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Wie sprechen sie eigentlich miteinander?

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Academic year: 2022

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Wie sprechen sie eigentlich miteinander?

Eine Kommunikationsanalyse von Irmgard Keuns Roman Gilgi - eine von uns

Författare: Victoria Månsson Handledare: Bärbel Westphal Examinator: Corina Löwe Termin: HT21

Ämne: Tyska Nivå: C-nivå

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Abstract

This essay examines the communication made by the main characters in the novel Gilgi - eine von uns written by the german author Irmgard Keun. The purpose of the essay is to analyze what the communication between the main characters looks like and if it differs between the female and male protagonists.

The hypothesis of this essay is that the communication has an impact on the life of the main character Gilgi. The methods that have been used are different communication theories, relationship aspects, literary communication, narrative text analysis and gender studies. The conclusion of this essay is that the communication differs, but more in the aspect of the personality traits of the character, not according to gender. The communication itself does not affect Gilgi’s life, it is rather the fact of getting pregnant.

Key words

Kommunikation, Personenrede, Keun, Narratologie

Acknowledgments

Ein besonderer Dank geht an Bärbel Westphal und Eleni Kalliopi Alevizou für die Unterstützung während des Schreibprozesses dieses Aufsatzes.

(3)

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung………. 1

1.1 Die Frauenbewegung in Deutschland………... 1

2. Theoretischer Hintergrund………... 3

2.1 Kommunikationstheorien……….. 3

2.2 Die Inhalts- und Beziehungsaspekte der Kommunikation……… 4

2.3 Literarische Kommunikation……… 4

2.4 Erzählerbericht und Personenrede………. 5

2.5 Erzähltextanalyse und Gender………... 6

2.6 Frühere Forschung……… 7

3. Hintergrund……….. 9

3.1 Präsentation der Primärliteratur: Gilgi - eine von uns……….. 9

4. Analyse und Diskussion………... 9

4.1 Die Kommunikation mit den weiblichen Figuren……….. 10

4.1.1 Die Kommunikation mit den Müttern………. 10

4.1.2 Die Kommunikation mit Olga………. 14

4.2 Die Kommunikation mit den männlichen Figuren……….. 17

4.2.1 Die Kommunikation mit dem Vater und mit Martin…………... 17

4.2.2 Die Kommunikation mit Pit……… 22

5. Zusammenfassung……….. 26

Literaturverzeichnis……… 29

(4)

1. Einleitung

Irmgard Keun war eine deutsche Schriftstellerin, die von 1905 bis 1982 lebte. Sie schrieb Romane, die von der Selbständigkeit der Frauen handeln. Wegen der Handlung ihrer Romane wurden in den Jahren 1933/34 die Bücher Keuns verboten und sie musste selbst vor den Nazis fliehen und danach im Exil leben. Nach ihrer Rückkehr hatte sie keinen weiteren Erfolg als Schriftstellerin, bis sie von der feministischen Bewegung Ende der 1970er Jahre wiederentdeckt wurde.1 In ihrem Roman Gilgi - eine von uns wird von einer jungen Frau - Gilgi - erzählt, die im Köln der 1920er Jahre lebte. Diese Zeit gilt als die Weimarer Republik in Deutschland. Gilgi ist ein fleißiges und ehrgeiziges Mädchen, das ein gutes Leben für sich selbst schaffen möchte.

Gilgi hat Beziehungen mit vielen anderen Figuren, aber die unterscheiden sich voneinander. Es ist interessant diese Beziehungen aus einer analytischen Perspektive im Hinblick auf ihre gegenseitige Kommunikation zu untersuchen.

Das Ziel dieses Aufsatzes ist, herauszufinden, wie die Figuren im Roman Gilgi - eine von uns miteinander kommunizieren. Dieser Aufsatz wird auf zwei Fragestellungen fokussieren. Zunächst wie die Kommunikation zwischen den Figuren aussieht und ob sich die Kommunikation zwischen der Hauptfigur und den Frauen und jener mit den Männern unterscheidet. Die Hypothese dieses Aufsatzes ist dabei: Die Kommunikation hat Auswirkungen auf das Leben der Hauptfigur Gilgi. Als theoretischer Rahmen werden Kommunikationstheorien und die narratologischen Erzähltextkategorien verwendet. Dabei muss mit den Werkzeugen der Narratologie, also der Rede- und Gedankenwiedergabe methodisch gearbeitet werden.

1.1 Die Frauenbewegung in Deutschland

Als Keuns Roman herauskam, fanden viele Veränderungen in der Gesellschaft statt, von denen Frauen betroffen waren. Um den historischen Kontext aufzuzeigen, in dem der Roman entstanden und der für das Geschehen wichtig ist, hier ein kurzer Überblick. Am Anfang des 20. Jahrhunderts fing die Frauenbewegung an zu wachsen und dadurch wurden mehrere Frauenvereine gebildet. Diese haben sich danach bei dem „Bund Deutscher Frauenvereine”

1 Frankfurter Allgemeine Zeitung 2005.

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angeschlossen. Um die Jahrhundertwende gab es nur 70.000 Mitglieder aber bis zum Ersten Weltkrieg sind sie auf 250.000 gestiegen. Diese Frauenvereine hatten verschiedene Richtungen, aber eine wollte eine berufliche Grundlage für Frauen anstreben. Im Jahre 1908 trat die

„Vereinsfreiheit für Frauen” in Kraft und sie konnten Parteimitglieder werden, aber nicht wählen und gewählt werden.2 Der „Bund für Mutterschutz und Sexualreform” wurde von Helene Stöcker gegründet und der „Bund Deutscher Frauenvereine” engagierte sich aktiv für ihre Ideen. Der „Bund für Mutterschutz und Sexualreform” vertrat das Bild der freien Ehe, wie zum Beispiel den gerechten Umgang mit unehelichen Müttern und die Abschaffung vom Paragraphen 218.3 Der Paragraph 218 verbot Frauen eine Schwangerschaft abzubrechen. Erst seit 1925 war der „Bund Deutscher Frauenvereine” der Meinung, dass das Urteil für die Unterbrechung der Schwangerschaft reduziert werden soll und ebenfalls, dass die Zuchthausstrafe aufgehoben werden soll. Der Bund fehlte aber die Erlaubnis, dem Arzt zu ermöglichen, die Schwangerschaft abzubrechen, auch wenn sie das Leben der Mutter in Gefahr brachte. Die erste Vorsitzende des „Bundes Deutscher Frauenvereine”, Agnes von Zahn- Harnack, meinte, dass die Frau die Möglichkeit haben sollte, ihren Beruf mit Ehe und Mutterschaft kombinieren zu können. Von Zahn-Harnack meinte auch, dass viele Berufe unverheirateten Frauen gut passten und deswegen mussten diese Frauen eine andere gesellschaftliche Stellung bekommen. Die unverheiratete Frau sah ihren Beruf als den Mittelpunkt ihres Lebens und deswegen war diese Ansicht sehr wichtig zu beleuchten.4 Es gab auch eine Forderung, dass Hausarbeit als Beruf anerkannt werden sollte.5 Nach dem Ende des ersten Weltkriegs bekamen die Frauen das Wahlrecht. Als die Weimarer Verfassung angenommen wurde, blieb das Wahlrecht der Frauen und zum ersten Mal hatten Frauen und Männer die gleiche Rechte und Pflichten. 1919 wurden endlich Fortschritte für Frauen erreicht, nämlich: „[...]gleiche Bildungs- und Berufsmöglichkeiten, gleiche politische Rechte und Pflichten und damit Verantwortung”.6 Obwohl die Frauenbewegungen unterschiedliche Ausrichtungen hatten, verfolgten sie die gleichen Ziele. Nave-Herz schreibt:

Sie setzen sich für die politische Gleichberechtigung, für die Forderung nach gleichem Lohn bei gleicher Arbeit, für bessere Arbeitsbedingungen, für den Mutterschutz, für die privatrechtliche Gleichstellung, für die gleichen Bildungschancen und für das Recht auf Erwerbsarbeit ein.7

2 Nave-Herz 1994, S.33.

3 Nave-Herz 1994, S.34; Schenk 1992, S.35.

4 Nave-Herz 1994, S.35.

5 Nave-Herz 1994, S.36.

6 Nave-Herz 1994, S.38.

7 Nave-Herz 1994, S.40.

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Das hatte zur Folge, dass die Forderungen von Frauen die Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt erheblich verschärft haben.8 In diesen historischen Hintergrund ist der Roman von Keun eingebunden.

2. Theoretischer Hintergrund 2.1 Kommunikationstheorien

Kommunikation ist ein Ausgangspunkt, der in Textanalysen benutzt werden kann. Aber was bedeutet eigentlich Kommunikation? Der Ausdruck kann sowohl ein Wissensgebiet als auch eine Verhaltenseinheit bezeichnen. Geht es um eine einseitige Kommunikation, heißt es nur eine Mitteilung.9 Aber spricht man von einer Übertragung von Mitteilungen zwischen zwei oder mehreren Personen wird es als Interaktion beschrieben. Kommunikation besteht nicht nur aus Wörtern, sondern wird auch von Tonfall, Lachen, Pausen und Körpersprache begleitet. Eine andere Art der Kommunikation ist, schweigend zu bleiben. Wenn man nichts sagt, ist es immer noch Teil der Kommunikation und dieses Schweigen ist nicht weniger wichtig als ein Gespräch.10 Dies ist eine wichtige und klassische These von Watzlawick.

