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Die Kommunikation mit Pit

4. Analyse und Diskussion

4.2 Die Kommunikation mit den männlichen Figuren

4.2.2 Die Kommunikation mit Pit

Eine andere männliche Figur in Gilgis Leben ist Pit. Er ist sehr direkt und ehrlich, das kann man in dem nächsten Beispiel sehen: „ ,Ich friere, Pit.‘ ,Dann musst du irgend wohin gehen wo’s wärmer ist.‘ Pit ist unfreundlich, das ist er meistens. Gilgi nimmt’s ihm nicht übel.

[…] Sie hat ihn gern, man kann sich auf ihn verlassen.”.83 Der erste Teil des Gesprächs ist durch direkte Rede aufgebaut. Der zweite Teil des Zitates ist ein Teil des Gedankenberichts. Gilgi

82 Keun 2002, S.251.

83 Keun 2002, S.33-34.

sagt diesen Teil nicht, sie denkt nur darüber nach. Dass Gilgi sich nicht zu Herzen nehmen kann, was er sagt, kann von dem Inhalts- und Beziehungsaspekt gesehen werden. Wegen ihrer Beziehung kann Gilgi den Inhalt, also was er sagt, deuten und verstehen. Wären sie nicht so gute Freunde gewesen, hätte sie es anders interpretiert.

,Pit, ich wollt’ dich was fragen, ich geh’ vielleicht auch ganz von Haus fort und mach’ mich selbständig.‘ ,Hättste schon längst tun sollen.‘ [...] ,Ich weiß nicht, Pit, ob es anständig ist, seine Eltern…‘ ,Anständig!!‘ Krraacks, Pit hat einen Bleistift zerbrochen, mitten durch. ,Wenn du anständig sein willst, liebe Eltern, Vaterland und Hunde! Heirate und krieg Kinder. Jedem Embryo sein Paragraph 218. Der Staat will Kinder, laufen noch nicht Arbeitslose genug auf der Erde rum.’

Pit redet sich in Wut.‘84

In diesem Gespräch gibt es sowohl direkte Rede als auch beschreibende Körpersprache, die das Gefühl des Gesprächs verdeutlicht. Als Pit den Bleistift zerbrochen hat, versteht man, wie aufgeregt er ist. Auch hier wird Paragraph 218 erwähnt, der sich auf das Verbot eine Schwangerschaft abzubrechen bezieht. Es ist bedeutsam, dass sie ausgerechnet mit Pit über ihre größten Probleme spricht. Er ist unfreundlich, aber sie weiß, dass er eine gesellschaftliche Weltsicht hat. Er kann eine andere Perspektive auf die Probleme einbringen, die für sie hilfreich sein kann. Ein anderes Beispiel von einem anderen Gespräch mit Pit:

,Au, laß meine Hand los, Pit, du tust mir weh.‘ ,Geh jetzt, Gilgi.‘ ,Wiedersehn, Pit.‘ Gilgi steht unten auf der Straße und reibt sich ihr Handgelenk. Hat der Junge einen Griff! Macht der sich das Leben schwer! Und den um Rat fragen! Der hat selber Rat nötig.85

Am Anfang wird das Gespräch durch direkte Rede durchgeführt. Es wird mit Anführungszeichen gezeigt. Die zweite Hälfte des Zitats ist ein Gedankenbericht von Gilgi, der zeigt, wie sie über Pit denkt. Sie hat ihre Gedanken erzählt und hat keinen guten Ratschlag bekommen. Sie denkt, er braucht selbst Rat. Das nächste Zitat ist auch ein Gedankenbericht, der Gilgis Gedanken über Pit schildert: „Dass der Pit so ekelhaft zu mir ist! Er ist doch mein bester Freund! Jetzt hat sie ihm immer noch nicht ihre Geschichte erzählt, hat auch keine Lust mehr dazu.”.86 In diesem Gedankenbericht wird gezeigt, dass obwohl Pit so „ekelhaft” ist, ist er trotzdem ihr bester Freund. Der letzte Satz zeigt auch, dass Pits Verhalten die Kommunikation beeinflusst hat. Sie hat ihre Lust verloren weiter zu erzählen. Im nächsten Zitat möchte Gilgi Pits Ratschlag haben.

84 Keun 2002, S.35.

85 Keun 2002, S.37.

86 Keun 2002, S.60.

,[...] ich bin verhungert nach harter Ehrlichkeit [...]. Sei hart und böse und klar, Pit, ich brauche das. [...] Vielleicht weißt du schon, dass ich jetzt keine Arbeit habe, dass ich mit einem Mann lebe…‘ [...] ,Magst du ihn?‘ ,Seit wann hast du überflüssige Fragen, Pit! [...] Ich bekomme vielleicht ein Kind [...].‘ ,Was – meinst du?‘ […] ,ich habe keine Grenze mehr und keinen Willen, ich kann von heute auf morgen nicht mehr für mich garantieren. Ich glaubte mich unendlich sicher und geborgen in meiner Liebe – jetzt hat sie mich wehrlos gemacht, vollkommen schutzlos – wie ist das möglich, Pit??? [...] Nichts mehr ist sauber und klar und einfach, nicht einmal mehr mein früheres Leben. Vielleicht war alles, was man tat und wollte, nur Flucht von dem – dem eigenen Begehren. [...] Ich habe Angst, Pit.‘87

