schon gut verläuft. Wobei wir gesehen haben, dass das bei Weitem nicht der Fall ist. Wir haben zum Beispiel in unserem damaligen Mo- dellprojekt ärztliche Konsultationen aufzeichnen lassen, weil es uns in- teressiert hat, wie hoch der Grad der Patientenbeteiligung wirklich ist.

Wir stellten fest, dass Ärzte ihre Pa-

tienten bislang wenig in medizini- sche Entscheidungen einbeziehen.

Da war es für uns beruhigend zu sa- gen: „Gut, da lohnt sich ein Training.“

Wir haben gesehen, dass die Arzt- Patienten-Kommunikation nach den Trainings deutlich besser geworden ist. Für Ärzte ist ein solches Trai- ning nicht ganz einfach, denn das Gesprächsmodell erfordert, einen Rollenwechsel zu vollziehen. Pati- ent und Arzt sind gleichberechtigte

Partner. Als Arzt muss ich mehr er- klären, ich muss möglicherweise mehr Zeit investieren, ich muss mehr darüber erfahren, was für den Pa- tienten bei der Entscheidung wich- tig ist.

Sind vielen Ärzten ihre Defizite also nicht bewusst?

Härter: Das kann man so sagen.

Das merkt man bei den Trainings, es gab häufig „Aha-Effekte“. Ärzte, die in die Trainings kommen, wech- selten sich ab in den Rollen „Pati- ent“ und „Arzt“. Dabei konnte man sehr schön sehen, wie gut den Ein- zelnen eine positive Arzt-Patient- Kommunikation gelingt. Das ist natürlich eine Auseinandersetzung, die man als Profi, wenn man zehn oder 20 Jahre im Geschäft ist, nicht so ohne Weiteres macht. Das kann ich gut nachvollziehen. Ärzte müs- sen diese Vorgehensweise neu ler- nen. Der Rollenwechsel der Ärzte

hin zu einer partnerschaftlichen Be- ziehung mit ihren Patienten ist nicht ohne – es geht um die Veränderung einer hierarchischen Beziehung.

Haben Ärzte Angst vor einem gut informierten Patienten?

Härter: Eine Sorge der Ärzte ist es sicherlich, zu viel diskutieren zu müssen, zu viel über Informationen zu sprechen, die sie zum Teil für un- sinnig halten oder deren Authenti- zität und Güte sie nur schwer ein- schätzen können. Aber ich glaube auch, dass Ärzte nicht umhinkom- men, sich mit dem Thema auseinan- derzusetzen. Denn Patienten wer- den spezifische Informationen im- mer mehr nutzen.

Eine Sorge vieler Ärzte ist sicherlich auch die fehlende Zeit für lange Ge- spräche . . .

Härter: Die Zeit ist die Hauptsor- ge. Wobei wir in unserer Studie zur hausärztlichen Depressionsbe- handlung gesehen haben, dass man nicht mehr Zeit braucht. Wir haben unsere Ärzte zum Beispiel auf- zeichnen lassen, wie lange sie für die Gespräche gebraucht haben.

Das haben wir vor dem Training und danach gemacht. Die notwen- digen Konsultationszeiten waren identisch. Denn Ärzte lernen in un- seren Trainings, ihr Gespräch an- ders zu strukturieren. Allein der Satz „heute geht es darum, dass wir eine Entscheidung bezüglich Ihrer Erkrankung treffen“ spart Zeit.

Man fokussiert das Gespräch stär- ker. Bei nicht trainierten Ärzten vergeht sehr viel Zeit im Gespräch für Dinge, die für die Entschei- dungsfindung nicht so relevant sind. Wenn man diesen Zeitraum abkürzt, gewinnt man mehr Zeit, um zu sagen: „Jetzt geht es mir um Informationen, die Sie für eine aus- gewogene Entscheidung brauchen, dazu würde ich Ihnen gern die unterschiedlichen Therapiemöglich- keiten erläutern, die wir haben.“

Oder: „Ich würde gern mit Ihnen die Vor- und Nachteile beziehungs- weise die Risiken der Thera-

Nach den Trainings ist die Kommunikation zwischen Arzt und Patient deutlich besser geworden.

