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rst vor gut zwei Jahren traten die aktuellen Heilmittel-Richtlinien zur Regelung der Patientenversor- gung mit Krankengymnastik, Massage, Sprach- oder Ergotherapie in Kraft.Nun plant der gemeinsame Bundesaus- schuss der Ärzte und Krankenkassen deren Verschärfung. Physiotherapeu- ten, Logopäden und andere Heilmittel- erbringer befürchten Einschnitte und laufen Sturm gegen die vorgesehenen Neuregelungen. Lautstarker Protest kommt auch aus dem Regierungslager.
Der Behindertenbeauftragte der Bun- desregierung, Karl Hermann Haack (SPD), spricht von einer „Nacht-und- Nebel-Aktion“ des Bundesausschusses.
Derzeit prüft das Gesundheits- und So- zialministerium, ob es eingreifen soll.
Ein Grund für die geplante Richtlini- enänderung ist der deutliche Ausgaben- anstieg für Heilmittel im vergangenen Jahr. So schnellten die Kosten in diesem Bereich 2002 um satte 15,4 Prozent in die Höhe. Der gemeinsame Bundesaus- schuss sieht unter anderem gedeckelte Gesamtverordnungsmengen vor. Ge- strichen werden sollen auch ärztliche Langfristverordnungen. Damit wäre beispielsweise nach sechs Einheiten Krankengymnastik Schluss. Der Arzt müsste dann weitere Verordnungen ausstellen. Schlaganfallpatienten müss- ten nach 40 ergotherapeutischen Ein- heiten eine vierteljährliche Behand- lungspause einlegen, bevor weitere Therapiesitzungen genehmigt würden.
Für Ärger in der Heilmittelbranche sorgen nicht nur die Inhalte der Ände- rung, sondern auch der straffe Zeitplan, nach dem der Bundesausschuss die Neu- regelungen noch in diesem Jahr umset- zen will. Bruno Blum, Sprecher der Bun- desarbeitsgemeinschaft der Heilmittel- verbände, sieht das Vorgehen des Aus- schusses politisch motiviert. Der Hinter- grund: Im Zuge der Gesundheitsreform
wird der Bundesausschuss zum 1. Januar 2004 umorganisiert. Mit am Tisch sitzen dann Vertreter von Patientenverbänden, die Antrags- und Mitberatungsrechte haben. Um deren Widerstand zu umge- hen, wolle man nach Meinung Blums noch eilig Fakten schaffen.
Rückendeckung bekamen die Heil- mittelverbände vom Behindertenbe- auftragten der Regierung. In unge- wöhnlich scharfer Form warf Haack der Kassenärztlichen Bundesvereinigung
und den Spitzenverbänden der Kran- kenkassen vor, „einen Konfrontations- kurs mit den Betroffenen“ zu planen und über die Köpfe Kranker hinweg zu entscheiden. Mit dem Versuch, noch vor der Neugliederung des Bundesaus- schusses die Richtlinie umzusetzen,
„düpiere“ man den Gesetzgeber, be- sonders aber Ministerin Ulla Schmidt.
Jung: „Business as usual“
Die Reaktion des Ausschussvorsitzen- den Karl Jung kam prompt: „Der Bun- desausschuss will weder den Gesetzge- ber noch die Bundesgesundheitsmini- sterin düpieren.“ Vielmehr sei die Än- derung der Richtlinie „Business as
usual“. Kritik der Heilmittelerbringer, die Frist für eine Analyse des Entwurfs sei zu knapp bemessen, lässt Jung nicht gelten. Der Entwurf sei den anhörungs- berechtigten Verbänden bereits am 26.
September zur Stellungnahme über- sandt worden. Im November wolle man sich mit den Reaktionen befassen. Jung:
„Das ist das übliche Verfahren.“
Obwohl die Heilmittelverbände ihre Kritik an dem Richtlinienentwurf frist- gerecht an den Ausschuss übermittelt haben, legten sie nun Klage vor dem So- zialgericht Köln ein. Dort wollen sie mehr Zeit für eine ausführlichere Be- fassung mit dem Änderungswerk er- streiten. Geklärt werden soll auch, ob der Bundesausschuss überhaupt be- rechtigt ist, Umfang und Häufigkeit von Heilmittelverordnungen festzulegen.
Im Regierungslager betrachtet nicht nur Haack die vermeintliche Eile des Bundesausschusses kritisch. Im Gesundheits- und Sozialministerium prüfe man derzeit aufsichtsrechtliche Schritte, berichtet die Behindertenbe- auftragte der SPD- Bundestagfraktion, Helga Kühn-Men- gel. Inhaltlich Ein- fluss nehmen kön- ne das Ministerium aber nicht.
Ganz wohl sein dürfte Ulla Schmidt angesichts der ge- planten Einschränkungen bei Kran- kengymnastik, Ergotherapie und ande- ren Hilfsmitteln zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch nicht. Denn es steht zu befürchten, dass die Akzeptanz der gerade beschlossenen Gesundheitsre- form dadurch weiter abnehmen könnte.
Schließlich müssen Patienten künftig für jede Verordnung zehn Euro bezah- len. Trotz der vorgesehenen Absenkung der Eigenbeteiligung für Heilmittel von derzeit 15 auf zehn Prozent könnten so die Eigenleistungen je nach Höhe des Rezeptwertes mitunter deutlich anstei- gen. Kommen nun Mehrbelastungen durch eine Verschärfung der Heilmit- tel-Richtlinien hinzu, könnte sich der Ärger der Patienten auch bei Rot-Grün
entladen. Samir Rabbata
P O L I T I K
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A3064 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 4721. November 2003
Heilmittel-Richtlinie
Kritik an Bundesausschuss
Selbstverwaltung will Versorgung mit Heilmitteln
begrenzen. Ministerium prüft aufsichtsrechtliche Schritte.
Sechs Einheiten Krankengymnastik, dann könnte erst einmal Schluss sein.
Foto:Caro