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Die soziale Struktur der Abgeordneten des Deutschen Bundestages von 1987 bis 1998 : selektiv oder repräsentativ?

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UNIVERSITÄT KONSTANZ Magisterarbeit im Fach Soziologie

vorgelegt von:

Lars Dommermuth Steinstr. 17 78467 Konstanz

Die soziale Struktur der Abgeordneten des Deutschen Bundestages

von 1987 bis 1998: selektiv oder repräsentativ?

Erstgutachter: Privatdozent Dr. Wolfgang Lauterbach

Zweitgutachter: Professor Dr. Erhard Roy Wiehn

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung 1

1.1 Problemstellung 1

1.2 Aufbau der Arbeit 1

2 Politische Repräsentation 4

2.1 Repräsentativität als Element politischer Repräsentation 4 2.2 Politische Repräsentation in Deutschland 7 2.2.1 Der Deutsche Bundestag als zentrales Repräsentativorgan 7 2.2.2 Die Wahl des Deutschen Bundestages 8 2.2.3 Die Rolle der Parteien im parlamentarischen System der Bundesrepublik 10

3 Analysen politischer Repräsentation 13

3.1 Politische Repräsentation bei Max Weber 13

3.2 Das 'Kartell der Angst' bei Ralf Dahrendorf 15 3.3 Berufliche Qualifikation und politische Repräsentation bei Heino Kaack 16 3.4 Interessenvertretung als Repräsentation bei Emil-Peter Müller 17

3.5 Politische Karrieren bei Dietrich Herzog 19

3.6 Die politische Klasse bei Hilke Rebenstorf 21 3.7 Relevanz der verschiedenen Arbeiten und Entwicklung der Fragestellung 23

4 Fragestellung und Hypothesen 26

4.1 Fragestellung und Aufbau der Studie 26

4.2 Untersuchungszeitraum 27

4.3 Entwicklung der Hypothesen 28

4.3.1 Repräsentativität der Abgeordneten 28 4.3.2 Rekrutierung der Bundestagsabgeordneten 29

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5 Konstruktion der Erhebungsinstrumente 31

5.1 Operationalisierung der Variablen 31

5.2 Die Datenbasis 38

5.2.1 Die Bundestagsabgeordneten 38 5.2.2 Die Mitgliederstrukturen der Parteien 40 5.2.3 Die Sozialstruktur Deutschlands 42

5.3 Die Methode 43

6 Ergebnisse 44

6.1 Die Altersstruktur 44

6.1.1 Vergleich der Altersstruktur der Bundestagsabgeordneten mit den Wählern 44 6.1.2 Vergleich der Altersstruktur der Fraktionsmitglieder mit den Parteimitgliedern 46

6.2 Geschlecht 53

6.2.1 Vergleich der Geschlechterrelation bei Abgeordneten und Wählern 53 6.2.2 Die Relation der Geschlechter in den Fraktionen 53

6.3 Bildung 57

6.3.1 Vergleich des Bildungsniveaus der Abgeordneten und Wähler 57 6.3.2 Vergleich des Bildungsniveaus der Fraktionen und Parteimitglieder 59

6.4 Die Berufsstruktur 64

6.4.1 Vergleich der Berufsstruktur der Abgeordneten und Wähler 64 6.4.2 Vergleich der Berufsstruktur der Fraktionen und Parteien 69 6.5 Konfession, Berufsverbände und andere Organisationen 75

6.5.1 Religionszugehörigkeit 75

6.5.2 Berufsverbände 77

6.5.3 Weitere Organisationen, Verbände und Interessengruppen 79

6.6 Politiknahe und politikferne Berufe 80

6.7 Politische Erfahrung 82

6.7.1 Politische Erfahrung aller Bundestagsabgeordneten 82 6.7.2 Politische Erfahrung in den Fraktionen 84

6.8 Die Klassenstruktur 86

6.9 Zusammenfassung der Ergebnisse 90

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7 Diskussion der Ergebnisse 92 7.1 Analyse der Entwicklung der Altersstruktur 92

7.2 Analyse der Geschlechterrelation 95

7.3 Analyse des Bildungsniveaus 96

7.4 Analyse der Berufsstruktur 99

7.5 Analyse der Konfession und Berufsverbände 102 7.6 Politiknahe Berufe und Rekrutierung von Bundestagsabgeordneten 104 7.7 Die Bedeutung der politischen Erfahrung 105 7.8 Analyse der Klassenstruktur 107

8. Schlußbetrachtung 109

Anhang

Tabellen und Schaubilder VII

Literaturverzeichnis XXV

CD-Rom

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Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Klassifikation der beruflichen Stellung 34

Tabelle 2: Mandatsverteilung nach Parteien 40

Tabelle 3: Extremwerte und Durchschnittsalter der Bundestagsabgeordneten 44

Tabelle 4: Anteil der Altersgruppen unter den Abgeordneten und den Wählern 45 Tabelle 5: Altersstruktur der CDU im Vergleich 47

Tabelle 6: Altersstruktur der CSU im Vergleich 48

Tabelle 7: Altersstruktur der SPD im Vergleich 49

Tabelle 8: Altersstruktur der FDP im Vergleich 50

Tabelle 9: Die Altersstruktur der Abgeordneten der Grünen 51

Tabelle 10: Die Altersstruktur der PDS im Vergleich 52

Tabelle 11: Relation der Geschlechter unter Abgeordneten und Wahlberechtigten 53

Tabelle 12: Weibliche Abgeordnete in den Fraktionen 54

Tabelle 13: Bildungsniveau der Abgeordneten im Vergleich 58

Tabelle 14: Bildungsniveau der CDU-Bundestagsfraktion 59

Tabelle 15: Bildungsniveau der CSU-Bundestagsfraktion 60

Tabelle 16: Bildungsniveau der SPD-Bundestagsfraktion 61

Tabelle 17: Bildungsniveau der FDP-Bundestagsfraktion 62

Tabelle 18: Bildungsniveau der Bundestagsfraktion der Grünen 63

Tabelle 19: Bildungsniveau der PDS-Bundestagsfraktion 64

Tabelle 20: Das Erwerbsniveau im Vergleich 66

Tabelle 21: Tätigkeitsbereiche der Erwerbstätigen im Vergleich 67

Tabelle 22: Berufliche Stellung der Erwerbstätigen im Vergleich 68

Tabelle 23: Berufsstruktur der CDU 69

Tabelle 24: Berufsstruktur der CSU 70

Tabelle 25: Die Berufsstruktur der SPD 71

Tabelle 26: Berufsstruktur der FDP-Fraktion 72

Tabelle 27: Die Berufsstruktur der Grünen 73

Tabelle 28: Die Berufsstruktur der PDS 74

Tabelle 29: Die Religionszugehörigkeit der Abgeordneten 75

Tabelle 30: Religionszugehörigkeit der Bevölkerung 76

Tabelle 31: Abgeordnete als Mitglieder von Wirtschaftsverbänden 78

Tabelle 32: Politiknahe und politikferne Berufe der Abgeordneten 81

Tabelle 33: Politische Erfahrung der Bundestagsabgeordneten 83

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Tabelle 34: Die Klassenstruktur der Bundestagsabgeordneten 86 Tabelle 35: Altersstruktur der Abgeordneten und Wahlkandidaten 93

Tabelle A1: Tabellarische Variablenübersicht VIII

Tabelle A2: Altersstruktur der Bundestagsabgeordneten nach Fraktionen XI Tabelle A3: Studiengänge der Abgeordneten XII Tabelle A4: Anteil der Akademiker im Bundestag XII Tabelle A5: Berufliche Stellung der Abgeordneten der 11. WP XIII Tabelle A6 Berufliche Stellung der Abgeordneten der 12. WP XIII Tabelle A7: Berufliche Stellung der Abgeordneten der 13. WP XIV Tabelle A8: Berufliche Stellung der Abgeordneten der 14. WP XIV Tabelle A9: Tätigkeitsbereiche der Fraktionen in der 11. WP XV Tabelle A10: Tätigkeitsbereiche der Fraktionen in der 12. WP XV Tabelle A11: Tätigkeitsbereiche der Fraktionen in der 13. WP XVI Tabelle A12: Tätigkeitsbereiche der Fraktionen in der 14. WP XVI Tabelle A13: Mitgliedschaft der Abgeordneten in Gewerkschaften XVII Tabelle A14: Mitgliedschaft in weiteren Organisationen XVII Tabelle A15: Politische Erfahrung der CDU Abgeordneten XVIII Tabelle A16: Politische Erfahrung der CSU Abgeordneten XVIII Tabelle A17: Politische Erfahrung der SPD Abgeordneten XVIII Tabelle A18: Politische Erfahrung der FDP Abgeordneten XIX Tabelle A19: Politische Erfahrung der Abgeordneten der Grünen XIX Tabelle A20: Politische Erfahrung der PDS Abgeordneten XIX Tabelle A21: Studiengänge der ost- und westdeutschen Abgeordneten XX Tabelle A22: Berufliche Stellung und Tätigkeitsbereiche der Abgeordnete in

der 11. Wahlperiode XX Tabelle A23: Berufliche Stellung und Tätigkeitsbereiche der Abgeordneten in

der 12. Wahlperiode XXI Tabelle A24: Berufliche Stellung und Tätigkeitsbereiche der Abgeordneten

in der 13. Wahlperiode XXI

Tabelle A25: Berufliche Stellung und Tätigkeitsbereiche der Abgeordneten

in der 14. Wahlperiode XXII

Tabelle A26: Berufliche Stellung der neu gewählten Abgeordneten XXII Tabelle A27: Berufliche Stellung der West und Ostdeutschen MdBs XXIII Tabelle A28: Stellung im Beruf nach Geschlecht XXIII Tabelle A29: Stellung im Beruf nach Alter XXIV

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Schaubilderverzeichnis

Diagramm 1: Klassenstruktur nach Fraktionen der 11. WP 87

Diagramm 2: Klassenstruktur nach Fraktionen der 12. WP 87

Diagramm 3: Klassenstruktur nach Fraktionen der 13. WP 88

Diagramm 4: Klassenstruktur nach Fraktionen der 14. WP 88 Schaubild A1: Der Raum sozialer Positionen nach Bourdieu VII

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1 Einleitung

1.1 Problemstellung

Ein Kennzeichen moderner demokratischer Regierungssysteme ist, dass das Volk seine politischen Repräsentanten in freien Wahlen bestimmt und dass alle wahlberechtigten Bürger1 sich selbst zur Wahl stellen dürfen. Das auf diese Weise gewählte nationale Parlament ist das oberste Staatsorgan. In der Bundesrepublik Deutschland ist dies der Deutsche Bundestag. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind die Vertreter des ganzen Volkes. In Artikel 38 des Grundgesetzes wird bestimmt, dass die Abgeordneten in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt werden. Wahlberechtigt und wählbar sind alle deutschen Bürger, die das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben.