Kommunikationsmodelle sind durch Strukturen zwischen verschiedenen Interaktionspartnern gekennzeichnet. Unterschiedliche Modelle haben sich entwickelt, sodass man erklären kann, wie Kommunikationsphänomene beobachtet werden können. Das umfangreichste dieser Modelle ist das Container-Modell. Das bedeutet, dass der Absender einer Nachricht seine Bedeutung der Nachricht durch Symbole oder Zeichen verschlüsselt hat. Der Adressat muss die Nachricht wieder entschlüsseln, um die originäre Nachricht zu verstehen.11 Ein anderes Kommunikationsmodell ist das informationstechnische Modell von C.E. Shannon und W. Weaver. Dieses Sender-Empfänger-Modell wird folgenderweise beschrieben:

Ein Sender enkodiert eine Botschaft in Signale, die über einen Kanal möglichst störungsfrei an einen Empfänger weitergeleitet werde, der die Signale dekodiert. Sprecher und Hörer müssen dabei über einen gemeinsamen Zeichenvorrat (Zeichen und Zeichensystem) verfügen.12

8 Nave-Herz 1994, S.40.

9 Beavin, Jackson, Watzlawick 2000, S.50.

10 Beavin, Jackson, Watzlawick 2000, S.51.

11 Nünning 2004, S.335.

12 Nünning 2004, S.337.

(7)

Dieses Zitat zeigt, wie wichtig es ist, das gleiche Zeichensystem zu haben, um eine Botschaft richtig zu verstehen. Der Inhalt des nächsten Kapitels befasst sich mit der verschiedenen Art und Weise, wie man kommunizieren kann.

2.2 Die Inhalts- und Beziehungsaspekte der Kommunikation

Die Inhalts- und Beziehungsaspekte kommen in jeder Kommunikation vor.13 Es geht darum, wie der Absender die Mitteilung vom Empfänger verstanden haben möchte. Diese Mitteilungen können sich unterscheiden, weil sie von der Beziehung zwischen Sender und Empfänger abhängig sind. Dann sind die „Daten“ als der Inhaltsaspekt zu sehen und der Beziehungsaspekt ist, wie diese Daten verstanden werden können.14 Laut Beavin, Jackson und Watzlawick ist das Wichtigste nicht der Inhalt der Kommunikation, sondern der Beziehungsaspekt der Kommunikation. Denn es spielt keine Rolle, ob die Informationen falsch oder wahr sind, sondern die Beziehungsaspekte sind hier am wichtigsten. Zwei oder mehrere Kommunikanten, die die Art ihrer Beziehung definieren, werden als zwischenmenschliche Systeme bezeichnet.15 Wenn man dieses System auf menschliche Beziehungen anwendet, wird die Aufmerksamkeit auf die Beziehungen gerichtet, zum Beispiel Familienbeziehungen aber auch Beziehungen mit Freunden oder Kollegen.16Schulz von Thun unterstreicht auch wie wichtig die Beziehungsseite der Nachricht ist. Es geht nicht nur um den Sachinhalt einer Nachricht, sondern auch in welcher Art der Sender spricht, zum Beispiel durch Gestik und Mimik.17 Hier ist es deutlich, dass Beziehungen eine bedeutsame Auswirkung auf die Übermittlung haben können.

2.3 Literarische Kommunikation

Ein Text, der eine sprachliche Äußerung ist, wird von einem Sprecher bewirkt und richtet sich an einen Hörer. Diese drei – Text, Sprecher und Hörer, gehören zu der Kommunikationssituation.18 Wenn die literarische Kommunikation eines Textes analysiert wird, werden zwei verschiedene Ebenen diskutiert; die außerliterarische- und die

13 Beavin, Jackson, Watzlawick 2000, S.53.

14 Beavin, Jackson, Watzlawick 2000, S.55.

15 Beavin, Jackson, Watzlawick 2000, S.116.

16 Beavin, Jackson, Watzlawick 2000, S.124–125.

17 Schulz von Thun 1981, S.156.

18 Kahrmann, Reiß, Schluchter 1996, S.23.

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innerliterarische Kommunikation. Die außerliterarische Kommunikation befasst sich mit dem Autor und dem Leser. In diesem Fall ist der Autor der Schreiber/Sprecher und der Leser der Hörer. Aber hier hat der Autor keinen konkreten Hörer (Leser), sondern ist ein „angenommener und gedachter Leser“.19 Die innerliterarische Kommunikation befasst sich mit dem Erzähler und den Figuren im Text. Das bedeutet, dass die Figuren eines literarischen Textes Sprecher und Hörer sind.20 Der innerliterarische Erzähler rahmt dabei die Figurenrede, d.h. deren Kommunikation in der fiktiven Welt ein. Es wird von Kahrmann unterstrichen, dass es sich beim Erzähler um sowohl außerliterarische-, als auch innerliterarische Kommunikation einer Erzählrede handeln kann.

2.4 Erzählerbericht und Personenrede

Um nun die konkreten Kommunikationssituationen in einem Text analysieren zu können, muss man die Redemittel untersuchen. Jochen Vogt behandelt die verschiedenen Perspektiven, mit denen ein Text untersucht werden kann. Erstens stellt er fest, dass sich die Stimme des Erzählers mit den Stimmen der Figuren abwechselt, zumindest in den meisten Texten, die erzählt werden.21 Damit meint er, dass die erzählenden Möglichkeiten erweitert und vertieft werden.22 Zweitens beschreibt Vogt die Funktion des Erzählers: „Die erzählte Welt ist die Welt der Romanfigur und wird vom Erzähler erzählt”.23 Damit meint Vogt, dass der Erzähler von dem berichtet, was in der Welt der Romanfigur passiert ist. Die Gedanken, Handlungen und Gefühle der Figuren werden vom Erzähler dargestellt.24 Vogt befasst sich auch mit den verschiedenen Formen der Personenrede, der direkten Rede und der indirekten Rede. Die direkte Rede kann man als eine unveränderte zitierte Äußerung einer Person bezeichnen. Normalerweise wird die Personenrede durch Satzzeichen – wie Doppelpunkt und Komma – getrennt und die Rede selbst wird mit Anführungszeichen abgeteilt.25 Ein Beispiel von der direkten Rede ist: „ ,Morgen, Mutter’, ruft Gilgi”.26 Der Gegensatz zur direkten Rede ist die indirekte Rede. In der indirekten Rede ist die Stimme des Erzählers leitend und die Rede wird nicht zitiert, sondern referiert oder vom Erzähler erzählt. Anführungszeichen werden nicht verwendet und der Konjunktiv ersetzt

19 Kahrmann, Reiß, Schluchter 1996, S.37.

20 Kahrmann, Reiß, Schluchter 1996, S.42-43.

21 Vogt 1998, S.143.

22 Vogt 1998, S.144.

23 Vogt 1998, S.145.

24 Vogt 1998, S.145.

25 Vogt 1998, S.150.

26 Keun 2002, S.5.

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oft die indikativischen Verbformen.27 Ein Beispiel von der indirekten Rede ist: „Herr Reuter raucht die dritte Zigarette und erwähnt beiläufig, dass er sich mit seiner Frau nicht so fabelhaft unterhalten könne wie mit ihr”.28 Die direkte Rede verfügt über eine unmittelbare Wirkung in einem Text, während die indirekte Rede mit ihrem Konjunktiv eine Distanz zwischen dem Leser und der Rede aufbaut.29 Die szenische Darstellung bedeutet, dass die Vorfälle vor allem unverzüglich durch die direkte und dialogische Personenrede aufgetreten sind.30 Wenn diese Personenrede auftritt, verschnellert sich der Erzähltakt.31 Dies ist immer der Fall, wenn Dialoge ohne weitere Kommentare entstehen.

Zunächst unterstreicht Vogt, dass sowohl die direkte Rede als auch die indirekte Rede in einer einzigen Redesituation gern kombiniert werden können, um Tempo und Perspektive zu wechseln, sodass man Eintönigkeit in einer Szene vermeidet. Daraus folgt, dass man eine Balance zwischen den Figuren- und Erzählerstimmen hält.32 Nünning und Nünning schildern die verschiedenen Aspekte der Figurenreden, also was jegliche Figur äußern kann. Darum gibt es sowohl die indirekte-, die direkte- und die erlebte Rede, als auch den Gesprächsbericht. Die Figuren können auch innere Empfindungen äußern, die durch verschiedene Gedankenberichte und Gedankenzitate in einem Text ausgedrückt werden.33 Der Gedankenbericht beinhaltet „die unausgesprochenen Gedanken, Wahrnehmungen und Gefühle von Handlungsfiguren”.34 Die erlebte Rede wird als eine Wiedergabe der Gedanken einer Figur beschrieben.35 Um das Ziel dieses Aufsatzes zu erreichen, wird sich die Analyse nicht auf den Gedankenbericht und die erlebte Rede konzentrieren, sondern mehr auf die ausgesprochene Kommunikation.

