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Archiv "Therapietreue: Verweigerer und Kalkulierer" (27.04.2012)

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A 848 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 17

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27. April 2012

THERAPIETREUE

Verweigerer und Kalkulierer

Non-Adherence sorgt nicht nur für persönliches Leid, sondern auch für vergeudete Gesundheitsausgaben. In Modellprojekten wird nun erprobt, wie Ärzte die Therapietreue ihrer Patienten steigern können.

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as Thema ist so alt wie die Medizin selbst: die Therapie- treue. Und nach wie vor ist es aktu- ell. Eine WHO-Untersuchung aus dem Jahr 2003 hat ergeben, dass 50 Prozent aller Patienten ihre Arznei- mittel nicht regelmäßig einnehmen.

In anderen Analysen ist, je nach Art der Erkrankung, von bis zu 80 Pro- zent die Rede.

Für die Therapietreue wurde lan- ge der Begriff Compliance verwen- det – die Bereitschaft des Patienten, den ärztlichen Anweisungen zu fol- gen. Heute wird er zunehmend durch den Begriff Adherence er- setzt, der dem Patienten eine akti- vere Rolle in der Therapieplanung zuweist. Warum nun ist die Ad - herence so niedrig? „Non-Adherence

ist ein normales menschliches Ver- halten, mit dem jeder Arzt rechnen muss“, sagt die stellvertretende Vorsitzende der Arzneimittelkom- mission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), Prof. Dr. med. Ursula Gundert-Remy. Grundsätzlich kann man aus ihrer Sicht dabei drei Pa- tiententypen unterscheiden: Die

„Verweigerer“ nehmen verordnete Arzneimittel erst gar nicht ein oder setzen sie eigenmächtig ab. Die

„Vergesslichen“ versäumen es so- wohl im Alltag als auch in besonde- ren Situationen, zum Beispiel wäh- rend einer Reise, ihre Medikamente einzunehmen. Die „Kalkulierer“

schließlich setzen ihr Arzneimittel wegen Nebenwirkungen ab oder auch, weil sich ihr Gesundheitszu- stand gebessert hat, und sie glauben, eine weitere Einnahme sei nicht mehr nötig. Manche werden auch durch Beipackzettel verunsichert und verzichten auf eine Einnahme, weil sie Nebenwirkungen fürchten.

Für den behandelnden Arzt sei es wichtig, sich schon bei der Verord- nung eines Arzneimittels darauf einzustellen, dass es der Patient möglicherweise nicht regelmäßig einnehmen werde, sagt Gundert- Remy. „Ärzte müssen deshalb mit ihren Patienten darüber reden, wie wichtig eine kontinuierliche Medi- kamenteneinnahme ist. Und wenn der Therapieerfolg ausbleibt, sollte der Arzt die Non-Adherence als mögliche Ursache ansprechen.“

Auch Vergesslichkeit reduziere die Adherence, sagt die stellvertre- tende AkdÄ-Vorsitzende. Deshalb sei die Verordnung eines Medika- ments mit häufiger Einnahmefre- quenz bei vergesslichen Patienten ungeeignet. Denn wenn mehr als drei Dosen pro Tag eingenommen werden müssten, nehme die Ad - herence signifikant ab.

Um Non-Adherence vorzubeu- gen, sei es zudem sinnvoll, darauf hinzuweisen, welche unerwünsch- ten Wirkungen eintreten können und dass auf dem Beipackzettel auch die Nebenwirkungen aufgelis- tet sind, die äußerst selten auftreten.

Prüfen, ob alle Medikamente unbedingt erforderlich sind

„Bei multimorbiden Patienten mit einer hohen Zahl von Arzneimitteln kann es auch sinnvoll sein, zu über- prüfen, ob alle Medikamente unbe- dingt erforderlich sind“, rät Gun- dert-Remy. Darüber hinaus könne dem Patienten zudem der Hinweis helfen, die Medikamenteneinnahme mit einer bestimmten Tätigkeit zu verbinden, zum Beispiel dem Zäh- neputzen oder dem Frühstücken.

Blisterverpackungen und Medika- mentendispenser könnten ebenfalls hilfreich sein.

