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Archiv "Umgang mit Arzneimitteln — mehr Sicherheit durch das Gesetz?" (06.03.1975)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

i

Spektrum der Woche Aufsätze •Notizen

Umgang mit Arzneimitteln mehr Sicherheit

durch das Gesetz?

THEMEN DER ZEIT:

Umgang mit Arzneimitteln

— mehr Sicherheit durch das Gesetz?

Zehn Jahre Kollegium der Medizinjournalisten

AUS DEM BUNDESTAG

GESCHICHTE DER MEDIZIN:

Patient Lenin:

ein Übermensch?

BLICK ÜBER DIE GRENZEN:

Chile: Voller Hoffnung

BRIEFE AN DIE REDAKTION

BEKANNTMACHUNGEN:

Bundesärztekammer:

Muster für

Anstellungsvertrag eines Betriebsarztes (Arbeitnehmer) — Muster für Vertrag

eines als freier Mitarbeiter tätigen Betriebsarztes

PERSONALIA

FEUILLETON:

Alte Gläser aus deutschen Apotheken

Reinhard Aschenbrenner*)

Einer der ersten Internisten, die sich intensiv um eine klinische Pharmakologie am Krankenbett und um eine planmäßige Behandlung nach quantitativen Gesichtspunk- ten bemüht haben, war

Albert Fraen- kel

in Heidelberg, der Begründer der intravenösen Strophanthin-The-

rapie (1906). Er pflegte gerne

Karl August Wunderlich

(1815-77) zu zi- tieren, von dem u. a. der Ausdruck

„rationelle Therapie" stammt.

Wun- derlich

hat viel über den Umgang mit Arzneimitteln und die Schwie- rigkeiten einer objektiven Erfolgs- beurteilung nachgedacht. Er hat darüber in seiner Leipziger An- trittsvorlesung 1851 folgendes ge- äußert:

Therapeutische Erfahrung

„Die einzige Gewähr für den Erfolg einer Behandlungsmethode sind gewöhnlich die Versicherungen aus den Reminiszenzen der Praxis.

Es ist schon schlimm, wenn die therapeutische Erfahrung des ein- zelnen auf nichts als auf Reminis- zenzen des Selbsterlebten aufge- baut ist. Denn man weiß, wie trüge- risch diese Erinnerungen sind, wie gerade die auffallenden Fälle am meisten sich einprägen, wie gern die Fälle im Gehirn sich mit der Zeit verdoppeln und verdreifachen, und wie es auf die subjektive Stim- mung ankommt, ob man die Erfah- rung häufig oder selten gemacht zu haben glaubt.

Was dem Vorsichtigen manchmal heißt, das ist für den Sanguiniker oft oder immer, für den Zweifler selten oder niemals. Was soll aber daraus werden, wenn widerstreitende Be- hauptungen solcher Art einander gegenüberstehen? Wie soll da je- mals eine Entscheidung möglich werden?"

Wunderlichs Klage hatte auch noch nach der Jahrhundertwende, schon im Zeitalter der industriellen Großherstellung von Arzneimitteln, durchaus ihre Berechtigung. Fraen- kel hat daher 1932 führende Pharmakologen und Kliniker zu ei- ner wissenschaftlichen Tagung nach Heidelberg eingeladen; das Rahmenthema hieß: „Der Weg zur rationellen Therapie." Ich war da- mals junger Assistent auf dem Speyerershof und kann mich an den ersten Redner noch genau er- innern. Er sprach über das Thema

„Kritische Betrachtungen und Vor- schläge zur klinischen Arzneiprü- fung" und hieß

Paul Martini.

Kritische Betrachtungen

Es ist eine große Freude und Aus- zeichnung für mich, daß ich Paul Martini (1889-1964) zu Ehren diese

") Dieser Beitrag des Vorsitzenden der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft beruht auf dem Manuskript der „Paul-Martini-Vorlesung 1974" (Me- dizinische Universitätsklinik Bonn), das der Verfasser für das DEUTSCHE ÄRZTEBLATT überarbeitet hat.