Diese demokratischen Grundprinzipien ermöglichen eine ausgewogene Repräsentation aller gesellschaftlichen Interessen. Jede Stimme hat gleich viel Gewicht, jeder Wahl- berechtigte kann sich in freier Wahl für einen Vertreter entscheiden oder sich selbst zur Wahl stellen. De jure steht somit Kandidaten aus allen sozialen Gruppen und Schichten der Weg in den Bundestag offen.

Werden diese Möglichkeiten genutzt? Ernennt das Volk durch seine Wahl Repräsentanten aus allen Teilen der Gesellschaft?2 Aus welchen sozialen und gesellschaftlichen Gruppen stammen die Abgeordneten des Deutschen Bundestages? Um diese Fragen zu beantworten, werden die Bundestagsabgeordneten aus vier Wahlperioden analysiert und mit den Repräsentierten verglichen. Die soziale Struktur der Bundestagsabgeordneten gilt als repräsentativ, wenn alle gesellschaftlichen Gruppen adäquat vertreten werden. Erfolgt die Rekrutierung der Abgeordneten dagegen nach restriktiven Mustern und sind im Bundestag bestimmte Gruppen überproportional vertreten, muss die Zusammensetzung des Bundestages als selektiv gewertet werden.

1.2 Aufbau der Arbeit

Die Diskussion über die soziale Zusammensetzung der politischen Repräsentanten ist keineswegs neu. Im folgenden theoretischen Teil werden die für diese Studie relevantesten Ansätze zur politischen Repräsentation kurz rezipiert. Dabei wird deutlich werden, dass erst durch die repräsentative Vertretung aller gesellschaftlichen Gruppen ein Optimum an

1 Im weiteren Verlauf dieser Arbeit wird nur die männliche Form verwendet, auch wenn der Vollständigkeit halber beide Geschlechter genannt werden müssten.

2 Oder trifft die Aussage von Friedrich Engels ("Und endlich herrscht die besitzende Klasse direkt mittelst des allgemeinen Stimmrechts.") zu? (Engels 1976, S. 296).

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politischer Repräsentation erreicht werden kann. Im weiteren Verlauf des zweiten Kapitels werden die juristischen und institutionellen Rahmenbedingungen der politischen Repräsentation in Deutschland dargestellt. Der Deutsche Bundestag ist das zentrale Repräsentativorgan in der Bundesrepublik. Seine Wahl erfolgt nach den demokratischen Grundsätzen und das Wahlrecht garantiert eine proportionale Umsetzung der Wählerstimmen.

Eine zentrale Rolle spielen dabei die politischen Parteien. Nur über sie kann ein Kandidat für die Wahl zum Bundestag nominiert und gewählt werden. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind in diesem Sinne nicht nur Repräsentanten des ganzen Volkes, sondern auch der Mitglieder ihrer Parteien. D.h. es muss zusätzlich berücksichtigt werden, ob die soziale Struktur der Abgeordneten für die Parteimitglieder repräsentativ ist.

Im dritten Kapitel werden die Arbeiten sechs verschiedener Soziologen und Politik- wissenschaftler zur politischen Repräsentation in Deutschland vorgestellt. Sie beleuchten das Problem der sozialen Zusammensetzung der politischen Repräsentanten aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Max Weber fordert als einer der ersten Autoren professionelle Berufs- parlamentarier, die sich ausschließlich der Politik widmen. Insbesondere Juristen sind nach Weber geeignet als Volksvertreter erfolgreich zu arbeiten. Die anderen fünf Autoren befassen sich in erster Linie mit den Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Ralf Dahrendorf verbindet dabei den Gedanken der heterogenen Interessenvertretung mit einer homogenen politischen Elite. Heino Kaack stellt fest, dass Bundestagsabgeordnete in erster Linie aus politiknahen Berufsgruppen stammen. Emil-Peter Müller zeigt, dass die Bundestags- abgeordneten mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und Organisationen verbunden sind. Dietrich Herzog entwickelt ein Modell politischer Karrieren und erkennt, dass politische Erfahrung die Voraussetzung für ein hohes politisches Amt ist. Hilke Rebenstorf greift das Modell der politischen Erfahrung auf und verbindet es mit dem Gesellschaftsmodell von Pierre Bourdieu. Die Rekrutierung der Abgeordneten ist sowohl auf politisches Kapital als auch auf den gesellschaftlichen Status zurück zu führen.

Auf der Basis dieser Arbeiten wird im vierten Kapitel die Fragestellung und der Aufbau der vorliegenden empirischen Studie präzisiert. Die Frage der repräsentativen oder selektiven Struktur der Bundestagsabgeordneten wird in zwei Teilen untersucht. In einem ersten Schritt wird die soziale Struktur der Bundestagsabgeordneten mit der Bevölkerung und den Partei- mitgliedern verglichen. Als relevante Merkmale werden Alter, Geschlecht, Bildung, Beruf und die Mitgliedschaft in gesellschaftlichen Organisationen bestimmt. In einem zweiten Schritt werden die Erklärungsmodelle zur politischen Rekrutierung von Kaack, Herzog und Rebenstorf überprüft. Für beide Teile werden insgesamt fünf Hypothesen entwickelt.

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Im fünften Kapitel werden die Erhebungsinstrumente konstruiert. Zuerst werden die Variablen operationalisiert, dann die Datenbasis für die Bundestagsabgeordneten, die Partei- mitglieder und die Bevölkerung vorgestellt und abschließend die Methode kurz erläutert.

Im sechsten Kapitel werden die Ergebnisse der empirischen Studie präsentiert. Zunächst werden die Daten der Abgeordneten aus den vier Wahlperioden im Zeitraum von 1987 bis 1998 mit der Bevölkerung und den Parteimitgliedern verglichen. Anschließend werden die drei Erklärungsmodelle untersucht. Auf der Basis dieser Ergebnisse können die Hypothesen überprüft werden.

Im siebten Kapitel werden die empirischen Ergebnisse genauer analysiert und diskutiert.

Durch die Verknüpfung verschiedener Variablen können die entscheidenden Merkmale für die Auswahl der Bundestagsabgeordneten bestimmt werden.

Im Schlußteil werden die wichtigsten Ergebnisse der Diskussion kurz zusammengefasst und die Rekrutierung der Bundestagsabgeordneten kritisch betrachtet. Schließlich wird für die weitere Forschung auf mögliche Verbesserungen und Erweiterungen im Untersuchungsaufbau hingewiesen.

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2 Politische Repräsentation

2.1 Repräsentativität als Element politischer Repräsentation

Der Begriff "Repräsentation" stammt vom lateinischen "repraesentatio" und bedeutet soviel wie Darstellung und Vertretung. "Zeitlich oder räumlich Nicht-Anwesendes oder nur abstrakt Vorhandenes wird durch einen Repräsentanten vergegenwärtigt" (Schüttemeyer 1995, S. 544). Aufgabe des Repräsentanten ist es, die Repräsentierten angemessen darzu- stellen. Repräsentanten und Repräsentierte sind dabei voneinander abhängig: Erst durch den Repräsentanten werden die Repräsentierten sichtbar, aber ohne die zu repräsentierende Gruppe bedarf es auch keines Repräsentanten.

Politische Repräsentation wird meist mit Repräsentativverfassung bzw. der repräsentativen Demokratie gleichgesetzt, obwohl Repräsentation keineswegs nur in Demokratien möglich ist. Beispielsweise versteht sich der Papst als Repräsentant der göttlichen Macht und der Fürst als Repräsentant des Volkes. Relevant für die vorliegende Arbeit ist jedoch nur die Verbind- ung von Repräsentation und Demokratie, die sich u.a. in der freien Wahl der Repräsentanten durch die Repräsentierten ausdrückt.

In "The Concept of Representation" unterscheidet Hanna F. Pitkin verschiedene Repräsentationstheorien und zeigt damit unterschiedliche Elemente politischer Repräsentation auf (Pitkin 1967).

Formalistische Repräsentationstheorien untersuchen die formale Entstehung der Repräsentationsbeziehung (ebd., S. 38-59). Ein Repräsentant hat das Recht für andere zu handeln. In demokratischen Repräsentativverfassungen erhalten die Repräsentanten dieses Recht durch den Wahlakt. In freier und geheimer Wahl bestimmen die Repräsentierten ihre Vertreter.

Die deskriptiven Repräsentationstheorien untersuchen die Zusammensetzung der Repräsentanten (ebd., S. 60-91). John Stuart Mill, der klassische Vertreter dieses Ansatzes, fordert:

"Ihrer Definition nach heißt reine Demokratie Regierung des ganzen Volkes durch das ganze, zu gleichen Teilen repräsentierte Volk. ...

Die angemessene Vertretung der Minderheiten ist eine wesentliche Forderung der Demokratie, wird sie nicht erfüllt, so ist keine echte Demokratie, sondern nur deren Zerrbild möglich." (Mill 1971 (1861), S. 121-125).

