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Archiv "Psychiatrie – Zwangseinweisungen nehmen zu: Ursache nicht erkannt" (21.01.2005)

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weigert seine Mitwirkung. Die Behörde beantragt beim Amtsgericht die Ent- mündigung der Patientin; das Gericht stellt das Verfahren als offenbar unbe- gründet ein. Handelt es sich um den Ein- zelfall einer hyperaktiven Behörde, oder steckt Methode dahinter? Anders als der privat unentgeltlich tätige Auftragneh- mer dürfte ein Betreuer für die so ge- nannte „erforderliche“ Sorgfalt haften.

Die hier vorzugsweise eingesetzten An- gehörigen sind aber regelmäßig gar nicht in der Lage zu beurteilen, was konkret „erforderlich“ sein mag. Wenn Behörden also flächendeckend An- gehörige in Betreuerstellungen drän- gen und sodann schlankerhand zur Zwangseinweisung der Betreuten auf- fordern, bekommen diese ein Problem:

Weigern sie sich, dem unbegründeten Ansinnen Folge zu leisten, und „pas- siert“ dann etwas, kann dies als An- scheinsbeweis dafür gewertet werden, die Zwangseinweisung sei eben doch

„erforderlich“ gewesen. Im Falle etwa einer folgenreichen Selbstbeschädigung des Betreuten dürfte der Betreuer dann schrankenlos haften, etwa im Regress der zahlungspflichtigen Sozialkassen.

Dr. med. Stefan F. J. Langer Guineastraße 14, 13351 Berlin

Offene Fragen

Der Artikel zeigt mögliche Hintergrün- de in kritischer Weise auf, lässt aller- dings den Eindruck entstehen, dass die Zunahme der Klinikaufnahmen im Rah- men der gerichtlichen Genehmigungen völlig ohne positive Konsequenzen bleibt. – Interessant wären auch Details zur Zeitdauer der „Unterbringungen“;

sind die Behandlungzeiten im Rahmen der „Zwangseinweisungen“ gleich ge- blieben, länger oder kürzer im Durch- schnitt? Gibt es Veränderungen der Auf- nahmezahlen in anderen Bereichen:

beispielsweise in „nicht-psychiatrischen Abteilungen“ nach Haus- und Ver- kehrsunfällen demenzerkrankter Pati- entinnen, nach suizidalem Verhalten, mit deliranter Symptomatik . . . oder im polizeilichen Gewahrsam?

Walter Endrikat Hofholzallee 66, 24109 Kiel

Vorsorgevollmacht notwendig

Als Psychiaterin,die selbst ein halbes Dut- zend Mal von psychiatrischen Zwangs- maßnahmen betroffen war, möchte ich Ihnen und dem DÄ ausdrücklich da- für danken, dass Sie sich des Themas, das meiner Erfahrung nach in Fach- kreisen häufig tabuisiert und viel zu sel- ten diskutiert wird, angenommen und dazu noch ein eindringliches Titelbild gestaltet haben. Ich möchte allerdings ergänzen, dass nicht nur die Ursachen diskutiert werden müssen, sondern auch ein Nachdenken über die Folgen begin- nen sollte. Gern wird von Psychiaterin- nen und Psychiatern (auch mir selbst, bevor hautnahe Erfahrung einen Pro- zess des Umdenkens einleitete) be- lächelt, wenn Psychiatrieerfahrene auf die traumatisierende Wirkung solch ei- ner Gewalterfahrung hinweisen. Ohne im Rahmen eines Leserbriefes näher darauf eingehen zu können, möchte ich die These aufstellen, dass durch Zwang bei psychisch kranken Menschen manch ein Chronifizierungsprozess eingeleitet und gefördert wird. Forschung zur Frage der psychischen Folgen von Zwangs- maßnahmen tut Not.

Die Schwelle für Zwangseinweisun- gen sinkt meiner Meinung nach auch bei den beteiligten Ärzten immer mehr, zum einen durch den von Ihnen beschriebe- nen Zeitdruck, zum anderen durch die beruhigende Überzeugung, ja nur zum Wohle der Betroffenen zu handeln. Dies spiegelt sich in den häufig sehr nachlässi- gen Gefährdungsbegründungen, die mir durch meine Tätigkeit in der staatlichen Besuchskommission immer wieder be- gegnen. Oft benennen sie eben keine konkrete Gefahr, sondern leiten diese unmittelbar aus der Erkrankung ab. Da heißt es dann lapidar: „gefährdet sich durch Realitätsverlust“ oder noch deut- licher: „will sich nicht richtig behandeln lassen und gefährdet sich durch Chro- nifizierung“. Die Reihe solcher Bei- spiele ließe sich beliebig fortsetzen, Rechte von Patienten werden offenbar kaum noch wahrgenommen. Man stelle sich nur einmal vor, ähnliche Rechts- maßstäbe würden zur Behandlung häu- figer somatischer Erkrankungen heran- gezogen.

