DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
D
er Vorschlag des Bundes- arbeitsministers zur Um- setzung der EG-Richtlinie„Allgemeinmedizin" bringt erneut Bewegung in eine die Ärzteschaft seit Jahrzehnten bewegende, um nicht zu sagen entzweiende Dis- kussion. Soll jeder Arzt, der sich allgemeinmedizinisch betätigt, ei- ne Weiterbildung zum Allgemein- arzt nachweisen? Die Frage be- schäftigt die Deutschen Ärztetage seit rund 30 Jahren.
Der Arbeitsminister will das Problem zumindest für die kas- senärztliche Niederlassung lösen und die Zulassung zum Kassen- arzt von einer abgeschlossenen Weiterbildung abhängig machen.
Er schlägt zugleich vor, das Medi- zinstudium von sechs auf fünf Jahre zu verkürzen. Anlaß für Mi- nister Blüms Vorstoß ist jene EG- Richtlinie, zu deren Umsetzung die Bundesrepublik verpflichtet ist. Danach muß ab 1990 eine mindestens zweijährige allge- meinmedizinische Ausbildung im Anschluß an das Medizinstudium eingeführt werden. Ab 1995 muß jeder EG-Mitgliedsstaat die Aus- übung des ärztlichen Berufes als ',praktischer Arzt" im Rahmen des Sozialversicherungssystems vom Besitz eines entsprechenden
„Diploms" abhängig machen.
Z
wei unterschiedliche Kon- zepte für die Umsetzung der Richtlinie stehen sich gegen- über. Die Bundesländer und mit ihnen auch das Bundesgesund- heitsministerium haben sich auf das „6 plus 2-Modell" festgelegt.Sie gehen vom geltenden Recht aus, also vom sechsjährigen Medi- zinstudium, der anschließenden
18monatigen AiP-Zeit sowie einer sechsmonatigen kassenärztlichen Vorbereitungszeit. Damit, so die Länder und das Gesundheitsmini- sterium, ist die EG-Forderung er- füllt.
Die Alternative wäre das Mo- dell des Bundesarbeitsministeri- ums, das nicht allein von Blüm, sondern auch von der Kassenärzt- lichen Bundesvereinigung (dazu die Berichterstattung in diesem Heft) favorisiert wird. Danach soll auf ein fünfjähriges Medizinstudi-
6 plus 2
oder 5 plus 3
um eine dreijährige Weiterbil- dung zum Allgemeinarzt aufge- stockt werden. Am Ende stünde die Anerkennung als „Allgemein- arzt" (das 6 plus 2-Modell endet mit dem „praktischen Arzt").
Blüms Vorschlag ist nicht ein- fach durchzusetzen. Er setzt vor- aus, daß das Medizinstudium tat- sächlich um ein Jahr verkürzt wer- den kann. Er geht zugleich davon aus, daß das ärztliche Weiterbil- dungsrecht geändert wird. Bisher dauert die allgemeinmedizinische Weiterbildung vier Jahre.
ie Änderung der Weiter- bildungsordnungen wäre gewiß das einfachere Pro- blem. Kompliziert ist die Verkür- zung des Medizinstudiums Kom- pliziert deshalb, weil es auch hier eine EG-Vorschrift zu beachten gilt. Das Medizinstudium hat nämlich mindestens 5500 Stunden zu umfassen. In der Bundesrepu- blik entfallen allein 1920 Stunden auf den letzten Teil des Studiums, das sogenannte praktische Jahr.
Würde das praktische Jahr entfal- len, müßten diese Stunden auf die verbleibenden fünf Jahre verteilt werden. Das aber würde eine grundlegende Änderung des me- dizinischen Studiengangs erfor- dern. Die Semesteraufteilung und die langen Semesterferien müß- ten entfallen. Mit Sicherheit müß- ten die Medizinstudentenzahlen drastisch zurückgefahren werden, um in der kürzeren Zeit intensiver ausbilden zu können.
Für die Reform des Medizin- studiums wäre Blüms Kollegin, die Bundesgesundheitsministerin, derzeit Ursula Lehr, zuständig.
Anfänglich hatte es in Bonn ge- heißen, Dr. Blüm
sei bei
Frau Professor Lehr auf Zustimmung gestoßen. Anläßlich des 92. Deut- schen Ärztetages am 2. Mai inBerlin hat Frau Lehr freilich hochgespannte Hoffnungen ge- dämpft. Sie sicherte zwar zu, die Möglichkeiten für ein fünfjähri- ges, strukturell verändertes Medi- zinstudium zu prüfen. Sie machte zugleich aber auf das ungelöste Problem der Ausbildungskapazi- täten aufmerksam und appellierte
„mit allem Nachdruck an die Län- der, eine entsprechende Entschei- dung zu treffen, und zwar jetzt".
Frau Lehr wies auch darauf hin, daß sich das Modell des Bun- desarbeitsministers nicht kurzfri- stig wird realisieren lassen. Diese Erkenntnis setzt sich auch inner- ärztlich langsam durch. Die Kas- senärztliche Bundesvereinigung rechnet nicht damit, das Modell noch 1990 in die Tat umsetzen zu können; sie spricht von 1995. An- dere denken in weitaus längeren Zeiträumen.
Kurzum, zur Zeit zeichnet sich die folgende Konstellation ab: allenthalben scheint man be- reit zu sein, in Sachen Weiterbil- dung zum Allgemeinarzt etwas zu tun. Einmal, um die allgemein- ärztliche Qualifikation zu sichern, und zum anderen auch, um ein ur- altes innerärztliches Problem end- lich vom Tisch zu bekommen Auf die Formel 5 plus 3 könnten sich vermutlich alle einigen. Offen ist, ob die 5, also das verkürzte Medi- zinstudium, tatsächlich erreicht werden kann. Diese Frage gilt es im Gespräch mit Politikern und Fakultäten zu klären.
H
ilfreich wäre dabei ein in- nerärztlicher Konsens. Der Präsident der Bundesärz- tekammer, Dr. Karsten Vilmar, hat das im Anschluß an die Aus- führungen von Frau Lehr so for- muliert: „Über die Gesamtproble- matik konnte zwischen Kassen- ärztlicher Bundesvereinigung und Bundesärztekammer sowie weite- ren Verbänden bislang noch keine einheitliche Auffassung entwik- kelt werden, außer der, daß ein Konsens in dieser für die Gesamt- ärzteschaft wichtigen Frage not- wendigist, damit sich die ärztliche
Argumentation bei der politi- schen Meinungsbildung nicht ge- genseitig blockiert." NJ
Dt. Ärztebl. 86, Heft 19, 11. Mai 1989 (1) A-1361