DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
KONGRESSBERICHT
Als erstes Thema des IX. Interdis- ziplinären Forums der Bundesärz- tekammer 1985 standen Folgeer- krankungen des Alkoholismus zur Diskussion. Die Alkoholkrankheit betrifft in der Bundesrepublik 1,5 bis 2 Millionen Menschen in Form von Alkoholmißbrauch durch Überkonsum oder Alkoholabhän- gigkeit mit unkontrolliertem Trin- ken. Auswirkungen eines übermä- ßigen Konsums von Alkohol be- ziehen sich auf fast alle Organbe- reiche, von denen nur vier exem- plarisch Gegenstand von Refera- ten waren.
Die Alkoholembryopathie ist durch körperliche und geistige Retardierung zum Teil mit körper- lichen Fehlbildungen, wie ange- borenen Herzfehlern, charakteri- siert. Die Zahl der beobachteten Fälle entspricht mit etwa 1:600 dem Vorkommen des Down-Syn- droms, des Mongolismus. In einer entsprechenden Krankheitsgrup- pe wurde der mittlere mütterliche Konsum während der Schwanger- schaft mit 172 Gramm reinen Al- kohols pro Tag ermittelt (Majews- ki/Düsseldorf). Die Alkoholkardio- myopathie bietet das Bild einer di- lativen Herzmuskelerkrankung.
Ihre Fünfjah resüberlebenszeit liegt unter 50 Prozent. Auffällig ist, daß bei den ätiologisch ungeklär- ten Formen der sogenannten dila- tiven Kardiomyopathie etwa 40 Prozent einen erhöhten Alkohol- konsum aufweisen. Die Akutzu- fuhr größerer Alkoholdosen hat ausgeprägt negativ inotrope Wir- kungen auf die Herzmuskulatur, so daß bei stärkeren Vorschädi- gungen Herzinsuffizienzerschei- nungen ausgelöst werden können (Bolte/Augsburg).
Die häufigste Folgeerscheinung auf neurologischem Gebiet ist die Polyneuropathie, die etwa zu 30 Prozent der Fälle auf Alkoholmiß- brauch zurückzuführen ist. Be- deutsam sind auch Hirnatrophie, Tremor und epileptische Anfälle.
Bei völliger Abstinenz kann die Hirnatrophie rückbildungsfähig sein (Peiffer/Tübingen, Stolten- burg-Didinger/Berlin). Auf psych- iatrischem Gebiet stehen Alkohol- delir, Alkoholhalluzinose, Para- noia-Symptomatik und erhöhte Suizidneigung im Vordergrund.
Im Endstadium der Alkoholkrank- heit stellen sich Abbau der Per- sönlichkeit, gelegentlich mit Ag- gressionen, aber auch Angst- symptome und Depression dar (Feuerlein/München).
Die wichtigsten Erkrankungen im Bereich des Verdauungs- und Stoffwechselsystems sind Fettle- ber, Alkoholhepatitis, und Alko- holzirrhose. Unter Langzeitkon- sum über mehrere Jahrzehnte läßt sich schon oberhalb einer mittleren Tagesdurchschnitts- menge von 40 Gramm Alkohol bei Männern und 20 Gramm Alkohol bei Frauen eine linear ansteigen- de Häufigkeit von Leberzirrhose nachweisen. Am Pankreas geht die Hälfte der chronischen Ent- zündungsformen auf übermäßi- gen Alkoholkonsum zurück (Bo- de/Stuttgart).
Unter den Laborbefunden kommt bei Optimierung der Entschei- dungsgrenzen einem Befundpro- fil, das y- Glutamyltransferase, As- partat-aminotransferase, Aspar- tat-/Alanin-aminotransferase, mitt- leres Erytrocytenvolumen, Kreati- nin und Harnstoff umfaßt, eine
Sensitivität von 86 Prozent (Alko- holiker) und eine Spezifität von 87 Prozent (Nichtalkoholiker) zu.
Dieses Befundprofil gilt für männ- liche Probanden (Stamm/Mün- chen).
Im Bereich des Magen-Darm-Ka- nals finden sich entzündliche und atrophische Schleimhautprozes- se mit Resorptionsstörungen und pathologischer Motilität. Bedeut- sam ist, daß eine überzufällige Häufung von Karzinomen von Mundhöhle, Rachenbereich und ösophagus nachweisbar ist (Bo- de/Stuttgart).
Therapeutische Ansätze umfas- sen Kontaktphase, Entgiftung, Entwöhnung und Nachsorge. Vor- aussetzung eines Therapieerfol- ges sind Krankheitseinsicht und Motivation zur Therapie, wobei dem niedergelassenen Arzt auf- grund der Kenntnis der familiären und sozialen Situation eine große Bedeutung zugemessen werden muß (Thäle/Weißenhorn, Man- gold/Tübingen). Die Alkoholkrank- heit muß vom Arzt als Krankheit, nicht als moralischer Defekt ange- sehen werden (Feuerlein/Mün- chen). Besonders bedeutsam ist, daß eine therapeutische Kette wirksam ist (Kleinsorge/Ludwigs-
hafen), die über die verschiede- nen Stufen der Behandlung ohne Unterbrechung bestehenbleibt. In dieser Richtung sind besonders betriebsärztliche Aktivitäten zu- sammen mit betrieblichen Sozial- einrichtungen bedeutsam (Klein- sorge/Ludwigshafen). Eine Entgif- tung muß in schweren Fällen sta- tionär erfolgen, eine Entwöhnung ist am wirksamsten in besonde- ren Therapieeinrichtungen durch- führbar. In der Nachsorge spie- len Selbsthilfeeinrichtungen eine wichtige Rolle. Die Erfolgsquoten liegen derzeit bei 30 Prozent der einer systematischen Behandlung zugeführten Patienten.
Professor Dr. med.
Paul Schölmerich Weidmannstraße 67 6500 Mainz
Folgeerkrankungen des Alkoholismus
Kurzbericht über das I. Hauptthema
des IX. Interdisziplinären Forums der Bundesärztekammer
„Fortschritt und Fortbildung in der Medizin"
vom 9. bis 12. Januar 1985 in Köln
750 (80) Heft 11 vom 13. März 1985 82. Jahrgang Ausgabe A