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Archiv "Japans Psyche ist anders" (02.03.1978)

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Frankreich: Medizinstudium

Der Weg zu einer Facharztweiterbil- dung ist in Frankreich noch nicht einheitlich geregelt, jedoch sind, auch im Hinblick auf die Europäi- sche Vereinheitlichung, Reformbe- strebungen im Gange.

Literatur

Panorama des ötudes mädicales Edition 1976/

77 — Quelle voie choisir? Annäe universitaire 1976/77 beide zu beziehen durch: Thäraplix, rue Albert F-75640 Paris — Getting, A., La säcu- ritä sociale/Presses universitaires de France Paris 1976 — Höran, J., Guide pratique des ätudes mädicales/Flammarion, Paris, 1976 — Hofmann, H., Vergleichende Untersuchung der Ausbildung zum Arzt im Rahmen der Äquiva- lenzbestimmungen der Partneruniversitäten Erlangen und Rennes im Studienjahr 1976/77, Dissertation Erlangen 1977 —Gestions Hospita- liäres N° 161/1976 — La Nouvelle Presse Mädi- cale N° 8, 9, 10/1977 (amtl. Statistiken)

Anschrift des Verfassers:

cand. med. Reinhold Munker Krähenhorst 18

8520 Erlangen

BLÜTENLESE

Jenseits

des überlebens

Die nach Meinung von Ken- nern beste deutschsprachige Zeitung, die sich schon zu Hit- lers Zeiten mutig gegen den Faschismus gewandt hat, schreibt folgendes, was Ost und West einschließlich Idi Amin ohne zu zögern billigen werden — sogar ohne den Geist von Helsinki bemühen zu müssen:

„.. . und man preßt aus den früheren Lagerinsassen — von Menschen, die Erschießungen und Folterungen überlebt ha- ben — Erklärungen heraus, in denen es heißt, daß sie nie- mals gelitten haben, niemals gefoltert wurden, daß es nie einen Archipel gab."

Sogar unsere entspannungs- freudige Bonner Regierung wird dem gefahrlos zustim- men. Denn wer seine Erschie- ßung überlebt hat, ist wohl auch durch Erpressungen nicht mehr aus der Ruhe zu

bringen. Durrak

Seit den 60er Jahren werden Psy- chotherapeuten und Psychiater im- mer wieder nach den Möglichkei- ten der Heilung durch fernöstliche meditative Verfahren wie Zen- Psychiatrie, Morita-Therapie, Yoga, Atemtherapie und dgl. befragt, bei deren Anwendung angeblich viele Erfolge erzielt seien. Andere Pa- tienten berufen sich auf die Aku- punktur, zumal diese jetzt von den meisten Heilpraktikern und auch von einigen Ärzten, die Außenseiter sind, angepriesen wird. Um uns hierüber Klarheit zu verschaffen, haben wir in Japan anläßlich des Kongresses des Weltärztebundes 1975 psychiatrisch und psycho- therapeutisch eingestellte Kliniken besucht und mit deren Chefärzten konferiert und an deren Behand- lungsmaßnahmen teilgenommen.

Die Verbindung zu ihnen hatten wir vor Beginn der Reise durch die ja- panische Botschaft aufgenommen;

in Japan selbst waren uns die ja- panischen Herren der Außenstelle von BoehringerAngelheim beim Aufsuchen in dankenswerter Weise sehr behilflich; ohne sie hätten wir

BLICK ÜBER DIE GRENZEN

eine unvergleichlich längere Zeit für die Anfahrt zu den Krankenhäu- sern gebraucht, weil es in den ja- panischen Großstädten keine Stra- ßenbezeichnungen gibt und das Auffinden der Krankenanstalten so- gar Japanern Schwierigkeiten be- reitet.

