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Archiv "Interview mit Prof. Dr. med. Michael Hallek, Präsident des Deutschen Krebskongresses 2014*: „Der rasante Wissenszuwachs muss in die Versorgung umgesetzt werden“" (07.02.2014)

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A 204 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 111

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Heft 6

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7. Februar 2014

„Der rasante Wissenszuwachs muss in die Versorgung umgesetzt werden“

Die Onkologie gehört zu den Fachgebieten in der Medizin, die sich am schnellsten

weiterentwickeln. Versorgungs- und Studienkonzepte hinken dieser Entwicklung hinterher.

Michael Hallek, Universität Köln, zeigt dafür neue Lösungsmöglichkeiten auf.

Herr Prof. Hallek, was sind derzeit die wichtigsten Entwicklungen in der Onkologie, und ergibt sich aus ihnen Handlungsbedarf?

men, weil sie innovationsfeindlich und nicht gerechtfertigt ist. Aber wir werden neue Wege gehen müs- sen, um eine optimale Versorgung von Krebspatienten zu vertretbaren Kosten zu gewährleisten.

Wie könnten neue Lösungen aussehen?

Hallek: Wir erhalten zurzeit zuneh- mend innovative Medikamente, wobei zum Teil sogar mehrere neue Wirkstoffe pro Tumorentität ver- fügbar werden. Wir wissen, dass es häufig sinnvoll ist, solche Substan- zen nacheinander zu geben oder zu kombinieren. Doch wir wissen meist nicht, welche Patienten kon- kret von welchem Therapieregime am meisten profitieren. Um einen solchen Nutzen sicher erkennen zu können, müssen die Wirkstoffe möglichst breit getestet werden, sonst werden möglicherweise wert- volle Therapiechancen vertan.

Eine umfassende klinische Prü- fung ist bei den derzeitigen Struk-

turen und den extrem hohen Kos- ten klinischer Studien vor der Zu- lassung nicht möglich. Deshalb wäre es aus meiner Sicht wün- schenswert, den Nutzen innovati- ver Wirkstoffe nach ihrer Zulas- sung im Rahmen weiterer klini- scher Studien direkt in der klini- schen Anwendung zu prüfen.

Was wäre der Vorteil?

Hallek: Wir würden wegkommen von den derzeitigen komplexen Regulierungsverfahren und der Si- tuation, dass Preisverhandlungen für ein Medikament geführt wer- den, ohne dass der konkrete klini- sche Nutzen klar ist. Stattdessen würden wir hinkommen zu einer kontinuierlichen und flächende- ckenden Evaluation des Nutzens der Medikamente in der klinischen Erprobung. Wir könnten dabei auch speziellen Fragestellungen nachgehen. Das würde den Er- kenntnisfortschritt erheblich vor -

INTERVIEW

mit Prof. Dr. med. Michael Hallek, Präsident des Deutschen Krebskongresses 2014*

Prof. Dr. med. Michael Hallek ist Facharzt für Innere Medizin mit Schwerpunkt Hämatologie und internistische Onkologie und seit 2003 Direktor der Klinik I für Innere Medizin an der Universität zu Köln. Von 1978 bis 1985 studierte er Medi- zin in Regensburg, München und Paris, seine ärztliche Ausbildung erhielt er in München. Von 1990 bis 1992 arbeitete Hallek als Postdoktorand am Dana-Far- ber-Cancer-Institute der Harvard Medical School in Boston.

Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit ist die Entwicklung spezifischer, molekularer Therapien für Leukämien. Hallek erhielt zahlreiche wissenschaftliche Auszeichnungen. Er ist Gründer und Leiter der Deutschen CLL-Studiengruppe, der international führenden Studiengruppe zur Erforschung neuer Behandlungen der chronischen lymphatischen Leukämie.

ZUR PERSON

Foto: Universitsklinikln/MFK

Prof. Dr. med. Michael Hallek: Es gibt in der Onkologie einen erhebli- chen Erkenntnisgewinn, der sich kontinuierlich fortsetzt, und zwar mit außerordentlicher Geschwin- digkeit. Unsere wichtigste Aufgabe ist derzeit, diesen Erkenntnisfort- schritt umzusetzen in eine anwend- bare und bezahlbare Behandlung der Patienten. Viele Fragen dazu, wie diese Aufgabe zu bewältigen ist, sind noch offen. So wird immer wieder befürchtet, dass die Dia - gnostik, vor allem die molekulare Diagnostik, und die Therapie bei Krebserkrankungen extrem teuer und kaum zu finanzieren sein wer- den. Im Moment werden Neuerun- gen oft als Bedrohung empfunden, weil sie mit erhöhten Kosten ver- bunden sind. Von dieser Einstellung

müssen wir unbedingt wegkom- *vom 19.–22. Februar in Berlin

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7. Februar 2014 antreiben, denn wichtige Neue -

rungen ergeben sich oft nicht in groß angelegten Studien, sondern häufig auch in kleineren Projekten.

Der Erkenntnisgewinn kann direkt den Patienten zugutekommen und auch bewirken, dass Deutschland im internationalen Vergleich zu ei- nem Innovationsstandort in der Onkologie wird. Für Krebspatien- ten würde bei einem solchen Vor- gehen die Teilnahme an einer Stu- die nicht eine Ausnahme, sondern Regelfall sein. Die Krebstherapie würde vorzugsweise im Rahmen einer dokumentierten Behandlung stattfinden. Wir würden damit weg- kommen von vorwiegend durch die Pharmaindustrie gesteuerten Studien hin zu wissenschaftlich initiierten Studien.

