KORRUPTIONSBEKÄMPFUNG IM GESUNDHEITSWESEN
Keine überzogenen Hoffnungen
Ein Arzt plädiert dafür, dass korrupte Kollegen strafrechtlich belangt werden. Ein Strafrechtler warnt vor überzogenen Erwartungen an ein neues Gesetz: Bei einer Veranstaltung der Kaiserin- Friedrich-Stiftung wurde über ein Aufregerthema ruhig, aber facettenreich diskutiert.
H
erbert Nuszpl, ehemals Kri- minalrat, macht sich keine Illusionen: „Kriminalität gehört zum Menschen dazu.“ Schon im Paradies wurde schließlich gestoh- len. Doch damit kann sich ein Un- ternehmen wie der Medizintechnik- hersteller Drägerwerk nicht zufrie- dengeben. Deshalb arbeitet Nuszpl dort als Korruptionsbeauftragter.Welche Erfahrungen er damit ge- macht hat, schilderte er Ende Feb- ruar beim 43. Symposion für Juris- ten und Ärzte der Kaiserin-Fried- rich-Stiftung in Berlin.
Um Korruption zu vermeiden, gibt es im Unternehmen vielfältige Regeln. Dazu zählt, eindeutig zu klären, was wer annehmen oder ge- ben darf. Was vereinbart ist, wird dokumentiert und immer wieder auf seine Zulässigkeit hin geprüft. Die Zustimmung halte sich bei Mitar- beitern wie Geschäftspartnern noch in Grenzen, berichtete Nuszpl.
Kürzlich veranstaltete Drägerwerk ein Fest und ließ auf den Einladun- gen sicherheitshalber vermerken, man möge per Dienstherrengeneh- migung mitteilen, dass man be- rechtigt sei zu kommen. Eini- ge ärgerte das: Da opfere man einen Abend und
müsse sich mit bürokratischen Vor- gaben herumschlagen.
Das sind nicht die einzigen Pro- bleme: Welche Forschungsaufträge kann man noch an Kunden verge- ben? Was sagt man, wenn Mitarbei- ter keine Süßigkeiten mehr auf Krankenhausstationen mitnehmen und ihren Kaffee dort bei einem Einsatz lieber selbst bezahlen, aber berichten: „Die anderen machen
das nicht.“ Nuszpl ist überzeugt:
Ein Unternehmen, das sich korrekt verhält, egal, ob gegenüber öffentli- chen oder privaten Kunden, wird am Ende Wettbewerbsvorteile ha- ben. Aber er machte auch deutlich, dass es viele komplizierte Konstel- lationen bei der Korruptionsver- meidung gebe, und urteilte: „Wir
brauchen keine neuen Gesetze, wir müssen die alten anwen-
den – und es honorieren, wenn sie angewen-
det werden.“
Dr. med. Veit Wambach, nieder- gelassener Arzt und stellvertreten- der Vorsitzender des NAV-Vir- chow-Bundes, sah das anders. Das Vorhaben der rot-schwarzen Koali- tion, Korruption im Gesundheits- wesen durch einen neuen Tatbe- stand im Strafgesetzbuch zu ahn- den, begrüßte Wambach: „Ich bin mir sicher, dass das eine gute Nach- richt für alle Menschen in Deutsch-
land ist und für alle, die im Gesund- heitswesen arbeiten.“ Seine Ein- schätzung begründete er mit dem Arzt-Patienten-Verhältnis: Diese Beziehung sei von persönlichem Vertrauen geprägt, sie gehöre ge- schützt. Der Patient muss nach An- sicht des Allgemeinmediziners da- von ausgehen können, dass die Maßnahmen, die sein Arzt vor- schlägt, für ihn mehr Vor- als Nach- teile haben – und dass dieser also nicht korrumpiert wurde. Wambach forderte aber, dass sich eine neue gesetzliche Regelung durch eindeu- tige Definitionen und leichte Ver- ständlichkeit auszeichnen solle. Für die Kollegen müsse klar sein, was erlaubt sei und was nicht.
Skeptischer beurteilte einen neuen Straftatbestand Prof.
Dr. Gunnar Duttge von der Juristischen Fakul- tät der Georg-August- Universität in Göttingen.
„Es ist bekannt, dass Nicht- strafrechtler sich mit überzoge- nen Hoffnungen tragen“, urteilte er in Hinblick auf die geplante „Neu- kriminalisierung“. Duttge verwies darauf, dass die Abschreckungswir- kung von Straftatbeständen längst
„ Korruption ist in jedem Lebensbereich ein Vergessen, welche Rolle man in der Gesellschaft hat. “
Gunnar Duttge, RechtswissenschaftlerFoto:dpa
A 384 Deutsches Ärzteblatt
|
Jg. 111|
Heft 10|
7. März 2014P O L I T I K
Deutsches Ärzteblatt
|
Jg. 111|
Heft 10|
7. März 2014 A 385 ESSSTÖRUNGENStärkere Vernetzung
Ein Info-Flyer für Hausärzte sowie Kinder- und Jugendärzte soll helfen, die Behandlungspfade für junge Patienten mit Essstörungen zu optimieren.
E
ssstörungen zählen zu den le- bensbedrohlichen und schwer- wiegenden psychosomatischen Er- krankungen im Kindes- und Ju- gendalter. Anorexie, Bulimie und Binge-eating-Störung können tief- greifend die körperliche und psychische Gesundheit schädigen und zu Entwicklungsverzögerun- gen führen. Nicht selten zeigen sich langwierige Krankheitsver- läufe mit Rezidiven und somati- scher oder psychischer Komorbidi- tät. Zudem besteht eine hohe Chro- nifizierungs- und Mortalitätsrate.Bereits 21,9 Prozent der Elf- bis 17-Jährigen weisen nach dem Kin- der- und Jugendgesundheitssurvey des Robert-Koch-Instituts Sym - ptome einer Essstörung auf. Für manifeste Essstörungen betragen die Lebenszeitprävalenzen laut Stu dien zusammengenommen et- wa fünf Prozent.