2.5 Erzähltextanalyse und Gender

Um eine gender-orientierte Untersuchung von Figuren durchzuführen, müssen bestimmte zentrale Kriterien erfüllt sein. Wird eine Untersuchung z.B. von Mutter-Tochter oder Vater- Sohn Beziehungen gemacht, wird eine generationsübergreifende Korrespondenz- und kontrastbezügliche Theorie zwischen den Figuren benutzt.36 Dies entspricht der

27 Vogt 1998, S.150.

28 Keun 2002, S.18.

29 Vogt 1998, S.151.

30 Vogt 1998, S.147.

31 Vogt 1998, S.148.

32 Vogt 1998, S.155.

33 Nünning, Nünning 2010, S.98.

34 Vogt 1998, S.157.

35 Vogt 1998, S.163.

36 Nünning, Nünning 2004, S.134.

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Beziehungstheorie, die oben referiert wurde. Pfister meint, dass die Verwendung von qualitativen Korrespondenz- und Kontrastrelationen zwischen den Figuren eine große Bedeutung hat, wenn eine gender-orientierte Figurenanalyse gemacht werden soll. Wenn diese Relationen zwischen Figuren, die zu verschiedenen Generationen gehören (z.B. Mütter- Töchter), verwendet werden, wird eine historische Veränderung von Gendernormen deutlich gemacht.37 Ein anderer Aspekt der Gender Studies käme dann vor, wenn ein Sprecher einige Kommentare über die sexuelle Orientierung der Figur macht. Dadurch wird deutlich, wie der Standpunkt eines Sprechers über die sexuellen Normen aussieht. Wenn es von Gender Studies der Figurenrede handelt, wird die Darstellung figuraler Bewusstseinsinhalte der Figur erwähnt.

Nünning und Nünning erklären weiter: „Für die figurale Selbst- und Fremdcharakterisierung in der Figurenrede wie auch in der Bewusstseinsdarstellung spielt die Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex Geschlecht und Sexualität häufig eine zentrale Rolle”.38 In der Figurenrede könnte ein Kontext gesehen werden, wie sich die Figuren mit gender-Normen verhalten.39 Bei der Analyse der Kommunikation von Gilgi mit anderen Figuren soll untersucht werden, wie Gilgi sich verhält und ob hier auch eine Genderperspektive deutlich wird, die zur Veränderung der Figur beiträgt.

2.6 Frühere Forschung

Elke Reinhardt-Becker hat Keuns Roman Gilgi – eine von uns analysiert, insbesondere die Männer und die Frauen des Textes. Reinhardt-Becker hebt hervor, wie wichtig die Liebe in dieser literarischen Epoche – der Neuen Sachlichkeit – ist. Gilgi wird als das Ideal der neuen Frau beschrieben. Sie ist gepflegt, sportlich und jung. Sie ist fleißig; abends besucht sie die Fremdsprachenschule und sie übt auch ihr Talent an der Nähmaschine. Für sie ist ihre berufliche Entwicklung wichtiger als eine Heirat.40 Das zeigt sich auch, als Gilgis Chef gern eine romantische Beziehung mit ihr haben möchte. Gilgi denkt nur, dass es ihre Karriere negativ beeinflussen könnte.41 Am Anfang des Romans hat Gilgi eine sachliche Einstellung zu Liebesbeziehungen und behält ihre Selbständigkeit. Wenn sie später Martin trifft, scheint es anders zu sein. Dann beschreibt sie ihn als eine „Betriebsstörung”, die ihr lieber als ihre Arbeit

37 Nünning, Nünning 2004, S.137.

38 Nünning, Nünning 2004, S.135.

39 Nünning, Nünning 2004, S.135.

40 Reinhardt-Becker 2005, S.1-2.

41 Reinhardt-Becker 2005, S.4.

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ist.42 Martin kennenzulernen, ist der erste Schritt Gilgis ihre Selbständigkeit zu verlieren.43 Ein deutliches Beispiel dafür ist, als sich Gilgi bei ihrem Chef krankmeldet, weil sie den Tag zu Hause mit Martin verbringen möchte.44 Sie wird abhängig von Martin, den sie so liebt. Ihre Freundin Olga versucht Gilgi zu raten, dass sie ihre Selbständigkeit und ihren Beruf behalten soll und nicht so abhängig von Martin sein soll.45 Gilgi versteht am Ende, dass sie wegen der Liebe die Welt um sie herum vergessen hat. Sie muss Martin verlassen, um ihre Selbständigkeit zurückzubekommen.46 Diese Analyse von Reinhardt-Becker ist bedeutsam, weil sie die Veränderung Gilgis durch die Geschichte schildert. Die kommende Analyse wird zu untersuchen haben, ob und inwiefern die Kommunikation diese Veränderung mitbeeinflusst.

Urte Helduser beschreibt in ihrer Analyse von Gilgi – eine von uns, wie schwer es für Gilgi ist, mit Gefühlen umzugehen.47 Sie schildert weiter, wie Männer und Frauen sich unterschiedlich mit Gefühlen verhalten, mit einem Beispiel von dem Text: „Männer sind ,[l]ogisch mit dem Verstand – unlogisch mit dem Gefühl, immer’ ”.48 Helduser meint, dass Gilgi die Rationalität der Gefühle anerkennt und versteht, im Gegensatz zu den Männern, die die Gefühlslogik nicht verstehen können. Gilgi selbst will nicht ihre Gefühle zeigen und nennt sie „schafdämliche Gefühlsduselei”.49 Sie sieht Gefühle als etwas, was die Generation ihrer Eltern darstellt. Gefühle zu zeigen, ist daher ein Unterschied z.B. zwischen Mutter und Tochter.50 Eine weitere Perspektive, die sich herausstellt, ist die Verallgemeinerung von Gilgi in Bezug auf das Geschlecht. Martin sagt, dass Gilgi „traditionsgelöst” sei.51 Gilgi antwortet, dass Männer tausendmal traditioneller als Frauen seien.52 Diese Analyse von Helduser ist bedeutsam, weil sie Gilgis Verurteilungen von Gefühlen sowohl gegenüber den Männern als auch gegenüber ihrer eigenen Mutter darstellt.

42 Reinhardt-Becker 2005, S.5.

43 Reinhardt-Becker 2005, S.6.

44 Reinhardt-Becker 2005, S.8.

45 Reinhardt-Becker 2005, S.11.

46 Reinhardt-Becker 2005, S.13.

47 Helduser 2005, S.17.

48 Helduser 2005, S.18.

49 Helduser 2005, S.18.

50 Helduser 2005, S.18.

51 Helduser 2005, S.20.

52 Helduser 2005, S.20.

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3. Hintergrund

3.1 Präsentation der Primärliteratur: Gilgi - eine von uns

Die Hauptperson ist Gilgi, ein zwanzigjähriges Mädchen, das in Köln aufgewachsen ist. Gilgi erfährt an ihrem einundzwanzigsten Geburtstag, dass sie adoptiert ist. Sie versucht danach ihre leibliche Mutter zu finden. Ihre leibliche Mutter heißt Frau Greif und ist eine reiche Frau. Frau Greif hat Gilgi zu Frau Täschler gegeben. Danach kommt sie zu ihren jetzigen Zieheltern, die Familie Kron. In einem Versuch ihren Freunden finanziell zu helfen, besucht Gilgi Frau Greif, um sich Geld zu leihen. Während Gilgi diese Probleme hat, passieren auch andere Ereignisse in ihrem Leben. Die beste Freundin Gilgis heißt Olga und sie ist sehr unabhängig. Olga ermutigt Gilgi eine selbständige Frau zu sein. Aber als Gilgi Martin Bruck trifft, verliebt sie sich in ihn und verliert ihre Unabhängigkeit. Martin ist 22 Jahre älter als Gilgi und lebt ein fahrlässiges Leben. Neben Olga hat Gilgi noch einen weiteren Freund, nämlich Pit. Er ist politisch aktiv und kann sich manchmal unfreundlich verhalten. Gilgi wird schwanger mit Martin, aber kann nicht abtreiben und entscheidet sich das Kind zu behalten und nach Berlin zu ziehen.

4. Analyse und Diskussion

Der Aufbau der Analyse im Aufsatz orientiert sich an der Kommunikation zwischen den Hauptfiguren. Das erste Kapitel konzentriert sich auf die Frauen und das zweite Kapitel auf die Männer. Die wichtigsten weiblichen Figuren für Gilgi sind die Mütter Gilgis, nämlich Frau Kron, Fräulein Täschler und Frau Greif und auch die beste Freundin Gilgis, Olga. Diese weiblichen Figuren kommen in Keuns Roman am häufigsten vor und sind daher für den Aufsatz am relevantesten. Die wichtigsten männlichen Figuren sind der Vater, Pit und Martin. Pit und Martin sind die männlichen Figuren, die im Roman am häufigsten vorkommen und sind daher auch am relevantesten. Der Vater kommt nicht so häufig vor, aber es kann interessant sein, eine dritte männliche Figur zu haben und auch sehen zu können, wie Gilgi mit ihm kommuniziert.

