Von Albeecht Wezlee, Tübingen
Richaed Schmidts Übersetzung des Kämasütra des Mallanäga Vät¬
syäyana* wurde ein Jahr nach ihrem Erscheinen von Heemann Olden¬
beeg besprochen*. In seiner Rezension geht Oldenbeeg zunächst auf
den Charakter und die Stellung dieses Werkes innerhalb der Sanskrit-
Literatur ein und bemängelt anschheßend, daß kein weiteres handschrift-
Uches und exegetisches Material zu der Bombayer Ausgabe* hinzugezogen
worden sei*. In diesem Zusammenhang schreibt er: ,,Auch die anonyme
englische Übersetzung«, die übrigens von Shankar Pandit herrührt, hat
Schmidt .... nicht vorgelegen. Der Name des Übersetzers läßt vermuten
daß sie ihn vor manchem Mißgriff bewahrt hätte."
Diese Sätze waren der Anlaß für eine ziemhch unschöne, polemische
Auseinandersetzung zwischen Oldenbebg und Schmidt, die sich bis
1902 hinzog* und letzthch von der kritischen Bewertung der eigenthchen
1 Das Kämnsütra des Vätsyäyana, die indische Ars amatoria, nebst dem
vollständigen Kommentare (Jayamangalä) des Yaiodhara aus dem Sanskrit
übersetzt und herausgegeben von Richard Schmidt. Oedruxskt mit Unter¬
stützung der königlichen Akademie der Wissenschajten in Berlin. Leipzig 1897.
2 DLZ 19. 1898 Sp. 223—224.
' (Nitäntarn gopaniyam) Sri Vätsyäyanapranitarn Kämasütram YaSodhara-
viracitayä Jayamangaläkhyayä tikayä sametäm. Bombay 1891.
* Das beanstandete auch R. Garbe in seiner Rezension, Literarisches
Centralblatt 12. 1898 Sp. 397—398. Schmidt hat die Berechtigung dieser
Kritik eingesehen und war auf Abhilfe bedacht; vgl. das Vorwort zur ,, zwei¬
ten, verbesserten . . . Auflage" (Leipzig 1900), das Vorwort zur ,, dritten,
nach handschriftlichem Material durchaus verbesserten Auflage" (Berlin
1907) und seine Beiträge zur indischen Erotik (hinfort = BIE), Leipzig
1902, S. 22ff.
' The Käma Sütra of Vätsyäyana. Translated from the Sanscrit. In seven
parts, with preface, introduction, and concluding remarks. Benares : printed for the Hindoo Käma Shastra Society 1883. For private circulation only. (Zitiert
nach Schmidt, BIE S. 18).
' Ihr Verlauf im einzelnen :
a) H. Oldenbergs Rezension DLZ 19. 1898 Sp. 223—224.
b) H. Oldenbergs Widerruf der Angabe, daß die anonyme englische Über¬
setzung von Shankar Pandit stammt: DLZ 19. 1898 Sp. 454.
c) R. Schmidt, Vorwort zur 2. Auflage seiner Übersetzung (Leipzig 1900),
S.IV.
d) Erklärung H. Oldenbergs ZDMG 54. 1900, S. 612 =Kleine Schriften,
herausgegeben von K. L. Janert (Wiesbaden 1967), S. 1347.
270 Albeecht Wbzlee
Übersetzungsleistung ablenkte, die am Ende der Rezension so vorgenom¬
men wird: ,,Die Übersetzung ist in der Tat kein Meisterstück. Wenn das
Werk des Vätsyäyana auch schwerhch zu den in dieser Art vollkommen¬
sten Leistungen der indischen Literatur gerechnet werden darf, wohnt
ihm doch immerhin noch genug von frivoler Eleganz inne, daß man es ihm
gegönnt hätte, von geschickteren Händen als denen des Übersetzers
angefaßt zu werden. Die Vertrautheit desselben mit der Terminologie
und der ganzen Redeweise, in welcher sich ein Text wie der vorliegende
bewegt, steht nicht auf der Höhe. So sind Stellen, an denen der scharfe
Ausdruck des Inders stumpf wiedergegeben oder dessen Gedanke direkt
mißverstanden worden ist, zahlreicher, als daß wir in Schmidt den
berufenen Interpreten des Kämasütra sehen könnten".
Daß Schmidt ,, ungemein ungehalten'" auf Oldenbeegs Besprechung
reagierte und versuchte, die Blöße, die sich Oldenbeeg vermeinthch
gegeben hatte, nach Kräften auszunützen, ist verständlich, denn auch er
hatte legitimen Anspruch darauf, daß ihm seine Vergehen im einzelnen
nachgewiesen werden und ihm nicht nur ein höchstrichterhches Urteil
verkündet wird.
Wenn im Folgenden an einigen ausgewählten Beispielen die Fehler¬
haftigkeit der ScHMiDTschen Übersetzung demonstriert wird, soll aber
nicht nur das nachgeholt werden, was Oldenbeeg versäumt hat, sondern
zugleich auch Oldenbeegs Verdikt als wohlbegründet und völlig berech¬
tigt verteidigt werden. Dies erscheint notwendig, weü bereits R. Gaebe
in seiner Besprechung" zu einem sehr viel milderen Urteil kam» und
heute ein Kenner der altindischen erotischen Literatur wie S. Libnhaed
sogar glaubt, von ,, Richard Schmidt's meisterhcher deutschsprachiger
e) R. Schmidt, BIE S. 19ff.
f ) H. Oldenberg : ,,Zur englischen Übersetzung des Kämasütra", ZDMG
56. 1902, S. 126—128 = /«eine Schriften, S. 1348—50.
g) Erklärung von R.Schmidt ZDMG 56. 1902, S. 414 = H. Oldenbeeg,
Kleine Schriften, S. 1351.
h) Erklärung von H. Oldenbeeg ZDMG 56. 1902, S. 618 = Kleine Schriften,
S. 1351.
'Zitiert nach H. Oldenberg, ZDMG 56. 1902, S. 126 Anm. 1 = Kleine
Schriften, S. 1348.
8 Vgl. Anm. 4.
9 Nachdem R . Gaebe auf eine Reihe von Übersetzungsfehlern und stili¬
stischen Mängeln hingewiesen hat, faßt er seinen Eindruck in den Worten
zusammen: ,,Die Ausstellungen im Einzelnen wären leicht zu vermehren;
aber sie sind geringfügiger Natur und genügen nicht zu einem abfälligen Ge¬
samturteil über Schmidt's Arbeit. Die Übersetzung des Kämasütra ist im
Allgemeinen ganz zuverlässig und eine recht anerkennenswerte Leistung, die
nur von einem gründlichen Kenner der Sprache geboten werden konnte . . .".
