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Archiv "Serie - Alkoholismus: Beziehung von Alkoholismus, Drogen- und Tabakkonsum" (05.10.2001)

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M E D I Z I N

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A2590 Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 40½½5. Oktober 2001

A

lkohol und Tabak, die so genann- ten „legalen Drogen“, sind die häufigsten Verursacher substanz- bezogener Störungen. Cannabis, Ecstasy, LSD, Kokain, Amphetamine und Opiate sind die wichtigsten Vertreter der „illega- len Drogen“. Während die Abhängig- keitsgefahr und die potenziellen sub- stanzbezogenen körperlichen und psy- chischen Folgeschäden der illegalen Drogen anerkannt sind, werden der Ta- bak- und Alkoholkonsum zumindest von medizinischen Laien bedeutend permis- siver betrachtet. Dieser Beitrag will auf Wechselwirkungen, Gemeinsamkeiten und synergistische Effekte bei der Ab- hängigkeitsentwicklung von psychotro- pen Substanzen hinweisen.

Epidemiologische Daten

Alkohol gilt als die am weitesten verbrei- tete Droge in Deutschland: Nur zwei Prozent der ostdeutschen Männer und sechs Prozent der ostdeutschen Frauen

zwischen 18 und 59 Jahren (sechs Pro- zent beziehungsweise zehn Prozent der Westdeutschen) leben absolut alkohol- abstinent (22). 94,5 Prozent der 14- bis 24-jährigen Jugendlichen und jungen Er- wachsenen haben Erfahrungen mit Al- kohol gesammelt, 64,8 Prozent (Männer:

69,7 Prozent; Frauen: 60,1 Prozent) trin- ken in diesem Alter schon häufiger als zwölfmal in zwölf Monaten (24).

Zugleich haben 76,3 Prozent in dieser Altersgruppe bereits einmal eine Ziga- rette probiert (24). Immerhin 36,7 Pro- zent der 18- bis 59-Jährigen rauchen laut Repräsentativbefragung von Kraus und Bauernfeind (22). In Westdeutschland rauchen 43,3 Prozent der Männer und 30,1 Prozent der Frauen. Nennenswerte Unterschiede zwischen Westdeutschland und Ostdeutschland gibt es nicht mehr.

Das Statistische Bundesamt stellt im Rahmen der Mikrozensuserhebung 1999

(38) bei einer bedeutend größeren Stich- probe etwas niedrigere Prävalenzraten fest: In der Altersgruppe der 20- bis 60- Jährigen rauchen 31,4 Prozent aller Be- fragten – bei den Männern 37,0 Prozent (1989: 37,7 Prozent), bei den Frauen 25,7 Prozent (1989: 24,3 Prozent). Damit kam es insgesamt seit 1989 sogar zu einer leichten Zunahme der Raucherpräva- lenz. Bemerkenswert ist der Anstieg des Rauchens in der Gruppe der 10- bis 15- jährigen Kinder (1995: 0,7 Prozent; 1999:

1,5 Prozent) und der 15- bis 20-jährigen Jugendlichen (1995: 18,2 Prozent, 1999:

24,8 Prozent).

Cannabis ist die am häufigsten konsu- mierte illegale Droge. Immerhin 33 Pro- zent der 14- bis 24-Jährigen haben schon einmal, 15,5 Prozent sogar mehr als fünf- mal in ihrem Leben Cannabis konsu- miert (24). 14,2 Prozent aller 14- bis 59- jährigen Westdeutschen haben zumin- dest einmal in ihrem Leben eine illegale Droge eingenommen. Die Lebenszeit- prävalenz für Amphetamine, Ecstasy, LSD, Kokain liegt in Westdeutschland

Zusammenfassung

Alkohol- oder Drogenabhängigkeit treten oft als kombinierte Störung auf, gehen aber noch häu- figer mit einem abhängigen und starken Tabak- konsum einher. Tabak kann andererseits auch als