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Vorlesung in dieser Klinik halten darf. Ich danke dafür dem Haus- herrn und der Paul-Martini-Stiftung sehr herzlich. Die klinische Phar- makologie — ein spezielles Anlie- gen der Paul-Martini-Stiftung — ist leider in Deutschland immer noch ein zartes Pflänzchen, das nur un- ter sorgsamer Betreuung gedeihen kann. Aber wenn wir auf dem Weg zur rationellen Therapie ohne stän- diges Stolpern weiterkommen wol- len, ist eine planmäßige Förderung und Ansiedlung der klinischen Pharmakologie in Kliniken und Krankenhäusern unerläßlich.

Klinische Pharmakologie

Ich habe 1970 auf dem Internisten- kongreß in Wiesbaden für die praktischen Aufgabenbereiche eine Reihe von Vorschlägen gemacht.

Für uns Internisten spielt eine gute pharmakologisch-klinische Zusam- menarbeit eine besonders wichtige

Rolle. Die Intensivtherapie der Not- fälle, die schnelle Beherrschung von Infektionskrankheiten, die Langzeitbehandlung über Jahre hin bei vielen chronischen Erkrankun- gen, die therapeutischen Interak- tionen in der Geriatrie, der Um- gang mit den modernen Psycho- pharmaka —, dies alles ist ohne schnell greifbare Informationen und gegenseitige Orientierungshil- fen nicht mehr hinreichend durch- schaubar. Deshalb gehören die kli- nischen Pharmakologen auch als Berater ans Krankenbett —, nicht um zu richten, sondern um zu hel- fen und zu korrigieren. Wir sind der Deutschen Forschungsgemein- schaft sehr dankbar, daß auch sie sich jetzt an einem Schwerpunkt- programm „klinische Pharmakolo- gie" beteiligen will.

Methodenlehre

Paul Martini hat damals 1932 — er war gerade Direktor der Bonner Med. Universitätsklinik geworden

— auch die erste Auflage sei- ner „Methodenlehre" veröffentlicht.

Nach seinem Tode erschien 1968 die 4. Auflage, inzwischen durch die Mitarbeit seiner Schüler Ober- hoffer und Weite zu einem Stan-

dardwerk erweitert. Schon 1932 in seinem Heidelberger Vortrag hat Martini vier kritische Gesichts- punkte der unkontrollierten und unreflektierten therapeutischen

„Erfahrung" im Sinne des Wunder- lich-Zitates gegenübergestellt.

Jede medikamentöse Behandlung eines Patienten, der an einer oder

Paul Martini Foto: privat

an mehreren Krankheiten leidet, ist ein therapeutischer Versuch, über dessen Zweckmäßigkeit und Erfolg der Arzt sich Rechenschaft able- gen möchte. Das wird um so leich- ter gelingen, je mehr brauchbare Bewertungsmaßstäbe ihm zur Ver- fügung stehen bzw. unter den Be- dingungen des ärztlichen Alltags zu wiederholten Malen anwendbar sind. Die Bewegungen solcher ein- facher Parameter sind natürlich leichter zu verfolgen als die schwieriger moderner Funktions- proben oder pharmakokinetischer Daten. Zwischen dem Wünschba- ren und dem Realisierbaren klaffen hier oft recht große Lücken — nicht nur in der praktischen Thera- pie, sondern auch bei der klini- schen Arzneimittelprüfung.

Daß die Ausschaltung von Mitursa- chen die Treffsicherheit des thera- peutischen Urteils verbessert, hat Martini in seiner Monographie aus- führlich dargestellt, therapeutische Interferenzen mit anderen Arznei-

mitteln sind inzwischen besonders wichtig geworden.

Auch die „unwissentliche Ver- suchsanordnung" und die „Tar- nung der Medikamente" (also der Placebo-Begriff) kommen in der 1.