Wiedergabe des Kämasütra ..." spreohen zu soUeni». Last, not least soll
die deutsohe Indologie auf die ihr gestellte Aufgabe hingewiesen werden,
diese am meisten gelesene deutschspraohige Übersetzung eines alt¬
indischen Textes** duroh eine zuverlässigere und kommentierte** zu er¬
setzen, keine vorrangige wissenschaftliche Aufgabe, gewiß, aber Teil der
selbstverständhchen Verpflichtung zur Vermittlung indischer Kultur¬
leistungen; wie immer man diesen Text beurteilen mag, es läßt sich ja
nicht leugnen, daß er eindrucksvoll Zeugnis von der Fähigkeit der Inder
des Mittelalters ablegt, über einen Gegenstand sachhch zu sprechen,
ihn wissenschafthch zu untersuchen und entsprechend darzustellen, der
im Abendland Jahrhunderte lang mit so vielen Tabus besetzt war, daß
ein vergleichbares Werk nicht entstehen konnte.
Wie es nun mit der ,, gründhchen Kenntnis der Sprache" und der
„Meisterschaft" Schmidts in Wahrheit bestellt ist, zeigt die Gegenüber¬
stellung einiger zufälhg aufgeschlagener Abschnitte in der Bombayer
Ausgabe und der Übersetzung**.
Schmidt behauptet, die grammatischen Erklärungen des Kommen¬
tars, der Jayamangalä des Yasodhara ausgelassen zu haben**. Es ist
dabei aber leider nioht konsequent verfahren; während er z.B. Yaäod-
hara's Bemerkungen zu dem Kompositum tatsamayävabodhaka- (3.5—6),
den Verweis auf Pän. 4.1.106 anläßlich bäbhravya- (5.13), den Verweis
auf Pän. 4.2.123 zur Erläuterung von fätaUjnitrika- (5.18—19), die
Analyse der Wortbildung von smärari-iyaka (121,16—17) usw. tatsächhch
wegläßt, identifiziert er andererseits das sütra des Pänini (77.14), freihch ohne ekasesanirdesah wiederzugeben, und ,, übersetzt" er grammatische
Erklärungen, weü er glaubt, sie verstanden zu haben, oder, weü er sie
gar nicht als solche erkannt hat :
1. Zu dem dvandva-Kompositum dharmärthakäma- des ersten sütra
führt Yasodhara aus (2.11—12):
1" Ratirahasya. Oeheimnisse der altindischen Liebeskunst. Schmiden bei Stuttgart 1960; Wien 1970=, S. 12 (Einleitung).
" Noch zu Lebzeiten R. Schmidt's (f 1939) braohte es seine Übersetzung
zu insgesamt fünf Auflagen und seither erschienen unveränderte ebenso
wie veränderte (Übertragung der lateinisohen Partien ins Deutsche) Nach¬
drucke der 5. Auflage (Berlin lOl.")), der Ausgabe „letzter Hand".
"Schmidt wollte ja ,,nur eine Übersetzung geben, ohne jede Zutat"
(Vorwort zur 2. Auflage). „Alles, was Erklärung, Nachweis etc. heißt", hat er in seinen BIE gebracht. Aber entgegen seiner Erwartung ist die Über¬
setzung des Kämasütra doch .,in die breiten Massen des Volkes" gedrungen (Vorrede zur 1. Auflage, s. auch u. S. 273 Anm. 17), so daß heute eine ma߬
volle Kommentierung nioht mir erotischer Realien, angezeigt ist.
•* Abschnitte der Übersetzung werden zitiert nach der Ausgabe ,, letzter Hand", also der fünften, verbesserten Auflage (Berlin 1915).
** Vgl. die Vorrede zur 1. Auflage, S. III, Fußnote.
272 Albrecht Wezleb
arthaiabdasyäjädyadardatve 'pi na pürvanifälahjdharrtiasyähhyarhitatvätl
vaksyati ca pürvah pürvo gariyän itij
Schmidt übersetzt: „Hier findet kein unregelmäßiges Vorangehen**
eines Wortes vor dem anderen statt, wiewohl Artha (nach Pänini), als
mit einem Vokal anfangend und schheßend, vorangehen müßte: denn
Dharma gilt mehr. Der Verfasser sagt ja später: 'Immer das Voran¬
gehende ist das Wichtigere'".
Schmidt hat, offenbar irregeleitet durch die Bedeutungsangabe des
pw, das s.v. pürvanipäta- m. ,, unregelmäßiges Vorangehen eines Wortes
in einem Kompositum" verzeichnet, die Aussage in ihr Gegenteil ver¬
kehrt und außerdem den Ausdruck adanta- nicht verstanden. Was
Yaäodhara sagt, ist nämlich :,, Obwohl das Wort artha- vokahsch anlautet
(ajädi-) und auf -a auslautet [adanta-), geht es [gegen Pän. 2.2.33:
ajädyadantam in dem von Vätsyäyana verwendeten Kompositum dhar¬
märthakäma-] nioht voran, weü der dharma etwas Ehrwürdiges ist [und
deshalb zuerst genannt wird, so wie z.B. in dem dvandva-Kompositum
mätäpitarau das Wort mätr- als Bezeichnung der ehrwürdigeren Person
vorangeht]". .."
Der Anlaß für Yaäodhara's Eingehen auf dieses Kompositum ist also
gerade seine scheinbar unregelmäßige Büdung.
2. Jayamangalä 2.19—21: tesärn cädhikärät tadadhi§thätryo devatä
adhikftdhl upacäräc chabdaväcyähj anyathä dharmädinärn, vaksyamänalak-
§anänäm adevatvätmakatvän namaskäro nopapadyetaj lautet in Schmidts
Wiedergabe: ,,Da nun jene drei Ziele im Mittelpunkte des Interesses
stehen, sind auch deren Schutzgottheiten an die Spitze gestellt worden.
Diese sind aus Ehrfurcht bei ihrem Namen zu nennen. Sonst
würde eine Anrufung nicht am Platze sein, wenn sie nicht für die nooh
zu kennzeichnende Frömmigkeit usw. die Sohutzgottheiten bedeuteten".
Schmidt hat übersehen, daß upacära- hier in der Bedeutung ,, Me¬
tapher" (PW s.v. 7.), ,, uneigentliche, konventionelle Benennung eines
Gegenstandes" (pw s.v. 9.) gebraucht ist und deshalb zu übersetzen ist:
,,Und weü diese (d.h. die Begriffe dharma, artha und käma) das Thema
[des Werkes] darstellen, sind die Gottheiten, die diesen (d.h. dem
dharma, artha und käma) vorstehen, thematisiert; aufgrund metony¬
mischer Verwendung können [die Gottheiten] duroh die Wörter [dharma-,
artha- und käma-, die primär das bezeichnen, dem diese Gottheiten
" Die Sperrungen stammen, wenn nicht anders angegeben, von mir.
