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Archiv "Prof. Dr. med. Dr. phil. Manfred Spitzer: Die Neugier treibt ihn voran" (02.12.2005)

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ei einem Forschungsaufenthalt in Harvard, USA, stellte ihn ein be- freundeter Professor einmal so vor: „This is Manfred, the renaissance man – he is interested in everything.“

Bereits während des Studiums wollte sich der heutige Ordinarius der Psych- iatrischen Universitätsklinik Ulm nicht auf ein Fach beschränken: Medizin, Psychologie und Philosophie hat er in Freiburg in der Zeit von einem Studi- um absolviert und mit zwei Doktorti- teln und einem Diplom abgeschlossen.

Nebenbei hat er Mathematik- und Bio- logievorlesungen besucht und oben- drein noch gejobbt, um das Studium zu finanzieren. Hoch begabt? „Nein“, antwortet Manfred Spitzer lachend,

„nicht hoch begabt, aber hoch neugie- rig. Wenn mich etwas interessiert, kann ich sehr viel arbeiten.“ Zurzeit interes- sieren ihn nicht nur die Fortschritte der Patienten an der mit 54 Betten kleinsten Universitätspsychiatrie in Deutschland, die er seit 1998 aufge- baut hat. „Ich kenne alle Patienten“, betont der 47-Jährige, der bei der Visi- te immer dabei ist. Der Neurowissen- schaftler und Psychiater leitet die Kli- nik, forscht, leitet sein neues Stecken- pferd, das „Transferzentrum für Neu- rowissenschaften und Lernen“ (ZNL), schreibt viele Bücher und Fachartikel, hält Vorträge in ausverkauften Stadt- hallen und Schulen, erklärt in einer ei- gens für ihn konzipierten Fernsehsen- dung, wie das Gehirn funktioniert*,

und steht als Interviewpartner immer gerne zur Verfügung.

Was Zuhörer und Journalisten schät- zen, ist seine unprätentiöse Art, kompli- zierte Sachverhalte einfach und ver- ständlich darzustellen. Spitzer ist ein

„Psychiater zum Anfassen“ und sich dessen bewusst. So nutzt er seine Vor- träge, zu denen er am Tag inzwischen rund zehn Einladungen erhält, nicht nur , um Lehrer, Erzieher, Bildungspoliti- ker und Eltern über die Vorteile einer

„evidenzbasierten Pädagogik“ aufzu- klären, die Ergebnisse seiner Hirnfor- schung „in die Schulen zu bringen“. Er versucht gleichzeitig – im Sinne einer Anti-Stigma-Kampagne –, die Zuhörer über psychische Störungen aufzuklä- ren. „Zu einem Vortrag über die Psychiatrie würde niemand kommen, das Thema Lernen aber interessiert vie- le“, glaubt Spitzer. Er freut sich, wenn Zuhörer ihn danach aufsuchen und auch um Rat zu psychischen Problemen bitten, wenn sie merken, dass er Psychiater ist. Genauso freut Spitzer sich, wenn seine Medienkritik ernst ge- nommen wird: Nach einem Vortrag wurden einmal in der Region so ge- nannte LAN-Partys, bei denen Jugend- liche bis zum Exzess gewaltfördernde Videos spielen, abgeschafft. „Ich konn- te sie überzeugen“, begeistert er sich.

Spitzer verspürt einen Auftrag. Er will die Bildung an Kindergärten, Schulen und Weiterbildungseinrich- tungen verbessern. Weg vom Frontal- unterricht, die Kinder für den Stoff in- teressieren. Das Gehirn lerne immer und am besten bei guter Laune. Mithil- fe des ZNL in Ulm will er die Hirnfor- schung direkt anwendbar machen. 50 Projekte von der frühkindlichen Bil- dung bis zur Lernproblematik bei Äl- teren laufen dort zurzeit. Das Tranfer- zentrum, gegründet erst im April 2004 (siehe „Ein einzigartiges Projekt“, DÄ, Heft 4/2005), arbeitet mit hundert

Schulen zusammen. Spitzer will nicht erst „20 Jahre forschen“, sondern den Transfer sofort leisten. Er versteht sich nicht nur als Wissenschaftler, sondern in erster Linie als Arzt, der sofort hel- fen will, weil an den Schulen „so viel schief läuft“. „Als Arzt ist man halt so sozialisiert“, betont er.