„Einstiegsdroge“ für den Konsum von Alkohol, Cannabis, Kokain und anderen Drogen angese- hen werden. Ursachen für eine Mehrfachabhän- gigkeit liegen in sozialen Umgebungsbedingun- gen, aber auch in substanzspezifischen Wirkun- gen sowie der Summation beziehungsweise der Ergänzung psychotroper Effekte. Intrinsische Schlüsselreize stimulieren zu einem kombinier- ten Konsum. Ergebnisse aus genetischen Unter- suchungen lassen eine gemeinsame hereditäre Komponente für alle Abhängigkeitserkrankun- gen vermuten. Problematisch ist die erhebliche gesundheitliche Gefährdung, die jeder Substanz- abhängigkeit innewohnt. Diese wird durch die kombinierte Einnahme, insbesondere einen gleichzeitigen Tabakkonsum, deutlich gestei- gert. Die meisten Alkohol- oder Drogenabhängi- gen stehen dem Tabakkonsum ambivalent ge- genüber, berichten aber von einer Unfähigkeit

zur Tabakabstinenz. In suchttherapeutischen Einrichtungen wird derzeit die gleichzeitige Ab- hängigkeit von Tabak nicht behandelt. Zahlrei- che Gründe sprechen dafür, künftig aus gesund- heitlichen und suchttherapeutischen Überlegun- gen die Behandlung der Tabakabhängigkeit stär- ker in die therapeutischen Bemühungen mit ein- zubeziehen.

Schlüsselwörter: Alkoholismus, Drogenabhän- gigkeit, Tabakabhängigkeit, Rauchen, Komor- bidität

Summary

Relations Between Alcoholism, Drug Dependence and Smoking

Although alcohol and drug dependence fre- quently occur as a combined disorder, they are even more often accompanied by heavy dependent tobacco consumption. On the other hand, tobacco can also be regarded as an

“introductory drug“ leading to the consump- tion of alcohol, cannabis, cocaine and other

substances. Causes of multiple dependence are social environmental conditions as well as substance-specific effects and the summation or supplementation of psychotropic effects.

Intrinsic key stimulations pave the way to com- bined consumption. Results of genetic investi- gations suggest a common hereditary compo- nent for all dependence-oriented disorders.

One problematic factor is the hereditary health risk inherent in any substance dependence which undergoes a further substantial in- crease through combined intake, in particular through simultaneous tobacco consumption.

Most alcohol or drug addicts have an ambiva- lent attitude towards tobacco consumption but report an inability to abstain from it. Institu- tions providing addiction therapy fail to treat simultaneous dependence on tobacco. How- ever, numerous factors suggest that the treat- ment of tobacco dependence should be integrat- ed into future therapeutic efforts for reasons relating both to health and to addiction therapy.

Key words: alcoholism, drug dependence, to- bacco dependence, smoking, comorbidity

Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie (Ärztlicher Direktor: Prof. Dr. med. Gerhard Buchkremer), Tübingen

Serie: Alkoholismus

Beziehung von Alkoholismus, Drogen- und Tabakkonsum

Anil Batra

Gerhard Buchkremer

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jeweils zwischen 1,5 und 1,8 Prozent, 0,9 Prozent konsumierten Opiate, 0,1 Pro- zent Crack. Die Aktualprävalenz (Kon- sum während der letzten 30 Tage) be- trägt für alle illegalen Drogen inklusive Cannabis 3,3 Prozent (ohne Cannabis 0,8 Prozent). Diese Quoten sind im Osten Deutschlands deutlich niedriger. Der Gipfel der Lebenszeit- und Aktualpräva- lenz des Konsums illegaler Drogen liegt zwischen dem 18. und 29. Lebensjahr (22).