1' Vgl. värttika 4 zu Pän. 2.2.34 (Mahäbhäsya I 436.18), in dem Kätyäyana fordert, es müsse gelehrt werden, daß das Wort, das ,, etwas Ehrwürdiges"
(äbhyarhita) bezeichnet, im dvandva-Kompositium vorangeht. Zu dem Bei¬
spiel mätäpitarau, das Patanjali anführt, bemerkt Kaiyata in seinem Pradipa
(NSP-Ausgabe II 473 a 30—31): garbhadhäranädinä pitrapek^ayä mätä-
bhyarhitä. Vgl. auch Manu 2. 145.
vorstehen] bezeichnet werden ; anderenfalls wäre die Ehrfurchtserweisung
[Vätsyäyana's ihnen gegenüber] nicht stimmig, weil der dharma usw.
(d. h. dharma, artha und kämu) .... [dann] ihrem Wesen nach keine Gott¬
heiten wären [und die Ehrfurchtserweisung am Anfang literarischer
Werke Gottheiten zu gelten pflegt]".
Yasodhara reproduziert hier also die übliche indische Analyse einer
Erscheinung, die dem indischen Rehgionshistoriker wohlvertraut ist,
nämüch der Personifizierung und damit Deifizierung abstrakter Begriffe.
3. Den Begriff" artha definiert Vätsyäyana als vidyäbhümihirartya-
pasudhänyahhäridopaskaramiträdinäm arjanam arjüasya vivardhanam
(12.19—20), d.h. als „Erwerb von Wissen, Land, Gold, Vieh, Getreide
Hausrat, Freunden usw., Mehrung des Erworbenen". Zu dem Ausdruck
arjüasya bemerkt Yasodhara (13.2—3):
arjitasyety ekavacanam ekaikasya dravyasyärjanavardhunayor anvarthopa-
darsanärthamj anyathä samudäyasyaivärjanarn vardhanarn cärthah syäij
Das heißt laut Schmidt: ,,'Des Erworbenen': dieses eine" Wort soll
gehörig daraufhinweisen, daß sich der Erwerb und das Mehren auf jedes
einzelne*' Ding beziehen. Sonst wäre Artha nur das Erwerben und
Mehren des Ganzen".
Ein Blick in das PW oder pw hätte genügt, um zu erfahren, daß
ekavacana- ,, Singular" bedeutet, daß dieser Satz im Deutschen also so
wiederzugeben ist: ,,Der Singular 'des Erworbenen' [den Vätsyäyana
anstelle des erwarteten Plurals 'der Erworbenen' verwendet] dient dazu,
vor Augen zu führen, daß [artha-] seiner wahren Bedeutung nach*® das
Erwerben und Mehren jedes einzelnen Dinges [von denen, die aufgezählt
werden] ist ...."
4. 76.14—15 charakterisiert Vätsyäyana den „Liebhaber von trägem
Temperament":
yasya sarnprayogakäle pritir udäsinä viryam alparn ksatäni ca na sahate sa
mandavegahj
Den letzten Teil des Nebensatzes erläutert Yasodhara folgendermaßen
(76.21—23): ksatäni ca näyikayä dardanakhaih prayujyamänäny upalak-
sarjuUvät jyrahararjarn ca na sahate ya ity arthäd vibhakti[vi]parir)ärrMhl
In Schmidts Ubersetzung lauten diese Zeilen: „... und der 'Ver¬
wundungen nicht erträgt', die die Geliebte mit Zähnen und Nägeln
schlägt, und, da das eine elhptische Bezeichnung ist, auch Schläge nicht
erträgt. So ist dem Sinne nach die Reihenfolge innerhalb der
Teilung".
*' Von Schmidt selbst gesperrt.
*8 Das dürfte wohl mit anvarthopadariana- gemeint sein. Ich vermute
freihch ursprüngliches anvayopadarianärtham mit der für anvaya- charakte¬
ristischen Konstruktion mit Genitiv und Lokativ.
274 Albbecht Wezleb
Schmidt hat also das arthäd vibhaktiviparinäinah völhg mißverstanden, obwohl das PW die Bedeutung ,, Kasusendung" für vibhakti- verzeichnet.
Vätsyäyana's Definition des mandavega ist ein Anakoluth; deshalb
ergänzt Yaäodhara zu dem Prädikat na sahate, da yasya nicht konstruier¬
bar ist, das Subjekt yah und rechtfertigt dieses Vorgehen mit der Pest¬
stellung ,,so die Veränderung der Kasusendung aufgrund des Sinnes
(d.h. weil der Sinn es erfordert)".
Allem Anschein nach überging Schmidt grammatische Erklärungen
des Kommentars nur dann, wenn er sie überhaupt als solche erkannte
und sicher war, sie nicht verstanden zu haben. Es wäre weiser gewesen,
konsequent auf die Wiedergabe solcher Erläuterungen zu verzichten,
auch wenn für Schmidt die Rücksicht auf den niohtfachmännischen
Leser gar nicht zur Debatte stand, vielmehr ,,der Gedanke maßgebend"
war, daß dieses ,,Buch ja streng wissenschaftlich ist und nie in die breiten
Massen des Volkes dringen kann**". Eine gewisse Kenntnis der einhei¬
mischen indischen Grammatik sowie des Vaisesika- und Nyäyasystems
sind nun einmal eine unerläßliche Voraussetzung für ein lückenloses Ver¬
ständnis und eine vollständige Übertragung wissenschaftlicher Sanskrit¬
texte :
kärvädarn päriimyarn ca sarvasästropakärakam.
Daß man auch sonst in Schmidts Übersetzung immer wieder auf ver¬
zerrende Ungenauigkeiten und grobe Mißverständnisse stößt, soll mit
den folgenden Beispielen belegt werden.
5. Yaäodhara erörtert in der Einleitung seines Kommentars den
Zweck und die Notwendigkeit (prayojana) eines „Lehrwerkes über die
Liebe". Es heißt dort u.a. (1.13—15):
nanu taddhetutväd dharmäthäv evopadeyau, tau ca sästravihitauj satyamj
taddhetutve 'py upäyärdaräpeksatvät sarnprayogaparädhinah kämahlsarn-
prayogas copäyam apeksatejupäyaparijnänarn ca kämasästrätIna dhar¬
märtha sästräbhyäm /
Schmidt verdeutscht: ,,Muß man aber nicht die in den Lehr¬
büchern niedergelegten (Satzungen über) Frömmigkeit und
Erwerb annehmen, da sie die Liebe ergeben? Gewiß! Aber wiewohl
die Liebe aus ihnen sich ergibt, erfordert sie doch andere Regeln, da ihr
Wesen in der fleischlichen Verbindung besteht: diese erfordert Regeln,
die Kenntnis dieser jedoch schöpft man aus dem Kämasästra, nicht aber
aus den Lehrbüchern über Frömmigkeit und Erwerb".