Sozioneurosen in Japan

Manche jüngere, aber auch man- che ältere Japaner geraten auf so- zialpsychologischer Grundlage in einen Konflikt, der für sie unlösbar erscheint: durch Tradition und Er- ziehung sind sie an eine intuitive Wesensschau sowie an ein ästhe- tisch-naturhaftes Empfinden ge- wöhnt. Ihre ganzheitliche Wesens- schau vollzieht sich nicht nur mit dem Verstand, sondern gleichzeitig auch mit der Intuition, d. h. mit ei- ner synthetischen Schau infolge plötzlicher und unmittelbarer Ein- sichten in Zusammenhänge oder Ursachen. Außerdem ist ihre ur- sprüngliche Naturliebe so stark, daß sie sich mit einer Blume oder

Japans Psyche ist anders

Sozialpsychologische und sozialpsychiatrische Beobachtungen in Ostasien

Hans-Joachim von Schumann und Margarete von Schumann

Mit den uns geläufigen Vorstellungen über Psychiatrie und Psychotherapie kann man in Ostasien nichts anfangen: Seelische Ausgangslage, Gemeinschaftsdenken, Krankheit und Therapie sind ganz anders als in Europa und den USA. Die Autoren besuchten mehrere japanische psychiatrische Institutionen; sie ergänzen die- sen Bericht mit einigen Beobachtungen aus China.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 9 vom 2. März 1978 519

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Selbst bei fotografischen Erinnerungsaufnahmen werden Schüler und Schülerin- nen getrennt gehalten beide Geschlechter tragen Uniformen, mit Ausnahme der

Lehrkräfte Fotos: von Schumann

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Psychiatrie in Japan

einem Baum in einer Weise zu

identifizieren vermögen, die uns kaum vorstellbar ist. Diese Mi- schung von Ästhetik und Weltan- schauung (so würden wir sagen) ist geradezu kennzeichnend für die Japaner. Sie können beim Rau- schen der Bäume, beim Betrachten eines Blütenzweiges oder beim Lauschen auf den Wellenschlag unmittelbar den Sinn des Daseins erfassen.

Diese Identität mit der als erhaben empfundenen Natur kommt auch in der Kunst eindringlich zum Aus- druck. Daß hierbei winzige Gärten und kleine Zwerggewächse bevor- zugt werden, erklärt sich aus der Tatsache, daß sich die Japaner von jeher auf engem Raum zusammen- drängen mußten, nämlich in den schmalen Küstenebenen und en- gen Gebirgstälern; denn etwa 70 Prozent des Landes sind meist steile und bewaldete Berge, auf de- nen man weder siedeln noch Land- wirtschaft betreiben kann.

Im krassen Gegensatz zur Intuition und zum ästhetisch-naturhaften Empfinden steht das analytisch-ra- tionale und kausale Denken der westlichen Welt, zu der die Japa- ner auch Nordamerika rechnen.

Die Japaner haben allmählich ein- gesehen, daß zur Erlernung und Anwendung der modernen Technik und Naturwissenschaft sowie zur Lösung wirtschaftlicher und sozia- ler Probleme das westliche logi- sche Denken unbedingt erforder- lich ist. Sie haben sich von folgen- dem überzeugen müssen: Während des Pazifischen Krieges, wie sie den 2. Weltkrieg nennen, sahen sie sich dank ihrer Tapferkeit und ih- res intuitiven Handelns bereits als Herrscher des größten Weltreiches der Erde; dieser Kampf wurde end- gültig deshalb von den Amerika- nern gewonnen, weil diese ihnen im logischen und technischen Den- ken überlegen waren. Es gibt in Ja- pan bereits Gelehrte, die sich mit der westlichen Philosophie befas- sen und die Tradition vernachlässi- gen; indessen bleiben ihnen meist die geistigen und religiösen Über- lieferungen des Abendlandes unbe- kannt, denn

sie

pflegen

positivi- stisch

eingestellt zu sein. Neurosen und Schuldgefühle, die durch reli- giöse Einflüsse hervorgerufen sind und die man in der westlichen Welt auch heute noch häufig findet, gibt es daher in Japan nicht.