(3)

A2322 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 34–35⏐⏐27. August 2007

P O L I T I K

piemöglichkeiten besprechen.“ An- schließend sollte der Patient zu Wort kommen, denn oftmals hat er Rückfragen, möchte über Sorgen, eigene Erfahrungen und Erwartun- gen sprechen, bevor es zu einer Ent- scheidung kommt.

Ich glaube, allein dieses Ge- sprächsgerüst, eine logische Abfol- ge von Gesprächsschritten bis zur gemeinsamen Entscheidung, war für die Ärzte sehr wichtig. Wenn

man dies internalisiert hat, dann hat man auch ein besseres Gespür dafür, wie viel Zeit man braucht.

Will der Patient überhaupt an Entschei- dungen beteiligt sein? Sehnt er sich nicht ab und an nach dem paternalisti- schen Arztverhalten von früher?

Härter: Im Grunde geht es bei jedem Arzt-Patient-Gespräch doch zunächst darum, dass der Arzt mit dem Patienten abspricht, wie weit er daran beteiligt werden möchte. Es gibt viele Patienten, die sagen: „Ich bin mir da unsicher, ich vertraue Ihnen, machen Sie es.“

Dann ist dies auch partizipativ, weil vorher die Rollen klar definiert wurden. Im Grunde fordert das Mo- dell, den Patienten zunächst zu fra- gen, was er will.

Wenn der Arzt ihn lässt.

Härter: Richtig. Die meisten Pati- enten, etwa zwei Drittel, wollen ge- meinsam entscheiden, einige wollen ganz allein entscheiden, andere überlassen die Entscheidung lieber dem Arzt.

Wie wollen Sie eine flächendeckende Umsetzung erreichen, insbesondere nach Auslaufen der Fördergelder Ende Oktober?

Härter: Das ist die kritischste Fra- ge. Es war immer ein Projekt, das sehr von der Eigeninitiative der Be- teiligten gelebt hat. Denn wir alle fanden dieses Thema so spannend, sinnvoll und notwendig, dass wir alle viel Eigeninitiative hineinge- steckt haben.

Haben Sie denn Ideen, wie es weiter- laufen könnte?

Härter: Es geht um die Frage, ob wir eine Finanzierung zimmern können, die so etwas wie eine Geschäftsstelle für einen Förder- schwerpunkt ermöglicht. Diese könnte sich beispielsweise um die weitere Betreuung der Projekte, um eine Internetseite, um Werbung und Ankündigungen für Trainings, um die Organisation von Fachtagungen sowie die Begleitung von neuen Projekten kümmern. Aber im Mo-

ment, nein, da haben wir noch keine Finanzierung hierfür. Wir sagen natürlich auch: „Liebe Ärzteschaft, vor allem liebe Kollegen in der Selbstverwaltung, ihr seid jetzt auf- gefordert, euch um den weiteren Transfer in die Breite zu kümmern.“

Das haben Sie schon vor drei Jahren gefordert. Damals riefen Sie die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Ärztekammern zu mehr Engage- ment auf. Glauben Sie noch immer, dass diese in der Lage sind, die Ergebnisse der Pilotprojekte in der Fläche umzu- setzen?

Härter: Ich befürchte, nein. Na- türlich gibt es Bemühungen, bei- spielsweise der Kassenärztlichen Bundesvereinigung oder der Bun- desärztekammer, das Thema Patien- tenbeteiligung mehr in den Mittel- punkt zu stellen. Innerhalb der KBV gibt es eine Stabsstelle Patientenin- formation, die sich bei wichtigen Entscheidungen um die Einbindung von Patienteninteressen kümmert.