Steigende gesundheitliche Gefährdungen

Die Rate tabakassoziierter Todesfälle (schätzungsweise 90 000 bis 140 000 jähr- lich, [31]) liegt generell bedeutend höher als die alkohol- oder drogenbedingte Mortalität mit circa 40 000 beziehungs- weise 2 000 Todesfällen pro Jahr.

Dennoch wird die Gefährlichkeit des Rauchens, insbesondere in der Behand- lung alkohol- oder drogenabhängiger Pa- tienten, oft unterschätzt: Der gleichzeiti- ge starke Konsum von Tabak und Alko- hol erhöht die Wahrscheinlichkeit schon vor dem 60. Lebensjahr zu versterben, auf mehr als 30 Prozent. Das relative Krebsrisiko steigt bei einem kombinier- ten Konsum auf das 2,5fache (Tabelle).

Tabak – die „Einstiegsdroge“?

Seit 1990 ist in den meisten Industriestaa- ten ein steter Anstieg des Tabak-, Alko- hol- und Drogenkonsums bei Erwachse- nen zu verzeichnen (3). Das typische Pro- bieralter für Tabak liegt zwischen dem 11. und 15. Lebensjahr (43). Innerhalb von zwei bis drei Jahren entsteht in den meisten Fällen ein regelmäßiger Konsum (32).

Der Tabakkonsum stellt nach Mei- nung vieler Autoren die Weichen für ei- nen späteren Alkohol- und Drogenkon- sum. Eine Untersuchung zum Konsum- verhalten jugendlicher Raucher im Alter von 12 bis 17 Jahren (29) (Grafik) ergab, dass 74 Prozent der Raucher, aber nur 24 Prozent der Nichtraucher zusätzlich Al- kohol zu sich nahmen. Noch deutlicher gilt dieses Missverhältnis für Marihuana (47 Prozent versus 6 Prozent) und Opiate (9 Prozent versus 0,4 Prozent). Dies hat

mehrere Gründe: Die bessere Verfüg- barkeit, die geringen Kosten und die be- sondere Bedeutung des Zigarettenrau- chens als Ausdruck „erwachsenen“ Ver- haltens unterstützen dessen Attrakti- vität. Der frühe regelmäßige Konsum der Zigarette mag zudem ein Hinweis auf die hohe Suchtpotenz des Inhaltsstoffs Nikotin sein.

Komorbidität mit anderen Suchterkrankungen

Insbesondere exzessives Trinken ist mit einer Unfähigkeit zur Tabakabstinenz verbunden (28). Rauchende Alkohol- kranke trinken andererseits auch mehr Alkohol als nichtrauchende Alkoholiker (42) und haben mehr Schwierigkeiten, al- koholabstinent zu werden (5). Sie berich- ten außerdem von einem intensiveren Trinkverlangen (14).

Darüber hinaus bestehen Beziehun- gen zwischen dem Rauchstatus und der Einnahme von Sedativa, Stimulanzien und anderen illegalen Drogen. Immer- hin 2,8 Prozent der Raucher konsumie- ren illegale Drogen, 1,3 Prozent nehmen Stimulanzien ein und weitere 3,8 Pro- zent benutzen regelmäßig Sedativa (12).

Die Mehrfachabhängigkeit, insbeson- dere der gleichzeitige Konsum von Se- dativa und illegalen Drogen geht meist mit einem intensiveren Tabakkonsum einher.

Umgekehrt rauchen Patienten mit ei- ner Alkohol- oder Drogenabhängigkeit (Konsumenten von Amphetaminen, Cannabinoiden und Opiaten) mit hoher Wahrscheinlichkeit – die Prävalenz liegt zwischen 75 und 95 Prozent (2, 5, 9). Al- kohol- und Drogenabhängige rauchen mehr Zigaretten pro Tag, sind stär- ker nikotinabhängig als andere Raucher und erreichen höhere Serumnikotin- und Serumcotininkonzentrationen (primäres Abbauprodukt des Nikotins, [17]). Die Mehrheit der drogen- und alkoholabhän-

gigen Patienten ist kaum in der Lage, langfristig tabakabstinent zu leben. Fast 60 Prozent geben in einer Befragung an, ihnen falle der Verzicht auf die Zigarette schwerer als die Drogen- beziehungswei- se Alkoholabstinenz, obgleich sie den Zi- garettenkonsum weniger lustvoll oder befriedigend erlebten (21).