Mill verlangt, dass jede Wählergruppe proportional repräsentiert wird, d.h. die soziale Zusammensetzung der Abgeordneten soll dem Querschnitt der Wahlbevölkerung entsprechen.

Dadurch fließen die verschiedenen Ansichten und Kritikpunkte in die parlamentarische

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Diskussion ein (Pitkin 1967, S. 64). Pitkin beschreibt die deskriptive Repräsentationstheorie folgendermaßen:

"The representative does not act for others; he stands for them, ... In political terms, what seems important is less what the legislature does than how it is composed" (ebd., S. 61).

Auch bei den symbolischen Repräsentationstheorien geht es in erster Linie darum, wofür der Repräsentant steht (ebd., S. 92-111). Der Unterschied zur deskriptiven Theorie besteht darin, dass die Beziehung zwischen Repräsentant und Repräsentierten nicht (nur) über ein gemeinsames Merkmal, sondern über die vermittelten Inhalte hergestellt wird. D.h. die Repräsentierten akzeptieren ihren Repräsentanten, weil er ihre Interessen vertritt.

Schließlich diskutiert Pitkin noch den Widerspruch zwischen freiem und imperativem Mandat des Repräsentanten (ebd., S. 112-167). Das freie Mandat bietet den Repräsentanten die notwendige Handlungsautonomie, um Entscheidungen im Sinne der gesamten Gesellschaft treffen und durchsetzen zu können. Allerdings besteht die Gefahr, dass die Repräsentanten unkontrolliert agieren und die Interessen ihrer Mandanten verletzen. Beim imperativen Mandat haben die Repräsentierten weitgehende Kontrolle über ihre Repräsentanten, aber durch die enge Bindung bleibt es bei der reinen Vertretung der eigenen Interessen. Die Repräsentanten können nur schwer notwendige Kompromisse mit anderen Gruppenvertretern beschließen, da sie keine Handlungsautonomie besitzen.

Zur Lösung dieses Problems entwirft Pitkin ein eigenes Modell politischer Repräsentation.

Es muss möglich sein, dass Repräsentanten autonom handeln und entscheiden können (freies Mandat) und gleichzeitig Konflikte mit den Repräsentierten vermieden werden. Dies tritt nur dann ein, wenn der Repräsentant nach seinen Vorstellungen handelt und diese Vorstellungen mit den Interessen der Repräsentierten konform verlaufen:

"What the representative does must be in his principal's interest, but the way he does it must be responsive to the principal's wishes" (ebd., S. 155. Hervorhebung im Original).

Der Schlüsselbegriff in Pitkins Modell ist 'responsiv' bzw. 'Responsivität':

"Responsivität meint Ansprechbarkeit, Empfänglichkeit, Anregbarkeit, Antwortbereit- schaft, Reagibilität, Reaktionsfähigkeit" (Patzelt 1993, S. 28f.).

Konflikte zwischen Repräsentant und Repräsentierten können über Responsivität vermieden werden, da die Wünsche der Repräsentanten aufgenommen und berücksichtigt werden.

Gleichzeitig verfügt der Repräsentant über ein freies Mandat und kann eigenständig urteilen und handeln, sollten die kurzfristigen Wünsche der Repräsentierten dem Gemeinwohl schaden.

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Patzelt beschreibt unter dem Gesichtspunkt der Responsivität die weiterführenden Bedingungen für politische Repräsentation und weist auf die Relevanz der deskriptiven Theorie hin:

"Falls es bei der Bestellung der Repräsentanten keine sozialen Schranken gibt, falls die Repräsentierten sich in den Reihen der Repräsentanten gemäß politisch bedeutsamer Merkmale halbwegs unverzerrt wiederfinden, falls also der Zentralgedanke 'deskriptiver Repräsentation' verwirklicht ist, wird das Interaktions- und Kommunikationsgeflecht zwischen Repräsentanten und Repräsentierten größtmögliche Ausdehnung erreichen, und ist das Repräsentativorgan in alle Teile des Gesellschaftskörper hinein vernetzt, so steigen die Chancen, dass Konflikte zwischen Repräsentanten und Repräsentierten entstehen können. Sie dann durch mit Responsivität gepaarter Führungskraft, ... gleichwohl in Bahnen zu halten, stellt ein Optimum an Repräsentation sicher" (ebd., S. 35).

Ein Optimum an Repräsentation in einer parlamentarischen Demokratie basiert demnach auf mehreren Elementen: Die Repräsentanten müssen frei gewählt (formalistische Theorie) und alle Gruppen und Interessen repräsentativ vertreten werden (deskriptive Theorie). Über Responsivität wird sichergestellt, dass es trotz freiem Mandat nicht zu Konflikten zwischen Repräsentanten und Repräsentierten kommt.

Eine soziologische Studie der sozialen Struktur politischer Repräsentanten kann unter- suchen, inwieweit die Repräsentativorgane in ihrer Zusammensetzung dem Querschnitt der Repräsentierten entsprechen und somit überprüfen, ob ein Optimum an politischer Repräsentation erreicht werden kann. Sind alle Gruppen und Interessen proportional vertreten, ist die Zusammensetzung repräsentativ und das Optimum kann realisiert werden. Sind dagegen bestimmte Gruppen oder Interessen über- oder unterproportional vertreten, ist die Zusammensetzung selektiv. Dementsprechend lautet die zentrale Fragestellung dieser Arbeit:

"Ist die soziale Zusammensetzung der Abgeordneten repräsentativ oder selektiv?" Diese Fragestellung wird in der vorliegenden Studie am Beispiel eines spezifischen Repräsentativorgans untersucht: dem Deutschen Bundestag.

Dazu müssen zunächst die institutionellen Rahmenbedingungen geklärt werden: Wen repräsentieren die Abgeordneten des Deutschen Bundestages? Durch wen werden die Repräsentanten gewählt? Wer kann als Repräsentant gewählt werden? Welche weiteren Institutionen spielen dabei eine Rolle? Diese Fragen werden im folgenden Abschnitt beantwortet.

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2.2 Politische Repräsentation in Deutschland

2.2.1 Der Deutsche Bundestag als zentrales Repräsentativorgan

Politische Repräsentation findet ihren Ausdruck weder an einem einzigen Ort noch in einer einzigen Institution. Es gibt eine Vielzahl von Gruppen, Verbänden, Parteien, Institutionen etc., in denen politische Repräsentanten agieren. Im Rahmen dieser Arbeit wird der Begriff der politischen Repräsentation enger gefasst. Nach Pitkin beinhaltet politische Repräsentation auch Verfügungsgewalt des Repräsentanten über die Repräsentierten: Die Entscheidungen des politischen Repräsentanten sind für die von ihm Vertretenen bindend. Diese Verfügungs- gewalt ist nur bei wenigen Organen gesetzlich legitimiert. In der Bundesrepublik Deutschland sind es die Organe der Exekutive und Legislative (in Form von Parlamenten, Räten und Regierungen) auf den verschiedenen Ebenen von Kreis bis Bund. Die Parlamente spielen dabei eine zentrale Rolle, da sie die Legislative darstellen und die Exekutive kontrollieren.

In Deutschland hat sich der Parlamentarismus im Vergleich zu anderen europäischen Ländern erst relativ spät etabliert. In der Weimarer Verfassung wird dem Parlament zwar erstmals der Status des höchsten Souveräns verliehen, aber vor allem plebiszitäre Komponenten und die Dominanz der Exekutive beschränken seine Kompetenzen (Beyme 1989, S. 103f.). Erst mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik setzt sich in Deutschland sowohl das Prinzip der Volkssouveränität als auch des Parlamentarismus endgültig durch.

In Artikel 20 des Grundgesetzes (GG) werden die Grundlagen der staatlichen Ordnung näher bestimmt:

"(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt."

Klar sind in diesem Artikel die Elemente der Volkssouveränität und das Bekenntnis zur repräsentativen Demokratie erkennbar. Die angesprochenen Organe der Gesetzgebung sind die Parlamente auf Landes- und Bundesebene. Der Deutsche Bundestag nimmt dabei eine zentrale Stellung ein, da er als einziger für das gesamte Gebiet der Bundesrepublik zuständig ist. Die wichtigste Funktion des Deutschen Bundestages ist die Gesetzgebung. Daneben hat er u.a. die Aufgabe, die Exekutive zu kontrollieren. Beispielsweise kann der Bundestag durch das "Konstruktive Misstrauensvotum" der Regierung, durch die Wahl eines neuen Bundes- kanzlers, das Vertrauen entziehen (Art. 67 GG).

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2.2.2 Die Wahl des Deutschen Bundestages

Durch die gesetzlichen Regelungen wird bestimmt, wen die Bundestagsabgeordneten repräsentieren, durch wen sie gewählt werden und wer in den Bundestag als Repräsentant gewählt werden kann.

Artikel 38 des Grundgesetzes legt fest, dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestages in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt werden. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes und nicht an Aufträge oder Weisungen gebunden: Sie verfügen über ein freies Mandat.

Damit sind aus formalistischer Sicht die grundlegenden Anforderungen an eine demo- kratische Repräsentativverfassung erfüllt. Wahlberechtigt ist allerdings nicht die gesamte Bevölkerung, sondern nur deutsche Staatsangehörige, die das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben.

Auf der Basis des freien Mandates verfügen die Abgeordneten über den notwendigen Handlungs- und Entscheidungsspielraum, um gesamtgesellschaftliche Lösungen zu etablieren.

