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Die Kommunikation mit den Müttern

4. Analyse und Diskussion

4.1 Die Kommunikation mit den weiblichen Figuren

4.1.1 Die Kommunikation mit den Müttern

In diesem Kapitel werden die wichtigsten weiblichen Hauptfiguren geschildert und wie sie mit Gilgi kommunizieren. Diese Frauen sind die Mütter, also Frau Kron, Fräulein Täschler und Frau Greif, und Olga, die Freundin Gilgis.

Frau Kron ist die Mutter Gilgis, aber der Leser erfährt schnell, dass Gilgi adoptiert ist.

„ ‚Jilgi!‘ Frau Krons Stimme klingt hoch und trocken, ‚du bist nämlich nicht unser Kind.‘ Gilgi vergisst zu atmen. ‚Was - hast – du – da – gesagt?‘ ‚Du bist nicht unser Kind.‘ […] ‚Nimm’s dir nicht weiter zu Herzen, Kind.‘ “.53 Als Frau Kron diese Mitteilung macht, macht sie das direkt. Sie versucht es nicht besser zu sagen, sondern sagt es einfach so wie es ist. Sie gibt auch keine direkte Erklärung, erzählt aber erst später, von wem sie Gilgi adoptiert haben. Dieses Gespräch zeigt, dass die Beziehung zwischen der Mutter und Gilgi eine Kontrastrelation ist. In dieser Art der Kommunikation zeigt sich die Distanz zwischen Gilgi und der Mutter. Der Tonfall der Mutter wird beschrieben. Laut Helduser, zeigen die Eltern mehr Gefühle, also auch die Mutter, als Gilgi. Aber in diesem Beispiel ist die Mutter sehr emotionslos. Hier wird gezeigt, wie die Mutter-Tochter-Beziehung aussieht und dass sie eigentlich keine tieferen Gefühle füreinander haben. Besonders Frau Kron scheint nicht starke Gefühle für Gilgi zu haben. Die Art und Weise wie sie es sagt, zeigt, dass sie nicht darüber nachdenkt, wie das Gilgi verletzen kann. Ein anderes Beispiel von Frau Kron und der Stimmung in der ganzen Familie, ist, als sie im Wohnzimmer sitzen:

Keiner spricht. Jeder ist stumpf beflissen mit sich selbst beschäftigt. Der vollkommene Mangel an Unterhaltung kennzeichnet das Anständige, Legitimierte der Familie. Das Ehepaar Kron hat sich ehrbar bis zur silbernen Hochzeit durchgelangweilt. Man liebt sich und ist sich treu, eine Tatsache, sie zur Alltäglichkeit geworden, nicht mehr besprochen und empfunden werden braucht.54

Dieses Zitat zeigt, dass die Familie schweigt. Zu schweigen ist auch ein Teil der Kommunikation und ist eine wichtige These von Watzlawick. Hier kann man auch den Beziehungsaspekt der Kommunikation sehen. Weil sie eine Familienbeziehung miteinander haben, kann es sein, dass sie nicht immer sprechen müssen. Sie können schweigen ohne Steifheit zu erleben. Ein anderes Beispiel von Schweigen in der Familie ist das nächste Zitat:

53 Keun 2002, S.30.

54 Keun 2002, S.10.

Gilgi sitzt zu Hause am Kaffeetisch. Herr Kron liest die Zeitung, Frau Kron schlürft den Kaffee, Gilgi streicht sich ihr Brötchen. Keiner spricht. Wie gewöhnlich. Aber Gilgi kommt das Schweigen heute morgen unheimlich vor. [...] ‚Ich hab’ bei Olga geschlafen‘, erzählt sie unaufgefordert. Herr Kron brummelt was Undeutliches, Frau Kron stippt Brötchenkrümel vom Tisch auf und sagt kein Wort. Das Schweigen wird peinlich.55

In diesem Zitat wird gezeigt, dass Gilgi das Schweigen peinlich findet. Es wird auch gezeigt, dass das Schweigen gewöhnlich in der Familie ist. Es ist keine Interaktion zwischen Gilgi und ihren Eltern, sondern nur eine einseitige Kommunikation, eine Mitteilung. Es entwickelt sich kein dialogisches Gespräch. Es entwickelt sich auch keine gefühlsmäßige Verbindung zwischen der Tochter und den Eltern. Hier wird gezeigt, dass die Eltern nicht so viele Gefühle zeigen und das spricht gegen Heldusers Theorie, dass die ältere Generation mehr Gefühle zeigt. Dieses Zitat ist vom Erzählerbericht dominiert und ist ein Beispiel für die These von Vogt. Diese Beispiele, die sich eher auf die Familie im Allgemeinen beziehen, sind wichtig, weil es nicht viele Beispiele gibt, in denen Gilgi mit Frau Kron spricht. Es kann als zusätzliches Zeichen dafür gewertet werden, dass sie keine emotionale Beziehung haben und deshalb sprechen sie oft nicht zu zweit, sondern mit der ganzen Familie. Ein anderes Gespräch, dass Gilgi mit Frau Kron hat, findet statt, als Frau Kron sie fragt, ob sie zusammen mit einem Mann gewesen ist.