In diesem Gespräch wird durch direkte Rede gezeigt, dass Gilgi von ihren innersten Problemen erzählt und möchte gerne Hinweise von Pit haben. Die Frage von Pit „Magst du ihn?” findet Gilgi überflüssig. Sie möchte Ehrlichkeit von ihm bekommen, nichts anderes. Sie weiß, dass er hart sein kann und möchte es auch, dass er so ist. Im Roman hatten zwei Freunde von Gilgi Selbstmord mit ihren Kindern begangen und Gilgi gibt sich selbst die Schuld:

,Was für ein Mensch ist man denn, Pit! [...] ja ich weiß es, aber ich weiß es auch nicht - es dringt nicht in mich hinein – nur daß ich da schuld habe, Pit – die Schuld – aber – ich versteh’ das alles nicht… Stumm sinkt sie in sich zusammen – [...] ,Du, Gilgi – quatsch nicht von Schuld – wenn einer sowas tut, dann ist er am Ende – was hast du denn damit zu tun? Daß du statt gestern abend (sic) heut’ morgen hingegangen bist! Mach’ dich nicht lächerlich, bekomm’ nicht den Märtyrerwahn, du dumme Gans. Glaubst du, von dir hinge Tod und Leben ab – bist du so widerlich größenwahnsinnig? Ich sage dir, die hatten keine Spur von Lebensfähigkeit mehr, die hingen von jedem Zufall ab – und tausend Ringe hätten da letzten Endes nicht mehr geholfen... Schuld sind ganz andere Dinge, aber nicht du…‘88

Dieses Zitat besteht meistens von direkter Rede. Gilgi erklärt Pit die Situation und ihre Gefühle.

Pit ist, wie früher, direkt und ehrlich und sagt, dass es nicht ihre Schuld ist, sondern dass gesellschaftliche Umstände die Situation geprägt haben. Pit versucht, Gilgi zu trösten. Dass tausend Ringe keine Rolle gespielt hatten, sie hätten trotzdem Selbstmord begangen. Dass er sie „dumme Gans” nennt, ist nicht herabwürdigend gemeint. Pit sagt das nur, sodass Gilgi versteht, dass es nicht ihre Schuld ist. Sie ist eine „dumme Gans”, die so denkt. Die Körpersprache Gilgis wird auch geschildert. Es wird auch als Schweigen beschrieben, weil sie stumm ist. Gilgi entscheidet sich später, dass sie allein nach Berlin umziehen wird und erzählt Pit im nächsten Zitat, warum sie das machen muss.

,Warum willst du denn überhaupt nach Berlin?‘ Ja, warum! Gilgi sieht Pit an – als wenn der’s wüßte! Warum will sie eigentlich fort? Martin! Aber in einer halben Stunde kann ich bei ihm sein... [...] ,Pit, ich kriege ein Kind. Ich möcht’ es gern haben. [...] Ich kann nicht arbeiten, Pit – mit ihm zusammen. Ich hab’s ja versucht und gesehen und erlebt, wie’s geht. [...] Und siehst du, Pit, ich muß arbeiten und Ordnung haben…‘ [...] ,Und du willst ganz allein mit dem Kind… Oh, du hast Mut!‘ [...] ,Kannst sicher sein, Pit, ich tu’ das, wozu ich am wenigsten Mut brauche. Ich hab’ keine Angst – so für mich allein – ich bring’ mich durch und das Kind auch.‘89

87 Keun 2002, S.169-171.

88 Keun 2002, S.253-254.

89 Keun 2002, S.255-257.

Dieses Zitat fängt mit der Frage von Pit an, warum sie nach Berlin will. Es wird durch direkte Rede geschildert. Danach überlegt Gilgi in einem Gedankenbericht, warum sie das eigentlich will. Es wird hier deutlich, dass sie immer noch überlegt, ob sie fahren soll oder nicht. Sie weiß, dass sie Martin verlassen sollte, aber gleichzeitig liebt sie ihn immer noch. Nach diesem Gedankenbericht geht das Gespräch weiter mit der direkten Rede. Pit sagt, dass Gilgi Mut hat, das Kind allein zu bekommen. Gilgi fühlt sich doch selbstsicher. Jetzt hat sie ihre Selbständigkeit zurück und zweifelt nicht mehr so sehr an sich wie zuvor. Dieses Gespräch ist wichtig, weil es zeigt, dass Gilgi das Vertrauen zu sich selbst wiedergefunden hat. Das Gespräch zwischen Gilgi und Pit geht weiter:

,Du siehst aber ein, Pit, daß ich fahren muß? Und wenn ich fortlaufen will – zurück – dann wirst du mich mit Gewalt zum Zug bringen, nicht wahr?‘ Pit nickt. ,Kannst dich drauf verlassen. Aber du wirst Schwierigkeiten haben, Gilgi.‘ ,Gott sei Dank, Pit! Ich sehne mich krank danach, endlich mal wieder Schwierigkeiten zu überwinden.‘ ,Aber das Kind, Gilgi! Ist ja immer noch so ´ne Sache – ein Kind ohne Vater!‘ ,Will dir was sagen, Pit, es gibt so viel Ehen, wo Vater und Mutter sich widerlich zanken – na, da hat’s ein Kind, das nur ´ne Mutter hat, immer noch besser. Wenn das Kind gesund ist, und wenn ich’s ernähren kann – alles andre ist mir vorläufig egal. Ich bin ja nun mal furchtbar unmoralisch, Pit. Mir fehlt da ein Sinn – wo andre Moral haben, ist bei mir ein leeres Loch. Warum ein uneheliches Kind was Unmoralisches sein soll, versteh’ ich einfach nicht.

Und Pit – ein Gutes: meine Selbstsicherheit in diesem Punkt ist derart unerschütterlich, daß sie sich auch auf andere überträgt.‘90

Gilgi weiß, dass sie nicht ohne Schwierigkeiten im Zug einsteigen wird und deswegen versichert sie sich, dass er ihr helfen wird. Die Körpersprache Pits verstärkt seine Antwort. Pit versucht Gilgi bewusst zu machen, dass es schwierig sein wird, allein ein Kind zu bekommen.

Gilgi ist aber froh, eine Herausforderung zu haben. Sie sieht es als eine Möglichkeit. Pit weist darauf hin, dass es dumm sein kann, ein Kind ohne Vater aufwachsen zu lassen. Sie findet es nicht unmoralisch, ein Kind ohne Vater zu haben und ist sicher mit dem, was sie denkt. Es kann interpretiert werden, dass Gilgi nicht mit den damaligen Vorstellungen zustimmt, wie eine Familie aussehen würde. Insofern stimmt sie mit den Ideen der neuen Frauenbewegung überein.

Dieses Gespräch ist durch direkte Rede geschildert. Hier wird Gilgi eine entscheidende Veränderung ihres Lebens vornehmen und die Argumentation soll deutlich werden. Pit sagt nicht viel, er ist nur ein Ventil für Gilgi. Seine Fragen macht den Willen Gilgis deutlicher und verstärken den Sinn des Gesprächs.

Bei dem Abgang des Zuges möchte Gilgi etwas zu Pit sagen, aber macht das nicht. „Sie reicht noch einmal aus dem heruntergelassenen Fenster Pit die Hand – will was wie „danke

90 Keun 2002, S.257-258.

schön” sagen – bringt kein Wort mehr hervor...”.91 In diesem Beispiel schweigt Gilgi, statt

“danke schön” zu sagen. Es kann sein, dass es einfacher für sie ist, schweigend zu bleiben. In diesem Augenblick sind viele Gefühle in Gilgi geweckt und deswegen kann es schwer für sie sein, etwas zu sagen. Im nächsten Beispiel sagt sie doch etwas zu ihm. „ ,Lieber Pit‘, sagt Gilgi leise und müht sich für ihn ein letztes, kleines Lächeln, das halb gelingt.”.92 Hier wird sowohl der Tonfall der Aussage beschrieben als auch ihre Körpersprache. Gilgi versucht zu lächeln, aber es gelingt nicht ganz. Sie ist dankbar für die Hilfe Pits, aber immer noch traurig und es kann ein Grund dafür sein, warum sie mit ihrem Lächeln nicht erfolgreich ist.

Die Kommunikation zwischen Pit und Gilgi besteht größtenteils aus gleichberechtigten Gesprächen. Am Anfang des Romans kommt es vor, dass Gilgi an Themen festhält, die sie Pit nicht erzählt, aber in den restlichen Beispielen ist er fast der einzige, dem sie etwas erzählen möchte. Gilgi ist ehrlich und erzählt Pit, was sie will und fühlt. Sie will Ratschläge haben und Pit ist ehrlich, wenn er antwortet. Manchmal antwortet er ja nicht so viel und ist nur ein Ventil für Gilgi. Zwischen den beiden gibt es sowohl eine Kontrast- als auch eine Korrespondenzrelation. Es gibt sowohl Gegensätzlichkeiten als auch Übereinstimmungen zwischen Gilgi und Pit. Sie haben nicht die gleichen Einstellungen zum Leben und das ist ein Kriterium für eine Kontrastrelation. Trotz ihrer Unterschiede haben sie auch Gemeinsamkeiten, zum Beispiel, sind sie beide liberal. Das ist ein Kriterium für eine Korrespondenzrelation. Aber manchmal, wenn Pit hart zu Gilgi ist, gibt es keine Antworten von ihr, sondern nur Gedankenberichte. Gilgi akzeptiert Pits schlechtes Verhalten, weil sie ihn für ihren besten Freund hält.