Der Deutsche Bundestag wird nach dem Modus der personalisierten Verhältniswahl auf vier Jahre gewählt (Art. 39 I GG). Seit der Wahl zum zweiten Deutschen Bundestag (1953) verfügt jeder Wähler über zwei Stimmen: Die 'Erststimme' dient zur Wahl der Wahlkreis- kandidaten nach relativer Mehrheit, die 'Zweitstimme' zur Wahl einer starren Parteiliste auf Länderebene (Landesliste). Die Mandatszahlen der Parteien ergeben sich aus dem Stimmen- anteil der Parteien auf Bundesebene (berechnet über die Zweitstimmen). Berücksichtigt werden bei der Mandatszuteilung nur Parteien, die entweder fünf Prozent der Stimmen auf Bundesebene oder drei Direktmandate erzielt haben (Nohlen 2000, S. 305f.).1 Eine Ausnahme stellt die Wahl zum 12. Deutschen Bundestag 1990 – nach der Deutschen Wiedervereinigung – dar. Hier genügte es, nur in West- oder Ostdeutschland fünf Prozent der Stimmen oder drei Direktmandate zu erreichen, was der PDS und Bündnis90/Die Grünen zum Einzug in den Bundestag verhalf.

Über eine doppelte Anwendung des Verrechnungsverfahrens wird die Anzahl der Sitze für die Parteien ermittelt (ebd., S. 306f.). Zunächst werden alle Zweitstimmen, die für die Landes- listen der Parteien abgegeben werden, auf Bundesebene addiert. Auf der Basis dieser Gesamt- stimmenzahl werden die jeder Partei zustehenden Mandate ermittelt. An dieser Stelle werden nur noch die Parteien berücksichtigt, die die Sperrklausel (fünf Prozent der Stimmen oder drei Direktmandate) übersprungen haben. Anschließend werden die errechneten Mandate wieder

1 Bei der Wahl zum ersten Deutschen Bundestag mussten die Parteien nur in einem Bundesland 5% der Stimmen bzw. ein Direktmandat erreichen. Seit 1952 gilt oben genannte Regel.

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auf die Landeslisten der Parteien zurück geführt. Damit steht fest, wieviele Mandate den Parteien in den einzelnen Bundesländern zustehen.

Mit diesen werden nun die im jeweiligen Bundesland gewonnenen Wahlkreis- oder Direkt- mandate abgerechnet. Direktmandate gehen an Kandidaten, die in ihrem Wahlkreis die meisten Stimmen (einfache Mehrheit) auf sich vereinigen konnten: Ihr Einzug in den Deutschen Bundestag ist dadurch direkt gesichert. Ein solches Mehrheitsmandat ist eigentlich ein Element, das besser in ein System mit Mehrheitswahl passt. Da aber die Direktmandate von den über die Landesliste errungenen Mandaten abgezogen werden, findet keine doppelte Mandatsvergabe statt und der Proporz bleibt erhalten.

Allerdings kann es zu sogenannten Überhangmandaten kommen, wenn eine Partei mehr Direktmandate erringt als ihr aufgrund der Landesliste zustehen. Diese Überhänge werden dann in Form von zusätzlichen Sitzen gutgeschrieben (ebd., S. 322f).

Zusammengefasst ist das Wahlsystem der Bundesrepublik Deutschland durch die Verhältniswahl gekennzeichnet. Auch wenn eine Mehrheitswahl in den Wahlkreisen vor- geschaltet ist, bleibt das Wahlergebnis proportional (ebd., S. 329).

Grundsätzlich sind alle Bürger wählbar, die im Sinne von Art. 116 I GG mindestens seit einem Jahr Deutsche und mindestens 18 Jahre alt sind (bis 1970 noch 21 Jahre). Nach dem Bundeswahlgesetz (BWahlG) nicht wählbar sind: a) Personen, denen das aktive oder passive Wahlrecht aberkannt wurde (§ 15 BWahlG), b) Personen die entmündigt wurden, c) Personen die wegen geistiger Gebrechen unter Pflegschaft stehen und d) bestimmte Personen in psychiatrischen Krankenhäusern (§ 13 BWahlG).

Des weiteren kann die Wählbarkeit einer Person durch Inkompatibilitätsregelungen ein- geschränkt sein. Inhaber von bestimmten Staatsämtern (z.B. der Wehr- und der Datenschutz- beauftragte des Bundestages) sind nicht in den Bundestag wählbar oder müssen ihr Mandat gegebenenfalls abgeben. Seit 1966 gilt zudem die Bestimmung, dass Mitglieder des Bundes- rates nicht zugleich Bundestagsabgeordnete sein dürfen (Golsch 1998, S. 87).

Dagegen gibt es keine Inkompatibilitätsregelung für einfache Landtagsmitglieder. Auch Bundesminister können und sind tatsächlich meist Inhaber eines Bundestagsmandates und somit gleichzeitig Teil der Legislative und Exekutive.

Für einen anderen Teil der Exekutive, die Beamten, gibt es im Abgeordnetengesetz (AbgG) eine Inkompatibilitätsregelung. Nach § 5 AbgG ruht deren Dienstverhältnis vom Zeitpunkt des Antritts des Mandates bis zum Ausscheiden aus dem Parlament. Diese Regelungen trifft auch für die Angestellten des öffentlichen Dienstes, Richter und Berufs-

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soldaten zu. Hingegen wird Hochschulprofessoren die Fortführung ihrer Tätigkeit in Forschung und Lehre gestattet (§ 9 AbgG).

Zusammengefasst steht nahezu jedem Wahlberechtigten der Einzug in den Bundestag offen. Allerdings müssen die Kandidaten zur Bundestagswahl von einer politischen Partei nominiert werden.

2.2.3 Die Rolle der Parteien im parlamentarischen System der Bundesrepublik

Die besondere Bedeutung der politischen Parteien für die Bundesrepublik leitet sich zunächst aus Art. 21 I GG ab: "Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit". Praktisch bedeutet dies, dass nur politische Parteien die Kandidaten für die Wahl zu Ämtern in Legislative und Exekutive nominieren können. Das heißt, dass alle Kandidaten für öffentliche Wahlämter entweder Mitglied in einer politischen Partei sind oder so stark mit einer Partei verbunden sind, dass sie durch diese nominiert werden.

Das Wahlsystem und das Bundeswahlgesetz bestimmen die Rahmenbedingungen für die innerparteilichen Nominierungsprozesse. Die Direktkandidaten der Wahlkreise werden durch die Vertreter der lokalen Parteiorganisationen bestimmt, die Landesverbände müssen deren Vorschläge akzeptieren (§ 21 BWahlG). Dagegen ist die Aufstellung der Landeslisten zur Bundestagswahl weder durch das Wahlgesetz noch durch das Parteiengesetz verbindlich geregelt (Golsch 1998, S. 89). In aller Regel entscheiden darüber die Landesdelegierten- konferenzen der Parteien.

Ob ein Wahlkandidat in den Bundestag gewählt wird, hängt in erster Linie von der Art der Nominierung durch die Partei ab. Bei der Zweitstimme, über die die Landeslisten gewählt werden, kann der Wähler nicht entscheiden, welchen Kandidat, sondern nur welche Partei er wählt. Auf dem Stimmzettel werden lediglich die Parteien und deren Spitzenkandidaten genannt. Die Reihenfolge der Kandidaten auf den Landeslisten wird von den Parteien selbst bestimmt. Da die Kandidaten in dieser Reihenfolge in den Bundestag einziehen, ist es für die Kandidaten entscheidend, ob sie weiter vorne oder hinten auf der Landesliste plaziert werden.

Im Gegensatz dazu geht die Erststimme direkt an einen Kandidaten. Aufgrund der Ergebnisse vorangegangener Land- und Bundestagswahlen und aktueller Umfragen steht in vielen Wahlkreisen bereits vor der Wahl fest, welche Partei und damit welcher Kandidat gewählt werden wird. D.h. für die einzelnen Parteien gibt es sogenannte "sichere Wahlkreise".

Für die CSU sind in Bayern nahezu alle Wahlkreise "sicher". Trotz Stimmengewinne der SPD fallen bei der Wahl zum 14. Bundestag 38 der 45 bayrischen Wahlkreise der CSU und sieben der SPD zu (vgl. "Amtliches Handbuch des Deutschen Bundestages 1998"). Ähnlich ist die

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Situation für die CDU in Baden-Württemberg und für die SPD in weiten Teilen Nordrhein- Westfalens.

Meist entscheidet sich die Wahl des Direktkandidaten nur zwischen CDU/CSU und SPD (und seit 1990 in einigen ostdeutschen Bezirken auch der PDS). Der Anteil der FDP oder der Grünen an den Erststimmen beträgt, je nach Bundesland, nur drei bis sieben Prozent (Statistisches Bundesamt 1998, S. 86ff). D.h. bei den Grünen und der FDP hängt der Einzug in den Bundestag von den Zweitstimmen ab.

Insgesamt bedeutet dies, dass die Wähler bei der Bundestagswahl in erster Linie die Parteien und nicht die Personen wählen. Ob ein Kandidat in den Bundestag gelangen kann, hängt demnach von der Art der Nominierung durch die Partei ab: sicherer Listenplatz bzw.

sicherer Wahlkreis oder schlechter Listenplatz bzw. aussichtsloser Wahlkreis.

Neben den Parteien gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Interessengruppen, die ihre Ziele im politischen Prozess vertreten bzw. vertreten lassen. Diese Organisationen beein- flussen die Kandidatenauswahl und Kandidatennominierung der Parteien. Gabriel Almond hat 1971 einen inzwischen klassischen Text zur Beziehung zwischen Interessengruppen und Parteien geschrieben (Almond 1971). Demnach agieren Interessengruppen und Parteien im Idealfall nach einem Zwei–Stufen Modell. Sowohl Interessengruppen als auch Parteien sind organisiert, bürokratisiert und agieren relativ autonom. Interessengruppen artikulieren ihre politischen Forderungen und versuchen durch die Beeinflussung der Auswahl des politischen Personals ihren Zielen näher zu kommen. Parteien agieren aggregativ. Ihr Ziel ist es, möglichst viele Interessen aufzunehmen und zusammen zu führen, um Wählerstimmen zu gewinnen. Aus diesem Grunde werden Vertreter von befreundeten Interessengruppen bei der Wahl in Parteiämter und Nominierung für öffentliche Wahlämter berücksichtigt.