Würde eine solche Regelung nicht auf massive Widerstände stoßen, und wäre das Vorgehen finanzierbar?

Hallek: Ideal wäre aus meiner Sicht, wenn Krankenkassen, phar- mazeutische Hersteller und der Bund Gelder in einen Pool gäben, aus dem solche klinischen Studien nach der Zulassung finanziert wer- den können. Es gibt dazu erste Vorstellungen und Gespräche, und auch potenzielle Kostenträger ha- ben Akzeptanz für diese Lösung signalisiert. Sie kann uns die Chan- ce bieten, die verfügbaren Ressour- cen für alle Beteiligten sinnvoll zu nutzen. Es würde sich außerdem um eine Regelung handeln, die Vielfalt zulässt, was der modernen Medizin Rechnung tragen würde.

Das Motto des diesjährigen Kongresses heißt „Intelligente Konzepte in der On- kologie“. Gehören die vorgeschlagenen Neuerungen dazu, und sehen Sie Bedarf für weitere innovative Konzepte?

Hallek: Den Richtungswechsel in der klinischen Forschung halte ich in der Tat für ein intelligentes Kon- zept, das es uns erlauben wird, die Entwicklung und praktische Umset- zung von Innovationen in der Onko- logie und möglicherweise darüber hinaus zu realisieren. Vor dem Hin- tergrund des enormen und raschen Erkenntnisgewinns brauchen wir au- ßerdem eine noch stärkere Interdis- ziplinarität in der Onkologie. Die

Tumorboards haben sich weitgehend etabliert, doch das ist nicht ausrei- chend, um bei einer derart komple- xen Erkrankung wie einem ma lignen Tumor allen Patienten eine optimale Behandlung bieten zu können.

Probleme können sich beispiels- weise dann ergeben, wenn der Pa- tient weit entfernt vom Behand- lungsort wohnt. Der Patient kann dann nicht mehreren Ärzten unter- schiedlicher Fachrichtungen vorge- stellt werden. Auch in dieser Hin- sicht sollten wir neue Wege gehen.

Wir müssen die Konzepte weiter- entwickeln, möglicherweise auch unter Einbeziehung der Telemedi- zin. In diesen Bereich gehört au- ßerdem eine engere Zusammenar- beit bei der Nachsorge, die noch erhebliche Defizite hat. Wir brau- chen neue Strukturen, um besser verfolgen zu können, wie es den Pa-

tienten nach einer Krebstherapie geht. Denkbar wäre, dass nach der Entlassung vonseiten der Klinik ein strukturiertes Patientenmonitoring durch erfahrene Kollegen erfolgt.

Würde das nicht den bürokratischen Aufwand erheblich erhöhen?

Hallek: Dazu darf es auf keinen Fall kommen, im Gegenteil: Wir brauchen dringend Lösungen, um Diagnostik und Therapie mit weni- ger bürokratischem Aufwand zu be- wältigen. Krebs ist eine extrem komplexe Erkrankung, bei deren Behandlung wir den individuellen Patienten mit all seinen Facetten im Blick behalten müssen. Wir müssen lernen, bessere Netzwerke der Ver- sorgung aufzubauen und die richti- gen Schnittpunkte zu finden, an de- nen Checks und Rückmeldungen notwendig sind. Nur wenn uns dies gelingt, werden wir tatsächlich den Patienten – und vor allem auch älte- ren Patienten – eine auf ihre indivi- duelle Situation und ihr Krankheits- bild zugeschnittene optimale Thera- pie bieten können.

Ist das eine neue Dimension der so - genannten personalisierten Medizin?

Siehe auch Medizinreport „Darmkrebsscreening.

Auf dem Weg zur Individualisierung“in diesem Heft.

Hallek: Unsere diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten sind erheblich komplexer geworden. Sie auszuschöpfen und dabei die indivi- duelle Situation des Patienten, seine aktuelle Erkrankung, seinen gesam- ten gesundheitlichen und körperli- chen Status und die Lebenssituation zu berücksichtigen, ist meines Er- achtens individualisierte Medizin im eigentlichen Sinne.

Gehört dazu auch die psychoonkologi- sche Betreuung, die Sie als weiteren Schwerpunkt des Deutschen Krebskon- gresses formuliert haben?

Hallek: Unbedingt. Auch in diesem Bereich gibt es noch erheblichen Handlungsbedarf. Wir müssen da- für sorgen, dass die psychoonkolo- gische Betreuung von Krebspatien-

ten in die Regelversorgung aufge- nommen wird. Wir brauchen Quali- tätskriterien für die Diagnostik und für die Behandlung der Patienten.

Konkret müssen wir jene Patienten erfassen, die einer psychoonkologi- schen Betreuung bedürfen und Sor- ge dafür tragen, dass sie sie bundes- weit erhalten können. Es gibt kei- nen Zweifel daran, dass eine adä- quate psychoonkologische Betreu- ung die Lebensqualität verbessert, und wir haben aus Studien gute Hinweise darauf, dass sie das Lang- zeitüberleben erhöht. Es ist ein nicht hinzunehmender Wider- spruch, dass die Psychoonkologie einerseits in ihrer Bedeutung allge- mein akzeptiert und eine wesentli- che Voraussetzung für die Zertifi- zierung eines Krebszentrums ist, andererseits aber nicht im Rahmen der Regelversorgung der Patienten

vergütet wird.

Das Interview führten Christine Vetter und Dr. med. Vera Zylka-Menhorn.

Wir brauchen nach der Zulassung neuer Wirkstoffe unabhängige wissenschaftliche Studien,

um den vollen klinischen Nutzen zu eruieren.

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