,Gilgi, du tust doch nichts Schlechtes, du bist doch nicht schlecht, du bist doch nicht so eine?‘

Gilgi verkrampft die Hände, bis die Knöchel sich wachsweiß von der Handfläche abheben. […]

Sie hätte schon längst von hier fortziehen sollen. […] ,Du warst doch nicht etwa bei einem Mann in der Nacht, Gilgi?‘ […] ,Gilgi, ich hätte nie gedacht, dass du...‘, sie weint leise - ,du warst so ein braves Mädchen, da hat dich einer hypnotisiert, da hat dich einer verführt, warum ist er nicht ins Haus gekommen, wie sich das gehört?‘ […] Gilgi verschwindet in ihr Zimmer und riegelt die Tür hinter sich. Sie angelt ihren großen Koffer vom Schrank herunter, packt ein: Kleider, Wäsche, Schuhe.56

In diesem Zitat wird es deutlich, dass Frau Kron nicht möchte, dass Gilgi zusammen mit einem Mann ist. Es wird durch direkte Rede geschildert und zeigt, wie entsetzt Frau Kron ist. Gilgis Reaktion wird durch einen Gedankenbericht präsentiert, aber sie antwortet nicht. Dass Gilgi ihre Hände verkrampft, ist ein Teil der Körpersprache. Dass die Mutter weint, spricht für Heldusers Theorie, dass die ältere Generation mehr Gefühle zeigt. Am Ende von diesem Zitat kann man auch eine Konsequenz aus diesem Gespräch sehen. Gilgi packt ihren Koffer und zieht danach zu Martin. Diese Aktion verstärkt Gilgis Flucht aus dem Elternhaus. Die

55 Keun 2002, S.107.

56 Keun 2002, S.108-109.

Kommunikation zwischen Mutter und Tochter ist einseitig. Wenn die Mutter mit Gilgi spricht, schweigt Gilgi. Ein echtes Gespräch ist nicht möglich.

Die zweite Mutter Gilgis in dieser Geschichte ist Fräulein Täschler. Das ist was Gilgi zuerst glaubt, aber sie erfährt etwas anderes als Fräulein Täschler ihre Geschichte erzählt.

,Und da sagtse, dasse mit ihre Tochter son Mallör hätt, un das jing nich, ihre Zukunft wär ruiniert, wenn da was rauskäm, un bei mir käms nich so drauf an, die Männer in unsere Kreise, die wärs ejal, wenn en Mädchen en Kind hätt. Un die Sache sollt so jemacht werden, daß das Kind nachher von mir wär, und ich sollt’ zehntausend Mark bekommen.‘57

Zunächst muss erwähnt werden, dass Fräulein Täschler einen kölschen Dialekt spricht, wodurch ihr tiefer stehender sozialer Status angedeutet wird. Sie erzählt Gilgi, dass sie das Kind von einer anderen Frau bekommen hat, die sich nicht um das Kind kümmern konnte, denn ihre Zukunft wäre dann zerstört. Wie im Theorieteil erwähnt, konnten Frauen eine Schwangerschaft wegen des Paragraphen 218 nicht abbrechen. Eine andere Möglichkeit für die Frau war, ihr Kind wegzugeben. Das ist also mit Gilgi passiert. Der Leser der innerliterarischen Kommunikation erfährt Gilgis Antwort auf dieses Gespräch nicht. Es bleibt als ein Monolog stehen. Der soziale Unterschied zwischen Gilgi und Fräulein Täschler ist markant. Fräulein Täschler lebt in einem heruntergekommenen Haus, arbeitet als Näherin, hat wenig Geld und sieht so aus, als hätte sie ein hartes Leben geführt. Deshalb kann keine gegenseitige Kommunikation zwischen den beiden entstehen. Dieses Zitat ist ein Beispiel für die These über Kontrastrelationen von Nünning und Nünning. Die Redeanteile sind nicht gleichmäßig verteilt, weil Fräulein Täschler diejenige ist, die am meisten redet.