„Zurzeit entwickelt die AkdÄ im Rahmen ihres Projektes zur Arznei- mitteltherapiesicherheit einen opti- mierten Medikationsplan, der auch Angaben darüber enthält, weshalb die Therapie mit den verordneten Arzneimitteln durchgeführt werden muss“, so Gundert-Remy. Denn wenn der Patient verstehe, welche Bedeutung die Medikamente für seinen Gesundheitszustand hätten, erhöhe sich auch seine Adherence.

Ein Medikationsplan ist eben- falls Teil des von der Kassenärztli- chen Bundesvereinigung (KBV) und der Bundesvereinigung Deut-

P O L I T I K

In der Region Nürnberg wird zurzeit ein Modellprojekt vor- bereitet, bei dem die Therapietreue der Patienten mit Hilfe von Routinedaten der Krankenkassen überprüft werden soll.

Das Ärztenetz „Qualität und Effizienz“ wird dabei aufberei- tete Daten der Techniker-Krankenkasse (TK) erhalten, die Rückschlüsse darüber zulassen, ob die für einen bestimm- ten Zeitraum verordneten Arzneimittel auch in diesem Zeit- raum eingenommen wurden. Die Analyse der pseudonymi- sierten Daten von 200 000 TK-Versicherten mit Diabetes mellitus Typ 2 aus den Jahren 2006 bis 2008 hatte erge- ben, dass das nicht immer der Fall ist. Denn laut TK-Anga- ben hatten 7 000 dieser Versicherten ihr Medikament nur jeden zweiten Tag zur Verfügung, obwohl ihnen das Medi- kament zur täglichen Einnahme verschrieben worden war.

„Wir versprechen uns von diesem Projekt Erkenntnisse darüber, in welchen Fällen die von den Ärzten initiierte Be- handlung korrekt umgesetzt wurde – und in welchen nicht“, sagt der Vorstandsvorsitzende des Netzes, Dr. med.

Veit Wambach. „Wenn bei bestimmten Arzneimitteln häufig Unstimmigkeiten auftreten, werden wir in unseren sektor- übergreifenden Qualitätszirkeln darüber reden. Und wir werden die Patienten, die diese Arzneimittel erhalten, darauf ansprechen.“

PROJEKT IN NÜRNBERG

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27. April 2012 A 849 scher Apothekerverbände erarbeite-

ten Konzepts zur Arzneimittelver- sorgung. Dieses sieht neben einem Medikationskatalog und der Wirk- stoffverordnung auch ein Medika - tionsmanagement vor. Bei dem Kon- zept können sowohl der Arzt als auch der Apotheker oder die Kran- kenkasse einem Patienten mit fünf oder mehr Arzneimitteln vorschla- gen, für ein Jahr gemeinsam von seinem Arzt und seinem Apotheker betreut zu werden. Der Patient er- hält dann einen vollständigen Medi- kationsplan, der ihm eine Übersicht über seine aktuelle Medikation gibt.

Dadurch sollen sowohl die Arznei- mittelrisiken reduziert als auch die Adherence des Patienten erhöht werden. „Ganz wichtig für die The- rapietreue ist es dabei, dass der Me- dikationsplan für die Patienten ver- ständlich ist“, sagt KBV-Sprecher Dr. Roland Stahl.

Nur der Hausarzt kennt seinen Patienten

Im GKV-Versorgungsstrukturgesetz hat die Regierung festgelegt, dass dieses Konzept von einer Kassen- ärztlichen Vereinigung (KV) für die Dauer von zwei bis drei Jahren er- probt werden kann. Welche KV das sein wird, steht noch nicht fest.

Ein ähnlicher Ansatz wird der- zeit in Stade, westlich von Ham- burg, getestet. Hier haben sich die KV Niedersachsen, die Apotheker- kammer Niedersachsen sowie die Krankenkassen AOK-Niedersach-

sen, DAK und hkk zusammenge- schlossen, um in einem Modellpro- jekt zu erproben, wie unerwünschte Arzneimittelwirkungen infolge von Polymedikation verringert und die Adherence der Patienten verbessert werden können. Schlüssel zum Er- folg soll eine intensivere Kommu- nikation sein.

