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Archiv "Neonatologische Versorgung: Aktionismus schadet nur" (14.08.2009)

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A 1600 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 106

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Heft 33

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14. August 2009

KOMMENTAR

Priv.-Doz. Dr. med. Frank Jochum*

T

rotz der guten neonatologischen Versorgung hierzulande ist eine leidenschaftliche Diskussion über Wege zur weiteren Verbesserung der Behand- lungsqualität entbrannt. In kurzer Abfol- ge wurden seit 2005 drei neue Regelun- gen durch den Gemeinsamen Bundes- ausschuss (G-BA) verbindlich vorge- schrieben. Mit Vorschriften über die räumliche, technische und personelle Ausstattung, über die Regelmäßigkeit der Versorgung und über die Verpflich- tung zur strukturierten Veröffentlichung der Behandlungsergebnisse greifen die-

se sehr stark in die Klinikstrukturen ein.

Die Auswirkungen dieser Beschlüsse sind bisher nur zum kleinen Teil abzuse- hen oder gar zu messen. Allein die Ein- führung der Regelmäßigkeitszahl wird kurzfristig erhebliche Veränderungen der neonatologischen Versorgungsstruktur in Deutschland mit sich bringen. Durch diese Vorschrift wird in den nächsten Wochen mehr als die Hälfte der bisher an der Versorgung von sehr unreifen Frühgeborenen beteiligten Einrichtungen von der Versorgung ausgeschlossen.

Eine Mindestmengenregelung war bisher wegen des – wenn überhaupt – zu erwartenden geringen statistischen Effekts nicht verabschiedet worden. Die Begutachtung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheits - wesen bestätigte einen bestenfalls geringen Qualitätseffekt durch Mindestmengen bei der neonatologischen Versorgung. Die Datenlage wurde jüngst durch verschie- dene Publikationen ergänzt. Wesentliche neue Argumente für die Einführung einer auf Mindestmengen basierenden Rege- lung ergaben sich hierdurch nicht. Trotz der eindeutigen Datenlage wird durch die Befürworter über verschiedene Kanäle Druck auf die Entscheidungsträger aus- geübt, eine Mindestmenge zu beschließen.

Experten aus dem Umfeld des GKV- Spitzenverbands sprechen sich schon jetzt, ohne die Auswirkungen der letzten

G-BA-Beschlüsse abzuwarten, für die Weiterentwicklung der Neonatologie durch die Einführung von Mindestmengen und die damit verbundene Zentralisierung bei der Behandlung von sehr unreifen Frühgeborenen aus. Am 20. August steht voraussichtlich eine Abstimmung über Mindestmengen in der Neonatologie auf der Tagungsordnung des G-BA. Vor weiteren Systemveränderungen sollte man jedoch zunächst eine exakte Analyse der Ausgangslage nach den letzten, zum Teil sehr folgenreichen Beschlüssen des G-BA zur Neonatologie abwarten. Diese

Analyse müsste die Planungsgrundlage vor der Einführung neuer Regelungen sein, um mögliche negative Effekte von Neuregelungen ausschließen zu können.

Beim hohen Niveau der neonatologischen Versorgung in Deutschland ist durch einen unbedachten Beschluss leicht auch eine Verschlechterung möglich, zumal die Regelungen zur Neonatologie massiv mit anderen Bereichen, wie zum Beispiel der Geburtshilfe oder der intensivmedizini- schen Versorgung reiferer Neugeborener als auch älterer pädiatrischer Patienten, verknüpft sind.

Mindestmengen sind eine „Rasenmä- hermethode“, die alle kleinen Einrichtun- gen, auch die mit guter Behandlungs- qualität, von der Versorgung ausschließt, große Einrichtungen mit eventuell schlechter Behandlungsqualität aber nicht tangiert. Zusätzlich wird durch Mindestmengen auch ein fragwürdiger Anreiz gegen Vermeidung von Frühge- burtlichkeit gesetzt. Die hohe Kapazitäts- auslastung in den nach Einführung von Mindestmengen verbleibenden Einrich- tungen kann zu einer schlechteren Ver- sorgungsqualität führen, was bei der Ab- schätzung der Sinnhaftigkeit solcher Re- gelungen berücksichtigt werden müsste.

Es ist belegt, dass es beim „Volllastbe- trieb“ einer Neonatologie zum Anstieg der Komplikationen um rund 50 Prozent kommen kann. Des Weiteren zieht die

Zentralisierung zusätzliche Risiken der Versorgung durch lange Wege und ver- mehrte Transporte nach sich.

Dagegen lässt sich mit geringen Ver- änderungen am System eine Verbesse- rung der durchschnittlichen neonatologi- schen Behandlungsqualität erreichen, wenn man direkte Qualitätsindikatoren zu einem „Scoring-System“ zusammen- fasst und unter Anwendung von struk- turierten Programmen zur Steuerung der Behandlungsqualität nutzt. Dies wirkt sich gezielt auf Einrichtungen mit schlechten Ergebnissen aus.

Die Steuerung nach direkten Qualitäts- indikatoren setzt die transparente, klinik- bezogene Veröffentlichung der Ergebnis- qualität unter Herstellung der Vergleich- barkeit zwischen den Einrichtungen vor - aus. Man kann von einer höheren Akzep- tanz der beteiligten Einrichtungen ausge- hen, da nur qualitativ schlechte Einrich- tungen mit Sanktionen zu rechnen haben.

Das Gerechtigkeitsprinzip bleibt also ge- wahrt. Das Begehren einer Einrichtung, trotz veröffentlichter, schlechter Behand- lungsqualität unverändert weiter Risiko- frühgeborene zu behandeln, lässt sich un- ter den Augen der Öffentlichkeit sicher nicht durchsetzen.

Die neonatologische Behandlungs- qualität fortlaufend zu verbessern, ist ein wichtiges Ziel, das ein starkes Engage- ment erfordert und rechtfertigt und dem sich keine Interessengruppe verschlie- ßen darf. Gerade aus diesem Grund ist es aber notwendig, die Datenlage, die zur Verfügung stehenden „Werkzeuge“

und auch den Zeitpunkt für weitere G-BA-Beschlüsse zur Neonatologie kri- tisch zu hinterfragen. Die Gefahr, die gute neonatologische Versorgung in Deutschland durch Aktionismus mit un- bedachten Beschlüssen zu verschlechtern,

ist groß. ■

NEONATOLOGISCHE VERSORGUNG

Aktionismus schadet nur

*Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Berlin;

Ärztlicher Direktor, Ev. Waldkrankenhaus, Berlin

P O L I T I K

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