Schnittstellenverluste
Durch lange Wartezeiten auf spezialisierte Therapieangebote, Schnittstellenverluste zwischen ambulantem und stationärem Sek- tor und mangelnde Früherkennung dauert es meist jedoch mehrere Jah- re, bis Betroffene in adäquate Be- handlung kommen. Dabei könnte eine frühzeitige und umfassende Versorgung der Patienten mit Ess- störungen die Heilungschancen ent- scheidend verbessern und stationä- re Aufnahmen und Chronifizierun- gen rechtzeitig verhindern. Haus- ärzte und Fachärzte der Kinder- und Jugendmedizin sind oftmals die ers- ten Ansprechpartner für Betroffene oder deren Angehörige. Sie spielen somit eine wichtige Rolle in der Früherkennung und Einleitung von weiteren Versorgungsangeboten.
Mit Unterstützung des Experten- gremiums Essstörungen der Initiati- ve „Leben hat Gewicht“ am Bun-
desministerium für Gesundheit (BMG) wurde ein Flyer für nieder- gelassene Ärzte der Grundversor- gung entwickelt. Grundlage dafür ist die vom Expertengremium erar- beitete Broschüre „Empfehlungen zur Integrierten Versorgung bei Essstörungen in Deutschland“
(www.bzga.de/infomaterialien/fach publikationen/konzepte/band-4), die 2012 von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung heraus- gegeben wurde.
Kooperation gefordert
Der Flyer „Essstörungen kompetent und multiprofessionell behandeln“
gibt kompakte Informationen zum Behandlungspfad bei Essstörungen sowie zu weiterführenden Portalen.
Neben der Behandlung gewährleis- ten auch zahlreiche Angebote der Beratung und Nachsorge (zum Bei- spiel therapeutische Wohngruppen) eine kontinuierliche Versorgung so- wie eine Überbrückung von Warte- zeiten auf Behandlung.
Eine angestrebte lückenlose Be- treuung gelingt nur durch fachdis- ziplinübergreifende Kooperation und Kommunikation der an der Ver- sorgung von Essstörungen beteilig- ten Berufsgruppen. Eine stärkere Vernetzung ermöglicht die Umset- zung eines multimodalen Behand- lungskonzepts auf Basis aktueller Leitlinien. Dies garantiert nicht nur eine Steigerung der Qualität in der Versorgung und eine höhere Zufrie- denheit bei Patientinnen und Patien- ten, sondern auch Vorteile für die niedergelassenen Ärzte.
▄
Felicitas Richter, M. Sc. Psych.
Universitätsklinikum Jena, Institut für Psychosoziale Medizin und Psychotherapie
Der Flyer „Essstörungen kompetent und multiprofessionell behandeln“ kann kostenfrei angefordert werden: Bestell-Nr.: BMG-V-10020, publikationen@bundesregierung.de, Telefon: 03018 2722721 (kostenfrei), Fax: 03018 10 2722721
nachgelassen habe, auch weil Er- mittlungen häufig eingestellt wür- den oder im Rahmen eines „Deals“
vorzeitig beendet würden. Hinzu kommt nach seiner Darstellung, dass Staatsanwaltschaften keine Kenner beispielsweise des ärztli- chen Abrechnungsrechts sind und deshalb rechtswidriges Verhalten häufig nicht entlarven – eine Ein- schätzung, die Martina Jaklin teilte, die Leiterin der Abteilung Berufs- und Satzungsrecht der Ärztekam- mer Berlin. Sie erkenne öfters, dass Mängel bei der Beweisaufnahme zur Einstellung eines Verfahrens geführt hätten, erläuterte Jaklin mit Bezug auf bisherige strafrechtliche Ermittlungen. Auch überlange Straf- verfahren und Verjährungen seien ein Problem.
Duttge würde statt neuer Strafen sinnvolle präventive Strategien vor- ziehen. Möglicherweise müsse man die Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswe- sen stärken oder sie anderswo an- siedeln. Doch entweder lasse die Ärzteschaft erkennen, dass sie das Problem in den Griff bekommen wolle, warnte Duttge, oder man werde sie immer schärfer kontrol- lieren wollen. Denn lässlich ist Kor- ruption nicht: „Korruption ist in je- dem Lebensbereich ein Vergessen, welche Rolle man in der Gesell- schaft hat.“
Auf das Thema ging fast zeit- gleich zum Symposion Prof. Dr.
med. Frank Ulrich Montgomery, Präsident des Bundesärztekammer, beim 9. MCC-Kongress „Kassen- gipfel“ ein. „Im Gesundheitswesen wird immer wahnsinnig viel über die gesprochen, die bestochen wer- den sollen, also in diesem Fall die Ärzte, und immer wahnsinnig we- nig über die, die bestechen“, mo- nierte er. Dennoch seien viele Kol- legen mittlerweile geneigt, neue strafrechtliche Regelungen zu ak- zeptieren: „Denn die 99 Prozent der ehrlichen und anständigen Ärztin- nen und Ärzte haben überhaupt kei- ne Lust mehr, von dem einen Pro- zent, das solche Zahlungen anneh- men zu müssen glaubt, ihren Ruf weiterhin erfolgreich ruiniert zu
bekommen.“
▄
Jens Flintrop, Sabine Rieser