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Theoretischer Hintergrund

Kommunikation ist ein Ausgangspunkt, der in Textanalysen benutzt werden kann. Aber was bedeutet eigentlich Kommunikation? Der Ausdruck kann sowohl ein Wissensgebiet als auch eine Verhaltenseinheit bezeichnen. Geht es um eine einseitige Kommunikation, heißt es nur eine Mitteilung.9 Aber spricht man von einer Übertragung von Mitteilungen zwischen zwei oder mehreren Personen wird es als Interaktion beschrieben. Kommunikation besteht nicht nur aus Wörtern, sondern wird auch von Tonfall, Lachen, Pausen und Körpersprache begleitet. Eine andere Art der Kommunikation ist, schweigend zu bleiben. Wenn man nichts sagt, ist es immer noch Teil der Kommunikation und dieses Schweigen ist nicht weniger wichtig als ein Gespräch.10 Dies ist eine wichtige und klassische These von Watzlawick.

Kommunikationsmodelle sind durch Strukturen zwischen verschiedenen Interaktionspartnern gekennzeichnet. Unterschiedliche Modelle haben sich entwickelt, sodass man erklären kann, wie Kommunikationsphänomene beobachtet werden können. Das umfangreichste dieser Modelle ist das Container-Modell. Das bedeutet, dass der Absender einer Nachricht seine Bedeutung der Nachricht durch Symbole oder Zeichen verschlüsselt hat. Der Adressat muss die Nachricht wieder entschlüsseln, um die originäre Nachricht zu verstehen.11 Ein anderes Kommunikationsmodell ist das informationstechnische Modell von C.E. Shannon und W. Weaver. Dieses Sender-Empfänger-Modell wird folgenderweise beschrieben:

Ein Sender enkodiert eine Botschaft in Signale, die über einen Kanal möglichst störungsfrei an einen Empfänger weitergeleitet werde, der die Signale dekodiert. Sprecher und Hörer müssen dabei über einen gemeinsamen Zeichenvorrat (Zeichen und Zeichensystem) verfügen.12

8 Nave-Herz 1994, S.40.

9 Beavin, Jackson, Watzlawick 2000, S.50.

10 Beavin, Jackson, Watzlawick 2000, S.51.

11 Nünning 2004, S.335.

12 Nünning 2004, S.337.

Dieses Zitat zeigt, wie wichtig es ist, das gleiche Zeichensystem zu haben, um eine Botschaft richtig zu verstehen. Der Inhalt des nächsten Kapitels befasst sich mit der verschiedenen Art und Weise, wie man kommunizieren kann.

2.2 Die Inhalts- und Beziehungsaspekte der Kommunikation

Die Inhalts- und Beziehungsaspekte kommen in jeder Kommunikation vor.13 Es geht darum, wie der Absender die Mitteilung vom Empfänger verstanden haben möchte. Diese Mitteilungen können sich unterscheiden, weil sie von der Beziehung zwischen Sender und Empfänger abhängig sind. Dann sind die „Daten“ als der Inhaltsaspekt zu sehen und der Beziehungsaspekt ist, wie diese Daten verstanden werden können.14 Laut Beavin, Jackson und Watzlawick ist das Wichtigste nicht der Inhalt der Kommunikation, sondern der Beziehungsaspekt der Kommunikation. Denn es spielt keine Rolle, ob die Informationen falsch oder wahr sind, sondern die Beziehungsaspekte sind hier am wichtigsten. Zwei oder mehrere Kommunikanten, die die Art ihrer Beziehung definieren, werden als zwischenmenschliche Systeme bezeichnet.15 Wenn man dieses System auf menschliche Beziehungen anwendet, wird die Aufmerksamkeit auf die Beziehungen gerichtet, zum Beispiel Familienbeziehungen aber auch Beziehungen mit Freunden oder Kollegen.16Schulz von Thun unterstreicht auch wie wichtig die Beziehungsseite der Nachricht ist. Es geht nicht nur um den Sachinhalt einer Nachricht, sondern auch in welcher Art der Sender spricht, zum Beispiel durch Gestik und Mimik.17 Hier ist es deutlich, dass Beziehungen eine bedeutsame Auswirkung auf die Übermittlung haben können.