Zunächst haben die Kranken- kassen ihre Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 angeschrieben, die an einem Disease-Management- Programm teilnehmen, und sie ge- beten, auf einem Fragebogen die ihnen verordneten Arzneimittel in- klusive der selbst gekauften OTC- Präparate aufzulisten. Mit ihrem Apotheker sollten sie dann einen Medikationsplan erstellen, den sie ihrem Hausarzt vorlegen. Gegebe- nenfalls passt dieser daraufhin die Medika tion an. „Häufig weiß der Hausarzt überhaupt nicht, welche Arzneimittel sein Patient nimmt“, sagt Dr. med. Lothar Sause, bera- tender Arzt bei der KV Nieder- sachsen. „Wenn die Patienten zum Beispiel akut in ein Krankenhaus aufgenommen werden und dort Medikamente erhalten, die sie auch nach ihrer Entlassung neh- men sollen, erfährt er davon in der Regel nichts.“ Das Gleiche gelte für Arzneimittel, die ein Facharzt verordnet habe oder für OTC-Prä- parate. „Die Wechselwirkungen dieser Medikamente können aber durchaus gefährlich werden“, so Sause.

Die an dem Modellprojekt teil- nehmenden Ärzte und Apotheker treffen sich regelmäßig in speziel- len Qualitätszirkeln, um sich über die Wechselwirkungen von Arznei- mitteln auszutauschen. Dabei sind auch klinische Pharmakologen der Medizinischen Hochschule Hanno- ver (MHH), die bei komplexen Wechselwirkungen infolge Polyme- dikation beraten. Einer von ihnen ist Prof. Dr. med. Dirk Stichtenoth.

„Entscheidend ist das Patient-Arzt- Verhältnis“, sagt der stellvertreten- de Direktor des Instituts für Klini- sche Pharmakologie der MHH.

„Denn nur der Hausarzt kennt sei- nen Patienten und weiß, welche Arzneimittel er braucht und welche nicht.“ Deshalb könne der Apothe-

ker zwar auf Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Medika- menten hinweisen. Doch nur der Arzt könne entscheiden, ob ein Me- dikament abgesetzt werden dürfe oder nicht. „Manchmal ist es sinn- voll, den Mut zu haben, ein Arznei- mittel wegzulassen“, sagt Stichte- noth. „In anderen Fällen ist es aber wichtig, dass ein Medikament wei- ter genommen wird, selbst wenn es gewisse Risiken birgt.“ Im Zweifel müsse dann der Apotheker zum Te- lefon greifen und mit dem Hausarzt sprechen. Wie das sinnvoll in den Praxisablauf integriert werden kann, wird in Stade zurzeit erprobt.

Wichtig sei es, den Patienten ein- zubeziehen, erklärt Sause. Schließ- lich gehe es um seine Gesundheit.

Zugleich müsse der Hausarzt seinen Patienten aber auch kontrollieren, meint der frühere Oberarzt für An- ästhesie. Wenn jemand schon nach zwei Wochen wieder in der Praxis erscheine, um neue Schmerzmittel zu erhalten, obwohl er bei der letz- ten Verordnung Arzneimittel für ei- nen Monat erhalten hat, müsse der Arzt hellhörig werden.

„Über Vergütung reden wir bislang nicht“

„Das Stichwort ist hier die spre- chende Medizin“, sagt Stichtenoth.

„Leider wird sie jedoch zu selten angewandt, weil die Ärzte einfach keine Zeit haben, lange mit ihren Patienten zu sprechen.“ Für die Krankenkassen würde es sich den- noch lohnen, dafür Geld zur Verfü- gung zu stellen. Denn die Ad - herence sei einer der Bereiche im deutschen Gesundheitswesen, bei dem noch viel Optimierungsspiel- raum existiere. „Viel Leid und viel Geld könnten dabei gespart wer- den“, meint Stichtenoth.

Das Modellprojekt ist auf ein Jahr ausgelegt, danach wird es eine zweite Befragung der Patienten ge- ben. „Über Vergütung reden wir bislang nicht, die teilnehmenden Ärzte und Apotheker sind aus Über- zeugung dabei“, sagt Sause. Lang- fristig könne man sich aber eine Vergütung für Arzneimittelberatun- gen vorstellen, wie es sie schon heute in einigen KVen gebe.

Falk Osterloh

P O L I T I K

Foto: Your Photo Today

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