In dem Schmidt die Partikel eva und die Konjunktion ca naoh tau
unterschlägt, upäya- nicht richtig versteht usw., gibt er hier in der Tat
den ,, scharfen Ausdruck des Inders stumpf" wieder. Er hätte diese Zeilen wie folgt übersetzen sollen :
*' Zitiert nach der Vorrede zur 1. Auflage, S. III.
[Einwand] „Ist es nicht so, daß man nur dharma und artha erwerben muß,
weil sie seine (d.h. des kmna) Ursachen sind (d.h. weil käma sie voraus¬
setzt), und diese beiden in [entsprechenden] Lehrwerken normativ dar¬
gestellt sind [so daß sich ein 'Lehrwerk über die Liebe' erübrigt]?"
[Entgegenung] ,, Richtig, [trotzdem ist ein kämasästra notwendig],
weü [die Liebe] ungeachtet dessen, daß [dharma und artha] ihre Ursachen
sind (d.h. ungeachtet dessen, daß sie dharma und artha zur Voraussetzung
hat), [um erfolgreich praktiziert werden zu können] von anderen Mitteln
abhängt; die Liebe ist der körperlichen Vereinigung unterworfen (d.h.
intendiert sie), und [der Vollzug] der körperlichen Vereinigung hängt
vom Mittel ab, und vollständige Kenntnis der Mittel [deren Anwendung
dazu führen, daß die körperhche Vereinigung zustande kommt, erwirbt
man] aus dem Lehrwerk über die Liebe, nicht aus dem Lehrwerk über den
dharma und nicht aus dem Lehrwerk über den artha".
6. Das PW — unter Verweis auf värttika 1 zu Päii. 5.1.124*" —
und das pw geben als Bedeutung von cäturvarnya- m. richtig ,,die vier
Kasten" an. Trotzdem übersetzt Schmidt den Satz (2.25—3.1) purüraväh
arthäbhisäpäd atipravrddhalobhas cäturvarnyasyärtham ährtavänj
wuchs infolge des Fluches des Artha seine Habsucht so außer¬
ordenthch, daß er einem Brahmanen das Vermögen raubte".
Es fällt Schmidt gar nicht auf, daß der unmittelbar folgende Satz
(3.1—2) seine Auffassung von cäturvarnya- widerlegt; dieser lautet näm¬
hch: tato 'rthäpahäräd yajnädikriyävirahodvignair brähmavair darbha-
'pärf.ibhir halo nanäsa / „Darauf wurde er von den Brahmanen, die
darüber bestürzt waren, daß sie die Opfer und anderen rituellen Handlun¬
gen entbehren [mußten], weü [Purüravas den Angehörigen der vier
Klassen, d.h. jedermann] Geld und Gut wegnahm [und so niemand mehr
in der Lage war, die Kosten für ein Opfer usw. aufzubringen], in deren
Händen sich Grasbüschel befanden (d.h. die im Zustand höchster ma¬
gischer Reinheit äußerst gefährlich waren)**, [mit einem Fluch] getroffen und ging zugrunde".
Die Fehlübersetzung von cäturvarnya- beseitigt gerade eines der Ele¬
mente, durch die sich Yasodhara's Version der Purüravas-Legende
auf sehr interessante Weise von der des Mahäbhärata unterscheidet
(Poona, 1.70.18—20):
vipraih sa vigraharn cakre viryonmattah purüravähj jahära ca sa viprätfärn ratnäny utkrosatäm apijj 2» Mahäbhäsya II 370. 21.
21 Vgl. den Ausdruck darbhapavitrapäni- Mahäbhäsya I 39.10. Da sich
aus dem Attribut darbhapänibhir klar ergibt, daß sich die Brahmanen der
— für sie so charakteristischen — Waffe der Magie bedienen, erübrigt sich
ein sapathena oder ein ähnlicher Ausdruck.
276 AiBEECHT Wezleb
sanatkumäras tam räjan brahmalokäd upetya haj
anudarsayärn tatas cakre pratyagrhnän na cäpy asaufl
tato maharsibhih kruddhaih saptah sadyo vyanasyataj lobhänvito madabalän rtastasarnjno narädhipahU
7. Jayamangalä 3.18f. lehrt Yaäodhara eine Zweiteilung des trivarga,
nämhch in das, was die Menschen erwerben sollen {upädeya) — dharma,
artha, käma — und das, was sie zu meiden haben {anupädeya) — adharma,
anartha, dvesa —. Er fährt fort (3.20—21): tatra dharmäd amutra subhä
gatihi adharmäd asubhäj arthäd ihaiva paribhogo dharmapravartanam caj
Schmidt sieht nicht, daß amutra und ihaiva im Gegensatz zueinander
stehen, daß amutra deshalb die Bedeutung ,,dort oben, im Himmel, im
Jenseits, im künftigen Leben" (PW) haben und daß mit gati- also gerade
das Ergehen nach dem Tode, die Quahtät der Wiedergebmrt, gemeint
sein muß. So kommt er zu der Übersetzung: ,,So ist also der Lebens¬
gang glücklich, der von der Frömmigkeit, unglücklich, der nicht von der
Frömmigkeit geleitet wird. Erwerb bringt hier Gfenuß und tugendhaften
Wandel, ...".
8. Im gleichen Abschnitt, d.h. dem Kommentar zu dem sütra (3.13—
14): prajäpatir hi prajäh srstvä täsärn sthitinibandhanam trivargasya sä-
dhanam adhyäyänärn satasahasrenägre proväca, bemerkt Yaäodhara zu
den beiden letzten Worten agre proväca (3.25—4.1): tadänim sästräntarä-
bhäväd idam evägryam iti, was Schmidt wiedergibt mit: „'Er trug vor':
damals war das das Gebräuchlichste, da es noch keine besonderen
Lehrbücher gab". Es bleibt unerfindlich, wie Schmidt ein so geläufiges Wort wie agra- m. ,, Spitze, äußerstes Ende", ,, Anfang" etc. (pw), eine so
leicht zu durchschauende Ableitung wie agrya- m.f.n. ,,an der Spitze
stehend", ,,vorzügüchst", ,,erst" etc. mißverstehen konnte, ein Fehler,
der einem etwas fortgeschrittenen Sanskrit-Studenten kaum, einem
,, gründlichen Kenner der Sprache" sicher nicht unterlaufen würde.
Was Yaäodhara sagt, ist also zu übertragen als ,,da es damals [als
Prajäpati es im Anschluß an die Hervorbringung der Geschöpfe ver¬
kündete, noch] keine anderen Lehrwerke gab, ist dieses (d.h. sein Lehr¬
werk über den trivarga) das erste".