Dinwiddie (10) berichtet von einer signifikanten Verbindung des intravenö- sen Drogenkonsums nicht nur mit disso- zialen Verhaltensauffälligkeiten und af- fektiven Störungen, sondern auch mit der Alkoholabhängigkeit. Die Prävalenz alkoholbezogener Störungen (Miss- brauch und Abhängigkeit) bei Drogen- abhängigen wird mit einer Frequenz von bis zu 70 Prozent angegeben.

Psychische Komorbidität

Im Verlauf vieler psychischer Störungen (Depressionen, schizophrene Psychosen, Angststörungen, Persönlichkeitsstörun- gen) treten sekundär oft auch Abhängig- keitserkrankungen (unter anderem Alko- hol, Benzodiazepine) auf.

Erklärungen für einen Drogen- und Alkoholkonsum finden sich auch in den Persönlichkeitsmerkmalen der Unter- suchten. Sie erweisen sich als impulsiver, risikofreudiger und hedonischer (30).

Die Bereitschaft zu exzessivem Alko- holkonsum ist im jungen Erwachsenenal- ter mit anderen riskanten Verhaltenswei- sen, körperlichen Auseinandersetzun- gen oder ungeschütztem Geschlechtsver- kehr verbunden.

Andererseits kommt es auch zu einer Bahnung anderer psychischer Störungen durch den Substanzkonsum: Angst- störungen und Depressionen werden un- ter Umständen kausal durch den Ziga- rettenkonsum beeinflusst (6, 13, 18). Se- kundäre depressive Störungen treten so- wohl bei Alkohol- als auch Drogenkon- sum auf (26, 33).

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Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 40½½5. Oktober 2001 AA2591

´ TabelleCC´

Rauchen als wichtigste gesundheitsgefährdende komorbide Störung (35, 40).

Raucher Alkoholiker Rauchende Alkoholiker

Mortalität bis 60. Lebensjahr (Prozent) 18 22 31

Relatives Karzinomrisiko (OR) 1,6 1,5 2,5

OR, Odds Ratio

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Klinisch diagnostische Parameter

Der Einfluss komorbider Störungen auf biologische Parameter, die für die klini- sche Untersuchung oder wissenschaftli- che Fragestellungen herangezogen wer- den, bleibt oft unberücksichtigt. Insbe- sondere das Zigarettenrauchen und die damit verbundene Aufnahme von zahl- reichen Substanzen könnte für manche Scheinkorrelation verantwortlich sein.

Einige der biologischen Parameter für ei- nen starken Alkoholkonsum sind durch den gleichzeitigen starken Tabakgenuss vieler Alkoholabhängiger mit beein- flusst. Die Stärke der Nikotinabhängig- keit, die Rauchdauer und die Zahl der Zigaretten, die pro Tag konsumiert wur- den, korrelieren beispielsweise mit dem MCV (mittleres Erythrozytenvolumen), einem häufig verwendeten Marker für ei- nen regelmäßigen Alkoholkonsum. Ver- mutet wird eine relative Hypoxämie durch die Kohlenmonoxidinhalation mit der Folge eines Anstiegs des MCV (1).

Erklärungsmodelle für kombinierte Abhängigkeiten

Die kombinierte Abhängigkeit von meh- reren Substanzgruppen könnte als Folge einer generellen psychischen oder biolo- gischen Vulnerabilität verstanden wer- den. Prädiktoren der Suchtentwicklung wurden, je nach Untersuchungsansatz, sowohl für den psychosozialen Bereich wie auch für den Bereich biologischer Parameter gefunden.