Die Ausrichtung auf bestimmte gesellschaftliche Interessen und Gruppen spiegelt sich in der Mitgliederstruktur der einzelnen Parteien wider. Selbst in den großen Volksparteien, die programmatisch die Verbindung zu allen Teilen der Gesellschaft proklamieren, sind bestimmte soziale Gruppen überproportional vertreten (z.B. Gewerkschaftsangehörige in der SPD). Demnach sind politische Parteien einerseits eigenständige Organisationen, die ver- schiedene Ziele in der Politik umsetzen wollen. Andererseits werden sie darin von Interessen- gruppen unterstützt und beeinflusst.

Aus der Sicht der Parteimitglieder sind die Bundestagsabgeordneten nicht nur Volks- vertreter, sondern in erster Linie ihre Interessenvertreter. Damit erweitert sich die Frage nach der sozialen Zusammensetzung der Bundestagsabgeordneten um eine Ebene. Bisher wurde erörtert, dass die Abgeordneten Repräsentanten der Wähler sein müssen und der Bundestag

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deshalb den Querschnitt der Bevölkerung widerspiegeln sollte. Nun wird klar, dass die Abgeordneten auch Repräsentanten der Parteien sind. Deshalb muss die Zusammensetzung der Bundestagsfraktionen repräsentativ für die jeweiligen Parteimitglieder sein.

Unklar ist bis jetzt, welche Gruppen repräsentativ vertreten werden sollen. In anderen Worten, es muss bestimmt werden, anhand welcher Merkmale Repräsentativität gemessen wird. Im folgenden Abschnitt werden verschiedene soziologische und politikwissen- schaftliche Arbeiten zur politische Repräsentation in Deutschland rezipiert. Auf der Basis dieser Arbeiten können die relevanten Merkmale bestimmt und die Forschungsfragen präzisiert werden.

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3 Analysen politischer Repräsentation

Es werden die Arbeiten von sechs Autoren zur politischen Repräsentation in Deutschland besprochen, die die Diskussion um die Bedeutung, Aufgaben und Auswahl von Abgeordneten wesentlich beeinflussen. Max Weber ist einer der ersten, der professionelle Berufspolitiker fordert und die Qualifikation von Abgeordneten über die Repräsentativität stellt. Ralf Dahrendorf tritt ebenfalls für professionelle und qualifizierte Politiker ein, widerspricht Weber jedoch was die Art der Qualifikation der Abgeordneten angeht. Heino Kaack spricht sich sowohl für Repräsentativität als auch für Funktionalität aus. Emil-Peter Müller betont die besondere Bedeutung von Interessengruppen bei der Repräsentation. Dietrich Herzog ist momentan der einflussreichste Parlamentarismusforscher in Deutschland; er entwickelt ein Modell politischer Karrieren und verbindet gesellschaftlichen Wandel mit funktionalen Anforderungen an die politische Klasse. Hilke Rebenstorf untersucht auf der Basis des Gesellschaftsmodells von Pierre Bourdieu die soziale Zusammensetzung der Bundestags- abgeordneten.

Auf die empirischen Ergebnisse der verschiedenen Arbeiten wird nur am Rande hin- gewiesen, im Mittelpunkt steht der konzeptionelle Aufbau und die Erklärungskraft der verschiedenen Theorien. Im Schlußteil dieses Kapitels werden die Ansätze miteinander verglichen und ihre Bedeutung für die vorliegende Studie herausgestellt.

3.1 Politische Repräsentation bei Max Weber

Max Weber behandelt politische Repräsentation nicht vor dem Hintergrund der aus- gewogenen sozialen Zusammensetzung politischer Eliten, sondern unter funktionalen Gesichtspunkten. Neben der Kontrolle der Regierung und Verwaltung dient das Parlament bei Weber in erster Linie zur Auswahl und Ausbildung politischer Führer, ohne die ein moderner Staat nicht bestehen könne. Politische Führer müssen politisch sachlich arbeiten, Verantwortung übernehmen, die Bevölkerung leiten und für sich und ihre Ziele gewinnen.

Diese Kompetenzen können erworben werden, wenn sich die Abgeordneten voll und ganz der Politik widmen. Deshalb fordert Weber die "Entwicklung eines geeigneten Berufs- parlamentariertums" (Weber 1958, S. 352).

"Es gibt zwei Arten, aus der Politik seinen Beruf zu machen. Entweder: man lebt 'für' die Politik – oder aber: 'von' der Politik. Der Gegensatz ist keineswegs ein exklusiver. In aller Regel vielmehr tut man ... beides: wer 'für' die Politik lebt, macht im innerlichen Sinne 'sein Leben daraus'" (Weber 1994, S. 26. Hervorhebung im Original).

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Allerdings steht für Weber fest, dass nicht alle Bevölkerungsteile in gleicher Weise dafür geeignet sind, die Politik zu ihrem Beruf zu machen. Er nennt lediglich drei Gruppen, die aufgrund ihrer ursprünglichen beruflichen Tätigkeit prädestiniert dafür sind, Berufspolitiker zu werden: Journalisten, Parteibeamte und Advokaten.

Journalisten sind eng mit der Politik verbunden und besitzen genügend Kompetenz, um ganz in die Politik zu wechseln. Allerdings sieht Weber zwei Hindernisse für Journalisten:

Zum einen haben sie aufgrund der hohen beruflichen Belastung nicht genügend Zeit, an einer eigenen politischen Karriere zu arbeiten. Zum anderen ist ihr öffentliches Ansehen nicht gut genug (ebd., S. 44f.).

Die zweite Gruppe sind die sogenannten Parteibeamten, die Angestellten der ver- schiedenen politischen Parteien. Die Möglichkeit, den Lebensunterhalt über die Arbeit für eine politische Partei zu sichern, öffnet die Politik auch für Bevölkerungsteile, die nicht vermögend sind. Weber hält diese Öffnung für prinzipiell positiv, kritisiert jedoch die enge Bindung der Parteiangestellten an die Partei. Da die Parteibeamten ihre Existenz aus- schließlich der Partei verdanken, sind sie von ihr abhängig: Die Partei folgt nicht mehr ihrem Führer, sondern die möglichen Führer müssen sich der Partei unterwerfen (ebd., S. 53). Diese Parlamentarier sind "nichts anderes als gut diszipliniertes Stimmvieh" (ebd., S. 58). Weber ist der Meinung, dass so politisch übergreifende Ideen jenseits der Interessen der Partei keinen Eingang mehr in die Debatten finden können.

Dagegen verfügt die Gruppe der Juristen oder Advokaten über eine ideale Ausbildung für die Politik, ist zudem abkömmlich und unabhängig. Sie haben umfassende Rechtskenntnis und sind für den politischen "Kampf" geschult (Weber 1958, S. 378). Deshalb gehören der

"moderne Advokat und die moderne Demokratie" zusammen (Weber 1994, S. 40).

" ... auch ein rein materielles Moment [ist]maßgebend: der Besitz eines eigenen Büros, ...

Und während jeder andere freie Unternehmer durch die Arbeit für seinen Betrieb spezifisch 'unabkömmlich' ist für die steigende Anforderungen regelmäßiger politischer Arbeit ..., ist für den Advokaten das Hinüberwechseln ... besonders leicht" (Weber 1958, S. 378. Hervorhebung im Original).

Andere Berufe hält Weber für ungeeignet, beispielsweise sollen Beamte keine Politik betreiben, sondern unparteiisch verwalten. Die für Beamte leitenden Prinzipien widersprächen den kämpferischen und leidenschaftlichen Elementen des Politikers (Weber 1994, S. 41f.).

Webers Konzept widerspricht damit klar Mills Vorstellung der proportionalen Repräsentation aller Bevölkerungsteile (vgl. Kapitel 2 "Politische Repräsentation"). Statt- dessen fordert Weber, dass Qualifikation, Abkömmlichkeit und Charakter der Kandidaten über den Zugang zur politischen Klasse entscheiden sollen. Für die vorliegende Studie bedeutet dies, dass eine selektive Zusammensetzung des Bundestages möglicherweise auf

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spezifische Qualifikationsanforderungen zurückgeführt werden kann. Ralf Dahrendorfs Arbeit, die im folgenden besprochen wird, zeigt allerdings, dass grundsätzlich keine Einigkeit darüber besteht, welche Anforderungen von den Politikern erfüllt werden müssen.

3.2 Das 'Kartell der Angst' bei Ralf Dahrendorf

Dahrendorf verbindet in seiner Analyse der Eliten in Deutschland repräsentative und funktionale Elemente. Für Dahrendorf ist die soziale Zusammensetzung der Eliten ein Maßstab der Liberalität bzw. Illiberalität einer Gesellschaft (Dahrendorf 1975, S. 310). Ist die politische Elite in einer Gesellschaft in ihrer Interessenlage und Haltung multiform (d.h. ver- schiedene Gruppen und Interessen sind repräsentiert) ist dies ein Indiz für eine liberale Gesell- schaft.

Unter funktionalen Gesichtspunkten benötigt die politische Elite soziale Kohärenz oder Einheit, um handlungsfähig zu sein und das System selbst und die Art und Weise der politischen Auseinandersetzung dürfen nicht in Frage gestellt werden.

"Soziale Homogenität fördert die fruchtbare Auseinandersetzung, weil sie deren Spielregeln als selbstverständlich aus dem Kreis der Diskussionsthemen ausschließt;

soziale Homogenität schließt daher die Repräsentation divergierender Interessen keineswegs aus. Der repräsentative Staat in der liberalen Verfassung kann nicht nur, sondern muß eine etablierte politische Klasse haben" (ebd., S. 290).