Auflage von 1932 schon vor. Marti- ni und seine Schüler haben sich später oft und ausführlich zum ein- fachen und doppelten Blindversuch als Kliniker geäußert und die Be- denken gegen den letzteren leiden- schaftslos und undogmatisch erör- tert. Es ist ihr großes Verdienst,

daß sie alle Methoden der medizi- nischen Informationsverarbeitung und Statistik in ihre Überlegungen einbezogen und das Verständnis für die Notwendigkeit des therapeu- tischen Vergleichs den Ärzten nä- hergebracht haben.

Arzneimittelprüfung

Der Vergleich braucht ja durchaus nicht immer gegen „Null", d. h. ge- gen ein Leerpräparat zu erfolgen.

Man kann auch gegen ein Präparat bekannter Wirksamkeit testen, wel- ches z. B. eine relativ hohe Neben- wirkungsquote und damit eine ge- wisse Anwendungsbegrenzung hat.

Was es bei der Vergleichsprüfung zu bedenken gibt — ärztlich, juri- stisch, ethisch — ist gerade in letz- ter Zeit in der amerikanischen Öf- fentlichkeit wieder sehr lebhaft dis- kutiert worden. Ich verweise auf den Begriff des „informed con- sent", der kürzlich von Sissela Bok (Harvard University Boston) und von Don Harper Mills (Los Angeles School of Medicine) von den ver- schiedensten Gesichtspunkten her behandelt wurde. Die Paul-Martini- Stiftung hat im Hinblick auf das neue Arzneimittelgesetz schon im November 1973 bei einem Seminar in Oberursel ein Expertengespräch veranstaltet. Es ging um die Einbe- ziehung gesunder Probanden und Patienten in klinisch-pharmakologi- sche Studien. Die Aufzeichnung des Gesprächs wird demnächst in der „Arzneimittelforschung" er- scheinen.

Der Umgang mit Medikamenten stellt für jede Ärztegeneration im-

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Umgang mit Arzneimitteln

mer wieder eine neue Aufgabe mit neuen Problemen dar. Das hängt natürlich auch mit der Angebots- seite zusammen, vor allem in unse- rem technischen Zeitalter. Seit den achtziger Jahren des vorigen Jahr- hunderts haben Chemiker, Pharma- kologen und Biologen eine Fülle hochwirksamer Arzneistoffe isoliert und hergestellt und damit wahre Wunder der symptomatischen und kausalen Therapie möglich ge- macht. Mit diesen Wundermitteln richtig umzugehen, sie gezielt ein- zusetzen und ihre Risiken zu er- kennen und abzuwägen hat einen langen Lernprozeß erforderlich ge- macht. Verständlicherweise haben auch der erfinderische und fabrika- torische Eifer der neuen techni- schen Welt, das Patentgesetz und der Warenzeichenschutz und die Konsumbereitschaft neugieriger Patienten zu der Verwirrung beige- tragen, durch die der Arzneimittel- markt allmählich immer unüber- sichtlicher wurde.

Arzneimittelkommission

Der deutschen Ärzteschaft hat dies schon frühzeitig Sorge gemacht.

Ihre Bemühungen um eine gesetzli- che Regelung wurden aber zwei- mal durch die großen Weltkriege und ihre wirtschaftlichen Folgen vereitelt. Die Deutsche Gesell- schaft für innere Medizin hat 1911 die Bildung einer Arzneimittelkom- mission beschlossen, in der Phar- makologen und Internisten — 30 Jahre lang auch Paul Martini — tä- tig waren. Seit 1950 ist diese Arz- neimittelkommission ein Fachaus- schuß der Bundesärztekammer;

mit 40 aktiven und über 70 korre- spondierenden Mitgliedern.

Die treibende Kraft ging von An- fang an und auch nach den beiden

Kriegen von Wolfgang Heubner aus, der unserer Kommission bis zu seinem Tode 1957 als treuer Be- rater und mahnender Anreger freundschaftlich verbunden blieb.

