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Archiv "Jugendstudie: Politiker sind unglaubwürdig" (20.06.1997)

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U

nrealistisch oder inaktiv wären die falschen Worte, um die heutige Generation von Ju- gendlichen zu beschreiben.

Bereits in der frühen Schulzeit sind sie mehr denn je gefordert, wird Leistung verlangt. Die Heranwachsenden sind sich bewußt: Nur wer eine gute Quali- fikation hat, kann sich später auch in der Berufswelt

etablieren. Die 12. Jugendstudie des Jugendwer- kes der Deut- schen Shell zeigt auf: Sowohl in der Schule als auch in der Frei- zeit wirken Ju- gendliche enga- giert mit. Dabei ist ein Faktor für den Einsatz be- sonders wichtig:

Spaß. Er ist das mindeste, was

herausspringen muß, egal wofür sich der Jugendliche heute einsetzt.

Das Spektrum der Aktivitäten ist weit gestreut. Von Schulmitwirkung oder Theatergemeinschaft über Ju- gendgruppen und Kirche bis hin zum Engagement im Verein reicht die Spanne. In selbsterwirkten Verände- rungen findet gerade diese Alters- gruppe ihre Bestätigung. Es macht ih- nen Spaß, Erfolg „zu ernten“. Und es macht ihnen Spaß, dabei ernst ge- nommen zu werden.

Als ein stark bremsend wirken- der Faktor für die Motivation der jun-

gen Generation wird die Bürokratie gewertet. Wenn Paragraphen nicht mehr die Richtung weisen, sondern nur noch zusätzliche Arbeit verursa- chen oder etwa den gesamten Einsatz in Frage stellen, hört bei den Jugend- lichen der Spaß auf.

Wenig erfreut zeigt sich die junge Generation auch, wenn ihr keiner

zuhört oder sie sich nicht für voll ge- nommen fühlt: in der Politik trifft dies nach Auffassung der Jugendlichen ganz überwiegend zu.

Nahrung: Indikator für Interessen

Bei der Auswahl der Nahrungs- mittel der Jugendlichen gab es in den letzten sechs Jahren einen deutlichen Trend zu verzeichnen: Es wird weni- ger Fleisch gegessen. Bei einer 1991 vorgenommenen Befragung gaben

noch über zwei Drittel an, eine Ernährung mit Fleisch zu bevorzu- gen. Inzwischen ist die Zahl auf 60 Prozent zurückgegangen. Ebenfalls wuchs der Personenkreis derer, die sich zumindest fleischarm ernähren wollen, von 30 auf 36 vom Hundert.

Dabei verzichten Mädchen und junge Frauen öfter auf tierische Proteine (52 Prozent fleischarm, 6 Prozent vegetarisch) als der männli- che Teil ihrer Altersstufe (22 Prozent fleischarm, 2 Prozent vegetarisch).

Außerdem sind in puncto Fleisch zwei weitere Unterschiede zu ver- zeichnen: Im Westen ernähren sich mehr Jugendliche fleischlos oder fleischarm (42 Prozent) als im Osten (35 Prozent). Die Menge der Perso- nen, die darauf verzichten, ist außer- dem auch bildungsabhängig, der Ver- zicht steigt mit dem Grad der schuli- schen Qualifikation.

Auffallend sind die Unterschiede in beiden Gruppen, was die Interes- sen angeht: Grundsätzlich sind die

„Fleischliebhaber“ positiver einge- stellt, haben tendenziell ein Vorbild aus dem Sport (erste Nennung).

Die andere Seite sucht ihre Leitbilder eher unter Schauspielern oder Künst- lern. Auch hat sie ein geringeres Interesse an Technik (55 gegenüber 70 Prozent).