Grundlage für die soziale Einheit der politischen Elite ist z.B. der Abschluss an einer gleichen oder ähnliche Bildungseinrichtung. Dies widerspricht der geforderten Vielfalt in der politischen Elite nicht, wenn der Zugang zu diesen Bildungseinrichtungen für alle Teilen der Gesellschaft offen ist (ebd., S. 289).

Dahrendorfs Ergebnis für die Bundesrepublik Deutschland fällt diesbezüglich negativ aus.

Er analysiert die sozialen Zusammensetzung der Abgeordneten des vierten Deutschen Bundestages (1961) und stellt fest, dass über 50% der Abgeordneten Akademiker sind. Aus funktionaler Sicht ist das hohe Bildungsniveau der Parlamentarier positiv. Allerdings führt diese Entwicklung in Deutschland dazu, dass die Unterschicht aus dem Bundestag aus- geschlossen wird, da die Chance, einen akademischen Abschluss erreichen zu können, für ein Arbeiterkind äußerst gering ist (Dahrendorf 1975, S. 316). Aufgrund der sozialen Ungleich- heit in der Gesellschaft kommt in der politischen Elite die geforderte Vielfalt nicht zustande.

Dieses Ergebnis wird durch den hohen Anteil der Juristen in der politischen Elite weiter verstärkt: 22% der Abgeordneten des vierten Deutschen Bundestages sind Juristen (Dahrendorf 1977, S. 250). Der hohe Anteil der Rechtswissenschaftler könnte zwar zur geforderten Kohäsion in der politischen Elite beitragen, dennoch bewertet Dahrendorf deren

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Rolle äußerst negativ. Zum einen wird Jura vor allem von Kindern aus der Ober- und Mittelschicht studiert, wodurch deren Vorteil beim Zugang zur Politik noch größer wird. Zum anderen beurteilt Dahrendorf Rechtswissenschaftler als ungeeignet für die Politik: Jura sei ein Fach, das die "Sehnsucht nach Gewissheit, Autorität und Synthese fördert" (ebd., S. 264).

"Ihre Angst ist größer als ihr politischer Wille, ihr Wunsch nach Sicherheit stärker als der nach Macht. So sind die deutschen Juristen zu einer Elite wider Willen geworden" (ebd.).

Das gleiche gilt laut Dahrendorf auch für die zahlreichen Beamten in der politischen Klasse der Bundesrepublik.

Insgesamt sind zwar unterschiedliche Meinungen in der politischen Klasse vertreten, diese werden jedoch nicht in einer lebendigen Konkurrenz wirksam. Dahrendorf bezeichnet die politische Klasse in Deutschland daher als ein "Kartell der Angst", das zur politischen Führung nicht in der Lage ist (ebd., S. 285). Die Elite verhält sich schwach, defensiv und es droht gesellschaftliche Stagnation.

3.3 Berufliche Qualifikation und politische Repräsentation bei Heino Kaack Heino Kaack befasst sich mit der personellen Mobilität innerhalb der politischen Elite und stellt fest, dass die Wiederwahlchancen der Mandatsinhaber kontinuierlich ansteigen und 1980 bei ca. 80% liegen (Kaack 1971, 1981 und 1988). Zwei Faktoren beeinflussen die Wiederwahlchancen: Die Art der Nominierung durch die Partei (guter oder schlechter Listenplatz bzw. sicherer oder aussichtsloser Wahlkreis) und die wechselnde Präferenz der Wähler (Stimmenverluste oder- gewinne für die Parteien).

Die Ergebnisse zur Mobilität integriert Kaack in ein Konzept der politischen Repräsentation. Für ihn beinhaltet der Repräsentationsgedanke "zwar nicht das Postulat einer statistisch exakten Repräsentation, aber doch den Grundsatz ..., dass alle relevanten Er- fahrungen nennenswerten Zugang zum Parlament haben sollten" (Kaack 1988, S. 180).

Um dies zu überprüfen, erhebt er neben der Wiederwahlhäufigkeit und der Dauer der Zugehörigkeit, das Alter, den Beruf, das Geschlecht und die schulische Bildung der Bundes- tagsabgeordneten.

Besonders relevant sind Kaacks Überlegungen zu den Berufsgruppen der Repräsentanten (Kaack 1981, S. 181ff). Über den Ausbildungsberuf kann die soziale Herkunft der Ab- geordneten bestimmt werden. Dagegen entscheidet die aktuelle berufliche Tätigkeit über die mögliche Rekrutierung in die politische Klasse (ebd., S. 182).

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Bei der Analyse des Rekrutierungsprozesses betont Kaack, dass nicht die rechtliche Qualität des Beschäftigungsverhältnisses, sondern vielmehr die "Politiknähe" der ausgeübten Tätigkeit ausschlaggebend ist (ebd., S. 183).

"'Politiknähe' betrifft sowohl die Verbindung der beruflichen Tätigkeit zu Institutionen des politischen Entscheidungsprozesses und der Politikvermittlung, die Steuerungsmöglich- keiten hinsichtlich der Abhängigkeit von politischen Regelungsprozessen sowie die Ver- einbarkeit von Berufsausübung und politischer Betätigung" (ebd., S. 183).

Im wesentlichen gibt es fünf 'politiknahe' Berufsgruppen:

- Parteibezogene Tätigkeiten und politische Ämter (Berufspolitiker)

- Verbandsbezogene Tätigkeiten (Gewerkschaften und andere Verbände)

- Berufe im Medienbereich (Journalisten, Verleger, etc.)

- Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes

- Selbständige (Unternehmer, freie Berufe, selbständiger Mittelstand, leitende Angestellte) 'Politikferne' Berufsgruppen sind dagegen Angestellte und Arbeiter in der Wirtschaft, angestellte Handwerker sowie Hausfrauen. Die Struktur dieser Tätigkeiten gestattet nach Kaack weder einen Freiraum für politische Aktivitäten noch können Steuerungskompetenzen erworben oder Verbindungen zu politischen Entscheidungsorganen aufgebaut werden (ebd., S. 188). Fasst man die politiknahen Tätigkeiten zusammen, stammen ca. 90% der Abgeordneten des 9. Deutschen Bundestages (1980) aus diesem Bereich.

Kaacks Fazit lautet, dass die personelle Struktur zwar unter funktionalen Gesichtspunkten angemessen ist, aber kaum den Maßstab der angemessenen Repräsentation aller Gruppen und Schichten erfüllt (ebd., S. 203). Allerdings versäumt es Kaack, die errechneten Ergebnisse für die Abgeordneten mit der Wahlbevölkerung zu vergleichen.

3.4 Interessenvertretung als Repräsentation bei Emil-Peter Müller

Emil-Peter Müller ist ein weiterer Autor, der die Zusammensetzung des Deutschen Bundestages für mehrere Legislaturperioden untersucht. Er wendet sich gegen eine pro- portionale Zusammensetzung der Abgeordneten, da nicht alle Bevölkerungsteile in der Lage seien, als politische Repräsentanten zu arbeiten:

"In einer hochdifferenzierten Industriegesellschaft wie der der Bundesrepublik Deutschland erscheint es inadäquat, die Entscheidung über Gesetzesvorlagen der Intuition von Arbeitern oder Hausfrauen zu überlassen" (Müller 1981, S. 6).

Müller ist der Ansicht, dass die Interessen dieser Gruppen auch dann repräsentiert werden, wenn sie selbst nicht personell im Parlament vertreten sind.

"Die gesellschaftlichen Interessen, die im Parlament zum Ausdruck kommen, sind sowohl auf der Individualebene sozialstatistischer Merkmale als auch auf der Ebene kollektiver

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Interessen in der Form verbandlicher Organisation des einzelnen Abgeordneten zu suchen.

Die Interessenlage des Abgeordneten muss nicht mit seiner sozialen Position übereinstimmen, wenn andere Merkmale für ihn von größerer Priorität sind" (ebd., S. 9).

Das bedeutet beispielsweise, dass die Gruppe der Arbeiter und Angestellten auch über Bundestagsabgeordnete, die Mitglied in einer Gewerkschaft sind, repräsentiert werden, selbst wenn diese Abgeordneten nicht als Arbeiter oder Angestellte tätig waren.

Auch die Interessen von Bevölkerungsteilen, die keine aktive Lobby haben, werden nach Müller im Parlament ausreichend berücksichtigt:

"Andererseits sind Frauen eine soziale Gruppe, deren Unterrepräsentation im Parlament in der Gesetzgebung offensichtlich keine chronische Benachteiligung erfährt. Ähnlich der Gruppe der Rentner, die keine aktive Lobby aufweisen kann, werden ihre Interessen aus politischen Gründen von anderen Gruppen wahrgenommen: Der weibliche wie der Rentnerstimmenanteil an der Wahlbevölkerung ist zu groß, als daß eine Partei diese Zielgruppe vernachlässigen könnte. " (ebd., S. 17).

In einer späteren Studie zum Deutschen Bundestag erkennt Müller allerdings, dass die Aufnahme und Repräsentation unorganisierter Interessen doch nicht so problemlos und automatisch erfolgt, wie er es zunächst erhofft hat. Offensichtlich gibt es doch eine Ver- bindung zwischen politischen Entscheidungen und sozialstatistischen Merkmalen der Abgeordneten. Beispielsweise ist das Durchschnittsalter der Abgeordneten im 10. Deutschen Bundestag auf 48 Jahre angestiegen.

"Diese Entwicklung geht mit dem abnehmenden Interesse einher, das jugendpolitischen Belangen entgegengebracht wird" (Müller 1983, S. 25).

Ein weiteres Beispiel ist die mangelhafte Umsetzung des Diätenurteils, die den zahlreichen Beamten unter den Abgeordneten zugute kommt und deshalb "als das interessengebundene Totschweigen einer illegalen Gesetzeslage durch die Privilegierten quer durch alle Fraktionen" gewertet werden kann (ebd., S. 35).