Er war ein kritischer Pharmakologe mit unbestechlichem Urteil, aber den Nöten der praktischen Medizin humorvoll aufgeschlossen. Seine internistischen Kenntnisse hatte er

gleich nach seinem Staatsexamen bei Albert Fraenkel, damals in Ba- denweiler, erworben. Heubner hat noch vor dem Ersten Weltkrieg 1914 temperamentvoll eine Reihe von Übelständen in den Thera- peutischen Monatsheften darge- legt und ihre Prüfung und

Wolfgang Heubner Foto: privat

schrittweise Abschaffung gefordert.

Er rügte besonders die unsinnige Überproduktion, die Verwirrung in der Namengebung, die sinnlose Mi- schung längst bekannter Arznei- stoffe, die mangelhafte Deklaration, sowie die Auswüchse bei der Re- klame und bei der Preisbildung.

Die Arzneimittelkommission hat sich seit 1925 durch die Herausga- be der „Arzneiverordnungen" — die in Kürze in der 13. Auflage er- scheinen werden — bemüht, prak- tisch brauchbare Hinweise und In- formationen für eine rationelle me- dikamentöse Therapie zur Verfü- gung zu stellen. Die Einteilung nach Arzneimittelgruppen (mit ent- sprechenden Präambeln), die knappen Angaben über Dosierung, Indikationen, Kontraindikationen und Risiken, die Einarbeitung der internationalen Kurzbezeichnungen der WHO sind als objektive Orien- tierungshilfen für den Alltagsge- brauch gedacht.

Nebenwirkungen und Gefahren Auch nach dem 2. Weltkrieg kamen die Vorarbeiten für eine gesetzli- che Ordnung des Arzneimittel- marktes nur sehr langsam ins Rol- len. „Nebenwirkungen und Gefah- ren der modernen Therapie" hieß ein Hauptthema des 67. Kongres- ses der Deutschen Gesellschaft für innere Medizin im April 1961. Paul Martini sprach ein Prolegomenon, sein früherer Mitarbeiter Josef Ja- cobi (Hamburg) hatte den Vorsitz, Ferdinand Hoff (Frankfurt/Main) hielt das klinische Referat. Es ist ein merkwürdiges Zusammentref- fen: auf diesem Kongreß im April 1961 wurde von den Internisten und der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft gemein- sam die systematische Sammlung von Meldungen über Nebenwirkun- gen beschlossen und ein Aufruf an alle Ärzte gerichtet; Werner Koll (Göttingen), damals Vorsitzender der Arzneimittelkommission, hat dieses wichtige Anliegen in der Diskussion ausführlich begründet.

Im gleichen Jahr wurde von den Pädiatern, besonders von W. Lenz, das volle Ausmaß des Contergan- unglücks — der bisher unbekann- ten Thalidomid-Embryopathie — geahnt und später erkannt. Im glei- chen Jahr trat endlich — am 1. Au- gust 1961 — das 1. Deutsche Arz- neimittelgesetz in Kraft.

Seither spielt im Umgang mit Arz- neimitteln — sowohl bei der Ärzte- schaft, wie auch in der Öffentlich- keit — die Beachtung und Abwä- gung von unerwünschten Neben- wirkungen eine sehr viel größere Rolle. Die spontanen Meldungen von niedergelassenen Ärzten oder aus Krankenhäusern gehen uns auf Meldebogen zu, die im DEUT- SCHEN ÄRZTEBLATT regelmäßig eingeheftet sind. Auch Meldekarten haben sich gut bewährt. Wir ver- ständigen regelmäßig das Bundes- gesundheitsamt in Berlin, mit dem wir auf vielen Gebieten in enger und sehr anregender Verbindung stehen. Schwieriger ist die Wertung der Meldungen im Sinne des soge- nannten „Stufenplanes" des Bun- desministeriums für Jugend, Fami-

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lie und Gesundheit, für die wir auch auf die Hilfe und gegenseitige Information durch die pharmazeuti- sche Industrie und die Gesund- heitsbehörden der Länder ange- wiesen sind. Die WHO in Genf ist als internationale Koordinations- und Sammelstelle sehr wichtig. Es geht um die Abwägung von Nutzen und Risiko, für die quantitative An- gaben erforderlich sind.