Korrupt und interessengeleitet

Das Bild, das Jugendliche von der Politik und von den Politikern ha- ben, ist recht homogen. Politik und Politiker sind unglaubwürdig, inter- essengeleitet, langweilig, trocken, un- ehrlich, korrupt und vom Alltagsle- ben „Schaltjahre entfernt“. Politiker sind „alt“, ihre Reden schläfern ein, sie sind „träge“, „elanlos“ und reden, um zu reden, nicht aber, um zu han- deln. Nur sehr wenige der im Rah- men der Studie Befragten stehen hin- ter der derzeitigen Politik und finden einzelne Politiker glaubwürdig. Da- bei differenzieren die wenigsten Ju- gendlichen diese Aussagen nach den einzelnen Parteien. Die Parteien- landschaft scheint für sie vielmehr anonymisiert gleich, genauso wie auch die Programme der Parteien, die sich kaum voneinander unter- A-1712 (36) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 25, 20. Juni 1997

T H E M E N D E R Z E I T BERICHTE

Grafik

19 19 20 21

27 28

32 36

45

Gesund-

heit Geld

Gewalt Kriminalität

Zukunfts- angst

Schule, Lehre

Lehrstellen- mangel

Familie, Freunde

Drogen Arbeits- losigkeit

Die gesellschaftlichen Hauptprobleme Jugendlicher 1997

12. Shell Jugendstudie:

Umfrageergebnis in Prozent (Mehrfachnennungen)

Jugendstudie

Politiker sind unglaubwürdig

Die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen steigt kontinuierlich, Ausbildungsplätze sind rar, und selbst wer als junger Erwachsener einen Job bekommt, weiß nicht, ob und welche Rente er erhalten wird. Die Zukunftsperspektiven sind für die heutige Jugend alles andere als rosig. Verantwortlich für den derzeitigen Mißstand sind für die Heranwachsenden die „Herren im grauen Anzug“, die Politiker, die nichts anderes tun als reden. Reden, ohne zu handeln und ohne einen Bezug zur Rea- lität, geschweige denn zur Jugend. Dies sind nur einige Aussagen der Studie

„Jugend ´97“, die vom Jugendwerk der Deutschen Shell veröffentlicht wurde.

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schieden. „Parteiklüngel“ und nicht eingehaltene Wahlversprechen domi- nieren den Eindruck, folgenlose Re- den im Bundestag und undurch- schaubare Gegnerschaften und Posi- tionen ziehen bei Jugendlichen Des- interesse nach sich. „Politik“ und

„politische Prozesse“ scheinen kei- nen Anfang und kein Ende zu haben.

Der gleichbleibende (Rede-)Fluß im- mer gleicher (Fernseh-)Bilder und immer gleicher Personen vermittelt den Jugendlichen den Eindruck von Entscheidungs- und Folgenlosigkeit.

Entsprechend ist das Bild vom politi- schen Geschäft: es bestehe daraus, daß Politiker tagaus, tagein in Gremi- en sitzen und wirkungslosen Reden zuhören. Politik habe nichts mit Le- ben zu tun. Politik beschäftige sich auch nicht mit wirklichen Ängsten und Problemen der Jugendlichen.

Überhaupt sind die Probleme in den Augen der Zielgruppe der Erhebung gerade den Politikern nicht bekannt.

Vielmehr seien die „Herren im grau- en Anzug“ mehr damit beschäftigt, ihren Besitzstand zu wahren und langfristig abzusichern.

„Manchmal denke ich, daß Politi- ker sowieso alle bestechlich sind, weil sie anders nicht hochkommen. Es ist wahrscheinlich ein Vorurteil, aber das habe ich. Es ist ein schmutziges Ge- schäft, denn es geht nur um Macht und um Geld.“ (weiblich, 25 Jahre)

Die Probleme

Die Gesundheit ist – typisch für diese Altersgruppe – ein untergeord- netes Problem. Nur knapp jeder fünf- te Befragte sah dies als einen nen- nenswerten Punkt an. Auch Geldsor- gen wurden nur von 19 Prozent ange- sprochen. Ein anderer Bereich berei- tet den Jugendlichen wesentlich mehr Kopfzerbrechen:

Fast jeder zweite (45,3 Prozent) sieht in der Arbeitslosigkeit das größ- te Problem, mit dem er konfrontiert werden könnte. Auch Lehrstellen- mangel und die Sparpolitik mit direk- ten Auswirkungen auf Jugendeinrich- tungen, der Sozialabbau und die feh- lende Rentensicherheit, die Armut von Bevölkerungsgruppen sowie die Ausländer- und Gewaltproblematik sind Themen, die in der jungen Gene-

ration für viel Gesprächs- und Diskus- sionsstoff sorgen. Dabei kristallisiert sich mehrheitlich der Eindruck her- aus, daß die Politik und das politische System in diesen Bereichen versagt haben. Die Auswirkungen des Versa- gens träfen vor allem die Jugendli- chen in den neuen Bundesländern, deren berufliche Zukunft in den Ster- nen stehe und die sich von den Ver- sprechen der Politiker – vor und nach der Wende – getäuscht fühlten.