Die Vorbildfunktion anderer Konsu- menten, Modelle innerhalb der Familie, der Einfluss des sozialen Milieus (Peer- Groups) und die positive kognitive Attri- bution des Zigarettenrauchens oder des Drogenkonsums als akzeptierte Verhal- tensweisen im sozialen Umfeld sind die wichtigsten Faktoren für den Beginn des Konsums. Bereits im Alter von sieben bis neun Jahren scheinen die Voraussetzun- gen für einen späteren Alkohol-, Dro- gen- und Tabakkonsum gelegt zu werden (16). Familiäre Konflikte, schwache fa- miliäre Strukturen, eine geringe Famili- enbindung, Impulsivität in der Kindheit, ein früher Zigarettenkonsum sowie Merkmale des Hyperaktivitäts-Syn- droms (Kriminalität, verstärkte Reiz-

wahrnehmung) gelten als frühe Hinwei- se auf eine Suchtentwicklung. Lernpro- zesse im Sinne einer klassischen oder operanten Konditionierung machen das Suchtverhalten nahezu löschungsresi- stent. Dazu gehören die gewohnheits- mäßige Verbindung des Konsums meh- rerer Substanzen, die Summation ge- wünschter Effekte und die Reduktion unangenehmer Nebenerscheinungen ei- ner der Substanzen durch die Einnahme anderer Suchtstoffe. Insbesondere das Wechselspiel von Antriebsförderung, Agitation, Beruhigung und Sedation wird von vielen Drogen- oder Alkohol- abhängigen durch die kombinierte Ein- nahme mehrerer Substanzen erzielt.

Schließlich erhöht die Präsentation von alkoholbezogenen oder drogenassoziier- ten Cues auch das Rauchverlangen (34).

Entzugssymptome wie auch der Konsum einer Substanz können einen intrinsi- schen (unspezifischen) Schlüsselreiz für den Konsum auch anderer Substanzen darstellen (14, 41). Im Entzug setzt – zu- mindest während der akuten Initialphase – häufig eine Suchtverlagerung und In- tensivierung des Tabakkonsums ein.

Viele Erklärungsmodelle zielen auf die gleichsinnige Beeinflussung des „Be- lohnungssystems“ im Gehirn: Opiate, Amphetamin, Kokain, Alkohol und Ni- kotin führen mittelbar oder unmittelbar zu einer dopaminergen Stimulation me- solimbischer Areale (8, 20). Tiermodelle geben gute Anhaltspunkte für die An- nahme eines gemeinsamen „reward sy- stems“ im Sinne eines „Suchtzentrums“.

Am Beispiel des kombinierten Alko- hol- und Tabakkonsums sollen diese Mo- delle detaillierter erläutert werden: Al- koholkonsum erhöht den Zigaretten- konsum sowohl bei abhängigen Trinkern als auch bei Gelegenheitstrinkern insbe- sondere in der initialen Trinkphase, das heißt während des Anstiegs des Blutal- kohols (27). Die Hypothesen hierzu sind vielfältig: die Verstärkerwirkung des Rauchens könnte durch den Alkoholge- nuss erhöht werden (44), Alkohol könn- te das Aktivitätsniveau des Trinkenden und dessen Bereitschaft zu produktivem Verhalten zunächst steigern, nebenbei käme es auch zu einer Intensivierung des Rauchverhaltens. Durch den Alkohol- konsum wird die Nikotinausscheidung beschleunigt (4), der Bedarf steigt. Die Verstärkereigenschaften von Alkohol

könnten durch Tabakkonsum erhöht werden, auf der anderen Seite könnte das Rauchen auch dazu dienen, die Ein- schränkungen der Sinneswahrnehmung, Konzentration und psychomotorischen Beeinträchtigungen durch den Alkohol- konsum zu antagonisieren (23, 25).