Diese Beurteilung ist besonders dann problematisch, wenn die Ne- benwirkungen sehr selten auftre- ten, für den einzelnen Betroffenen aber eine große gesundheitliche Gefahr darstellen. So war es z. B.

bei der Auslösung einer pulmona- len Hypertonie durch bestimmte Appetitzügler. Manchmal ist die Zusammenhangsfrage bei der Er- fassung von Nebenwirkungen nur durch umfangreiche statistische Erhebungen, durch prospektive Studien oder in bestimmten klini- schen Überwachungszentren zu klären. Nicht jeder Verdacht er- weist sich später als berechtigt.

Dafür ein Beispiel aus den letzten Jahren.

Reisediarrhoe

Wer ins Ausland reist und heiße Gegenden besucht, z. B. in Län- dern, in welchen Nahrungsmittel leicht verschmutzen und verderben und oft von Händen zubereitet wer- den, die man nicht gerade als keimfrei oder waschfreudig be- zeichnen kann, ist einem lästigen Intermezzo ausgesetzt: der soge- nannten Reisediarrhoe. Die Durch- fälle können heftig, häufig und er- schöpfend sein, mehrere Tage an- dauern; nicht selten sind sie mit krampfartigen Bauchschmerzen,

Frösteln, Übelkeit oder Erbrechen und großer Mattigkeit verbunden.

„Die Bakterien und der Darm: eine unstabile Allianz" — dieses The- ma wurde im Oktober 1974 in Mexi- co City auf dem V. Weltkongreß der Gastroenterologen bei einem Symposion behandelt. Die Patho- genese der Reisediarrhoe ist im- mer noch nicht genau bekannt.

Wahrscheinlich werden toxinbil- dende Coli-Stämme und vielleicht auch hin und wieder Amöben mit den nicht gekochten Nahrungsmit- teln aufgenommen. Da die stürmi- sche Symptomatik nur einige Tage zu dauern pflegt, ist auch die Er- folgsbeurteilung der verschiedenen therapeutischen Bemühungen (ein-

schließlich strenger Diät) noch recht unsicher und umstritten.

Deswegen hatten sich zwei fleißige Forscher aus den USA auf diesem internationalen Kongreß in Mexico eine Studie für die herbeigeström- ten Kollegen und ihre Angehörigen (im ganzen etwa 5 000) ausge- dacht, um die von „Turista" Befal- lenen dahingehend zu motivieren, präparierte Stuhlröhrchen abzuge- ben, Aufzeichnungen über den Ver- lauf zu machen und sich einem Therapieplan zu unterwerfen. In 12 Hotels konnten sich die, die es er- wischt hatte, fertig gepackte Käst- chen abholen. Zwei Stände im Kongreßgebäude sorgten für die ganze Organisation einschließlich der Blutentnahmen. Über das Er- gebnis des therapeutischen Ver- gleichs werden wir wohl erst in ei- nigen Monaten hören.

Natürlich sind die bekannten hygie- nischen Regeln in bezug auf Essen und Trinken die besten Vorsichts-

maßnahmen gegen die Reisediar- rhoe. Für den akut und schwer Be- troffenen in seinem einsamen Ba- dezimmer sind sie, mitten in der Nacht, aber nur ein schwacher Trost. Bis vor kurzem war es viel- fach üblich, für lange Zeit und schon zur Vorbeugung oxychinolin- haltige Medikamente anzuwenden, z. B. Mexaform®, Entero-Viofornno, Intestopano, Combiase spezial®

und viele andere. Gegen Langzeit- anwendung sind aber begründete Bedenken anzumelden. Für sie sind gegebenenfalls hochwertige Enzym- präparate besser geeignet.