Der Frust

Die Folge: Resignation, Enttäu- schung und Frust, aber auch die Vor- stellung (im Osten), daß es in der ehe- maligen DDR doch auch sehr Positi- ves gab („Jeder hatte Arbeit und war abgesichert“). Die Sparpolitik, die stark Jugendzentren, Jugendclubs und Schulen betrifft, hinterläßt den Eindruck, daß es der Politik nicht darum geht, wirklich etwas für Jugendliche zu tun und sich mit deren Bedürfnissen und Wünschen zu beschäftigen. Häufig argumentieren Jugendliche, daß Aggression und Ge- walt beziehungsweise Gewaltbereit-

schaft in ihrer Altersgruppe das Er- gebnis einer solch kurzfristig gedach- ten Sparpolitik sind.

„Die Politiker haben diese Miß- stände mitzuverantworten, diese Ag- gressivität und Gewaltbereitschaft.

Zum Beispiel, weil sie im Bildungs- und Forschungsbereich permanent Mittel kürzen. Dabei ist das die Domä- ne Deutschlands. Wir haben keine Rohstoffe, teure Löhne. Deutschland kann nur überleben, wenn wir für die Welt vordenken. Das heißt, man muß sehr stark in Ausbildung investieren.

Genau aus dem Bereich wird das Geld aber zuerst abgezogen. Schulklassen mit über 35 Schülern sind Usus. In die- sen Bereichen wird das Geld abgezo- gen. Statt dessen werden zum Beispiel Rüstungsfirmen subventioniert, ein Unding, denn entweder ist eine Firma wirtschaftlich, oder sie ist weg. Punkt.

Diese perverse Geldverschwendung haben Politiker zu verantworten.“

(weiblich, 26 Jahre)

Das alltägliche Leben

Im Mittelpunkt des Interesses von Jugendlichen steht das eigene, alltägliche Leben, das es so gut wie möglich zu meistern gilt und das sich durch Lebendigkeit, Spontaneität und Spaß auszeichnen soll. Hier spie- len die Clique und der jeweilige Freundeskreis sowie die Partner- schaft die wichtigsten Rollen. Dem- entsprechend sind auch die Zukunfts- bilder in erster Linie privater Natur.

Politik und Gesellschaft nehmen da- gegen einen geringeren Stellenwert ein. Eine Familie wird angestrebt, am liebsten im eigenen Haus mit Garten, und eine gutbezahlte, sichere und in- teressante Arbeit, durch die sich Ur- laub und Wohlstand finanzieren las- sen. Ebenso steht ein großer, zuver- lässiger Freundeskreis mit oben auf der Wunschliste.

Hohe ethische Maßstäbe werden dabei an alle Personen und Dinge angelegt, mit denen Jugendliche zu tun haben. Ehrlichkeit, Toleranz, Authentizität, Integrität, Offenheit und Glaubwürdigkeit sowie Spon- taneität gehören mit zu den wich- tigsten Parametern, nach denen Sachverhalte und Menschen beurteilt

werden. Marc Seidel

A-1714 (38) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 25, 20. Juni 1997

T H E M E N D E R Z E I T BERICHTE

Die Studie

Zum 12. Mal hat sich das Ju- gendwerk der Deutschen Shell mit den Jugendlichen und deren Proble- men beschäftigt. Die Studie gliedert sich in einen qualitativen und einen quantitativen Teil und enthält außer- dem verschiedene biographische Porträts. Hier wurden 60 qualitative Explorationen mit Jugendlichen und Heranwachsenden im Alter zwi- schen 13 und 29 durchgeführt. 19 Biographien schildern und erklären die unterschiedlichen Handlungs- weisen der Altersgruppe. Die Studie versucht zu skizzieren, was den Ju- gendlichen weh tut, was sie antreibt.

Mehr als 2 000 repräsentative Perso- nen zwischen 12 und 24 Jahren nah- men an der quantitativen Studie teil, füllten Fragebögen aus und beant- worteten kurze Fragen. Die gesamte Studie „Jugend ’97“ füllt 466 Seiten und ist im Verlag Leske + Budrich, Opladen, erschienen.

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