Die abstrakte und kognitive Denk- weise des westlichen Menschen

vermögen manche Japaner nicht mit ihrer intuitiven Daseinsschau und mit ihrem ästhetischen Empfin- den in Einklang zu bringen; sie ge- raten in einen für sie unauflösbar erscheinenden Konflikt. Dies wird besonders deutlich, wenn man die weltanschauliche Verschiedenheit, die unter den 1,8 Millionen japani- schen Studenten (1972) und Ober- schülern herrscht, betrachtet. Die einen möchten alle Traditionen verwerfen und sich die USA zum Vorbild nehmen. Andere haben das entgegengesetzte Ziel, sie wollen auf altjapanische Tugenden zu- rückgreifen und alle moralischen und geistigen Einflüsse des We- stens ausmerzen. Wieder andere suchen Sammlung in Zen-Klöstern oder schließen sich der großen buddhistischen Soka-Gakki-Bewe- gung an, um sich auf deren Veran- staltungen dem Massenrausch hin- zugeben. Viele befürworten eine starke Aufrüstung und möchten den alten Samurai-Geist wiederer- wecken. Manche sind Marxisten verschiedener Schattierungen. Die- ses sind nur einige Beispiele von vielen. Indessen enden die meisten von ihnen, wenn sie ihr Studium mit etwa 24 Jahren abgeschlossen ha- ben, als Pragmatiker und akzeptie- ren das ehemals so gehaßte Esta- blishment. Betont sei, daß in Japan bisher alle Proklamationen und Ak- tionen der Studenten gemäßigt ver- laufen sind; dies zeigt sich schon äußerlich unter anderem darin, daß es in Japan keine schmutzigen, langmähnigen und vollbärtigen Gammler gibt.

Bei manchen dauern diese Haltun- gen über die Studien- bzw. Ausbil- dungszeit hinaus an und haben sich zu einer Fehlhaltung oder zu einem Konflikt verdichtet. Um die- se Patienten hiervon zu befreien, gibt es mehrere Methoden

in

Ja- pan. Die Behandlungsarten beru- hen letzten Endes auf einer typisch ostasiatischen Auffassung, die von Prof. Kojiro Yoshikawa auf dem Weltkongreß der Ärzte in Tokyo 1975 dargestellt wurde: nach ja- panischer und chinesischer Über- zeugung ist der Mensch von Natur aus gut, so daß man in ihm Selbst-

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Psychiatrie in Japan

vertrauen und Güte erwecken kann. Im Gegensatz hierzu be- trachtet das Christentum den Men- schen als sündig, und Sigmund Freud hat den Menschen als „eine schlecht gezähmte Bestie" be- zeichnet.

Nach ostasiatischer Auffassung kann der Mensch sein Heil nur durch sich selbst erlangen und braucht nicht an ein höheres We- sen zu glauben; aus diesem Grun- de sind auch die meisten Japaner nicht religiös, obwohl sie sich als buddhistisch oder/und shintoi- stisch bezeichnen. Man darf sich hier nicht täuschen lassen. Denn Hochzeiten, Taufen, Richtfeste und das Pflanzen des ersten Reises werden zwar mit shintoistischem Zeremoniell durchgeführt und Trauerfeierlichkeiten auf buddhisti- sche Weise zelebriert, ja, sogar die neugewählten Regierungschefs, auch der seinerzeitige Premiermini- ster Tanaka pilgern zu den Groß- schreinen von Ise, dem Heiligtum der Sonnengöttin, um der Ahnher- rin des Kaisershauses ihren Amts- antritt zu verkünden. Selbst führen- de linkssozialistische Funktionäre haben sich nach Ise begeben,

um

dort ihre Reverenz zu erweisen. In- dessen fühlen und denken die mei- sten Japaner von heute im Sinne des neuen Nipponismus, der ge- wissermaßen über den Religionen steht; Gottesdienste in unserem Sinne gibt es nicht. Der Nipponis- mus, der das Kaisertum zum Sym- bol erkoren hat, ist durch Sen- dungsbewußtsein, Heimatliebe, Na- turliebe, Gefühl der gegenseitigen Abhängigkeit, Anstand, Höflichkeit, menschliche Anteilnahme, Grup- pengeist und Streben nach Harmo- nie charakterisiert.

Mit letzterem hängt es auch zu- sammen, daß der Japaner zu Kom- promissen neigt, sowohl in der Ge- sellschaft wie in der Wirtschaft, im Geschäftsleben, in der Regierung und im Sport. Es soll nicht durch Abstimmung die Majorität ent- scheiden, sondern es wird auf Übereinstimmung größter Wert ge- legt. Falls keine einheitliche Mei- nung erzielt werden kann, wird im-

mer wieder von neuem beraten.