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4.1 Die Kommunikation mit den weiblichen Figuren

4.1.1 Die Kommunikation mit den Müttern

In diesem Kapitel werden die wichtigsten weiblichen Hauptfiguren geschildert und wie sie mit Gilgi kommunizieren. Diese Frauen sind die Mütter, also Frau Kron, Fräulein Täschler und Frau Greif, und Olga, die Freundin Gilgis.

Frau Kron ist die Mutter Gilgis, aber der Leser erfährt schnell, dass Gilgi adoptiert ist.

„ ‚Jilgi!‘ Frau Krons Stimme klingt hoch und trocken, ‚du bist nämlich nicht unser Kind.‘ Gilgi vergisst zu atmen. ‚Was - hast – du – da – gesagt?‘ ‚Du bist nicht unser Kind.‘ […] ‚Nimm’s dir nicht weiter zu Herzen, Kind.‘ “.53 Als Frau Kron diese Mitteilung macht, macht sie das direkt. Sie versucht es nicht besser zu sagen, sondern sagt es einfach so wie es ist. Sie gibt auch keine direkte Erklärung, erzählt aber erst später, von wem sie Gilgi adoptiert haben. Dieses Gespräch zeigt, dass die Beziehung zwischen der Mutter und Gilgi eine Kontrastrelation ist. In dieser Art der Kommunikation zeigt sich die Distanz zwischen Gilgi und der Mutter. Der Tonfall der Mutter wird beschrieben. Laut Helduser, zeigen die Eltern mehr Gefühle, also auch die Mutter, als Gilgi. Aber in diesem Beispiel ist die Mutter sehr emotionslos. Hier wird gezeigt, wie die Mutter-Tochter-Beziehung aussieht und dass sie eigentlich keine tieferen Gefühle füreinander haben. Besonders Frau Kron scheint nicht starke Gefühle für Gilgi zu haben. Die Art und Weise wie sie es sagt, zeigt, dass sie nicht darüber nachdenkt, wie das Gilgi verletzen kann. Ein anderes Beispiel von Frau Kron und der Stimmung in der ganzen Familie, ist, als sie im Wohnzimmer sitzen:

Keiner spricht. Jeder ist stumpf beflissen mit sich selbst beschäftigt. Der vollkommene Mangel an Unterhaltung kennzeichnet das Anständige, Legitimierte der Familie. Das Ehepaar Kron hat sich ehrbar bis zur silbernen Hochzeit durchgelangweilt. Man liebt sich und ist sich treu, eine Tatsache, sie zur Alltäglichkeit geworden, nicht mehr besprochen und empfunden werden braucht.54

Dieses Zitat zeigt, dass die Familie schweigt. Zu schweigen ist auch ein Teil der Kommunikation und ist eine wichtige These von Watzlawick. Hier kann man auch den Beziehungsaspekt der Kommunikation sehen. Weil sie eine Familienbeziehung miteinander haben, kann es sein, dass sie nicht immer sprechen müssen. Sie können schweigen ohne Steifheit zu erleben. Ein anderes Beispiel von Schweigen in der Familie ist das nächste Zitat:

53 Keun 2002, S.30.

54 Keun 2002, S.10.

(14)

Gilgi sitzt zu Hause am Kaffeetisch. Herr Kron liest die Zeitung, Frau Kron schlürft den Kaffee, Gilgi streicht sich ihr Brötchen. Keiner spricht. Wie gewöhnlich. Aber Gilgi kommt das Schweigen heute morgen unheimlich vor. [...] ‚Ich hab’ bei Olga geschlafen‘, erzählt sie unaufgefordert. Herr Kron brummelt was Undeutliches, Frau Kron stippt Brötchenkrümel vom Tisch auf und sagt kein Wort. Das Schweigen wird peinlich.55

In diesem Zitat wird gezeigt, dass Gilgi das Schweigen peinlich findet. Es wird auch gezeigt, dass das Schweigen gewöhnlich in der Familie ist. Es ist keine Interaktion zwischen Gilgi und ihren Eltern, sondern nur eine einseitige Kommunikation, eine Mitteilung. Es entwickelt sich kein dialogisches Gespräch. Es entwickelt sich auch keine gefühlsmäßige Verbindung zwischen der Tochter und den Eltern. Hier wird gezeigt, dass die Eltern nicht so viele Gefühle zeigen und das spricht gegen Heldusers Theorie, dass die ältere Generation mehr Gefühle zeigt. Dieses Zitat ist vom Erzählerbericht dominiert und ist ein Beispiel für die These von Vogt. Diese Beispiele, die sich eher auf die Familie im Allgemeinen beziehen, sind wichtig, weil es nicht viele Beispiele gibt, in denen Gilgi mit Frau Kron spricht. Es kann als zusätzliches Zeichen dafür gewertet werden, dass sie keine emotionale Beziehung haben und deshalb sprechen sie oft nicht zu zweit, sondern mit der ganzen Familie. Ein anderes Gespräch, dass Gilgi mit Frau Kron hat, findet statt, als Frau Kron sie fragt, ob sie zusammen mit einem Mann gewesen ist.

,Gilgi, du tust doch nichts Schlechtes, du bist doch nicht schlecht, du bist doch nicht so eine?‘

Gilgi verkrampft die Hände, bis die Knöchel sich wachsweiß von der Handfläche abheben. […]

Sie hätte schon längst von hier fortziehen sollen. […] ,Du warst doch nicht etwa bei einem Mann in der Nacht, Gilgi?‘ […] ,Gilgi, ich hätte nie gedacht, dass du...‘, sie weint leise - ,du warst so ein braves Mädchen, da hat dich einer hypnotisiert, da hat dich einer verführt, warum ist er nicht ins Haus gekommen, wie sich das gehört?‘ […] Gilgi verschwindet in ihr Zimmer und riegelt die Tür hinter sich. Sie angelt ihren großen Koffer vom Schrank herunter, packt ein: Kleider, Wäsche, Schuhe.56

In diesem Zitat wird es deutlich, dass Frau Kron nicht möchte, dass Gilgi zusammen mit einem Mann ist. Es wird durch direkte Rede geschildert und zeigt, wie entsetzt Frau Kron ist. Gilgis Reaktion wird durch einen Gedankenbericht präsentiert, aber sie antwortet nicht. Dass Gilgi ihre Hände verkrampft, ist ein Teil der Körpersprache. Dass die Mutter weint, spricht für Heldusers Theorie, dass die ältere Generation mehr Gefühle zeigt. Am Ende von diesem Zitat kann man auch eine Konsequenz aus diesem Gespräch sehen. Gilgi packt ihren Koffer und zieht danach zu Martin. Diese Aktion verstärkt Gilgis Flucht aus dem Elternhaus. Die

55 Keun 2002, S.107.

56 Keun 2002, S.108-109.

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Kommunikation zwischen Mutter und Tochter ist einseitig. Wenn die Mutter mit Gilgi spricht, schweigt Gilgi. Ein echtes Gespräch ist nicht möglich.

Die zweite Mutter Gilgis in dieser Geschichte ist Fräulein Täschler. Das ist was Gilgi zuerst glaubt, aber sie erfährt etwas anderes als Fräulein Täschler ihre Geschichte erzählt.

,Und da sagtse, dasse mit ihre Tochter son Mallör hätt, un das jing nich, ihre Zukunft wär ruiniert, wenn da was rauskäm, un bei mir käms nich so drauf an, die Männer in unsere Kreise, die wärs ejal, wenn en Mädchen en Kind hätt. Un die Sache sollt so jemacht werden, daß das Kind nachher von mir wär, und ich sollt’ zehntausend Mark bekommen.‘57

Zunächst muss erwähnt werden, dass Fräulein Täschler einen kölschen Dialekt spricht, wodurch ihr tiefer stehender sozialer Status angedeutet wird. Sie erzählt Gilgi, dass sie das Kind von einer anderen Frau bekommen hat, die sich nicht um das Kind kümmern konnte, denn ihre Zukunft wäre dann zerstört. Wie im Theorieteil erwähnt, konnten Frauen eine Schwangerschaft wegen des Paragraphen 218 nicht abbrechen. Eine andere Möglichkeit für die Frau war, ihr Kind wegzugeben. Das ist also mit Gilgi passiert. Der Leser der innerliterarischen Kommunikation erfährt Gilgis Antwort auf dieses Gespräch nicht. Es bleibt als ein Monolog stehen. Der soziale Unterschied zwischen Gilgi und Fräulein Täschler ist markant. Fräulein Täschler lebt in einem heruntergekommenen Haus, arbeitet als Näherin, hat wenig Geld und sieht so aus, als hätte sie ein hartes Leben geführt. Deshalb kann keine gegenseitige Kommunikation zwischen den beiden entstehen. Dieses Zitat ist ein Beispiel für die These über Kontrastrelationen von Nünning und Nünning. Die Redeanteile sind nicht gleichmäßig verteilt, weil Fräulein Täschler diejenige ist, die am meisten redet.

Die dritte Mutter Gilgis – und auch die leibliche – ist Frau Greif. Gilgi sucht sie auf, um sich Geld zu leihen.