9. Von diesem Lehrwerk des Prajäpati sonderte laut Vätsyäyana (4.3)
Manu Sväyambhuva den Teil ab, der den dharma behandelte. In seinem
Kommentar zu diesem sütra geht Yaäodhara auch auf die patronymische
Bezeichnung sväyambhuva- ein (4.5—6): sväyambhuva iti vaivasvatanivrt- tyarthamj
Schmidt übersetzt: ,,' Sväyambhuva': wegen der Machtlosigkeit
des Todesgottes ihm gegenüber". Er scheitert also nicht nur am Sprach¬
hchen, indem er die Bedeutungen „Rückkehr", „Verschwinden, Auf-
hören, Unterbleiben, Aufhören wirksam —, gültig zu sein", die das PW
und pw angeben, zu ,, Machtlosigkeit" fortspinnt, sondern auch im Sach¬
lichen : es gibt nämlich auch einen Manu Vaivasvata (vgl. PW s. v. manu-
m. l.b,ß); er wird z.B. Satapathabrähmana 13.4.3 neben Yama Vaivas¬
vata genannt, wird verschiedenthch im Mahäbhärata erwähnt**, erscheint
bei Manu 1.62 in der Aufzählung der sieben Manus, wohl unterschieden
von Manu Sväyambhuva (1.61).
Yaäodhara's Bemerkung muß deutsch lauten: „[Vätsyäyana charak¬
terisiert Manu durch das Beiwort Sväyambhuva, 'Sohn des Svayambhü
(= Brahman)'] damit [Manu] Vaivasvata verschwindet (d.h. gar nicht
erst als vielleicht gemeint in Betracht gezogen wird)".
10. Im ersten adhyäya des zweiten, särnprayogika genannten adhikarana
lehrt Vätsyäyana zunächst die Einteilung der näyakas und näyikäs in
verschiedene Typen je nach der Größe der Geschlechtsorgane, der
„Gefühlsentstehung" (bhäva) und der Zeitdauer. Anschließend behandelt
Vätsyäyana die Frage, ,, welcher Art denn eigentlich die Empfindungen
sind, die die Frau während des Coitus hat**", ob es einen Orgasmus der
Frau gibt oder nicht, und zwar in Form einer Diskussion, in der nachein¬
ander Auddälaki**, dann Bäbhravya*« und zuletzt als siddhäntavädin Vät¬
syäyana selbst zu Worte kommen. Die jeweiligen Ansichten werden aber
nicht nur thesenartig vorgetragen, sondern einschließlich der Begrün¬
dungen, dagegen erhobenen Einwände und deren Widerlegungen refe¬
riert. Gegen die Position Auddälaki's, der den Orgasmus (bhäva) der
Frau leugnet, wird z.B. vorgebracht (79.14—16): tatraitat syätj ciravege^^
näyake striyo 'nurajyarde sighravegaaya^^ bhävam anäsädyävasäne 'bhya-
22 Vgl.S. SÖBENSEN, An Index to the Names of the Mahäbhärata, Delhi
1963, p. 466; E. Washburn Hopkins, Epic Mythology, Straßburg 1915, p.
85, 201 f. (§ 142). 23 Zitiert nach Schmidt, BIE S. 352.
2* Wohl gleich Auddälaki Övetaketu, einem Vorgänger Vätsyäyana's (4.16).
25 Wohl identisch mit Bäbhravya Päncäla, euiem weiteren Vorläufer des
Vätsyäyana (5.2).
2« Man würde eigentlich in Übereinstimmung mit Kämasütra 77.10 die
Bezeichnungen cirakäla- und sighrakäla- erwarten. Sind ciravega- und ilghra- vega- vielleicht Termuii des Auddälaki, d.h. der Schule, die angeblich auf ihn
zurückgeht und die noch nicht zwischen bhäva und käla als Kriterien für die
Einteilung der näyakas unterschieden haben könnte ?
Andererseits ist vega- m. in der Bedeutung ,, Geschwindigkeit" im Kämasütra
belegt (vgl. 82.19—21) und könnten ciravega- und äighravega- alternativ
neben cirakäla- und sighrakäla- stehen. Der Zusammenhang schließt es
jedenfalls aus, daß ciravega- und sighravega- hier als Synonyma von manda¬
vega-, bzw. candavega- (vgl. Kämasütra 76.14—15, bzw. 77.1) verwendet sind,
was Schmidt annimmt, der höchst mißverständlich übersetzt: Bei
einem Liebhaber von mattem Temperamente haben die Frauen Genuß,
bei einem feurigen erlangen sie den Zustand der Wollust nicht und sind
unwilhg, wenn er aufhört . . .".
278 AiiBEECHT Wezleb
süyinyo bhavantil tat sarvam bhävapräter apräptes va laksanami , daß also
die leidenschaftliche Zuneigung, die die Frauen für einen Liebhaber
empfinden, der beim Koitus lange braucht um zum Ziel zu gelangen,
und andererseits die heftige Abneigung der Frauen gegenüber einem
Liebhaber, bei dem es sehr rasch zur Ejakulation kommt, schlüssige
Merkmale dafür sind, daß die Frauen zu einem Orgasmus gelangen.
Im Kommentar zu diesem sütra findet sich u.a. der Satz (79.24—25):
anurägavirägau ca sukhaduhkhahetukau purusesu drstäntatvena siddhaul
den Schmidt übersetzt: ,, Befriedigung und Nichtbefriedigung
als Ursache von Wonne und Unbehagen sind auch mit den Männern
als Beispielen zu erhärten".
Schmidt entgeht, daß das Kompositum sukhaduhkhahetukau durch das
angefügte Suffix -ka- deutlich als bahuvrihi gekennzeichnet ist ; so führt er
durch Verwechslung von Ursache und Wirkung die ganze Argumentation
ad absurdum. Nicht ,,als Ursache von Wonne und Unbehagen" ,, lassen"
ja ,, Zuneigung (anuräga) und Abneigung [viräga) erkennen (79.21: ...
laksarmml jnäpakam ity arthah), daß die Frauen zu einem Orgasmus ge¬
langen", sondern umgekehrt, ,,als durch die glückhafte Empfindung [des
Orgasmus], bzw. die schmerzhafte Empfindung [des Nichterreichens des
Orgasmus] verursacht", erlauben sie jenen Schluß und als dadurch ver¬
ursacht ,,sind sie, insofern sie bei den Männern belegt sind, erwiesen".
11. Auddälaki's Ansicht wird schheßlich in einem ihm zugeschriebenen sloka resümiert (80.17-—18):
sarnyoge yositah pumsäm kandütir apanvdyatel tac cäbhimänasarnsrstam sukham ity ahhidhiyateH
Die Jayamangalä erläutert (80.19-—20): kandütyapanodasamuttharn spar-
sasukham abhimänasarnsrstam iti kärarie käryopacäräd äbhimänikasu-
khänuviddharn sukham ity abhidhiyate yosidbhihi .