Aber das ist nicht das, was wir mei- nen, wenn wir an Transfer denken

oder an Trainings, also an Verände- rungen vor Ort durch Fortbildungs- angebote oder Seminarangebote für das Medizinstudium. Dazu braucht man Partner, die es vor Ort anbieten können.

Wie funktioniert Patienteninformation im Ausland? Sie sagten einmal, Deutschland hinke dem internationalen Trend hinterher.

Härter: Hier muss man differenzie- ren. Hinterherhinken tun wir nur bei der Entwicklung spezifischer Pati- enteninformationen und medizini- scher Entscheidungshilfen. Da sind die USA, Kanada, Australien und Großbritannien weiter. Diese Länder sind primär den Weg über die Ent- wicklung von Patienteninformatio- nen gegangen. Es gibt hierzu sehr viele Materialien, zum Beispiel in den USA einen umfangreichen Ka- talog zu allen in der Medizin rele- vanten Themen und Indikationen.

Organisationen kaufen dieses Mate- rial und bieten es den jeweiligen Partnern, mit denen sie Verträge schließen, an. Es gibt auch einen Trend, virtuelle Systeme und indika- tionsbezogene Dialogsysteme für Patienten am Computer umzusetzen.

Es gibt darüber hinaus sehr ausge- reifte Coaching-Konzepte zu chroni- schen Erkrankungen, also Telefon- service-Konzepte zum Beispiel über spezifische Callcenter.

Weiter ist Deutschland allerdings bei den Trainings. Hier gibt es inter- national nur wenige Gruppen, die sich mit der Entwicklung und dem Transfer von Aus- und Fortbil- dungsmaßnahmen für Ärzte be- schäftigt haben.

Trotz all der Bemühungen in Deutsch- land – Umfragen zufolge sehen sich Pa- tienten noch immer nicht im Mittel- punkt des Geschehens. Warum?

Härter: Auf der Makroebene ist es anders als auf der Mikroebene – also in der Praxis, in der Klinik. Das sind zwei Welten. Wir sprachen davon, dass auf der politischen Ebene be- reits viel passiert ist. Aber ich glau- be, Patientenbeteiligung ist noch nicht ausreichend an der Basis ange-

kommen. I

Das Gespräch führten Martina Merten und Petra Bühring.

Die Selbstverwaltung sollte sich um den Transfer in die Breite kümmern.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Grabe: Nach ihrer Entlassung aus der psychiatrisch-psychotherapeuti- schen Tagesklinik müssen Patienten oft fünf bis sechs Monate warten, bis sie einen Vorstellungstermin

Das Gesetz sieht aber vor, dass in ei- nem weiteren Schritt geprüft werden muss, ob zum Zeitpunkt der Tat der krankheitswerte Zustand die Steue- rungsfähigkeit

und wenn nicht – das kam ja auch einmal vor –, dann haben wir uns so lange ausgetauscht, bis wir dann einen gefunden hatten.. Viele sagen

Wenn ein Arzt meint, dass eine Therapie infrage kommt, die nicht zum GKV-Leistungskatalog gehört, muss er dies dem Patienten erläu- tern.. Er muss ihm Bedenkzeit ge- ben, ob er

Hoppe: Viele diagnostische Eingriffe, die man früher zeitlich gestreckt hätte – nicht, weil man Geld verdienen, sondern weil man den Kranken nicht zu viel zumuten wollte – werden

Genauso freut Spitzer sich, wenn seine Medienkritik ernst ge- nommen wird: Nach einem Vortrag wurden einmal in der Region so ge- nannte LAN-Partys, bei denen Jugend- liche bis

„In Russland muss es künftig eine offenere Konfrontation von Gesundheitspolitikern mit Ärztin- nen und Ärzten geben sowie eine brei- tere gesundheitspolitische Berichter-

Es gibt sechs Medizinisch-Wissen- schaftliche Dachgesell- schaften (mit Fachgesell- schaften als Untergliede- rungen), nämlich die Ge- sellschaften für klinische Medizin,