Vermutet wird auch eine generelle, ge- netisch bedingte Vulnerabilität für psy- chotrope Substanzen. Epidemiologische Untersuchungen geben hier die ersten Hinweise: Tabakabhängigkeit beispiels- weise tritt bei einer familiären Belastung für Alkoholismus gehäuft auf (37). Eine

Reihe von Zwillingsstudien (15, 39) weist nach, dass die Bereitschaft, Alkohol, Ta- bak oder Drogen zu konsumieren, gene- tisch miteinander verbunden scheint.

Angenommen wird eine genetische Prä- disposition, die zu einer erhöhten Vulne- rabilität für den Substanzkonsum im All- gemeinen führen. Es bleibt offen, ob hierfür spezifische Gene oder aber eine generelle Bereitschaft zu eher riskantem Verhalten abgebildet wird, die schließ- lich in ein eher unspezifisches Suchtver- halten mündet.

Konsequenzen für eine Abstinenz Die meisten Drogenabhängigen werden innerhalb der ersten drei Monate nach Therapieende rückfällig. Die Unfähig- keit zur Abstinenz Opiatabhängiger wird durch eine Vielzahl von Variablen be- einflusst: Neben soziodemographischen Faktoren (Alter, Geschlecht), drogen- M E D I Z I N

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Grafik

Konsumverhalten jugendlicher Raucher im Alter von 12 bis 17 Jahren (29).

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anamnestischen Bedingungen (frühere Abstinenzversuche, Dauer der Drogen- anamnese) sind vor allem der gleichzei- tige und fortgesetzte Gebrauch anderer Drogen (Kokain, Amphetamin und Ma- rihuana), aber auch eine Alkoholab- hängigkeit (nicht dagegen der Alkohol- genuss), Behandlungsbedingungen, Ko- morbidität, Kriminalität und soziale Ein- gliederung bedeutsam (7). Auch nach ei- ner Alkoholentzugsbehandlung erweist sich die Intensität des Zigarettenrau- chens neben wenigen anderen Variablen, zum Beispiel dem sozialen Status, als prädiktiv für einen Rückfall (11).

Raucherentwöhnung – eine Chance für Suchtkranke?

Die Notwendigkeit, aber auch die Chan- ce einer Raucherentwöhnung für Patien- ten in Suchttherapieeinrichtungen wer- den noch immer kontrovers diskutiert.

Gegen eine Raucherentwöhnung spre- chen in den Augen vieler Therapeuten Argumente wie die geringe Erfolgsaus- sicht der Raucherentwöhnungsbehand- lung, die Sorge, eine Tabakabstinenz könne Rückfälle in die Drogenabhängig- keit begünstigen, oder die in den Augen der Therapeuten geringere Dringlichkeit einer Raucherentwöhnungsbehandlung.

Vernachlässigt werden dabei synergi- stische Effekte in der Suchttherapie. Ei- nige Studien belegen, dass die Tabakab- stinenz die Drogenabstinenz eher fördert und auch die Rauchfreiheit auf Station sowie Angebote einer Raucherentwöh- nungstherapie die Abstinenz für Alkohol und Drogen eher unterstützen (5, 19).

Ein nicht unerheblicher Teil der Drogen- abhängigen selbst wünscht eine Tabak- abstinenz (36).

Natürlich müssen Angebote zur Rau- cherentwöhnung auf die Bedürfnisse und das besondere Abhängigkeitsprofil der Klientel abgestimmt werden. Vorstellbar ist beispielsweise eine Hochdosisniko- tinersatztherapie, die Kombination von Nikotin und Bupropion, Langzeitniko- tinsubstitution oder die Integrationen der psychotherapeutischen Anteile in die Angebote einer Einrichtung für Sucht- therapie, eventuell ergänzt durch nach- stationäre Angebote, um zumindest der Klientel der dissonanten Raucher eine wirksame Unterstützung anzubieten.