In Schmidts Ubersetzung: ,,Das aus der Vertreibung der Geilheit ent¬
stehende Lustgefühl der Berührung, 'gepaart mit Selbstbewußtsein',
infolge der Aufwartung des Subjektes gegenüber dem Objekte
mit dem Glück des Selbstbewußtseins versehen, wird von den Frauen
'Wonne' genannt".
Wieder stolpert Schmidt über den Ausdruck upacära-; nachdem er
fälschhch die im PW mit an erster Stelle verzeichnete Bedeutung ,, Auf¬
wartung" zugrunde gelegt hatte, wurde dann aus einer ,, Ursache"
(kärana) flugs ein ,, Objekt" und aus einer ,, Wirkung" (kärya) ein ,, Sub¬
jekt", upacära- aber bedeutet hier wie oben*' ,, übertragene Verwendung, metonymische Bezeichnung".
" S. S. 272.
Die Feststellung Yasodhara's käraijs Icäryo'pacärät ist dabei folgender¬
maßen motiviert: oben (78.7) hatte Vätsyäyana gesagt sä (= kandütir
apaniyamänä) punar äbhimänikena sukhena sarnsrstä rasäntararn (= su-
khäntaram) janayati, daß also beide zusammen als Ursache ein Drittes,
nämlich ein bestimmtes, qualitativ verschiedenes, glückhaftes Empfinden
als Wirkung, hervorbringen. Gemäß dem sloka des Auddälaki aber wer¬
den bereits diese beiden zusammen, nicht erst das, was sie erzeugen, von
den Frauen als „glückhaftes Empfinden" bezeichnet. Um diesen schein¬
baren Widerspruch zu klären und möghchen Einwänden zuvorzukom¬
men, ergänzt Yasodhara: aufgrund eine Übertragung der Wirkung
auf ihre Ursache (d.h. aufgrund einer Metonymie, bei der die Wnkung
für die Ursache eintritt)*®".
12. Kämasütra 80.22—23 wird die Gegenthese des Bäbhravya for¬
muliert; das unmittelbar folgende sütra lautet (81.20):
aträpi täv eväsankäparihärau bhüyahj
Dazu führt Yasodhara aus (81.21—82.7): aträpiti bäbhravyamate'pij
täv eveti pürvoktäv äsankäparihärau väcyauj tatra yady ärambhät prabhrti
bhävädhigamas tadä ciravege 'nurajyante sighravegasya cävasäne 'bhyasü-
yinya ity ayarn bhedo na yujyatej tatra yaträpy äsärn bhävädhigamäd
drsyate ca bhedahj yasmäd anurägas tasmäd ante purusavad bhävasya
präptihi yatah säsüya tasmän närambhät prabhrtity äsankäparihäro 'pij
tan naj kandüiipratlkäro 'pi dirghakälah priya iti kandütyapanodäbhäväc
ca sighravege ca pradvesahj saty api bhävädhigame kandütyapanodasyä-
dhikakälasyähhävätj athavä dirghakälam bhävajananam api priyam iti yoj-
yamj bhävasyädhikrtatvätj sighravege ca virajyantel cirakälarn bhävasyä-
jananätl yosito hi ciränubandhanarn bhävam utpadyamänam icchantij
täsäm astagunakämatvätl evarn sati na purnbhir vämalocanäs trpyantiti
yuktamj tesäm ekagunakämatvät, na punar visrstisukhähhäväd itijbhüyas
ceti punar äsankäparihärahf
Diesen Abschnitt übersetzt Schmidt :
„Auch hierbei sind jene beiden wieder keine Zweifelbeseitiger".
,,'Auch hierbei', in der Meinung des Bäbhravya, 'sind jene beiden',
vorher genannten ..., wieder keine Zweifelsbeseitiger zu nennen. Wenn
hier von Anfang an jener Zustand erreicht wird, dann güt jener Unter¬
schied nicht, daß die Frauen 'bei einem Liebhaber von matten Tempera¬
mente Genuß haben, bei einem feurigen aber unwülig sind, wenn er auf¬
hört' ; hier, wo man aus der Erlangung jenes Zustandes einen Unterschied
bei ihnen ersieht. Weü sie Befriedigung zeigen, daher haben sie am Ende,
28 Eine umgekehrte Metalepsis also.
22 ZDMG 121/2
280 Albbecht Wezleb
wie bei dem Manne, die Erlangung des Zustandes; weil sie unwillig ist,
deshalb wird der Zweifel darüber, ob sie 'von Anfang an' (Genuß haben
oder nicht), beseitigt? Nicht so! 'Die Befriedigung der Geilheit ist will¬
kommen, wenn sie lange Zeit gebraucht' : also findet Haß gegen den feu¬
rigen Liebhaber statt, da er die Geilheit nicht vertreibt; denn wenn
auch jener Zustand erreicht wird, so findet doch keine Stillung der
Geilheit statt, da diese außerordenthch lange anhält. Oder vielmehr
muß man sagen: eine außerordenthch lange Erzeugung des Zustandes
ist willkommen, indem dieser ja die Hauptsache ist. Bei einem feurigen
Liebhaber finden sie keine Befriedigung, weü hierbei der Zustand nicht
auf lange Zeit erzeugt wird. Die Weiber nämlich wünschen, daß bei ihnen
ein Zustand hervorgerufen werde, welcher sich weithin erstreckt, indem
ihr Liebesverlangen ein achtfaches ist. Unter solchen Umständen ist es
ganz richtig, daß die Schönäugigen an den Männer sich nicht sättigen
können, weü deren Liebesverlangen nur ein einfaches ist, nicht aber
wegen des Mangels der Wonne der Samenergießung. — 'Wieder keine
Zweifelbeseitiger', wiederum keine".
Es erübrigt sich, auch bei diesem Auszug aus Schmidts Übersetzung
des Kämasütra die fehlerhaften Stellen durch Sperrung hervorzuheben,
denn Schmidt hat das sütra ebenso wie den Kommentar dazu im Ganzen
gründlich mißverstanden.