,Ich verstehe nicht, was Sie meinen!‘ ,Das können Sie ja wohl auch nicht… ja, ja, ich sage schon, was ich will. Ich will fünfhundert Mark von Ihnen haben, und ich will Ihnen sagen, daß Sie meine Mutter sind.‘ ,Daß – ich – was bin?‘ ,Meine Mutter. Wenigstens insofern, als Sie mich vor einundzwanzig Jahren zur Welt gebracht haben.‘ Kurz und klar erzählt Gilgi, was die Täschler ihr erzählt hat. – ,So, und nun wissen Sie alles.‘58

Hier benutzen die beiden direkte Rede, um ihr Gespräch zu führen. Gilgi erklärt sachlich und klar, warum sie da ist. Ganz genau wie Frau Kron, als sie erzählt hat, dass Gilgi adoptiert wurde.

Gilgi spricht viel mehr als Frau Greif und es kann sein, dass sie das Gefühl hat, die Kontrolle

57 Keun 2002, S.49-50.

58 Keun 2002, S.231.

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über das Gespräch zu haben. Die Redeanteile sind nicht gleichmäßig verteilt. Gilgi erzählt weiter, warum sie da ist:

,Im übrigen haben Sie nicht die geringste Verpflichtung gegen mich und ich nicht gegen Sie. Wir beide gehen uns nichts an. Ich bin nur aus einem einzigen Grund hier ich brauche Geld. Aber denken Sie um Gottes Willen nicht, ich glaube, das von Ihnen verlangen zu dürfen ich bitte Sie nur darum…‘ [...] ,Immer und nur wollen Menschen Geld von mir haben‘, sagt endlich eine seltsam leere kindliche Stimme.59

In diesem Zitat wird es deutlich, dass Gilgi sehr sachlich ist und keine Gefühle in dem Gespräch bringt. Sie erklärt durch direkte Rede, dass sie nur Geld braucht, nichts anderes. Sie ist recht hart und das Gespräch grenzt an eine Situation von Erpressung. Als Frau Greif am Ende dieses Gesprächs antwortet, wird ihr Tonfall präsentiert. Das Gespräch geht weiter:

,Ich werde nie mehr zu Ihnen kommen, ich wäre nur eine Störung für Sie – und Sie für mich. Und Ihre Welt ist mir fremd und zuwider, ich will nichts mit ihr zu tun haben. Ich muß jetzt gehn – ich habe versprochen zu helfen – das muß ich halten – ich habe keine Zeit mehr, ich muß sehn, wo ich Geld herbekomme.‘60

In diesem Zitat wird der vorherige Satz verstärkt. Gilgi will nichts mit Frau Greif zu tun haben, außer sich Geld zu leihen. Ein Verhältnis mit ihrer Mutter aufzubauen ist nicht wichtig, nur Geld für ihre Freunde zu schaffen. Das zeigt sich durch die direkte Rede. Das Gespräch zwischen Frau Greif und Gilgi zeigt, dass ihre Beziehung eine Kontrastrelation ist. Frau Greif hat kein Geld zu Hause, aber gibt Gilgi mehrere Ringe: „[...] und streift langsam einen Ring nach dem andern von dem schmalen, glatten Fingern – legt einen Ring nach dem andern in Gilgis offene Hände – den blauen Saphir – den grünen Smaragd – die beiden Brillanten und die große Perle.”.61 Frau Greif reagiert heftig und fällt in Ohnmacht. Diese Reaktion spricht für Heldusers Theorie, dass Eltern mehr Gefühle zeigen. Gilgi ist dankbar für die Ringe, aber verlässt Frau Greif danach eilig.

Frau Kron und Fräulein Täschler sprechen zu Gilgi, aber es bleibt bei Monologen. Bei Frau Greif ist es umgekehrt. Gilgi verwendet dieselbe Art des Redens und konfrontiert damit die leibliche Mutter, wodurch es wie eine Erpressung wirkt. Die Kommunikation mit den Müttern ist einseitig und baut keine Beziehungen auf. Die Beziehung zwischen Gilgi und den Müttern kann als eine Kontrastrelation definiert werden.

59 Keun 2002, S.234.

60 Keun 2002, S.235.

61 Keun 2002, S.235.

(17)

4.1.2 Die Kommunikation mit Olga

Olga ist die weibliche Figur des Buches, die neben Gilgi am häufigsten vorkommt. Sie ist immer eine Ratgeberin für Gilgi und hilft ihr sehr. Das kann man im folgenden Gespräch sehen.

Hier geht es um den Chef Gilgis, der sich für sie interessiert.

,Er ist mein Chef, ist verliebt. Wenn er merkt, dass ich ihn nicht mag, hab’ ich muffige Luft auf dem Büro. Du musst ihn von mir ablenken.‘ ,Na ja. Wenn er aber in dich verliebt ist, wird er sich doch von mir nicht...‘ Gilgi macht ihr weltweisestes Gesicht. ,Der ist nicht speziell in mich, der ist an und für sich verliebt in der letzten Zeit - ganz allgemein. Ich bin Zufallsobjekt, eine Einbildung…‘62

In diesem Beispiel erkennt man, dass ihre Arbeit sehr wichtig für Gilgi ist. Sie will nicht, dass das Verliebtsein ihres Chefs auf ihre Arbeit einwirkt. Deshalb fragt sie Olga durch direkte Rede, ob sie ihr mit diesem Problem helfen kann. Hier wird deutlich, dass die Freundinnen eine gleichgestellte Beziehung haben. Dieses Beispiel zeigt, dass die Beziehung eine Korrespondenzrelation ist. Die Redeanteile sind gleichmäßig verteilt. Gilgi sagt nicht direkt, dass Olga ihn verführen soll, sondern eher in einer indirekten Art und Weise. Dieses Zitat ist ein Beispiel für die These von C.E. Shannon und W. Weaver, das Sender-Empfänger-Modell.

Gilgi und Olga haben das gleiche Zeichensystem und deshalb braucht Gilgi es nicht direkt zu sagen. Gilgis Körpersprache wird durch ihren Gesichtsausdruck dargestellt. Als Olga eine Frage stellt, was für Wünsche Gilgi im Leben hat, antwortet sie:

,Ich will arbeiten, will weiter, will selbständig und unabhängig sein – ich muss das alles Schritt für Schritt erreichen. Jetzt lern’ ich meine Sprachen – ich spar’ Geld – vielleicht werd’ ich in ein paar Jahren eine eigene Wohnung haben, und vielleicht bring’ ich’s mal zu einem eigenen Geschäft.‘ ,Du armes Arbeitstierchen! Und dafür verschuftest du deine schönsten Jugendjahre!‘63

In diesem Gespräch wird deutlich, wie wichtig es für Gilgi ist, selbständig zu werden. Dass Olga nicht die gleiche Einstellung zur Arbeit wie Gilgi hat, kann man von ihrer Antwort interpretieren. Olga hat Mitleid mit Gilgi, weil sie so viel arbeitet und denkt, dass sie ihre schönsten Jugendjahre verschwendet. Die beiden tauschen Meinungen aus, auch wenn sie unterschiedliche Ansichten haben. Sie können das voreinander sagen und deshalb ist es eine

62 Keun 2002, S.24.

63 Keun 2002, S.70.

(18)

offene Kommunikation. In diesem Beispiel wird deutlich, dass die beiden auch eine Kontrastrelation haben.

Olga ist auch der Grund, warum Gilgi Martin trifft. „ ,Ich wollt’ noch arbeiten, Olga.’

,Na, komm’ schon mit, ist ein netter Kerl, der Martin Bruck.’ ,Ja, aber höchstens für ´ne knappe Stunde.’ “.64 Auch hier wird gezeigt, dass Gilgi ihre Arbeit zu priorisieren versucht. Als sie dann mit Martin zusammen ist, wird die Freundschaft an die Seite gestellt. Dass Gilgi nicht Olga priorisiert, wird durch das nächste Zitat präsentiert: „ ,Man sieht und hört ja nichts mehr von dir?’ Sie hakt Gilgi unter, schweigend gehen sie nebeneinander her. ,Hab’ höchstens eine halbe Stunde Zeit’, sagt Gilgi […].“.65 In diesem Zitat wird das Gespräch nochmal durch direkte Rede beschrieben. Hier ist die Rede nur ein Austausch von Gefühlen, weil Gilgi Olgas Frage nicht beantwortet. Olga sagt indirekt, dass sie Gilgi vermisst und Gilgi erklärt nicht, warum sie Olga nicht kontaktiert hat. Das Schweigen ist auch hier geschildert. In einem anderen Gespräch mit Olga, erklärt Gilgi, dass sie sich nur mit Martin glücklich fühlt.

,Und von neun bis fünf sitzt man auf dem Büro, rennt dann schnell mal nach Haus, tippt ab bis sieben beim alten Mahrenholz, und erst um neun ist man glücklich mit Martin zusammen. Kannst dir wohl denken, wie schnell die Zeit dann vergeht – fängt um neun ja erst an, der Tag. Ach, und von den Krons muss ich weg, es ist die höchste Zeit.’ […] Olga har nachdenklich besorgte Augen.