Dies macht Ausländern die Ver- handlungen mit japanischen Ge- schäftsleuten äußerst schwierig.

Andererseits wird in Japan sehr wenig prozessiert. Dies erkennt man bereits daran, daß auf 100 000 Einwohner in Japan nur 8 Rechts- anwälte fallen, in USA dagegen 150 und in der Bundesrepublik Deutsch- land 33.

Die Morita-Therapie

In Anlehnung an die soeben ge- nannten Tugenden hatte der 1874 geborene und 1934 verstorbene Prof. Masatake Morita in Tokyo die nach ihm genannte Therapie im Jahre 1920 aufgebaut, die heute in der Kora-Klinik und in vier anderen Krankenhäusern Tokyos weiterge- führt wird. In der Kora-Klinik, die von einem echt japanischen Garten umgeben ist und in der eine Fami- lienatmosphäre herrscht, konferier- ten wir mit dem Chefarzt, der uns die vier Stufen der Behandlung er- läuterte; sie zeigen, daß der Ein- gliederung in die Sozietät eine ent- scheidende Bedeutung zugemes- sen wird.

Die erste Stufe mit absoluter Bett- ruhe dauert etwa eine Woche. Der Patient liegt in einem kleinen ver- dunkelten Einzelzimmer und darf das Bett nur zum Essen, zum Ver- richten der Notdurft und zum Wa- schen verlassen. Ihm ist es verbo- ten, Verwandte und Freunde zu empfangen; er darf nicht Radio hö- ren, fernsehen, lesen und derglei- chen. Auch wenn der Patient nicht schlafen kann, muß er im Bett blei- ben. Selbst dem Pflegepersonal ist es untersagt, mit ihm zu sprechen.

Während dieser Zeit soll er seine Stimmung und Symptome anneh- men und alle Ängste erdulden, die ihn quälen. Zunächst verspürt der Patient durch die Hospitalisie- rung eine Erleichterung, später

„schmort er in seinem eigenen Saft". Nach einigen Tagen nehmen die Symptome an Dynamik ab, und der Patient fängt an, sich zu lang-

weilen. Er bemerkt nun jede Ablen- kung, wie das Zwitschern der Vö- gel draußen im Garten. Diese Zeit der Bettruhe dient außerdem dazu, shinkeishitsushu, das heißt die Persönlichkeitsneurose von der Schizophrenie, Depression oder Psychopathie abzugrenzen.

Im zweiten Stadium, das drei Tage bis eine Woche dauert, verläßt der Patient das Bett und wird mit den Eigenarten der Klinik vertraut ge- macht. Er ist dann angehalten, ein Tagebuch zu führen, in welches er sein tägliches Befinden einträgt.

Der Therapeut überprüft dieses Ta- gebuch laufend und schreibt an den Rand Bemerkungen, die dem Patienten erklären sollen, was nor- mal und natürlich in dessen Befin- den und Fühlen ist und wie er sich richtig zur Gemeinschaft einstellen soll. Noch darf der Patient keinen Kontakt mit anderen aufnehmen.

Ihm wird lediglich erlaubt, während genau festgelegter Stunden zu le- sen, und zwar soll er klassische Belletristik gegenüb.r der reinen Unterhaltungsliteratur bevorzugen.

Nach weiteren drei Tagen soll der Patient verschiedene Tätigkeiten entfalten wie Baden, Zeichnen, Mo- dellieren und dergleichen. Jetzt fühlt sich der Patient erfahrungsge- mäß zumindest zeitweilig besser und von seinen Symptomen befreit.

Doch im allgemeinen setzt in weni- gen Tagen eine Reaktion ein; die einen Patienten sind mit allem un- zufrieden, die anderen spüren wie- der ihre Symptome.

