Antidepressive Therapie
Häufig zu kurz und zu niedrig dosiert
ind die depressiv Kranken die Stiefkinder in unse- rer Gesellschaft, die durch die Maschen des Ge- sundheitssystems fallen? Daten, die beim Smith- Kline-Beecham-Satelliten-Symposium „Patients in Mind“ im Rahmen des „VIIIthCongress of the European College of Neuropsychopharmacology“ in Venedig vor- gestellt wurden, lassen das vermuten. Die Depres-I-Stu- die (Depression Patient Research in European Society) bestätigte frühere Untersuchungen zur Prävalenz. 6,9 Prozent der Erwachsenen leiden an einer Major und 1,8 Prozent an einer Minor Depression, dazu kommen 8,3 Prozent mit „erträglichen“ Stimmungsschwankungen.
Die Zahlen wurden im Rahmen einer repräsentativen Befragung von rund 80 000 Bürgern in Belgien, Deutsch- land, Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden und Spanien erhoben.
ei Hinweisen auf psychische Probleme wurde mit der modifizierten Form des Mini (Mini-Interna- tional Neuropsychiatric Interview) der Schwere- grad genauer spezifiziert. Die Depres-Daten decken zu- gleich aber auch Mängel in der medizinischen Betreuung von depressiven Patienten auf: Bei 42,5 Prozent der Be- fragten bestanden die Symptome länger als zwei Jahre und bei 16,6 Prozent länger als zehn Jahre. 69 Prozent der als an einer Major Depression leidend identifizierten Per- sonen hatten aus diesem Grund einen Arzt konsultiert, und in 41 Prozent der Fälle war auch eine medikamentö- se Therapie eingeleitet worden, aber nur bei 18 Prozent mit einem Antidepressivum – mit einer Bandbreite zwi- schen den einzelnen Ländern von 12 bis 26 Prozent, bei der Deutschland eher am unteren Ende rangiert. Als
„Ersatz“ war in den meisten Fällen, soweit die Befragten Angaben dazu machen konnten, ein Tranquilizer ver- schrieben worden.
aß jedoch auch die Verordnung von Antidepres- siva nicht unbedingt gleichzusetzen ist mit ad- äquater Behandlung, machen Ergebnisse einer Untersuchung aus Schottland deutlich. Über einen Zeit- raum von dreizehn Monaten hatte man in der Region Tayside 85 631 Rezepte, die für 20 226 Patienten mit der Diagnose Depression ausgegeben worden waren, analy- siert und in Relation gesetzt zu den von den wissenschaft- lichen Gesellschaften empfohlenen Therapierichtlinien – ausreichend hohe Dosis über mindestens neunzig Tage.
Diese Kriterien wurden nur bei einer Minderheit von Pa- tienten erfüllt. In 95 Prozent der Fälle wurden trizykli- sche Antidepressiva und in 60 Prozent selektive Seroto- nin-Wiederaufnahmehemmer in subtherapeutischen Do- sen und/oder über einen zu kurzen Zeitraum – im Mittel dreißig Tage – verordnet. Gabriele Blaeser-Kiel
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S P E K T R U M AKUT
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(4) Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 4, 26. Januar 1996