Gilgi und Martin! Eigentümliche Konstellation. Wenn das nur gutgeht.66

Gilgi erklärt ihre Meinung für Olga durch direkte Rede. Olgas Antwort zu dieser Äußerung findet man nicht heraus, sondern nur einen Gedankenbericht darüber was sie denkt. Der Gedankenbericht Olgas wird nicht in Anführungszeichen geschrieben, weil es kein gesprochener Dialog ist. Olga wagt es diesmal nicht, ihre Meinung direkt zu sagen. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass Olga nicht sagt, was sie will, weil sie Angst hat, Gilgi zu beleidigen. Es wird deutlich, dass auch zwischen den beiden nicht immer alles klar ausgesprochen wird. Ein anderes Beispiel, wo man Olgas Reaktion herausfindet, ist das nächste:

Einmal kommt Olga für kurze Zeit. Ist bestürzt und verwundert und gar nicht einverstanden mit der Veränderung in Gilgis Leben. Und hat doch früher immer ganz anders gesprochen. – ,Alles schön und gut, Gilgichen, kleiner Tannhäuser in der Westentasche – aber was machst du für

64 Keun 2002, S.73.

65 Keun 2002, S.105.

66 Keun 2002, S.106.

(19)

Dummheiten! So ein kompaktes, konzentriertes Zusammenleben kann doch nicht gut gehn auf die Dauer. Gilgi – du – hör’ doch!’ [...] ,Mußt’ doch wissen, was du willst! Wenn du so weiter machst, hat er dich satt eines Tages – oder du ihn. Dummes Ding du [...].’ ,Und eines Tages wirst du sehn, dass der arme Mann dir unmöglich gleiches mit gleichem vergelten kann, und dann bist du’s, die ihm ihre eigenen Dummheiten nicht verzeiht. Sind immer nur die eigenen Fehler, die man anderen übelnimmt…’ ,Was – soll – ich – denn – tun?’ [...] ,Nicht dein Leben auf ihn aufbauen, nicht alles auf eine Karte setzen. Wie müde du aussiehst! Du brauchst deine Arbeit und deine Selbständigkeit, du…’67

Am Anfang dieses Zitats kann man sehen, dass Olga niemals zuvor geäußert hat, wie sie über Gilgis Verhalten denkt. Das erfährt der Leser durch einen Gedankenbericht von Olga: „Ist bestürzt [...] anders gesprochen.”. Der Gedankenbericht führt den Leser in Olgas Gefühle ein und gibt eine Erklärung, warum sie später sagt, was sie tut. Der Hörer im Text (Gilgi) erfährt diese Erklärung nicht, weil es ein Gedankenbericht ist. Der Rest des Zitats wird durch direkte Rede gezeigt. Olga macht Gilgi klar, dass ihr Gilgis Verhalten nicht gefällt. Gilgi soll nicht ihr ganzes Leben auf Martin aufbauen, sondern soll ihre Selbständigkeit nutzen und ihre Arbeit behalten. Olga will Gilgi nicht verletzen, aber gleichzeitig will sie nicht, dass Gilgi ihre Selbständigkeit verliert und deshalb äußert sie ihre Meinung.

Man muß sie lieb haben, Olga, dieses leichtsinnige Mädchen. – Gilgi lacht, rafft mit einer hübschen, leichten Bewegung den Pelz über der Schulter zusammen – am schmalen blassen Ringfinger glimmt der dunkle Amethyst –, hält mit der Linken Olgas Hand umklammert, gräbt ihr die Nägel in die weiche Handfläche. Keine Angst, meine Kleine – sagen Olgas Finger – keine Angst – wird nichts gefragt, nichts gesprochen – werd’ warten, und wenn’s drauf ankommt, bin ich da. Weißt du doch – und genügt, daß du’s weißt? Dank’ dir schön, Olga.68

In diesem Gespräch wird keine Rede benutzt, sondern Erzählerberichte „Man muß sie lieb haben, Olga, dieses leichtsinnige Mädchen.” und verschiedene Körpersprachen „Gilgi lacht […].” „[…] gräbt ihr die Nägel in die weiche Handfläche.”. Gilgi deutet Olgas Berührung als sie sagt, dass Gilgi keine Angst haben soll. In diesem Beispiel ist der Beziehungsaspekt Teil des Kontextverständnisses. Auch wenn nichts gesagt wird, kann die Berührung mit Hilfe ihrer Beziehung interpretiert werden. Nicht „Die Daten” sind hier wichtig (weil nichts gesagt wird), sondern die Beziehungsaspekte. In diesem Beispiel sind auch die Attribute von Martin dabei, in Form des Pelzes und des Rings. Martin steht zwischen den Freundinnen und stört die Kommunikation zwischen ihnen. Die Geschenke von Martin markieren Gilgis Abhängigkeit von ihm und sie verstärkt den Eindruck, dass Martin wichtiger als Olga ist und dass er immer dabei sein wird.

67 Keun 2002, S.146-147.

68 Keun 2002, S.165-166.

(20)

In einem anderen Gespräch mit Olga möchte Gilgi etwas mehr sagen, aber macht das nicht. „ ,Ach Olga…’ Gilgi will noch was sagen, erzählen – aber lieber nicht, lieber nicht – einmal Ausgesprochenes wird so unheimlich lebendig.”.69 Gilgi wählt hier schweigend zu bleiben, statt erzählen was sie eigentlich möchte. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass Gilgi das Gefühl hat, es sei einfacher zu schweigen, als tatsächlich zu sagen, was sie sagen möchte.

Von Anfang an sieht man, dass Gilgi sich um ihre Arbeit kümmert. Sie will arbeiten und selbständig werden. Nachdem sie Martin getroffen hat, konzentriert sie sich auf ihn und kümmert sich weniger um ihre Arbeit. Das kann man in dem Gespräch mit Olga sehen. Olga sieht diese Veränderung Gilgis und macht ihr klar, dass sie das nicht mag. Nach diesem Gespräch haben sie Störungen in ihrer Kommunikation und Gilgi möchte nicht so viel erzählen wie vorher. Martin hat eine Distanz zwischen den Freundinnen erstellt, die auf Gilgi negativ einwirkt. In den Gesprächen mit Olga wird deutlich, dass sich Gilgi verändert. Am Anfang priorisiert Gilgi ihre Arbeit und ihre Beziehung mit Olga, aber als sie Martin trifft, ist die Beziehung zwischen den Freundinnen und ihre Einstellung zur Arbeit beeinflusst.

Am Anfang des Romans ist sie selbständig und preist ihre Arbeit hoch. Aber sie wird mehr abhängig von Martin und verliert ihre Arbeit. Olga versucht Gilgi klarzumachen, dass sie wieder unabhängig werden muss, aber diese Versuche führen dazu, dass Gilgi Olga Informationen vorenthält. Gilgi und Olga haben sowohl eine Kontrast- als auch eine Korrespondenzrelation.

4.2 Die Kommunikation mit den männlichen Figuren

4.2.1 Die Kommunikation mit dem Vater und mit Martin

In diesem Kapitel werden die wichtigsten männlichen Hauptfiguren geschildert und wie sie mit Gilgi kommunizieren. Diese Männer sind der Vater, Martin und Pit.

Wie bereits oben erwähnt, scheint die Familie Gilgis viel zu schweigen. Das gilt auch für den Vater. Das fast einzige Beispiel dafür, dass Gilgi mit ihrem Vater spricht, ist an ihrem Geburtstag. „ ,Danke, Vater.‘ Gilgi gibt Herrn Kron die Hand. Er sieht von der Zeitung auf.

,Laß’ dir jut jehn, im neuen Jahr, Jilgi, bleib jesund und - denk’ jaanich mehr an das, was dir Mutter eben jesaacht hat.‘ ”.70 Die Rede des Vaters ist in kölscher Mundart geschrieben, aber

69 Keun 2002, S.200.

70 Keun 2002, S.31-32.

(21)

im Gegensatz zu Fräulein Täschler symbolisiert das Kölsch bei dem Vater keinen Standesunterschied. Er kommentiert hier das frühere Gespräch über die Adoption Gilgis. Er gibt, genau wie die Mutter, keine Erklärung dafür und die beiden sprechen nicht mehr darüber.

Es kann als eine Art von Schweigen angesehen werden. Gilgi erfährt nichts Näheres über ihre Herkunft.

Die wichtigste Person für Gilgi im Roman ist Martin. Als Gilgi zum ersten Mal in Martins Wohnung ist, haben die beiden ein Gespräch:

,Sie können sich das sparen, Sie brauchen mir nicht zu erzählen, daß Sie mich hergebracht haben, um mir ein interessantes Buch zu zeigen oder um mir einen besonders alten schottischen Whisky vorzuführen…‘ [...] ,Dummes, kleines Ding‘, sagt Martin leise, tritt hinter sie, streicht sanft und zärtlich über ihre Schulter – ,kleines Mädchen, gib dir doch keine Mühe, deine Unsicherheit hinter Ruppigkeit zu verstecken, ich hab's so gern, wenn Frauen unsicher sind.‘71

Hier wird das Gespräch durch direkte Rede geschildert. Gilgi ist sachlich und erklärt, dass sie weiß, weshalb sie da ist. Martin denkt doch, dass Gilgi unsicher ist und dass sie es zu verbergen versucht. Gilgi sagt ihre Meinung und die kann als Verwendung des Container-Modells interpretiert werden. Sie sagt nicht direkt, dass sie weiß, dass sie da ist, um vielleicht Sex zu haben, sondern hat sie diese Nachricht verschlüsselt. Martin versteht was sie sagt, aber deutet es als Unsicherheit. Er nennt sie ein „dummes, kleines Ding” und ein „kleines Mädchen”. Dass Martin 22 Jahre älter als Gilgi ist, wird hier deutlich. Er sieht sie als ein kleines Mädchen. Der Altersunterschied zwischen Gilgi und Martin ist auch ein Machtunterschied. Er ist älter und erfahrener, also weiß er auch, wie er Gilgi beeinflussen kann. Er sagt auch, dass er Frauen mag, die unsicher sind. Es kann sein, dass er sich gerne um unsichere Frauen kümmert, sodass er sich gebraucht fühlt. In diesem Beispiel wird sowohl ein Genderaspekt als auch eine Kontrastrelation deutlich. Martin sieht gerne auf Frauen herab und er möchte nicht, dass Gilgi selbständig, sondern unsicher ist. Dann kann er sie dominieren und abhängig von ihm machen.