Die dritte Stufe nimmt nochmals ei- nen Zeitraum von drei Tagen bis einer Woche ein. Immer noch darf der Patient nicht mit anderen Be- ziehungen oder Unterhaltungen aufnehmen. Nun aber muß er schwere Handarbeit durchführen wie Holzhacken, Schreinern, Sau- bermachen und im Garten arbei- ten. Jetzt darf er auch Bücher le- sen, die er selbst auswählt. In die- sem Stadium lernt der Patient, daß er tätig sein kann, ganz gleichgül- tig, wie er sich fühlt und welche Symptome er hat. Der Patient er-

522 Heft 9 vom 2. März 1978

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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V.; IM • 1973 =:1: 4 51

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41.

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Psychiatrie in Japan

lebt eine Genugtuung durch die Ar- beit die er vollbracht hat.

In der vierten Stufe fährt der Pa- tient mit seiner körperlichen Arbeit fort und muß die interpersonalen und sozialen Beziehungen durch Sport wie Pingpong, Volleyball, Minigolf und Volkstänze erlernen.

Fernerhin bereitet er sich auf die Rückkehr zur Gemeinschaft vor, in- dem er außerhalb der Klinik Ein- käufe tätigt oder sonstige Besor- gungen macht.

Innerhalb der letzten drei Stufen nimmt der Patient wöchentlich ein- mal an einer Vorlesung über allge- meine psychotherapeutische Maß- nahmen teil. Außerdem wird täglich eine Einzelsitzung durchgeführt, in welcher an Hand der Tagebücher besprochen wird, wie er sich zu verhalten hat. Dabei gelten folgen- de Richtlinien:

'T

Der Mensch ist geschaffen, um aktiv zu sein.

'0 Was man denkt oder fühlt, ist weniger wichtig als das, was man tut.

'0 Man kann ein aktives und sinn- volles Leben trotz der geklagten Symptome führen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Symptome verschwinden oder nicht; man kann mit ihnen existieren.

0 Eine dauernde Beachtung der Symptome macht den Menschen mürrisch und unzufrieden. Es muß ein zielgerichtetes Verhalten her- gestellt werden, damit er wieder Freude am Dasein gewinnt. Der Pa- tient muß zuhören, lernen und han- deln nach den Prinzipien, die ihm gelehrt werden. Es wird bespro- chen, wie er sich in bestimmten Si- tuationen verhalten soll. Der Pa- tient darf vergangene traumatische Episoden nur in seinem Tagebuch beschreiben; zum Beispiel zeigte ein Patient gegenüber seinen Fä- higkeiten eine starke Ambivalenz, die im Zuge der Behandlung ver- schwand: Nach Vollendung einiger Handarbeiten wie Betätigung im

Garten und nach Aufnahme der Kommunikation mit anderen hatte sich seine Haltung stabilisiert. Das Ziel ist also, den Patienten von sei- nen Symptomen abzulenken und in ihm das verschüttete ästhetisch- naturhafte Empfinden wachzurufen;

darüber hinaus wird er zu aktivem Handeln ermutigt.

Emblem-Entwürfe von Patienten für die Hilltop-Klinik in Tokyo. Der mit A be- zeichnete Entwurf wurde offiziell über- nommen

Ablehnung der Psychoanalyse in Japan

Hingegen hat die Psychoanalyse Sigmund Freuds in Japan nicht Fuß fassen können, weil sie ein rationa- les und kausales Denken voraus- setzt, dem die Japaner entspre- chend ihrer Veranlagung und Ein- stellung abgeneigt sind, wie be- reits dargestellt wurde. 'Außerdem vermeiden es sowohl japanische Ärzte wie deren Patienten, über se- xuelle Probleme zu sprechen, die in der analytischen Therapie Sig- mund Freuds bekanntlich eine gro- ße Rolle spielen.

Die Identitätskrise eines Japaners würde man vom psychoanalyti- schen Standpunkt aus etwa folgen- dermaßen skizzieren können: Der Patient hat Angst, sich selbst nicht verwirklichen zu können. Psycho- dynamisch läßt sich dabei erken- nen, daß als Abwehrmechanismen der Angst psychosomatische Er- scheinungen in Form von Hyperto- nie, Tachykardie, Magenbeschwer- den oder dergleichen auftreten.