2.3 Literarische Kommunikation

Ein Text, der eine sprachliche Äußerung ist, wird von einem Sprecher bewirkt und richtet sich an einen Hörer. Diese drei – Text, Sprecher und Hörer, gehören zu der Kommunikationssituation.18 Wenn die literarische Kommunikation eines Textes analysiert wird, werden zwei verschiedene Ebenen diskutiert; die außerliterarische- und die

13 Beavin, Jackson, Watzlawick 2000, S.53.

14 Beavin, Jackson, Watzlawick 2000, S.55.

15 Beavin, Jackson, Watzlawick 2000, S.116.

16 Beavin, Jackson, Watzlawick 2000, S.124–125.

17 Schulz von Thun 1981, S.156.

18 Kahrmann, Reiß, Schluchter 1996, S.23.

innerliterarische Kommunikation. Die außerliterarische Kommunikation befasst sich mit dem Autor und dem Leser. In diesem Fall ist der Autor der Schreiber/Sprecher und der Leser der Hörer. Aber hier hat der Autor keinen konkreten Hörer (Leser), sondern ist ein „angenommener und gedachter Leser“.19 Die innerliterarische Kommunikation befasst sich mit dem Erzähler und den Figuren im Text. Das bedeutet, dass die Figuren eines literarischen Textes Sprecher und Hörer sind.20 Der innerliterarische Erzähler rahmt dabei die Figurenrede, d.h. deren Kommunikation in der fiktiven Welt ein. Es wird von Kahrmann unterstrichen, dass es sich beim Erzähler um sowohl außerliterarische-, als auch innerliterarische Kommunikation einer Erzählrede handeln kann.

2.4 Erzählerbericht und Personenrede

Um nun die konkreten Kommunikationssituationen in einem Text analysieren zu können, muss man die Redemittel untersuchen. Jochen Vogt behandelt die verschiedenen Perspektiven, mit denen ein Text untersucht werden kann. Erstens stellt er fest, dass sich die Stimme des Erzählers mit den Stimmen der Figuren abwechselt, zumindest in den meisten Texten, die erzählt werden.21 Damit meint er, dass die erzählenden Möglichkeiten erweitert und vertieft werden.22 Zweitens beschreibt Vogt die Funktion des Erzählers: „Die erzählte Welt ist die Welt der Romanfigur und wird vom Erzähler erzählt”.23 Damit meint Vogt, dass der Erzähler von dem berichtet, was in der Welt der Romanfigur passiert ist. Die Gedanken, Handlungen und Gefühle der Figuren werden vom Erzähler dargestellt.24 Vogt befasst sich auch mit den verschiedenen Formen der Personenrede, der direkten Rede und der indirekten Rede. Die direkte Rede kann man als eine unveränderte zitierte Äußerung einer Person bezeichnen. Normalerweise wird die Personenrede durch Satzzeichen – wie Doppelpunkt und Komma – getrennt und die Rede selbst wird mit Anführungszeichen abgeteilt.25 Ein Beispiel von der direkten Rede ist: „ ,Morgen, Mutter’, ruft Gilgi”.26 Der Gegensatz zur direkten Rede ist die indirekte Rede. In der indirekten Rede ist die Stimme des Erzählers leitend und die Rede wird nicht zitiert, sondern referiert oder vom Erzähler erzählt. Anführungszeichen werden nicht verwendet und der Konjunktiv ersetzt

19 Kahrmann, Reiß, Schluchter 1996, S.37.

20 Kahrmann, Reiß, Schluchter 1996, S.42-43.

21 Vogt 1998, S.143.

22 Vogt 1998, S.144.

23 Vogt 1998, S.145.

24 Vogt 1998, S.145.

25 Vogt 1998, S.150.

26 Keun 2002, S.5.

oft die indikativischen Verbformen.27 Ein Beispiel von der indirekten Rede ist: „Herr Reuter raucht die dritte Zigarette und erwähnt beiläufig, dass er sich mit seiner Frau nicht so fabelhaft unterhalten könne wie mit ihr”.28 Die direkte Rede verfügt über eine unmittelbare Wirkung in einem Text, während die indirekte Rede mit ihrem Konjunktiv eine Distanz zwischen dem Leser und der Rede aufbaut.29 Die szenische Darstellung bedeutet, dass die Vorfälle vor allem unverzüglich durch die direkte und dialogische Personenrede aufgetreten sind.30 Wenn diese Personenrede auftritt, verschnellert sich der Erzähltakt.31 Dies ist immer der Fall, wenn Dialoge ohne weitere Kommentare entstehen.