Dies ist ein Beispiel für die These von Nünning und Nünning, wie sich die Figuren mit gender- Normen verhalten.

Gilgi zweifelt daran, ob sie das richtige Mädchen für Martin ist. Sie hat Angst, dass er ein anderes finden wird. Wegen dieser Gedanken kann sie sich nicht auf ihre Arbeit konzentrieren. Sie denkt an ihn den ganzen Tag und kann nicht darauf warten, ihn um neun Uhr abends zu treffen.72Dass er immer in ihrem Kopf ist, beeinflusst ihr Leben. Er nimmt immer

71 Keun 2002, S.94-95.

72 Keun 2002, S.121.

(22)

mehr Platz in ihrem Leben ein. Im nächsten Gespräch geht es um das Zimmer Gilgis, welches sie hat, um arbeiten zu können.

,Eine Stunde kann ich bei dir bleiben, Martin – ich geh´ heute nicht mehr auf mein Zimmer, ich…‘

,Willst du mit eigentlich nicht sagen, wo du dieses geheimnisvolle Zimmer hast?‘ ,Nein, Martin, Ich muß – es ist – wegen meiner Selbständigkeit. Ich muß einen Ort zum Arbeiten haben, hier bei dir in der Nähe kann ich´s nicht, und in meinem Zimmer hätt’ ich auch keine Sekunde Ruhe, wenn ich denken müßt´, du könnt´st plötzlich erscheinen.‘ ,Fixe Idee.‘ ,Na, dann laß sie mir.‘73

Dieses Gespräch zwischen Gilgi und Martin wird durch die direkte Rede geschildert. Gilgi braucht ein eigenes Zimmer wegen ihrer Selbständigkeit. Gilgi fühlt sich unkonzentriert, wenn Martin in der Nähe ist. Aber Martin kann es nicht verstehen. Er nennt es eine „fixe Idee”. Gilgi ist doch beschlossen und gibt nicht nach. Dieses Gespräch ist wichtig, weil es zeigt, dass Gilgi gegen Martin sprechen kann. Hier ist es ein gleichberechtigtes Gespräch. Dass Martin kein Verständnis für ihre Arbeit hat, präsentiert sich auch im nächsten Zitat:

,Gilgi‘, sagt Martin am Sonntagmorgen, ,du solltest nicht mehr ins Büro gehen, es wird mir jedesmal so unbehaglich kalt im Bett, wenn du so früh aufstehst.‘ […] ,Sieh mal, Gilgichen, was ich an Geld hab´, ist für einen zu wenig, da kann´s doch auch für zwei zu wenig sein, was meinst du – sollen wir nicht zusammen von meinem Geld leben?‘ ,Was du dir denkst, Martin!‘ Gilgi lächelt mit mütterlicher Verachtung. ,Na, aber wenigstens zu dem alten Petrefakt brauchtest du doch nicht mehr!‘ ,Bei dem bin ich ja sowieso in drei Tagen fertig. Im Ernst, Martin – ich muß doch Geld verdienen.‘74

Der erste Satz kann als ein Scherz gesehen werden. Martin mag es nicht, dass es im Bett kalt wird, aber das ist kein Grund für Gilgi, ihre Arbeit zu kündigen. Es kann auch manipulierend gesehen werden. Er versucht, Gilgi ein schlechtes Gewissen zu machen, weil sie früh aufsteht und arbeitet. Martin meint aber, dass die beiden von seinem Geld leben können, obwohl es wenig ist. Gilgi kann diese Aussage nicht verstehen und betont, dass sie Geld verdienen möchte.

Es gibt auch eine Beschreibung von ihrer Körpersprache in diesem Gespräch. Diese Beschreibung verstärkt die Reaktion Gilgis von Martins Aussage. Sie findet seinen Vorschlag lächerlich. Hier wird gezeigt, dass Martin nicht die Selbständigkeit Gilgis mag. Er hätte sie lieber zu Hause und dass sie von seinem Geld leben können. Die beiden haben verschiedene Einstellungen vom Leben und das wird im nächsten Zitat gezeigt: „So kläglich sind alle Versuche gescheitert, ihn ihrem Leben angleichen zu wollen. Man müßte es umgekehrt versuchen – sich ihm anpassen.”.75 Dies ist ein Gedankenbericht von Gilgi, der erklärt, dass sie

73 Keun 2002, S.124-125.

74 Keun 2002, S.125.

75 Keun 2002, S.130.

(23)

fühlt, dass ihre Versuche ihn zu verändern, gescheitert sind. Jetzt sieht sie keine andere Lösung, als sich ihm anzupassen. Dieses Zitat ist wichtig, weil es zeigt, dass Gilgi bereit ist, ihre Unabhängigkeit aufzugeben. In dem nächsten Zitat wird ein Gedankenbericht von Gilgi geschildert, der auch mit Anpassung zu tun hat: „Und Gilgi würde lieber alle erbärmlichen, elenden Eigenschaften der Welt an sich selber feststellen, als an Martin den geringsten Fehler entdecken.”.76 Diese Aussage kann so interpretiert werden, dass sie sich lieber für etwas verantwortlich macht, als Martin die Schuld zu geben. Wenn sie sich als unabhängige Frau sehen will, passt das schlecht zu dieser Aussage. Die Liebe zu Martin bewirkt also eine Veränderung.

Gilgi verliert ihre Arbeit und dann sind die beiden ohne ein richtiges Einkommen. In einem Gedankenbericht überlegt Gilgi, wie sie es Martin sagen soll, dass sie um Unterstützung vom Staat erbitten möchte. „Wenn Martin kommt, wird man ihm sagen, wird man ihm sagen […]. [...] und darum werde ich morgen zur Badstraße gehn (sic), zum Arbeitsnachweis – wegen der Unterstützung [...].”.77 Sie wiederholt sich und sie denkt auch, dass sie es ruhig und vernünftig sagen soll. Gilgi ist zu nervös, um zu erzählen, dass sie um Unterstützung bitten will.

Die Wiederholung zeigt auch, wie verwirrt Gilgi ist. Die Tatsache, dass keiner von ihnen ein Gehalt hat, beeinflusst ihr Leben. Martin macht immer mehr Schulden und das wird im nächsten Beispiel deutlich:

,Gilgi, ich hab’ mir von einem Freund zweitausend Mark schicken lassen, sollen wir fortfahren?‘

Gilgi erschrickt. ,Nein.‘ ,Warum denn nicht?‘ ,Kann das nicht, Martin – versteh’ mich doch – gibt doch für jeden was, das er nicht kann. Ich kann nicht auf’s Geratewohl mit geliehenem Geld ins Blaue hineinfahren. [...] Schick’ deinem Freund das Geld zurück – oder laß uns Schulden damit bezahlen – mir zuliebe, Martin…‘ Tausend Einwände von Martin, tausend Einwände von Gilgi – und es gibt noch einen tausendundersten Einwand – gibt ihn vielleicht – man kann noch nicht drüber sprechen.78

In diesem Zitat wird es deutlich, dass sich Gilgi nicht verschulden will. Ihre Körpersprache wird folgenderweise beschrieben: „Gilgi erschrickt.”. Martin andererseits hat kein Problem das zu machen. Man kann eine Uneinigkeit zwischen den beiden sehen. Der letzte Satz des Zitates zeigt, dass Gilgi keinen Sinn sieht, darüber zu sprechen. Ihre Diskussion über Geld ist nicht ohne Schwierigkeiten. Ein weiteres Beispiel über Gilgis Einstellung zu Schulden wird geschildert:

76 Keun 2002, S.133.

77 Keun 2002, S.153.

78 Keun 2002, S.160.

(24)

Ohne Martin käm’ ich weiter, und Martin würd’ ohne mich nicht soviel Schulden machen. [...]

und immer die summende Sehnsucht in den Gliedern, die süße widerliche Sehnsucht – ich halte das nicht mehr aus, ich will tot sein – ich will das nicht mehr – ich will nicht – es ekelt mich an, daß ich so machtlos gegen meinen Körper bin. Und wenn ich mit Martin darüber sprechen könnte!

Aber das kann ich nicht [...].79

Gilgi beginnt in diesem Gedankenbericht zu verstehen, dass sie ohne Martin jemand anderes sein kann und dass er wenigere Schulden machen würde. Die beiden wären also besser getrennt.