Mit den Schulen seiner Kinder sei er im Großen und Ganzen zufrieden, sagt der Vater von fünf Kindern im Alter zwischen 14 und 19, die das Gymnasium beziehungsweise die Universität besu- chen. Ob er bei seinem enormen Ar- beitspensum – Spitzer arbeitet im Durchschnitt 14 Stunden an sieben Ta- gen der Woche, die Bücher schreibt er im Urlaub – denn noch Zeit für seine Kinder findet, ist die Frage. Er räumt ein, dass die Familie zu kurz kommt, und erzählt eine Anekdote: Seine älteste Tochter habe ihn, als sie klein war, ein- mal „Onkel Papa“ genannt. Das hat ihn schon bestürzt. Abgemildert wird das schlechte Gewissen durch sein Sen- dungsbewusstsein, seinen Auftrag, die Bildung in Deutschland zu verbessern.

„Wenn ich es nicht mache, wer macht es dann?“ Voll Anerkennung spricht er über seine Frau, mit der er seit 20 Jahren verheiratet ist und ohne die – das weiß er – sein Privatleben so nicht funktio- nieren würde.

Psychiater zu werden schien ihm das einzig Richtige

Spitzer war selbst eines von fünf Kin- dern zu Hause.Aufgewachsen im Oden- wald, die Eltern „Heimatvertriebene“, ist ihm die akademische Laufbahn nicht in die Wiege gelegt worden. Der Vater wurde mit 16 Jahren Soldat und hatte nach dem Krieg keine Möglichkeit mehr, über den Hauptschulabschluss hinauszukommen. Die Existenz zu si- chern war wichtiger zu der Zeit. Psych- T H E M E N D E R Z E I T

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A3318 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 48⏐⏐2. Dezember 2005

P orträt das Prof. Dr. med. Dr. phil. Manfred Spitzer

Die Neugier

treibt ihn voran

*Die Sendereihe „Geist & Gehirn“ von Prof. Spitzer ist immer freitags um 22.45 Uhr auf BR-alpha, dem Bil- dungskanal des Bayerischen Rundfunks, zu sehen.

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iater ist Spitzer geworden, weil er ver- stehen wollte, „wie Seelenprozesse ab- laufen“. Schon als 14-Jähriger versuch- te er dieser Frage „im Schwimmbad“

mit Sigmund Freuds Werken nachzuge- hen. Der Facharzt für Psychiatrie er- schien nach dem vielschichtigen Studi- um als das einzig Richtige. Zuerst hat er versucht, die Psychiatrie selbst zu ver- stehen: Was ist Wahn? Was sind formale Denkstörungen? Was Halluzinationen?

Grundlegende Begriffe, die „überhaupt nicht klar sind“ und denen er jahrelang versucht hat, in umfassenden Abhand- lungen auf den Grund zu gehen. Um ein Haar wäre er allerdings Lehrer gewor- den, als er merkte, wie gut er vermitteln kann. Heraus fand er das in der Ober- stufe des Gymnasiums, als er mit dem Anbieten von Gitarrekursen an der Volkshochschule sein erstes Geld ver- diente.

Dabei nahm er selbst den ersten

„richtigen Unterricht“ erst als Assi- stenzarzt, weil seine Eltern kein Geld für Musikunterricht hatten. Das mach- te aber nichts, er brachte sich die In- strumente (Gitarre, Schlagzeug, Saxo- phon, Keyboard, Trompete) selbst bei.

Bis heute bereitet ihm das Musizieren mit anderen „einen Riesenspaß, auch wenn ich schlecht spiele“. Zweimal im Jahr tritt er als Trompeter in einem Jazz- Trio auf. Spitzer ging auch seinem Hobby wissenschaftlich auf den Grund. Mit den neuronalen Verknüp- fungen im Gehirn beim Musizieren be- schäftigte er sich vor wenigen Jahren in dem Buch „Musik im Kopf“. Andere einprägsame Buchtitel wie „Schokola- de im Hirn“, „Frontalhirn an Mandel- kern“ oder der neueste Titel „Vorsicht Bildschirm“ sind Spitzers Kreationen, die zu entwerfen ihm ebenso viel Spaß machen wie das Gestalten des Um- schlagtitels oder des Layouts der Bücher. Zu spüren ist die Begeiste- rung, die der Neurowissenschaftler al- lem entgegenbringt, was er noch nicht kennt und das zu erforschen er gern Zeit hätte.