Um die Angst abzuwehren, ist der Patient in eine Panik geraten, oder er ist aggressiv geworden, oder er ist auf eine infantile Stufe regre- diert, so daß er psychotherapeu- tisch behandelt werden muß, in- dem ihm die unbewußt abgelaufe- nen Psychodynamismen bewußt gemacht werden und er sich mit ih- nen auseinandersetzt. Er wird sich nun dank einer Ich-Stärkung an- ders einstellen können. Indessen wird gerade diese Ich-Stärkung von der japanischen Psychothe- rapie abgelehnt; im Gegenteil, der Ich-Anspruch des Patienten wird vollkommen zurückgewiesen. Er soll lernen, sich anzupassen und sich in die Gesellschaft einzuglie- dern. Er soll aufgehen in Familie, Gruppe und Gemeinschaft. Eine analytische Bloßlegung seiner Kon- flikte würde die Egozentrizität för- dern, die nach japanischer Auffas- sung doch gerade als die Grundla- ge der Neurose angesehen wird.

Atemtherapie in Anlehnung an den Zen-Buddhismus

In Japan werden Zen-buddhisti- sche Meditationen im allgemeinen nur noch in Klöstern durchgeführt.

Die offizielle Psychiatrie orientiert sich naturwissenschaftlich und lehnt alle anderen Methoden als Magie ab. Bei den Zen-Übungen wird der sogenannte Lotus-Sitz eingenommen: die Beine werden ineinander verschränkt, die Fuß- sohlen nach außen gedreht und in die gegenüberliegende Lende ge- legt; die Knie werden auf den Bo- den gedrückt. Während dieses für westliche Menschen schwer durch- zuführenden Sitzens soll Satori, die

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Aufsätze - Notizen Psychiatrie in Japan

Erleuchtung, erlebt werden. Gemäß den Erläuterungen von Dr. Suzuki ist es „ein Erlebnis, das durch kei- ne Menge von Erklärungen und Ar- gumenten anderen mitgeteilt wer- den kann, wenn es ihnen nicht be- reits zuteil wurde. Wenn sich das Satori analysieren läßt, so daß es dadurch für einen anderen, der es niemals hat, vollkommen klar wird, so ist dieses kein Satori." Das Zen läßt sich nur verstehen, wenn man die mit ihnen verbundene Idee er- kannt hat, daß die Verwirklichung der wahren Einsicht unauflöslich mit einer Wandlung der Einstellung verbunden ist: Gier nach Besitz oder irgend etwas anderem, Eitel- keit oder Selbstverherrlichung muß man vollkommen aufgeben.

Der Weg, der hierzu führt, ist mit Atemübungen verbunden. Anapa- nasati, das Bewußtmachen des Atemablaufes, erfolgt in der Weise, daß der Atmungsprozeß ganz be- wußt registriert wird: Achtsam ein- atmen (ana), achtsam ausatmen (pana), in großer Aufmerksamkeit (sati) seinen Geist auf die Nasen- flügel und den Solarplexus richten.

Diese Konzentration gilt als Vor- aussetzung und Vorstufe der ei- gentlichen Meditation. Die Profes- soren Ishikawa und Kikuchi von der Tokyo-Universität haben, wie sie uns demonstrierten, diese Atem- übungen so modifiziert, daß sie eine Senkung des Blutdruckes bei Hypertonie bewirken. Sie konnten dabei feststellen, daß die Blut- drucksenkung bei Hypertonikern erheblich stärker war als bei einer kreislaufgesunden Kontrollgruppe.

Die genannten Professoren vertre- ten eine Biofeedback-Technik und sind überzeugt, daß die verschie- denen physiologischen Funktionen über das autonome Nervensystem verändert werden können. Diese Methode wird zur Zeit noch ausge- baut und weiter überprüft.