In diesem Beispiel gibt sie ihre innersten Gedanken preis: sie ist unsterblich verliebt in ihn.

Gilgi möchte über alles mit Martin sprechen, aber sie kann es nicht. Sie entscheidet sich, schweigend zu bleiben. Es kann sein, dass sie keinen Sinn sieht, darüber mit ihm zu sprechen.

Sie haben sich gestritten und Gilgi hat es satt.

Gilgi findet heraus, dass sie schwanger mit Martin ist. In einem Gedankenbericht überlegt sie, was passieren könnte:

Ich mit einem Kind! Und Martin! Es wird uns so gehn, wie es dem Hans und der Hertha geht [...]

Und wenn ich noch lange bei ihm bleibe, dann ist auf einmal kein Geld mehr da – und dann gehen ihm alle seine Freuden entzwei – und dann wird alles so schrecklich… Gibt es denn keinen Ausweg? Was soll ich denn tun?80

Eine Erklärung muss gegeben werden, dass Hans und Hertha bankrott waren und Selbstmord begangen haben. Gilgi hat Angst, dass sie und Martin den gleichen Weg gehen werden. Sie kann sich es nicht vorstellen, dass sie und Martin ein Kind zusammen bekommen. Sie fragt sich, ob es nicht einen anderen Ausweg gibt. Sie versteht, dass sie etwas tun muss, um eine Veränderung zu schaffen. Aber die Kommunikation darüber zwischen Gilgi und Martin existiert nicht. Diesen entscheidenden Einschnitt in ihrem Leben erzählt sie Martin nicht. Die wichtige Kommunikation über das ungeborene Kind bleibt aus. Gilgi findet es schwierig, mit Martin über verschiedene Themen zu sprechen und dieses Beispiel gilt als eines davon. Im nächsten Zitat hat sich Gilgi entschieden und weiß, was sie machen muss:

Und ich weiß, was ich tun muß – das Schwerste. Aber ich lebe, und Martin lebt, und das Kind lebt… ich will leben – und ich bin froh, daß ich lebe. Gilgis harte kleine Schritte verhallen auf der Treppe. Vorbei an den schwatzenden Weibern – durch die Straße… Neun Uhr ist’s, und Martin wird fort sein. Gut so.81

Es ist nicht ganz deutlich in diesem Zitat, aber sie wird Martin verlassen. Sie nennt es als „das Schwerste”, so kann es interpretiert werden, dass sie diesen Beschluss sehr schwierig findet.

79 Keun 2002, S.195.

80 Keun 2002, S.211.

81 Keun 2002, S.250.

(25)

Sie weiß, dass Martin nicht zu Hause ist und findet es besser so. Wäre er zu Hause gewesen, hätte Gilgi nicht so stark sein und an ihrer Entscheidung festhalten können. Sie vermeidet ein Gespräch mit ihm, schreibt aber trotzdem und hinterlässt eine Notiz:

... nur weil ich Dich liebe. Hab’ keine Angst – um mich nicht. Muß alles so sein, hab’ Vertrauen zu mir - Du – etwas ist geschehen, ich kann nicht mehr lachen, lange nicht mehr. So, wie ich jetzt bin, würd’ ich nur Last für Dich sein und Dich mit traurig machen…. vielleicht hättest Du mich dann nicht mehr lieb… vor nichts hab’ ich mehr Angst. Vergiß mich nicht – bitte.82

Hier wird vom Erzähler wiedergegeben, was Gilgi geschrieben hat. Sie sagt nur, dass sie eine Last für ihn würde, aber nicht, dass er auch eine Last für sie ist. Sie würde die Schuld lieber sich selbst geben als sie auf Martin zu schieben. Aber bis zum Ende will sie es nicht sagen.

Dass sie ihm immer noch liebt, ist hier deutlich. Ihre größte Angst ist, dass er aufhören wird sie zu lieben. Auch wenn sie ihn verlässt, möchte sie sich immer noch geliebt fühlen. Das kann sie aber nur schriftlich mitteilen. Die Kommunikation wird so abgeschlossen. Es gibt keine Aussprache zwischen ihnen.

Die Gespräche zwischen Martin und Gilgi sind meistens Dialoge. Obwohl es Dialoge sind, sagt Gilgi nicht immer, was sie fühlt, weil es einen Machtunterschiede zwischen den beiden gibt und weil Martin manipulierend ist. Die Gedankenberichte über Martin von Gilgi kommen deshalb häufig vor. In einem von dieser Gedankenberichten erfährt man, dass Gilgi nicht mit Martin sprechen kann. Die Kommunikation zwischen den beiden ist gestört. Am Ende des Romans verlässt sie ihn, wenn er nicht zu Hause ist. Sie sagt ihm auch nicht, dass sie schwanger ist. Sie will nicht mit ihm sprechen und das kann als eine Störung der Kommunikation gesehen werden. Die Gespräche zwischen den beiden sind Dialoge, aber sie können nicht als gleichberechtigte Gespräche gesehen werden. Gilgi fühlt nicht, dass sie alles sagen kann und dann geht ein Teil der Kommunikation verloren.

4.2.2 Die Kommunikation mit Pit

Eine andere männliche Figur in Gilgis Leben ist Pit. Er ist sehr direkt und ehrlich, das kann man in dem nächsten Beispiel sehen: „ ,Ich friere, Pit.‘ ,Dann musst du irgend wohin gehen wo’s wärmer ist.‘ Pit ist unfreundlich, das ist er meistens. Gilgi nimmt’s ihm nicht übel.

[…] Sie hat ihn gern, man kann sich auf ihn verlassen.”.83 Der erste Teil des Gesprächs ist durch direkte Rede aufgebaut. Der zweite Teil des Zitates ist ein Teil des Gedankenberichts. Gilgi

82 Keun 2002, S.251.

83 Keun 2002, S.33-34.

(26)

sagt diesen Teil nicht, sie denkt nur darüber nach. Dass Gilgi sich nicht zu Herzen nehmen kann, was er sagt, kann von dem Inhalts- und Beziehungsaspekt gesehen werden. Wegen ihrer Beziehung kann Gilgi den Inhalt, also was er sagt, deuten und verstehen. Wären sie nicht so gute Freunde gewesen, hätte sie es anders interpretiert.

,Pit, ich wollt’ dich was fragen, ich geh’ vielleicht auch ganz von Haus fort und mach’ mich selbständig.‘ ,Hättste schon längst tun sollen.‘ [...] ,Ich weiß nicht, Pit, ob es anständig ist, seine Eltern…‘ ,Anständig!!‘ Krraacks, Pit hat einen Bleistift zerbrochen, mitten durch. ,Wenn du anständig sein willst, liebe Eltern, Vaterland und Hunde! Heirate und krieg Kinder. Jedem Embryo sein Paragraph 218. Der Staat will Kinder, laufen noch nicht Arbeitslose genug auf der Erde rum.’

Pit redet sich in Wut.‘84

In diesem Gespräch gibt es sowohl direkte Rede als auch beschreibende Körpersprache, die das Gefühl des Gesprächs verdeutlicht. Als Pit den Bleistift zerbrochen hat, versteht man, wie aufgeregt er ist. Auch hier wird Paragraph 218 erwähnt, der sich auf das Verbot eine Schwangerschaft abzubrechen bezieht. Es ist bedeutsam, dass sie ausgerechnet mit Pit über ihre größten Probleme spricht. Er ist unfreundlich, aber sie weiß, dass er eine gesellschaftliche Weltsicht hat. Er kann eine andere Perspektive auf die Probleme einbringen, die für sie hilfreich sein kann. Ein anderes Beispiel von einem anderen Gespräch mit Pit:

,Au, laß meine Hand los, Pit, du tust mir weh.‘ ,Geh jetzt, Gilgi.‘ ,Wiedersehn, Pit.‘ Gilgi steht unten auf der Straße und reibt sich ihr Handgelenk. Hat der Junge einen Griff! Macht der sich das Leben schwer! Und den um Rat fragen! Der hat selber Rat nötig.85

Am Anfang wird das Gespräch durch direkte Rede durchgeführt. Es wird mit Anführungszeichen gezeigt. Die zweite Hälfte des Zitats ist ein Gedankenbericht von Gilgi, der zeigt, wie sie über Pit denkt. Sie hat ihre Gedanken erzählt und hat keinen guten Ratschlag bekommen. Sie denkt, er braucht selbst Rat. Das nächste Zitat ist auch ein Gedankenbericht, der Gilgis Gedanken über Pit schildert: „Dass der Pit so ekelhaft zu mir ist! Er ist doch mein bester Freund! Jetzt hat sie ihm immer noch nicht ihre Geschichte erzählt, hat auch keine Lust mehr dazu.”.86 In diesem Gedankenbericht wird gezeigt, dass obwohl Pit so „ekelhaft” ist, ist er trotzdem ihr bester Freund. Der letzte Satz zeigt auch, dass Pits Verhalten die Kommunikation beeinflusst hat. Sie hat ihre Lust verloren weiter zu erzählen. Im nächsten Zitat möchte Gilgi Pits Ratschlag haben.

84 Keun 2002, S.35.

85 Keun 2002, S.37.

86 Keun 2002, S.60.

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