Zunächst unterstreicht Vogt, dass sowohl die direkte Rede als auch die indirekte Rede in einer einzigen Redesituation gern kombiniert werden können, um Tempo und Perspektive zu wechseln, sodass man Eintönigkeit in einer Szene vermeidet. Daraus folgt, dass man eine Balance zwischen den Figuren- und Erzählerstimmen hält.32 Nünning und Nünning schildern die verschiedenen Aspekte der Figurenreden, also was jegliche Figur äußern kann. Darum gibt es sowohl die indirekte-, die direkte- und die erlebte Rede, als auch den Gesprächsbericht. Die Figuren können auch innere Empfindungen äußern, die durch verschiedene Gedankenberichte und Gedankenzitate in einem Text ausgedrückt werden.33 Der Gedankenbericht beinhaltet „die unausgesprochenen Gedanken, Wahrnehmungen und Gefühle von Handlungsfiguren”.34 Die erlebte Rede wird als eine Wiedergabe der Gedanken einer Figur beschrieben.35 Um das Ziel dieses Aufsatzes zu erreichen, wird sich die Analyse nicht auf den Gedankenbericht und die erlebte Rede konzentrieren, sondern mehr auf die ausgesprochene Kommunikation.

2.5 Erzähltextanalyse und Gender

Um eine gender-orientierte Untersuchung von Figuren durchzuführen, müssen bestimmte zentrale Kriterien erfüllt sein. Wird eine Untersuchung z.B. von Mutter-Tochter oder Vater-Sohn Beziehungen gemacht, wird eine generationsübergreifende Korrespondenz- und kontrastbezügliche Theorie zwischen den Figuren benutzt.36 Dies entspricht der

27 Vogt 1998, S.150.

28 Keun 2002, S.18.

29 Vogt 1998, S.151.

30 Vogt 1998, S.147.

31 Vogt 1998, S.148.

32 Vogt 1998, S.155.

33 Nünning, Nünning 2010, S.98.

34 Vogt 1998, S.157.

35 Vogt 1998, S.163.

36 Nünning, Nünning 2004, S.134.

Beziehungstheorie, die oben referiert wurde. Pfister meint, dass die Verwendung von qualitativen Korrespondenz- und Kontrastrelationen zwischen den Figuren eine große Bedeutung hat, wenn eine gender-orientierte Figurenanalyse gemacht werden soll. Wenn diese Relationen zwischen Figuren, die zu verschiedenen Generationen gehören (z.B. Mütter-Töchter), verwendet werden, wird eine historische Veränderung von Gendernormen deutlich gemacht.37 Ein anderer Aspekt der Gender Studies käme dann vor, wenn ein Sprecher einige Kommentare über die sexuelle Orientierung der Figur macht. Dadurch wird deutlich, wie der Standpunkt eines Sprechers über die sexuellen Normen aussieht. Wenn es von Gender Studies der Figurenrede handelt, wird die Darstellung figuraler Bewusstseinsinhalte der Figur erwähnt.

Nünning und Nünning erklären weiter: „Für die figurale Selbst- und Fremdcharakterisierung in der Figurenrede wie auch in der Bewusstseinsdarstellung spielt die Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex Geschlecht und Sexualität häufig eine zentrale Rolle”.38 In der Figurenrede könnte ein Kontext gesehen werden, wie sich die Figuren mit gender-Normen verhalten.39 Bei der Analyse der Kommunikation von Gilgi mit anderen Figuren soll untersucht werden, wie Gilgi sich verhält und ob hier auch eine Genderperspektive deutlich wird, die zur Veränderung der Figur beiträgt.