Er hält äsankäparihärau für ein tatpurusa-JLompositum, das in
äsankäyä aparihärau aufzulösen ist. Hätte er recht, dann müßten sich irn
vorangehenden Abschnitt des Kämasütra zwei Aussagen finden, die
„keine Zweifelbeseitiger" sind; die Suche nach solchen Aussagen bleibt erfolglos ; was begegnet, das ist ein Einwand gegen die These Auddälaki's (79.14—16: tatraitat syätj ciravege näyake striyo 'nurajyante sighravegasya
bhävam anäsädyävasäne 'bhyasüyinyo bhavantij tat sarvam bhävapräpter
apräptes ca laksanam^^) und eine Widerlegung dieses Einwandes (80.3—4:
tac ca naj kandütipratikäro 'pi hi dirghakälarn priya itij etad upapadyata
evaj tasmät sarndigdhatväd cdaksaijam iti)^. äsankäparihärau muß deshalb
ein duahsches dvanva-Kompositum mit den Ghedern äsankä- und -pari-
hära- sein, ein Kompositionstyp, der bei Vätsyäyana und in Aev Jayaman¬
galä auch sonst vorkommt**. Hat man das richtig verstanden, dann neh¬
men auch Yaäodhara's Erläuterungen trotz der teüweise irreführenden
29 S.o.s. 277.
Schmidt bezieht pürvoktau als Erläuterung von täv eva fälschlich nur auf
den Einwand gegen Auddälaki's These (79.14—16), wie aus seinem Verweis
auf S. 106 seiner Übersetzung und aus BIE S. 360 hervorgeht.
"Z.B. stripurnsayoh (16.20), arthänarthayoh, jayaparäyoh, sukhaduhkha-
yoh (21.24), madhyamacandavegau (11.1) hzw. dharmärthau (2.16), präpti-
parihärau (3.23), anurägavirägau (79.24, s.o.S. 278). Alle diese Komposita versteht Schmidt richtig.
Unterteilung des Textes mittels dandas eine scharf konturierte Gestalt
an : Es wird nämlich klar, daß tatra yaträpy äsäm bhävädhigamät — wie
übhcherweise ein Ablativ bei Yaäodhara — das vorangehende ... ity
ayarn bhedo na yujyate begründet, daß entsprechend nach bhävädhigamät
ein Satzzeichen zu machen ist und das folgende drsyate ca bhedah mit
Emphase den Unterschied, von dem die Rede ist, als durch das Erkennt¬
nismittel der sinnhchen Wahrnehmung unzweifelhaft gesichert konsta¬
tiert, daß mit ity äsankä (81.25) nicht nur eine Wortgrenze erreicht ist,
sondern das Ende des ersten Abschnitts, der Darlegung des analogen
Einwandes gegen die Antithese des Bäbhravya (80.22—24), daß mit
parihäro 'pi (81.25) die Explikation der analogen ,, Vermeidung" dieses
Einwandes eingeleitet wird, die bei tan na beginnt und bei na punar
visrstisukhähhäväd iti** endet, daß im letzen Satz unbedingt die Lesung
äsankäparihärau eingesetzt werden muß, daß die deutsche Fassung also
zu lauten hat, wenn man außerdem die falsche oder schiefe Wiedergabe
einzelner Wörter wie z.B. väcya-, ciravega- usw. korrigiert:
„Auch in Bezug darauf wieder eben dieselben beiden, die Sorge (d.h.
der Einwand) und das Vermeiden (d. h. die Widerlegung des Einwandes)".
,,'Auch in Bezug darauf [=] auch, was die Ansicht des Bäbhravya
betrifft, sind 'eben dieselben beiden', die vorher gelehrte Sorge und das
vorher gelehrte Vermeiden zu lehren (d. h. ist der gleiche Einwand vorzu¬
bringen wie vorher gegen die These Auddälaki's und ist dieser auf die
gleiche Weise zu widerlegen wie vorher jener). Da das so ist, ist dann, wenn
[die Frauen, wie Bäbhravya behauptet, beim Koitus] von Anfang an
zum Orgasmus kommen, der Unterschied nicht stimmig, daß [die Frauen
einerseits] leidenschaftUche Zuneigung für [einen Liebhaber] empfin¬
den, der von langsamer Geschwindigkeit ist (d.h. der lange braucht, um
zum Ziel zu gelangen), und [andererseits] ungehalten sind, wenn ein
Liebhaber von schneller Geschwindigkeit (d.h. bei dem die Ejakulation
sehr rasch erfolgt) [kaum, daß er angefangen hat, schon wieder] aufhört,
weü sie (d.h. die Frauen), wenn dem so wäre, jedesmal [beim Koitus,
gleichgültig, mit welchem Typ von Liebhaber er ausgeführt wird] zum
Orgasmus kommen würden; und [doch] wird der Unterschied gesehen
(d.h. diese unterschiedliche Reaktion der Frauen tatsächlich beobachtet)
[so daß Bäbhravya's Ansicht nicht richtig sein kann, denn man hat zu
schheßen] : Weü [die Frauen für den ersten Typ von Liebhaber] leiden-
schafthche Zuneigung [empfinden], erlangen sie den Orgasmus wie der
Mann am Ende [des Koitus], [bzw.]: Weü es dieses Ungehaltensein [der
Frauen] gibt, deshalb [kommen sie] nicht vom Anfang an [zum Orgasmus]
So — die Sorge (d.h. der Einwand gegen die Antithese des Bäbhravya
ä2 Vgl. tac cana iti: 80.3—4; 85.10—11; 86.8—11.
22»
282 AiBRECHT Wezleb
analog zu dem Einwand gegen Auddälaki's These). Auch das Vermeiden
(d.h. die Widerlegung dieses Einwandes, wie sie 80.3—4 vorgetragen
wird) [ist zu lehren, und zwar so]: Das ist nicht [richtig], denn [1.] güt,
daß [die Frauen] auch von der Aktivität, die gegen das Jucken** [gerich¬
tet ist], gerne möchten, daß sie lange Zeit [andauert], und [2.] aufgrund der Tatsache, daß das Jucken [bei entsprechend langer Tätigkeit wirldich]
vertrieben wird**, und sie (d. h. die Frauen) empfinden Abneigung gegen¬
über [einem Liebhaber] von schneller Geschwindigkeit (d.h. der sehr bald
nach Beginn des Koitus ejakuliert), weü, wenn auch der Orgasmus [vom
Anfang des Koitus an] erlangt wird, die Vertreibung des Juckens, die
zusätzliche Zeit (d.h. mehr Zeit, als der Koitus dauert) [erfordern würde],
nicht zustande kommt. Oder [vielmehr]: WeU [hier ja] vom Orgasmus
[und nicht vom Jucken] die Rede ist, hat man [die Widerlegung des gegen
Auddälaki's These gerichteten Einwandes] adaptierend zu ergänzen:
Auch von der Erzeugung des Orgasmus möchten [die Frauen] gern, daß
sie [sich über] lange Zeit [erstreckt], und sie (d.h. die Frauen) sind von
heftiger Abneigung gegen [einen Liebhaber] erfüllt, der von schneller
Geschwindigkeit ist, weU er den Orgasmus nicht über eine lange Zeit hin
hervorruft ; denn die Frauen wollen, daß der Orgasmus in langer, ununter¬
brochener Folge entsteht, weü ihr Liebesverlangen achtfach ist; da das so
ist, ist [die Behauptung], daß 'die Schönäugigen von den Männern nicht
genug bekommen*«' deshalb stimmig, weü diese (d.h. die Männer) [nur]
ein einfaches Liebesverlangen haben, nicht aber deshalb, weü [die Frauen
überhaupt] der glückhaften Empfindung der [Samen-] Ergieß ung** er¬
mangelten [wie oben (79.3—13) behauptet worden war]. 'Und wieder*''
[=] wiederum [ist das] eine Sorge (d.h. ein Einwand) und [ist das]
ein Vermeiden (d.h. eine Widerlegung dieses Einwandes)".