Die dritte Mutter Gilgis – und auch die leibliche – ist Frau Greif. Gilgi sucht sie auf, um sich Geld zu leihen.

,Ich verstehe nicht, was Sie meinen!‘ ,Das können Sie ja wohl auch nicht… ja, ja, ich sage schon, was ich will. Ich will fünfhundert Mark von Ihnen haben, und ich will Ihnen sagen, daß Sie meine Mutter sind.‘ ,Daß – ich – was bin?‘ ,Meine Mutter. Wenigstens insofern, als Sie mich vor einundzwanzig Jahren zur Welt gebracht haben.‘ Kurz und klar erzählt Gilgi, was die Täschler ihr erzählt hat. – ,So, und nun wissen Sie alles.‘58

Hier benutzen die beiden direkte Rede, um ihr Gespräch zu führen. Gilgi erklärt sachlich und klar, warum sie da ist. Ganz genau wie Frau Kron, als sie erzählt hat, dass Gilgi adoptiert wurde.

Gilgi spricht viel mehr als Frau Greif und es kann sein, dass sie das Gefühl hat, die Kontrolle

57 Keun 2002, S.49-50.

58 Keun 2002, S.231.

über das Gespräch zu haben. Die Redeanteile sind nicht gleichmäßig verteilt. Gilgi erzählt weiter, warum sie da ist:

,Im übrigen haben Sie nicht die geringste Verpflichtung gegen mich und ich nicht gegen Sie. Wir beide gehen uns nichts an. Ich bin nur aus einem einzigen Grund hier ich brauche Geld. Aber denken Sie um Gottes Willen nicht, ich glaube, das von Ihnen verlangen zu dürfen ich bitte Sie nur darum…‘ [...] ,Immer und nur wollen Menschen Geld von mir haben‘, sagt endlich eine seltsam leere kindliche Stimme.59

In diesem Zitat wird es deutlich, dass Gilgi sehr sachlich ist und keine Gefühle in dem Gespräch bringt. Sie erklärt durch direkte Rede, dass sie nur Geld braucht, nichts anderes. Sie ist recht hart und das Gespräch grenzt an eine Situation von Erpressung. Als Frau Greif am Ende dieses Gesprächs antwortet, wird ihr Tonfall präsentiert. Das Gespräch geht weiter:

,Ich werde nie mehr zu Ihnen kommen, ich wäre nur eine Störung für Sie – und Sie für mich. Und Ihre Welt ist mir fremd und zuwider, ich will nichts mit ihr zu tun haben. Ich muß jetzt gehn – ich habe versprochen zu helfen – das muß ich halten – ich habe keine Zeit mehr, ich muß sehn, wo ich Geld herbekomme.‘60

In diesem Zitat wird der vorherige Satz verstärkt. Gilgi will nichts mit Frau Greif zu tun haben, außer sich Geld zu leihen. Ein Verhältnis mit ihrer Mutter aufzubauen ist nicht wichtig, nur Geld für ihre Freunde zu schaffen. Das zeigt sich durch die direkte Rede. Das Gespräch zwischen Frau Greif und Gilgi zeigt, dass ihre Beziehung eine Kontrastrelation ist. Frau Greif hat kein Geld zu Hause, aber gibt Gilgi mehrere Ringe: „[...] und streift langsam einen Ring nach dem andern von dem schmalen, glatten Fingern – legt einen Ring nach dem andern in Gilgis offene Hände – den blauen Saphir – den grünen Smaragd – die beiden Brillanten und die große Perle.”.61 Frau Greif reagiert heftig und fällt in Ohnmacht. Diese Reaktion spricht für Heldusers Theorie, dass Eltern mehr Gefühle zeigen. Gilgi ist dankbar für die Ringe, aber verlässt Frau Greif danach eilig.

Frau Kron und Fräulein Täschler sprechen zu Gilgi, aber es bleibt bei Monologen. Bei Frau Greif ist es umgekehrt. Gilgi verwendet dieselbe Art des Redens und konfrontiert damit die leibliche Mutter, wodurch es wie eine Erpressung wirkt. Die Kommunikation mit den Müttern ist einseitig und baut keine Beziehungen auf. Die Beziehung zwischen Gilgi und den Müttern kann als eine Kontrastrelation definiert werden.

59 Keun 2002, S.234.

60 Keun 2002, S.235.

61 Keun 2002, S.235.