DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
D
ie heiße Phase im Streit um das richtige und vor allem politisch durchsetz- bare Konzept für eine Absiche- rung des Pflegerisikos wurde in der vorvergangenen Woche mit einer „Gipfelkonferenz" aller für das Problem relevanten Gruppen und Verbände in Bonn eröffnet. Der für dieses Projekt federführende Bundesarbeitsmi- nister Dr. Blüm hat erwartungs- gemäß das erreicht, was er mit dieser „vorparlamentarischen Pflichtübung" bezwecken wollte:nämlich öffentlich zu demon- strieren, wie groß der Kreis der Befürworter und wie relativ klein die Gruppe der Gegener seines Modells einer solidari- schen Pflichtversicherung als fünfter Säule der Sozialversiche- rung ist. Wie zu erwarten, be- harrten die Arbeitgeber auf ih- rer Position, daß die Pflegebe- dürftigkeit kein Risiko ist, das mit dem Beschäftigungsrisiko verbunden ist und daher privat- rechtlich, aber obligatorisch ab- gesichert werden sollte. Sie ver- weigern im Schulterschluß mit
Pflegeversicherung
Gipfelkonferenz
der FDP und dem Wirtschafts- flügel der CDU eine je zur Hälf- te durch Arbeitgeber und Ar- beitnehmer finanzierte Absiche- rung des Pflegerisikos unter dem Dach der gesetzlichen Kranken- versicherung.
Blüm und die Befürworter seiner sozialversicherungsrecht- lichen Lösung lehnten das Ar- beitgeber-Modell (Kapitaldek- kungsverfahren) ab: Eine priva- te Absicherung und die Heran- ziehung von Übergangsfonds seien keine Lösung des Pro- blems. Dabei ist allerdings noch nicht ausgelotet worden, ob ein sachgerechter Kompromiß auch auf der Basis einer sozialrechtli- chen Lösung bei gleichzeitiger Wahlmöglichkeit einer privaten Voll- oder/und Zusatzversiche- rung zustande kommen kann.
Die Bundesärztekammer und ihr Präsident haben — trotz
ihres ursprünglichen Vorschla- ges für ein steuerfinanziertes Leistungsgesetz — auch Positives der von Blüm verfochtenen Lö- sung abgewinnen können, aller- dings nur unter mehreren Be- dingungen: Bei einer organisato- rischen Anbindung der Pflege- versicherung an die Krankenver- sicherung muß strikt darauf ge- achtet werden, daß der neu zu etablierende Sozialleistungs- zweig eigenfinanziert und des- sen Budget getrennt vom Etat der Krankenkassen verwaltet und finanziert werden. Keines- falls dürfen erneut Lasten ver- schoben werden und die Finan- zierungsströme — je nach poli- tischer Opportunität und Liqui- dität der Kassen — miteinander vermischt werden. In diesem Punkt sehen sich Bundesärzte- kammer und KBV mit Politikern der SPD-Fraktion einig. Bei al- ler Notwendigkeit, das Lebensri- siko Pflege obligatorisch abzusi- chern, darf es nicht zu erneuten unbezahlbaren und zudem unso- lidarischen Verschiebungsaktio- nen kommen! HC
A
ls Bundesarbeitsminister Dr. Norbert Blüm vor gut zweieinhalb Jahren in Sa- chen Heilmittel-Zuzahlung der Kassenärztlichen Bundesverei- nigung (KBV) eine Aufsichtsan- ordnung ins Haus schickte, lag er auf der ganzen Linie dane- ben. Das hat er jetzt schriftlich:festgestellt und verkündet vom nordrhein-westfälischen Lan- dessozialgericht in Essen.
Mit dem Urteil der zweiten Instanz ging ein Rechtsstreit zu Ende, der ein bezeichnendes Licht auf das Verhältnis zwi- schen dem GRG-Schöpfer Blüm und der Kassenärzteschaft warf.
Zum erstenmal überhaupt hatte ein Bundesarbeitsminister ver- sucht, seine Meinung gegenüber den Kassenärzten per Aufsichts- anordnung durchzusetzen. Der Streit war über die Frage ent- brannt, ob auch die niedergelas- senen Ärzte eine zehnprozenti- ge Zuzahlung zu Heilmitteln von ihren Patienten einziehen müs-
Heilmittel
Bauchlandung
sen (DÄ Hefte 4 und 15/1989).
Blüm war sich da ganz sicher ge- wesen, selbst wenn die Heilmit- tel im Rahmen der ärztlichen Behandlung verabreicht werden.
Für die KBV stellte sich die Rechtslage hingegen völlig an- ders dar: Die Abgabe von Heil- mitteln und die ärztliche Be- handlung sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Gesprächsangebo- te der KBV zur Klärung der strittigen Frage halfen nicht wei- ter. Im Gegenteil, bereits nach dem ersten Treffen im Ministe- rium war die Sache für Blüm entschieden. Es folgte die Auf- sichtsanordnung, mit der die KBV unter Androhung eines Zwangsgeldes aufgefordert wur- de, gegenüber den Kassenärztli- chen Vereinigungen die Blüm-
sehe Interpretation der Zuzah- lungspflicht zu verbreiten und nichts Gegenteiliges mehr zu be- haupten. — Die Klage der KBV vor dem Kölner Sozialgericht führte zunächst zum Wegfall des Zwangsgeldes. Auch der von Blüm geforderte Widerruf kam nicht durch. In der Sache jedoch folgten die Kölner Richter der ministeriellen Rechtsauffassung weitgehend. Ein Urteil freilich, das vor der zweiten Instanz kei- nen Bestand hatte. Das Landes- sozialgericht beschied eindeutig:
Die Blümsche Aufsichtsanord- nung ist rechtswidrig. Zwischen den Zeilen der Urteilsbegrün- dung ist deutliche Kritik daran zu erkennen, daß Blüm mit sei- ner Anordnung entschieden zu weit gegangen ist.
Die Frage der Heilmittel- Zuzahlung in der Kassenpraxis an sich ist nicht definitiv ent- schieden. Es ging ja „nur" um die Rechtmäßigkeit der Auf- sichtsanordnung. JM
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Dt. Ärztebl. 88, Heft 36, 5. September 1991 (1) A-2849