2.6 Frühere Forschung

Elke Reinhardt-Becker hat Keuns Roman Gilgi – eine von uns analysiert, insbesondere die Männer und die Frauen des Textes. Reinhardt-Becker hebt hervor, wie wichtig die Liebe in dieser literarischen Epoche – der Neuen Sachlichkeit – ist. Gilgi wird als das Ideal der neuen Frau beschrieben. Sie ist gepflegt, sportlich und jung. Sie ist fleißig; abends besucht sie die Fremdsprachenschule und sie übt auch ihr Talent an der Nähmaschine. Für sie ist ihre berufliche Entwicklung wichtiger als eine Heirat.40 Das zeigt sich auch, als Gilgis Chef gern eine romantische Beziehung mit ihr haben möchte. Gilgi denkt nur, dass es ihre Karriere negativ beeinflussen könnte.41 Am Anfang des Romans hat Gilgi eine sachliche Einstellung zu Liebesbeziehungen und behält ihre Selbständigkeit. Wenn sie später Martin trifft, scheint es anders zu sein. Dann beschreibt sie ihn als eine „Betriebsstörung”, die ihr lieber als ihre Arbeit

37 Nünning, Nünning 2004, S.137.

38 Nünning, Nünning 2004, S.135.

39 Nünning, Nünning 2004, S.135.

40 Reinhardt-Becker 2005, S.1-2.

41 Reinhardt-Becker 2005, S.4.

ist.42 Martin kennenzulernen, ist der erste Schritt Gilgis ihre Selbständigkeit zu verlieren.43 Ein deutliches Beispiel dafür ist, als sich Gilgi bei ihrem Chef krankmeldet, weil sie den Tag zu Hause mit Martin verbringen möchte.44 Sie wird abhängig von Martin, den sie so liebt. Ihre Freundin Olga versucht Gilgi zu raten, dass sie ihre Selbständigkeit und ihren Beruf behalten soll und nicht so abhängig von Martin sein soll.45 Gilgi versteht am Ende, dass sie wegen der Liebe die Welt um sie herum vergessen hat. Sie muss Martin verlassen, um ihre Selbständigkeit zurückzubekommen.46 Diese Analyse von Reinhardt-Becker ist bedeutsam, weil sie die Veränderung Gilgis durch die Geschichte schildert. Die kommende Analyse wird zu untersuchen haben, ob und inwiefern die Kommunikation diese Veränderung mitbeeinflusst.

Urte Helduser beschreibt in ihrer Analyse von Gilgi – eine von uns, wie schwer es für Gilgi ist, mit Gefühlen umzugehen.47 Sie schildert weiter, wie Männer und Frauen sich unterschiedlich mit Gefühlen verhalten, mit einem Beispiel von dem Text: „Männer sind ,[l]ogisch mit dem Verstand – unlogisch mit dem Gefühl, immer’ ”.48 Helduser meint, dass Gilgi die Rationalität der Gefühle anerkennt und versteht, im Gegensatz zu den Männern, die die Gefühlslogik nicht verstehen können. Gilgi selbst will nicht ihre Gefühle zeigen und nennt sie „schafdämliche Gefühlsduselei”.49 Sie sieht Gefühle als etwas, was die Generation ihrer Eltern darstellt. Gefühle zu zeigen, ist daher ein Unterschied z.B. zwischen Mutter und Tochter.50 Eine weitere Perspektive, die sich herausstellt, ist die Verallgemeinerung von Gilgi in Bezug auf das Geschlecht. Martin sagt, dass Gilgi „traditionsgelöst” sei.51 Gilgi antwortet, dass Männer tausendmal traditioneller als Frauen seien.52 Diese Analyse von Helduser ist bedeutsam, weil sie Gilgis Verurteilungen von Gefühlen sowohl gegenüber den Männern als auch gegenüber ihrer eigenen Mutter darstellt.

42 Reinhardt-Becker 2005, S.5.

43 Reinhardt-Becker 2005, S.6.

44 Reinhardt-Becker 2005, S.8.

45 Reinhardt-Becker 2005, S.11.

46 Reinhardt-Becker 2005, S.13.

47 Helduser 2005, S.17.

48 Helduser 2005, S.18.

49 Helduser 2005, S.18.

50 Helduser 2005, S.18.

51 Helduser 2005, S.20.

52 Helduser 2005, S.20.