Bei Patienten mit refraktärem Vor- hofflimmern, das auf medikamentöse Therapie nicht anspricht, wird bei ent- sprechender Symptomatik als Ultima ratio zur Frequenzsenkung eine Abla- tion des AV-Knotens mit nachfolgen- der Implantation eines Herzschrittma- chers durchgeführt. Hierdurch wird zwar das Vorhofflimmern mit seinen Risiken nicht beseitigt, es kommt je- doch zu einer Besserung der Sympto- matik mit Steigerung der Lebensqua- lität, der körperlichen Belastbarkeit und der linksventrikulären Funktion.

In einer retrospektiven Nachbeob- achtung von 350 Patienten, die zwi- schen 1990 und 1998 an der Mayo-Kli- nik entsprechend behandelt worden waren, wurde nun auch der Einfluss dieser Therapie auf das Langzeitüber-

leben untersucht. Dabei zeigte sich bei Patienten mit Vorhofflimmern ohne kardiovaskuläre Begleiterkrankungen eine Überlebensrate entsprechend der der Normalbevölkerung. Nur bei zu- sätzlichen Risikofaktoren wie voraus- gegangenem Herzinfarkt, zurücklie- gender dekompensierter Herzinsuffi- zienz oder der Notwendigkeit, weiter- hin herzwirksame Medikamente nach AV-Knoten-Ablation einzunehmen, war die Sterblichkeit der betroffenen

Patienten erhöht. acc

Ozcan C et al.: Long-term survival after ablation of the atrioventricular node and implantation of a permanent pacemaker in patients with atrial fibrillation. N Eng J Med 2001; 344: 1043–1051.

Dr. Shen, Mayo Clinic, 200 First St. SW; Rochester, MN 55905, USA.

AV-Knoten-Ablation und

Schrittmacherimplantation bei Patienten mit Vorhofflimmern

Fazit

Epidemiologische Zahlen, die Konsum- muster Abhängiger und Modelle der Ab- hängigkeit sprechen dafür, eine Suchter- krankung nicht isoliert zu betrachten. Ei- ne Abhängigkeit von einer weiteren Sub- stanz, zumindest von Nikotin bezie- hungsweise Tabak ist fast die Regel. An- gesichts der schwerwiegenden gesund- heitlichen Konsequenzen scheint es an- gebracht, die Therapie Abhängiger auf die Mehrfachabhängigkeit inklusive der Tabakabhängigkeit abzustimmen.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 2001; 98: A 2590–2593 [Heft 40]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift des Verfassers:

Priv.-Doz. Dr. med. Anil Batra

Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Osianderstraße 24

72076 Tübingen

E-Mail: albatra@med.uni-tuebingen.de

In der Serie Alkoholismus sind bisher erschienen:

Alkoholmissbrauch und Alkoholabhängigkeit Prof. Dr. med. Rainer Tölle

Dt Ärztebl 2001; 98: A 1957 [Heft 30]

Das Alkoholproblem in der Medizingeschichte Prof. Dr. med. Dr. phil. Heinz Schott

Dt Ärztebl 2001; 98: A 1958–1962 [Heft 30]

Alkoholassoziierte Organschäden Befunde in der Inneren Medizin, Neurologie und Geburtshilfe/Neonatologie

Prof. Dr. med. Manfred V. Singer, Priv.-Doz. Dr. med. Stephan Teyssen Dt Ärztebl 2001; 98: A 2109–2120 [Heft 33]

Neurobiologie der Alkoholabhängigkeit Prof. Dr. med. Karl Mann

Dt Ärztebl 2001; 98: A 2279–2283 [Heft 36]

Missbrauch oder Abhängigkeit von Alkohol Frühdiagnostik und Frühintervention in der Praxis Prof. Dr. phil. Ulrich John

Dt Ärztebl 2001; 98: A 2438–2442 [Heft 38]

Referiert

Referenzen

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