Die geplante Änderung des Betreu- ungsrechtes wird durch die vorgesehene

„Generalvertretungsmacht“ von An- gehörigen zwar sicher dazu beitragen, dass die Unterbringungszahlen sinken.

Für die Betroffenen bedeutet dies aber einen deutlich geringeren rechtlichen Schutz. In psychosozialen Krisensitua- tionen werden Arzt und Angehörige dann „unter sich“ aushandeln können, wem eine psychiatrische Diagnose zu- steht. Das „gesunde“ Familienmitglied kann dann, nach entsprechender ärztli- cher Bescheinigung, den Behandlungs- vertrag mit dem Krankenhaus in Vertre- tung abschließen.Wenn das Gesetz wirk- lich so verabschiedet wird, ist jedem psy- chisch Kranken dringend zu einer Vor- sorgevollmacht zu raten.

Ermutigt hat mich Ihr Hinweis, dass allein klinikinterne Maßnahmen schon zu einer deutlichen Reduzierung von Zwangseinweisungen führen. Ich halte es für dringend erforderlich, dass Zwangs- maßnahmen in ihrer Häufigkeit und Durchführung durch das Qualitätsma- nagement erfasst werden und dass Nut- zer und Öffentlichkeit über die Ergeb- nisse informiert werden. Dann wird es wohl nicht mehr ohne weiteres möglich sein, dass eine große Klinik über Jahre circa 20 Prozent ihrer Patienten (d. h.

mehr als 1 000 Menschen im Jahr) ohne deren Zustimmung behandelt, ohne dass dies zu verstärkten Veränderungsbe- mühungen führt.

Margret Osterfeld Kreuzstraße 28, 44139 Dortmund

Ursache nicht erkannt

Dass sich die „therapeutischen Mög- lichkeiten bei psychischen Erkrankun- gen deutlich verbessern“, Zwangsein- weisungen aber ebenso „deutlich zuge- nommen“, sich verdreifacht haben, be- merkte Prof. Müller wohl zu Recht. Nur bei der Ursache griff er deutlich dane- ben. Er sieht sie in der angeblich un- zulänglichen ambulanten Versorgung.

„Niedergelassene Ärzte sind“, schreibt er, „zu intensiver ambulanter Therapie nicht in der Lage.“ Kassenärztlich sol- len sie ihre Patienten „durchschnittlich 1,7-mal im Quartal sehen können“ und, falls darüber hinausgehend, versuchen, sie gesetzwidrig abzukassieren. Der Au- tor dieser Zuschrift weist die Behaup- T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 3⏐⏐21. Januar 2005 AA123

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tung als haltlose Schmähung zurück. So bescheiden die Vergütung psychiatri- scher Leistungen (im Vergleich zu psy- choanalytischen) ist, hat der Autor die- ser Zeilen während 35-jähriger nerven- kassenärztlicher Tätigkeit nicht einmal einem Patienten die ärztlich angemes- sene und sei es mitunter tägliche Zu- wendung vorenthalten müssen oder diese in Rechnung gestellt . . .

Dr. med. Friedrich Weinberger Maximilianstraße 6, 82319 Starnberg

Fragen

Wenn man im direkten Kontakt mit Pa- tienten arbeitet, stellt sich manches an- ders dar, und es ergeben sich Fragen:

> Welchen Einfluss hat die Verbes- serung der psychiatrischen Versorgung in der jüngeren Vergangenheit darauf, dass mancher schwer und chronisch psychisch kranke Mensch überhaupt erst „entdeckt“, behandelt und dann eben auch manchmal „zwangsbehan- delt“ wurde?

> Was bedeutet es für die Versor- gung schwer und chronisch psychisch kranker Patienten, dass niedergelasse- ne Nervenärzte „als Folge der Budge- tierung ihre Patienten durchschnittlich 1,7-mal im Quartal sehen können“ und dass sie überwiegend neurologisch oder psychotherapeutisch arbeiten?

> Welche Effekte hat der Abbau von Langzeitstationen in den psychiatri- schen Krankenhäusern, der sich ja mit der Einführung des neuen Betreuungs- rechtes überschnitt, auf die Notwendig- keit zwangsweiser Wiederaufnahmen?

> War das hohe Gut der Freiheit wirklich immer besser geschützt, als für die Unterbringung nach PsychKG die Unterschriften zweier approbierter Ärzte notwendig waren, auch wenn die- se nicht psychiatrisch erfahren sein mussten und über keine entsprechende Weiterbildung verfügten, sodass ihre

„Gutachten“ bei Fachkollegen mitun- ter für Erstaunen sorgten?