Multidimensionale Psychotherapie Ausgehend von der bereits ein- gangs erwähnten Tatsache, daß die Japaner von jeher ein natur-

haft-ästhetisches Empfinden besit- zen und intuitiv veranlagt sind, hat Dr. Nobushima, der Leiter der Hill- top-Klinik, die in einer Vorstadt von Tokyo liegt, seine Therapie in einer besonderen Weise aufgebaut, die er multidimensional nennt. Ein von ihm angestellter Künstler ver- sucht, mit Hilfe einer Kunsttherapie die in jedem Patienten vorhande- nen künstlerischen und naturhaft- ästhetischen Anlagen herauszufin- den und zu aktivieren. Die einen malen und zeichnen, die anderen setzen kleine farbige Mosaikstein- schen zu Bildern zusammen, wie- der andere modellieren oder flech- ten. Später werden Patienten mit ähnlicher künstlerischer Veranla- gung zu bestimmten Gemein- schaftsarbeiten zusammengezo- gen, deren Motive sie selbst kraft ihrer Intuition ersinnen und aufein- ander abstimmen. Durch diese ge- meinsame kreative Tätigkeit gewin- nen die Patienten ihr verlorenge- gangenes Selbstvertrauen zurück und werden außerdem wieder ge- meinschaftsfähig; sie lernen näm- lich, sich aufeinander einzustellen.

Den Verlust der Identität führt Dr.

Nobushima bei seinen Patienten darauf zurück, daß die Menschen in den freien Nationen wie in USA und Japan zwar das Wirtschafts- wunder genießen, aber keine ge- meinsame Ideologie entwickeln wie etwa in der Volksrepublik Chi- na, in der die patriotischen Gefühle jedes einzelnen angesprochen wer- den, um ihrem Vaterlande zu die- nen und ihm in der Welt Geltung zu verschaffen. Seine Art der Therapie ist also keine Beschäftigungsthera- pie im westlichen Sinne, sondern soll zu schöpferischen Akten füh- ren. Diese werden von ihm durch besondere Aufgabenstellungen mo- bilisiert; zum Beispiel regte er sei- ne Patienten an, nach einem Sym- bol für die Hilltop-Klinik zu suchen.

Von den vorgeschlagenen Emble- men wurde eines für eine Fahne gewählt, und zwar in hellblauer Farbe. Zur Unterstützung des Ge- meinschaftsgefühles und der ge- genseitigen Rücksichtnahme sind mit Absicht 18 Patienten in einem

Raum so untergebracht, daß Bett neben Bett ohne Zwischenraum steht; deshalb kann jeder nur über das Fußende des Bettes in seine Lagerstatt gelangen.

Gemeinsames Erleben der Natur und Identifizierung mit ihr wird durch Ausflüge gefördert. Dies ist also mehr als ein Spaziergang in unserem westlichen Sinne; denn den japanischen Patienten soll die Möglichkeit geboten werden, sich entsprechend ihrer Veranlagung mit einer Blüte oder einem Felsen zu identifizieren; wir würden mei- nen, daß die Blüte das Sinnbild der Entfaltungsmöglichkeit, der Felsen das Symbol der charakterli- chen Festigkeit darstellt. Durch solche Identifizierungen soll die Heilung des Patienten gefördert werden. Man kann dies als Europä- er und Nordamerikaner nur verste- hen, wenn man sich auf die Auffas- sung des Japaners einzustellen versucht. Daß auch der Genuß der frischen Luft, die auf dem Gelände der Hilltop-Klinik weht, eine heilen- de Kraft hat, hebt Dr. Nobushima in ähnlicher Weise hervor, wie die Zen-buddhistischen Lehrer, die die Konzentration auf die Atmung als eine der Vorbedingungen zur Er- langung der Erleuchtung ansehen.

Bei allen diesen Maßnahmen ist zu erkennen, daß von Dr. Nobushima der Erfolg seiner Therapie erheb- lich mitbestimmt wird; denn er sorgt für eine familiäre Atmosphäre in der Klinik, in welcher ständig etwa 70 Patienten stationär behan- delt werden. Er ist überall dabei und hilft, wo und wann immer er kann, nicht zuletzt durch die sug- gestive Kraft seiner starken und einflußreichen Persönlichkeit.

Wird fortgesetzt

Anschrift der Verfasser:

Dr. med. Dr. phil. habil.

Hans-Joachim von Schumann und Dr. med. Margarete von Schumann Rembrandtstraße 30

4000 Düsseldorf 1

526 Heft 9 vom 2. März 1978 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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