Aus Japan wurde nämlich 1971 von Tsubaki und Mitarbeitern von einer merkwürdigen Krankheit berichtet

— SMON = subakute Myelo-Opti- co-Neuropathie —, die durch Par- ästhesien in den Gliedmaßen, Pa- resen der Beine, Optikusatrophie und Abdominalsymptome gekenn- zeichnet war. Nach einer späteren Umfrage von Reisaku Kono (1973) sollen 2 456 Fälle beobachtet wor- den sein. 75 bzw. 86 Prozent der genauer befragten Patienten sollen innerhalb von 6 Monaten vor Krankheitsbeginn Clioquinol (eines der halogenierten Hydroxychinoli- ne) bekommen haben, und zwar zum Teil in hohen Dosen und fast immer in Pulverform. 184 verschie- dene Präparate des Stoffes waren in Japan — over the counter — er- hältlich. Frauen waren stärker be- troffen. Die Letalität wurde mit 5,9 Prozent angegeben.

Auf Empfehlung einer Forschungs- kommission wurde Clioquinol im Herbst 1970 in Japan ganz aus dem Handel gezogen. Nach einer Schät- zung des Basler Neurologen H. E.

Kaeser ist sogar anzunehmen, daß im ganzen etwa 10 000 Japaner von dieser merkwürdigen Neuropathie mehr oder minder stark befallen gewesen waren. Die Krankheit ver-

schwand sehr schnell nach der Verbannung des Mittels aus dem japanischen Markt und einer ent- sprechenden Aufklärungsaktion.

Eine vorübergehend diskutierte Vi- rus-Ätiologie, etwa als zusätzlicher Faktor, hat sich nie sicher bewei- sen lassen.

Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelrechts (3. Entwurf vom 17. 7. 74)

§1

Es ist der Zweck dieses Gesetzes, im Interesse einer ordnungsge- mäßen Arzneimittelversorgung von Mensch und Tier für die erfor- derliche Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln zu sorgen, insbe- sondere die erforderliche Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklich- keit der Arzneimittel zu gewährleisten.

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Umgang mit Arzneimitteln

In Zeiten des Massentourismus sind solche Alarmmeldungen in der Presse über ein nicht verschrei- bungspflichtiges Medikament na- türlich eine aufregende Angelegen- heit. Die Verschiedenheiten in der Verordnungsweise, in der Dosie- rung, in der Anwendungsdauer, in der Resorption müssen bedacht werden. Aber die Krankheit SMON bei Menschen war in den europäi- schen Ländern ganz unbekannt,

und nur einige Polyneuropathien und Sehstörungen bei hoher Dosie- rung und jahrelanger Anwendung waren früher gemeldet worden.

Darauf hatte die Arzneimittelkom- mission schon im April 1971 im DEUTSCHEN ÄRZTEBLATT hinge- wiesen. 1972 in der Reisezeit wie- derholte sie ihre Warnung unter dem Titel „Durchfallmittel nicht ungefährlich". Im Januar 1973 wur- de eine zusammenfassende Infor- mation bekanntgegeben, wieder- um im DEUTSCHEN ÄRZTEBLATT, mit rotem Rand, wie das schon seit einiger Zeit üblich ist.

Warnhinweise

Wenn man jetzt eine Packungsbei- lage z. B. von Mexaform S ® oder Intestopane ansieht, so findet man exakte Dosierungsangaben und ei- nen deutlich gekennzeichneten Hinweis für den Patienten über die Anwendungsbeschränkungen und über mögliche Risiken. Das hatten wir im Dezember 1972 in Hamburg mit den Herstellerfirmen abgespro- chen und mit dem Bundesverband der pharmazeutischen Industrie vereinbart. Das Bundesgesund- heitsamt hatte seine Zustimmung gegeben. Diese Form des „Ver- braucherschutzes" durch eine Ge- brauchsinformation in der Pak- kungsbeilage wurde auch als § 11 in die Entwürfe zum 2. Deutschen Arzneimittelgesetz aufgenommen.

Mehr Sicherheit durch das Gesetz?

Das ist zweifellos in einem Lande mit einer so großen Arzneimittel- produktion und mit so vielen alten und neuen Kombinationspräpara- ten wie in der Bundesrepublik Deutschland sehr wünschenswert (H. Herken 1970). Aus der Regi-

strierung soll zukünftig eine for- melle Zulassung werden. In der jetzt zur parlamentarischen Bera- tung anstehenden Regierungsvor- lage — „Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelrechts" — wird da- her schon in § 1 der Nachweis der erforderlichen Qualität, Wirksam- keit und Unbedenklichkeit der Arz- neimittel gefordert.