Beide Beispiele unterstreichen die Relevanz einer repräsentativen Zusammensetzung der Parlamente. Die sozialstatistischen Merkmale der Abgeordneten beeinflussen offenbar politische Entscheidungen. Bestimmte soziale Gruppen werden bevorzugt, andere be- nachteiligt oder vergessen. Mills Forderung, dass alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen und Interessen adäquat beteiligt werden müssen, ist durchaus berechtigt.

Die Arbeit von Müller ist auf einer anderen Ebene von Bedeutung. Er zeigt sehr deutlich, dass neben sozialstatistischen Merkmalen, die Verbindungen der Abgeordneten zu gesellschaftlichen Gruppen berücksichtigt werden müssen. Über diese Verbindungen können Interessen repräsentiert werden, die ansonsten nur schwer Zugang zum Parlament finden.

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3.5 Politische Karrieren bei Dietrich Herzog

Dietrich Herzog untersucht in seinen zahlreichen Arbeiten, welche Faktoren die Rekrutierung politischer Repräsentanten beeinflussen. Aus Interviews mit über hundert Spitzenpolitikern leitet er verschiedene relevante Merkmale ab und entwickelt ein Modell politischer Karrieren (Herzog 1975). Dabei unterscheidet er im wesentlichen zwischen drei Karrieretypen:

ƒ Die Standardkarriere: Auf der Basis einer erfolgreichen beruflichen Karriere wird eine politische Karriere in Angriff genommen. Sie beginnt auf kommunaler Parteiebene und führt langsam nach oben. Diesen Karriereverlauf stellt Herzog bei den meisten Ab- geordneten fest (ebd., S. 107).

ƒ Die Parteikarriere: Die berufliche Karriere fand bereits in der Partei statt. Es sind meist Experten, die in spezifische Positionen berufen werden (ebd., S. 138ff).

ƒ Die Cross-over Karriere: In der beruflichen Karriere wurde eine Spitzenposition erreicht und auch ohne langjährige politische Arbeit findet ein Wechsel in eine politische Führungsposition statt. (ebd., S. 150ff).

Die letzten beiden Karrieretypen sind äußerst selten. Bei allen drei Karrieretypen ist eine gesicherte und relativ hohe berufliche Position die Basis für das politische Amt. Ausschlag- gebend ist aber in fast allen Fällen die langjährige politische Erfahrung, die sowohl bei der Standardkarriere als auch bei der Parteikarriere gesammelt wird. Die Cross-over Karriere, bei der auch ohne langjährige Parteimitgliedschaft und –arbeit eine Spitzenposition erreicht wird, ist empirisch die absolute Ausnahme. Die Parteien und insbesondere die Basisorganisationen spielen demnach eine entscheidende Rolle bei der Rekrutierung des politischen Personals (ebd., S. 67). Das wird durch die Tatsache unterstrichen, dass viele Spitzenpolitiker auch dann noch ihre lokalen Wahl- und Parteiämter wahrnehmen, wenn sie längst in der politischen Führungsgruppe angelangt sind (Herzog 1982). Dass Modell politischer Karrieren deutet darauf hin, dass eine Beteiligung aller Bevölkerungsschichten an der Politik nicht möglich ist, da für eine politische Karriere entweder langjährige Parteiarbeit oder ein hoher beruflicher Status notwendig ist.

Auch aus funktionalen Gründen hält Herzog eine proportionale Repräsentation nicht für wünschenswert. Er stellt fest, dass in der Bundesrepublik seit Ende der sechziger Jahre ein Strukturwandel stattfindet, aus dem neue Anforderungen an die politische Elite und den Bundestag resultieren (Herzog 1993, S. 14). Im wesentlichen beobachtet Herzog drei Veränderungen auf gesellschaftlicher Ebene.

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Erstens beschreibt er eine zunehmende Differenzierung und Mobilisierung, die vor allem die Berufsstruktur verändert: die Klassenschichtung habe sich entstrukturiert.

"Zwar sind soziale Ungleichheiten keineswegs verschwunden, jedoch verlaufen sie nicht mehr zwischen den Berufsklassen, sondern quer durch sie hindurch" (Herzog 1991, S. 5).

Die klassischen Institutionen – Familie, Konfession und Berufsklasse – verlieren an Bindungskraft, Individualisierung und Pluralisierung der Lebensstile sind die Folge.1 Auf- grund der Vielzahl von neuen Lebensstilen und Schichten ist eine repräsentative Vertretung nicht mehr möglich.

Die zweite Veränderung betrifft die Beteiligung der Individuen an der Politik. Herzog stellt eine partizipatorische Revolution fest; vor allem gut ausgebildete Bevölkerungsteile beteiligen sich an Bürgerinitiativen und Organisationen. Zugleich ändert sich das Wahlverhalten: Die Parteienbindung läßt nach, d.h. es gibt immer mehr Wechsel- und Protestwähler (ebd., S. 6).

Eine dritte Veränderung ergibt sich aus neuartigen, komplexen und langfristigen technischen und ökologischen Problemen. Die Folge sind neue Interessengegensätze, Konflikte und Spannungen, die sich u.a. in den neuen politischen Partizipationsformen (z.B.

Ökologiebewegung) ausdrücken.

Um eine Eskalation dieser Konflikte zu verhindern und gleichzeitig alle Interessen einbinden zu können, muss die politische Klasse die neuartige Aufgabe der "Gesellschafts- steuerung" erfüllen (Herzog 1992, S. 132f.). Gesellschaftssteuerung heißt in erster Linie, über Verhandlungen, Kooperation und Integration verschiedener Interessen, gesamt- gesellschaftliche Lösungen umzusetzen. Das staatliche Monopol legitimen physischen Zwangs dient nur noch als Handlungsreserve (ebd., S. 133).

Damit die politische Klasse diese Aufgaben erfüllen kann, muss das politische Personal, nach Herzog, besonders qualifiziert sein: Kommunikationsfähigkeit, Strategieentwicklung und Entscheidungshandeln sind die Voraussetzungen zur Steuerung der Gesellschaft (ebd., S. 135).

Diese Qualifikation wird nur über längere, kontinuierliche politische Arbeit erworben.

Herzog spricht sich deshalb für Berufspolitiker mit einem hohen Bildungsniveau und lang- jähriger politischer Erfahrung aus. Nicht einzelne Berufsgruppen sind besonders für die Politik qualifiziert, sondern die erforderliche "genauere Kenntnis über die Komplexität öffentlicher Probleme sowie praktische Erfahrungen bei der Koordination zahlreicher dabei involvierter kollektiver Akteure" kann nur über die politische Arbeit selbst erworben werden (ebd.). Das heißt, dass die soziale Struktur der Bundestagsabgeordneten nicht allein aufgrund

1 Herzog bezieht sich hier unter anderem auf Ulrich Becks Modell der Risikogesellschaft (Beck 1986).

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sozialstatistischer Merkmale erklärt werden kann. Es müssen weitere Variablen (Dauer der Parteimitgliedschaft, Parteiämter, öffentliche Mandate) berücksichtigt werden, die nicht mit der Bevölkerung oder den Parteimitgliedern verglichen werden können.

3.6 Die politische Klasse bei Hilke Rebenstorf

Hilke Rebenstorf hat mehrfach mit Herzog zusammen gearbeitet und publiziert (vgl.

Herzog 1990 und Herzog 1993b). Sie untersucht ebenfalls die Rekrutierungsmechanismen (Rebenstorf 1995) und ist wie Herzog der Ansicht, dass "das politische Führungspersonal die Steuerung gesellschaftlicher Prozesse" zur Aufgabe hat (Rebenstorf 1992, S. 51). Dabei betont sie wie Herzog, dass unter anderem die politische Erfahrung über den Zugang in die politische Klasse entscheidet.

Doch im Gegensatz zu Herzog hält Rebenstorf eine adäquate Repräsentation der gesell- schaftlichen Gruppen und Interessen für möglich und relevant, da die sozialen Unterschiede und Spannungslinien für die direkt Betroffenen auch in einer differenzierten Gesellschaft wirksam sind (Rebenstorf 1993, S. 54). Daraus folgert sie:

"Gewährleistet bleiben muss stets die Vertretung einer Interessenvielfalt, die Repräsentation sozialstruktureller Spannungslinien." (Rebenstorf 1993, S. 56).

Ob die Spannungslinien im Bundestag "personelle Vertretung und somit effektive Artikulationsformen gefunden haben" zeigt die sozialstrukturelle Analyse (ebd. S. 60).

Rebenstorf vergleicht die soziale Struktur der Wähler, der Parteimitglieder und der Bundestagsabgeordneten miteinander. Dabei stellt sie fest, dass die Beteiligung an der Politik vom sozio-ökonomischen Status, ermittelt über Bildungsniveau und Beruf, abhängt. Schon die Teilnahme an Wahlen steht in Zusammenhang mit dem Status: Gesellschaftliche Gruppen mit einem niedrigen Status nehmen weniger zahlreich an Wahlen teil als höhere Statusgruppen (Rebenstorf 1995, S. 120). Auch die Mitgliedschaft in Parteien hängt vom Status ab, Parteimitglieder haben im Durchschnitte einen höheren Status als die Bevölkerung (ebd., S. 121ff.). Innerhalb der Parteien sind wiederum vor allem Personen mit einem gehobenen Status aktiv: Sie übernehmen Parteiaufgaben und kandidieren für öffentliche Ämter (ebd., S. 139). Von den berücksichtigten Gruppen haben schließlich die Bundestags- abgeordneten den höchsten sozio-ökonomischen Status (ebd., S. 141ff.).