Es gibt jedoch auch etwas, das er als Zeitverschwendung ansieht: „Macht- spielen“ gehe er aus dem Weg. „Manche halten mich deshalb für konfliktscheu“, weiß er. Doch wenn er merkt, dass je- mand „dieses Spiel spielen will, setze ich mein eigenes dagegen, und das heißt

Wissenschaft“. Für die Zukunft wünscht sich Manfred Spitzer, „einfach ungestört arbeiten zu können“. Er hat in Ulm viel aufgebaut und will dies jetzt vor- antreiben. Vorgenommen hat er sich,

die Zahl seiner Vorträge, derzeit oft drei am Tag, zu verringern. Doch wenn eine interessante Einladung kommt – die Neugier wird ihn vermutlich dorthin

treiben. Petra Bühring

T H E M E N D E R Z E I T

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A3320 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 48⏐⏐2. Dezember 2005

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eder Niedergelassene kann ein Lied davon singen: Im Crescendo steigen die Ansprüche der Patienten, pianissimo klingeln die zur Verfügung ste- henden Mittel. Diese Dissonanz zwingt uns, möglichst effektiv zu arbei- ten, es gibt keinen Platz für langes Geschwätz: Akutheilung ohne Komplika- tionen – nur so funktioniert’s. Zeitraubende Nebenwirkungen, die bei alltäg- lichen ärztlichen Verrichtungen auftreten können, müssen aber beachtet werden – hat uns jetzt das pfälzische Oberlandesgericht in Zweibrücken unter den Eid des Hippokrates geschrieben. Auch über Risiken einer Blutentnah- me müsse aufgeklärt werden! so lautet das Verdikt; sonst mache sich unserei- ner straffällig. Ist das nicht etwas kurzsichtig? Hat der Herr Richter eigent- lich schon bedacht, welche multiplen Gefahren von einem gewöhnlichen Doktor ausgehen? Der sich händeschüttelnd breitbandinfiziert, bereitwillig parlierend tröpfchenkontaminiert, körperlich untersuchend mit Dermato- phyten anreichert? Da kann ich mich noch so viel mit Tensiden traktieren, ich bin ein kaum einschätzbares Risiko, eine wandelnde infektiöse Nebenwir-

kung. Ärzte gehören mit einem Gefahrgutaufkleber versehen und regel- mäßig in Quarantäne gesteckt! Aber damit nicht genug: Anamnesen dürfen nicht mit dem wohlvertrauten „Wie geht’s uns denn heute?“, sondern mit dem Hinweis beginnen, dass der Eintritt des Wohlbefindens nach überwun- dener Erkrankung das Erlöschen der Arbeitsunfähigkeit zur Folge haben könnte! Jedes Belastungs-EKG muss mit den Worten eingeleitet werden, dass die Minderung des Grades der Behinderung den Wegfall des steuerli- chen Vorteils der Entfernungskilometer nach BStBl. I 1980 zur Folge haben könnte! Intensive und ausufernde ärztliche Gespräche über bestehende Er- krankungen können dazu führen, dass die Parkuhr abläuft! Körperliche Un- tersuchungen dürfen nur noch mit Latexhandschuhen stattfinden, wobei das tief greifende Verständnis über Hautreizungen infolge lokaler Unverträglich- keiten schriftlich fixiert werden muss! Ist doch höchste Zeit, dass sich jemand intensiv um Aufklärung bemüht, welche Gefahr von uns Ärzten ausgeht.

Unter uns: Manchmal schaue ich mir diese Arztserien aus Amerika an.

Da wird anamnestiziert, ohne vorher auf kostenfreie Praxisparkplätze hinzuweisen; reanimiert, ohne den Status bestehender Lebensversicherung abzufragen; kuriert, ohne sich vorher über die Verminderung des Steuerfreibetrages Gedanken zu machen. Ich finde diese Serien einfach schön, getreu dem Motto: Hier bin ich Arzt, hier darf ich’s sein. Vielleicht sollte der Oberrichter vom Lan- desgericht sich diese Serien mal anschauen. Aber der hat ja keine Zeit; er muss den Aufklärungsnotstand bekämpfen. Dr. med. Thomas Böhmeke

Gefahr

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