Schmidt gesteht selbst ein, daß es ihm ,, trotz Zuhüfenahme aller er¬
reichbarer Handschriften nicht gelungen" ist, "alle Schwierigkeiten zu
^ Dieses Jucken, in dem die indischen Erotiker die Ursache des sexuellen
Verlangens der Frau erkennen, wird in der vulva von winzigen, aus dem
Blut entstandenen Würmern erzeugt; vgl. den von Yaäodhara (79.10—12)
zitierten Vers (Ratirahasya 3.8):
raktajäh krmayah süksma mrdumadhyograiaktayahj samarasadmasu kandütim janayanti yathübalam/j
^ Ich konjiziere kandütyapanodabliäväc ca.
*' Letzter, durch trpyanti ergänzter päda des Kämasütra 79.11—12 von
Yaiodhara zitierten sloka, zu dem man vergleichen möge O. Böthlingk,
Indische Sprüche, 2. Aufl., St. Petersburg 1870—1873, Spruch 3547.
^8 Nach Ansicht des Bäbhravya verfügt auch die Frau über Samen (vgl.
Kämasütra 80.22—81.19). iukra- gilt den indischen Medizinern ja als eines
der sieben Grundelemente des menschlichen, also auch des weiblichen,
Körpers; vgl. J. Jolly, Medicin, Straßburg 1901, S. 41f., 43, 49.
*' Das CO fehlt im sütra selbst.
beseitigen", aber er irrt, wenn er meint, die dunklen Stellen harrten vor
allem „der Beleuchtung vermittels der Lampe vorzüghcher Manus-
cripte*®". Es hat sich nämhch gezeigt, daß man auch ohne handschrift¬
liches Material, allein mit der Bombayer Ausgabe vor sich, sehr viel
weiter im Textverständnis kommen kann als er. Wenn Schmidt seinen
BIE den Vers voranstellt
anantapärarn kila kämasästrarn svalpam tathäyur bakavas ca vighnahj
särarn laio grähyam apäsya phalgu harnsair yathä ksiram ivämbu-
madhyätjl
der eigenthch auf die Grammatik, das sabdasästra, gemünzt war**, dann
darf am Ende des vorhegenden Aufsatzes ein anderes subhäsitä zitiert
werden :
yasya nästi vivekas tu kevalarn yo bahusrutahl na sa jänäti sästrärthän
darvi päkarasän ivajj^^
Korrektursatz : Aus J. Masson, Journal of the Oriental Institute
Baroda, Vol. XIX Nos. 1/2 (1969), p. 66 ff. ergibt sich, daß auch Schmidts
Übersetzung von Jayamangalä 278. 24—25 falsch ist. Mit agnihotrakena
beginnt dort nämlich eine neue Geschichte, so daß mit vadhüh nicht
Ahalyä gemeint sein kann, wie im übrigen ja auch Jayamangalä 24.14—
21 zeigt : da Yaäodhara die Ahalyä-Episode am Anfang seines Kommen¬
tars vergleichsweise ausführlich nacherzählt hat, kann er sich später
mit einem knappen Hinweis begnügen. Zu korrigieren ist demnach
auch W. B. BoLLiiE, Kunälajätaka (London 1970), p. 139f.
38 Zitiert nach Schmidt, BIE S. 22.
89 Vgl. O. Böthlingk, Indische Sprüche, Spruch 243.
Sidihäsimratimbliändägära, Bombay 1929, p. 41.9. Vgl. O. Böthlingk, Indische Sprüche, Spruch 5378.
•
J
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Die Jahreszeiten
im Spiegel der altindischen Literatur*
Von Claus Vogel, Marburg
1. Einleitung. — 2. Vedische Literatur: Sarnhitäs. — 3. Vedische Literatur:
Brähmanas. — 4. Vedische Literatm*: Sütras. — 5. Epische und purä^iische
Literatur. — 6. Buddhistische Literatur. — 7. Medizinische Literatur, —
8. Zusammenfassung.
\
1. Schon in grauer Vorzeit, ehe die Indogermanen gelernt hatten,
Sonnenbahn und Mondumlauf zu beobachten und daraus ein Jahr von
zwölf Monaten zu entwickeln, war ihnen eine einfache Art der Zeit¬
einteilung geläufig*. Sie beruhte offenbar auf den khmatischen Bedin¬
gungen ihrer Urheimat (wo immer diese gelegen haben mag) und um¬
faßte jedenfalls nur eine Kälte- sowie eine Wärmeperiode, von denen
besonders die erstere zugleich bei der Altersbestimmung verwendet
wurde und sich in dieser Funktion bis in die klassischen Sprachen
erhalten hat; man denke etwa an das griechische x'.^apo? und ^ifxaipa
,, einjährige männhche" bzw. ,, weibliche Ziege" oder an das lateinische bimus <*bihimus und trimus <*trihimus ,,zwei-" bzw. ,, drei jährig", die mit ■/s,i[Laiv bzw. hiems ,, Winter" zusammenhängen. Im vedischen
Schrifttum der Inder lassen sich die Namen der beiden Perioden als
himä und sämä nachweisen, obwohl sie auch dort ihre Grundbedeutung
,, Winter" und ,, Sommer" bereits eingebüßt haben und nur noch ,,Jahr"
heißen (sämä daneben vereinzelt ,, Halbjahr" oder ,, Jahreszeit, Wet¬
ter"); über ihren ursprünglichen Sinn kann es jedoch keinen Zweifel
geben: hima ist im Sanskrit als Maskulinum ein häufiges Wort für
,, Kälte, Winter" und als Neutrum ein ebenso häufiges Wort für
,, Schnee", harn kommt im Jungawestischen mehrfach als ,, Sommer"
vor. Die frühindogermanische Zeiteinteilung wirkte übrigens bis in den
Atharvaveda hinein ; noch der Sänger des Liedes VIII 9 spricht bloß
von sechs kalten und sechs heißen Monaten, kennt aber schon den
Schaltmonat :
* Gastvortrag, gehalten am 3. Juli 1968 im Rahmen des interdisziplinären Seminars des Südasien-Instituts in Heidelberg.
* Vgl. Schbadeb, Reallexikon der indogermanischen Altertumskunde' I S.
525fr.