2. Deutsches Arzneimittelgesetz H. E. Bock hat auf der letzten Karlsruher Therapiewoche sehr deutlich gemacht, daß wir Ärzte uns vor allem auch um eine Indika- tionsbereinigung kümmern müs- sen; der Wirkungsnachweis muß für das anvisierte Indikationsgebiet erbracht werden. Wenn man die Rote Liste 1974 mit ihrer neuen Gruppierung aufmerksam durch- studiert, kann man dem nur zustim- men. Manche Indikationsangaben verschiedener Herstellerfirmen ge- hören ins Märchenland; sie sind Ausdruck eines Wunschdenkens.

Im Mittelpunkt der Diskussionen wird in den kommenden Monaten der Modus der nachträglichen Zu- lassung bzw. des Wirksamkeits- nachweises für die sogenannten Alt-Spezialitäten stehen. Der in § 8 vorgesehene „Schutz vor Täu- schung" ist nicht leicht zu realisie- ren. Unabhängige Sachverständi- gengremien müssen wohl gemein.- sam mit der Zulassungsbehörde zu den „belegbaren praktischen Er- fahrungen" bzw. zu dem „nach wissenschaftlichen Methoden aufbe- reiteten medizinischen Erfahrungs- material" Stellung nehmen und Vo- ten abgeben. Gerade hier geht es um das Problem des hinreichend gesicherten, aber auch praktika- blen Wirkungsnachweises ohne all- zu großen bürokratischen Aufwand.

Auch der Abschnitt über die klini- sche Prüfung bzw. Erprobung am Menschen ist noch sehr umstritten und macht den Juristen viel Kopf- zerbrechen. Da nach der Vorlage des Bundesministeriums für Ju- gend, Familie und Gesundheit der Wirksamkeitsnachweis vom Ge- setzgeber in Zukunft verlangt wer- den wird, sollte man für eine sach-

liche Aufklärung und Beruhigung der Öffentlichkeit eintreten und das (sehr kleine) Risiko der klinischen Prüfung am Menschen entdramati- sieren. Es muß in positivem Sinne darauf hingewiesen werden, daß eine Objektivierung der therapeuti- schen Wirksamkeit neuer Arznei- stoffe, die Gewinnung verläßlicher pharmakokinetischer Daten und das Aufsuchen der therapeutischen Dosis nur am Menschen möglich sind. Diese Erprobung liegt im In- teresse aller Patienten, auch der künftigen. Wenn an der klinischen Prüfung auch niedergelassene Ärz- te teilnehmen wollen oder sollen, so muß für eine statistisch brauch- bare Versuchsplanung im Sinne Martinis von Anfang an gesorgt werden.

Nutzen und Risiko

Paul Martini hat 1961 seine Vorre- de auf dem Wiesbadener Kongreß mit der Feststellung begonnen, daß er sich mit den Nebenwirkungen als mit etwas einerseits Unver- meidbarem und anderseits als mit etwas „Nicht-sein-Sollendem" be- fassen werde. Grundsätzlich müsse der Arzt bestrebt sein, die objekti- ven Kriterien soweit wie irgend möglich entscheiden zu lassen. Die Abwägung von therapeutischem Nutzen und vertretbarem Risiko

„nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse"

ist ein wichtiges Leitmotiv für den Umgang mit Arzneimitteln. In mei- nem alten Altonaer Arbeitskreis, in dem wir Epigramme sehr zu schät- zen wußten, gab es als praktische Ermahnung einen hübschen Assi- stentenvers (A. A. Buck):

Breche nur nichts übers Knie, Treib gezielte Therapie!

Literatur beim Verfasser

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. R. Aschenbrenner Vorsitzender der

Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft 2000 Hamburg 50

Max-Brauer-Allee 186

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