> Setzt nicht die skizzierte Alternati- ve zur Zwangseinweisung, bei der man sich „intensiv kümmern und ein Restri- siko zu tragen bereit sein“ muss, wenig- stens eine partielle, wie auch immer ge- artete Behandlungsbereitschaft voraus,

die eben nicht bei allen akut psychoti- schen Patienten vorhanden ist?

Die Würde und die Rechte der be- troffenen psychisch kranken Menschen bei Zwangsunterbringungen zu beach- ten und zu wahren ist eine Aufgabe al- ler am Verfahren Beteiligten, die mögli-

cherweise nicht immer optimal gelingt.

Uns aber – wie in dem Artikel gesche- hen – pauschal in die geistige Nähe von totalitären Staaten zu rücken ist nicht angemessen.

Dr. med. Jutta Bernick

Sozialpsychiatrischer Dienst,Wolfshof 10, 37154 Northeim Dr. med. Klaus-Peter Frentrup

Am Reinsgraben 1, 37085 Göttingen

Schlusswort

Geprügelt wird der Bote einer schlech- ten Nachricht, die man nicht schätzt.

Die Prügelmethoden: Gegenbehaup- tungen, alles sei nicht so, empirisch nicht gesichert, universitäre Weltfremd- heit, die Mitteilung verunglimpfe; und wenn sie doch stimme, sei Zwang auch gut, usw.

Ja, die Nachricht schätzen wir nicht.

Sie macht betroffen. Dem stimme ich zu, deshalb habe ich die Fakten publi- ziert. Sie müssen uns Sorge machen und nachdenklich werden lassen. Zur Sache:

Methodisch sind nach eigener Erfah- rung klinikinterne Statistiken (die Kol- ler und Spengler anführen) manchmal lückenhaft. Deshalb haben wir bezüg- lich PsychKG eine Vollerhebung bei

den Ordnungsämtern (die alle Einwei- sungsanträge bearbeiten) gemacht. Die Betreuungseinweisungen basieren auf den Akten der genannten Vormund- schaftsgerichte. Die Orte sind in den Publikationen genannt, die Daten sind damit nachprüfbar, teilweise im Inter- net abrufbar. Das ist empirisch gesichert. Herrn Koller habe ich nach unserer ersten Veröf- fentlichung 2001 vorgeschla- gen, seine anderen (und teil- weise sogar höheren) Zahlen und insbesondere seine Erhe- bungsmethoden zu publizie- ren. Er hat es nicht getan.

Zum Ergebnis: In Deutsch- land gibt es eine Zunahme von Unfreiheit, auf verschiedenen Ebenen. Und wir Psychiater wirken daran teilweise mit.

Natürlich ist Zwang manchmal unumgänglich. Der Anstieg ist das Problem. Inzwischen sind bezüglich unfreiwilliger Klinikeinwei- sungen unsere Ergebnisse durch eine Publikation bundesweiter und inter- nationaler Zahlen von Salize und Dressing bestätigt worden (Brit. J.

Psychiatry 2004, S. 163–168). Deutsch- land ist dabei neben Österreich und Finnland Spitzenreiter, mit deutlichem Anstieg.

Der Entwurf des Betreuungsrechts- änderungsgesetzes schreibt in der Be- gründung: „Die Betreuungsfallzahlen sind erheblich gestiegen. Die Kosten sind . . . explosionsartig gestiegen.“ Ne- dopil et al. protestieren mit Recht ge- gen alleinige Kostendämpfungsbemü- hungen (Nervenarzt 2004, S. 526–528).

Zum Maßregelvollzug hat Spengler selbst kürzlich im Ärzteblatt (Heft 41/2004) einen „ungebremsten Zu- wachs“ mit „Trend zum Wegschließen“

beklagt.

Bagatellisierungsversuche helfen nicht weiter. Frau Osterfeld benennt zutref- fend „Die Schwelle für Zwangsein- weisungen sinkt . . .“. Wir können nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern müssen in unserem jeweiligen berufli- chen Feld Hintergründe sorgfältig prü- fen und überdenken.

Prof. Dr. med. Peter Müller

Universitätsklinik Psychiatrie und Psychotherapie Von-Siebold-Straße 5, 37075 Göttingen T H E M E N D E R Z E I T

A

A124 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 3⏐⏐21. Januar 2005

Der an Schizophrenie erkrankte Ulrich T. malte dieses Bild „Ohne Titel“ (Katze, 1978) während eines sta- tionären Aufenthalts in der Psychiatrie.

Foto:Eberhard Hahne

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