Diese stufenweise Statuserhöhung erklärt Rebenstorf mit Hilfe des Gesellschaftsmodells von Pierre Bourdieu. Bourdieu überwindet die klassischen eindimensionalen Schichtungs- modelle, indem er neben ökonomischem auch soziales, kulturelles und symbolisches Kapital

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berücksichtigt (Bourdieu 1994, S. 195ff.).2 Die verschiedenen Kapitalsorten führt Bourdieu in einem sozialen Raum mit zwei Achsen zusammen: Einer vertikalen Achse mit dem Kapital- volumen und einer horizontalen mit der Kapitalstruktur (vgl. Schaubild A1 "Der Raum sozialer Positionen nach Bourdieu" im Anhang).3

Darüber hinaus unterscheidet er zwischen verschiedenen Feldern oder Gesellschafts- bereichen, wie z.B. Kunst, Sport oder Politik. Je nach Feld variiert die Bedeutung der Kapital- sorten:

"Vielmehr legt die spezifische Logik eines jeden Feldes jeweils fest, was auf diesem Markt Kurs hat, was im betreffenden Spiel relevant und effizient ist, was in Beziehung auf dieses Feld als spezifisches Kapital und daher als Erklärungsfaktor der Formen von Praxis fungiert" (ebd., S. 194. Hervorhebungen im Original).

Dies bedeutet, dass ein Individuum zwar in jedem Feld vertreten ist, seine spezifische Position aber je nach Feld variiert, da sein Kapital jeweils unterschiedlich gewertet wird.

Sowohl in der gesamten Gesellschaft als auch in jedem Feld gibt es verschiedene Klassen.

Die jeweils herrschende Klasse verfügt dabei über die Definitionsmacht.4 Der politische Raum ist eines dieser Felder: Definitionsmacht hat hier, wer die politische Produktion, d.h. die Herstellung politischer Meinung und die Mobilisierung dieser Meinung, kontrolliert (Rebenstorf 1995, S. 101).

Die empirischen Ergebnisse von Rebenstorf zeigen, dass der Zugang zur politischen Produktion nicht für alle Gesellschaftsteile gleich ist. Dies hat mehrere Ursachen:

Erstens ist selbst die Kompetenz, über eine eigene politische Meinung zu verfügen, ab- hängig von Ausbildung und Wissen (Bourdieu 1994, S. 624).

Zweitens kann an der aktiven Politik nur der teilnehmen, der ausreichend kulturelles Kapital und Zeit hat (Bourdieu 1991b, S. 490). Über freie Zeit, um sich der Politik zu widmen, verfügen nur Personen, die ökonomisch relativ unabhängig sind. Die Unterklasse hat weder ein hohes Bildungsniveau noch ausreichend kulturelles Kapital oder gar freie Zeit.

Allein aufgrund der gesellschaftlichen Struktur wird somit großen Teilen der Bevölkerung der Zugang zur aktiven Politik erschwert und weitgehend verwehrt.

2 Ökonomisches Kapital ergibt sich aus dem materiellen Besitz. Kulturelles Kapital setzt sich aus dem internalisierten Wissen, dem Besitz an kulturellen Gütern sowie Bildungstiteln zusammen. Soziales Kapital hängt von der Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen und Netzwerken ab. Alle drei Kapitalsorten werden über das symbolische Kapital repräsentiert. (vgl. Bourdieu 1994).

3 Die Summe der drei Kapitalsorten ergibt das Kapitalvolumen. Die Kapitalstruktur ergibt sich aus dem Verhältnis von ökonomischem und kulturellem Kapital (ebd.).

4 Bourdieu unterscheidet zwischen Unterklasse, Mittelklasse und herrschender Klasse. Darüber hinaus gibt es in jeder Klasse aufgrund der unterschiedlichen Kapitalstruktur verschiedene Klassenfraktionen (vgl. Schaubild A1

"Der Raum sozialer Positionen nach Bourdieu" im Anhang).

(30)

Drittens wirkt im politischen Raum neben den drei erwähnten Kapitalsorten eine weitere Kapitalform, das politische Kapital:

"Das politische Kapital ist eine symbolische Kapitalform, ein Kredit, der sich auf die zahl- losen Kreditoperationen gründet, mit denen die Agenten einer sozial als glaubwürdig bezeichneten Person die Machtmomente verleihen, die sie ihr zuerkennen" (ebd., S. 504).

Das politische Kapital hat seinen Ursprung in der Delegation: die Repräsentierten über-tragen dem Repräsentanten ihr Vertrauen und erheben ihn zum Sprecher der Gruppe. Damit gewinnt der Repräsentant Macht über die, die ihm die Macht zuvor verliehen haben (Bourdieu 1989, S. 36). Das Konzept des politischen Kapitals ist dem Modell der politischen Erfahrung von Herzog recht ähnlich. Beides wird über die aktive Beteiligung an der Politik erworben und angesammelt.

Rein deskriptiv kommt Rebenstorf zum gleichen Ergebnis wie Herzog: Im Bundestag sind überwiegend hochqualifizierte Berufspolitiker mit langjähriger politischer Erfahrung. Der Bundestag ist das Zentrum der politischen Klasse in Deutschland:

"Seine Mitglieder verfügen über ein sehr ähnliches Gesamtkapitalvolumen und über eine sehr ähnliche Kapitalsstruktur, die sie von den reinen Amtsträgern in Parteien auf eine spezifische Weise unterscheidet. Außerdem verfügen Parlamentarier über ein Set gemeinsamer Regeln, die sie während der ersten Jahre ihrer Parlamentszugehörigkeits- dauer internalisieren und in dessen Folge einen eigenen Habitus hervorbringen."

(Rebenstorf 1995, S. 195).

Doch während Herzog dieses Ergebnis als Anpassung an die funktionalen Anforderungen interpretiert, erkennt Rebenstorf darin das Resultat gesellschaftlicher Strukturierungs- mechanismen. Die Rekrutierung erklärt sich nicht nur aus der politischen Erfahrung, sondern auch aus der Klassenzugehörigkeit der Abgeordneten.

Im Schlußteil dieser Studie wird überprüft, welches der beiden Konzepte die soziale Zusammensetzung der Bundestagsabgeordneten tatsächlich erklären kann.

3.7 Relevanz der verschiedenen Arbeiten und Entwicklung der Fragestellung Zu Beginn der vorliegenden Arbeit wird festgestellt, dass ein Optimum an politischer Repräsentation nur auf der Basis der proportionalen Vertretung aller gesellschaftlichen Gruppen und Interessen erreicht werden kann.

Aus soziologischer Perspektive kann die Repräsentativität nur überprüft werden, indem die soziale Struktur der Repräsentanten (die Bundestagsabgeordneten) systematisch mit der sozialen Struktur der Repräsentierten (Wähler und Parteimitglieder) verglichen wird. Bei der Analyse der sozialen Struktur werden in der Soziologie demographische Merkmale (wie

(31)

Alter, Geschlecht und Beruf) und die Verteilung zentraler Ressourcen (wie Bildung und Einkommen) berücksichtigt (Geißler 1996, S. 19ff. Schäfers 1995, S. 3ff).

Der größte Teil der besprochenen Arbeiten untersucht zwar die soziale Struktur der Bundestagsabgeordneten auf der Basis derartiger sozialer Merkmale, doch ein Vergleich mit den Repräsentierten findet ausschließlich, und auch dort nur teilweise, in den Arbeiten von Dahrendorf und Rebenstorf statt.5

Zwar fordert auch Kaack eine adäquate Vertretung aller gesellschaftlichen Gruppen, dennoch beschreibt er nur die Zusammensetzung der Abgeordneten. Müller hält eine pro- portionale Vertretung für inadäquat und spricht sich für die Repräsentation über Interessen- vertreter aus. Weber und Herzog schließlich treten für eine Selektion der Abgeordneten nach rein funktionalen Kriterien ein. Webers Einwand gegen reine Interessenvertreter erscheint vor dem Hintergrund der mangelnden Geschlossenheit und Stärke des Reichstages zu seiner Zeit verständlich. Sein Ansatz kann deshalb nicht analog auf den Deutschen Bundestag übertragen werden. Da er einer der ersten Autoren ist, die professionelle Berufspolitiker mit spezifischen Qualifikationen fordern, hat er nach wie vor großen Einfluß. Herzog ist stark von den Arbeiten Webers geprägt, stellt aber fest, dass sich das Bildungssystem heute soweit differenziert und ausgeweitet hat, dass nicht mehr ein spezifischer Ausbildungsgang (wie die Rechtswissenschaft bei Weber) als besonders qualifizierend für die Politik wirken kann.

Stattdessen wird nach Herzog die notwendige Kompetenz für die politische Spitzen- funktionen über langjährige politische Arbeit erworben.

Sowohl beim Konzept der politiknahen Berufe von Kaack als auch beim Modell der politischen Karrieren von Herzog und der Rekrutierung bei Rebenstorf steht nicht die Repräsentativität der Abgeordneten im Vordergrund, sondern es handelt sich vielmehr um Erklärungsmuster für die soziale Zusammensetzung des Bundestages.

Daraus ergeben sich mehrere Konsequenzen für den weiteren Aufbau dieser Studie.

Erstens wird die Repräsentativität der Abgeordneten im Vergleich zur Bevölkerung und den Parteimitgliedern untersucht. Dabei dient die deskriptive Repräsentationstheorie als Richt- schnur. D.h. es wird untersucht, ob alle gesellschaftlichen Gruppen und Interessen adäquat vertreten werden, denn nur auf dieser Basis kann ein Optimum an politischer Repräsentation erreichen werden.

5 Dahrendorf vergleicht die soziale Schichtung der Abgeordneten des vierten Deutschen Bundestages mit der Bevölkerung (Dahrendorf 1977, S. 266). Rebenstorf vergleicht Berufsgruppen und Bildungsniveau von Bundes- tag, Parteimitgliedern und Wahlbevölkerung für den Zeitraum von 1952 bis 1990 (Rebenstorf 1995, S. 121ff).

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