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Archiv "Japans Psyche ist anders" (07.09.1978)

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luntas" die Maxime sein muß (was ja auch schon viele Juristen so ausge- sprochen haben). Mit der Überstei- gerung der Aufklärungslast begün- stigt die Rechtsprechung den Ver- trauensabbau in der Patient-Arzt- Beziehung, denn nicht der Patient verklagt seinen Arzt, sondern der

„Klient" den „Experten"!

Natürlich wissen wir, daß es zu ei- nem wesentlichen Teil die Schwie- rigkeiten der Rechtsprechung auf dem Gebiet der Behandlungsfehler („Kunstfehler"-Prozesse) sind, die zum „Auffangtatbestand" der Auf- klärungspflichtverletzung drängen.

Von ärztlicher Seite sind deshalb ja u. a. die Gutachterkommissionen für Behandlungsfehler bzw. Schieds- stellen ins Leben gerufen worden.

Die Gerichte sollten endlich die Kon- sequenz ziehen und ihrerseits in der Mehrzahl der Fälle von zwei oder drei Gutachtern zu erstellende Kol- legialgutachten anfordern. Schließ- lich sollte — nachdem es das in Schweden bereits gibt — erneut über die Gefährdungshaftung nachge- dacht werden.

Hinsichtlich der Aufklärung als un- eingeschränkter Rechtspflicht muß von ärztlicher Seite auf eine Locke- rung gedrängt werden, die wohlbe- gründete ärztliche Gesichtspunkte nicht so wie bisher beiseite schiebt.

Die Obergerichte, vor allem der BGH bleiben aber dabei, den Ärzten im- mer restriktiver eine überzogene Aufklärungspflicht als Zuchtrute ge- gen ärztliche Eigenmacht vorzuhal- ten, was in Wahrheit dazu dient, auf diesem (Um-)Weg die mit einem Mißerfolg endende oder fehlerhafte ärztliche Behandlungsmaßnahme in eine rechtswidrige Körperverletzung umzuwandeln. Deshalb sollten die Ärzte nun aufgerufen sein zu einem systematischen Dialog mit den Juri- sten allgemein, der Rechtsprechung im besonderen, über die Relativität des „uneingeschränkten Persön- lichkeitsrechts" des Patienten; über die Grenzen der Aufklärung als Rechtspflicht; über den unabding- baren, freilich auf Wissen und Kön- nen gestützten, vom ärztlichen Ge- wissen eingegrenzten Handlungs- spielraum des Arztes.

Der Jurist Kleinewefers hat darauf hingewiesen, „daß es im Grunde um das Rangverhältnis und die Abgren- zung von zwei Rechts- und Interes- senkreisen geht." Der Arzt kann und darf die von der Rechtsprechung aufgestellte Rangordnung, die die Willensentscheidung des Kranken über dessen körperliches Wohl und Wehe, ja sein Leben stellt, nicht oh- ne Widerspruch hinnehmen. Das von Kleinewefers herausgestellte unterschiedliche Rangverhältnis be- darf ebenso der Abklärung durch gegenseitigen Dialog wie Definition und Abgrenzung der Interessen- kreise.

Die vorstehenden Ausführungen sollen zur Einleitung dieses dringli- chen systematischen Dialogs beitra- gen.

(Teilweise nach einem Referat vor der Evange- lischen Akademie Bad Boll am 24. September 1977 unter dem Thema „Die ärztliche Aufklä- rungs- und Haftpflicht, eine medizinische und soziale Frage".)

Literatur beim Verfasser Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med. Hans Kuhlendahl Direktor der Neurochirurgischen Universitätsklinik, Moorenstraße 5 4000 Düsseldorf

ZITAT

Erfolgszwang

„Je länger das Stadium des Sozialismus dauert, desto weniger zählt allein die Be- schwörung von Zukunftsper- spektiven und um so mehr der tatsächliche und abseh- bare wirtschaftlich-soziale Erfolg. Dabei wird jedoch of- fenkundig, wie sehr gerade einer Zentralverwaltungs- wirtschaft die Spannung zwischen den wachsenden Konsumbedürfnissen und den Möglichkeiten ihrer gleichzeitigen Befriedigung zu schaffen macht."

Professor Dr. Bruno Molitor, Universität Würzburg, in:

„Rheinischer Merkur".

Japans Psyche ist anders

Zu dem Aufsatz von

Margarete und Hans-Joachim von Schumann

in den Heften 9 und 10/1978

1. Akupunktur

Mit viel Interesse und Gewinn habe ich den Artikel über die sozialpsy- chologischen und sozialpsychiatri- schen Bedingungen in Ostasien und speziell in Japan gelesen, bis ich auf das Kapitel über die chinesische Akupunktur gestoßen bin. Darin wird der Eindruck erweckt, als sei die Wirkung der Methode aus- schließlich auf rassische, soziokul- turelle und suggestive Gegebenhei- ten zurückzuführen.

Hierzu muß bemerkt werden, daß es inzwischen eine Reihe kontrollierter tierexperimenteller sowie klinischer Belege gibt, die diese Auffassung eindeutig widerlegen können. So werden am Akupunkturforschungs- zentrum Shanghai Versuche speziell an kleinen Tieren (Ratten usw.) durchgeführt, die bekanntlich auf Suggestion nicht ansprechen.

Ebenso ist beim Menschen schwer vorstellbar, daß die Erfolge der Aku- punkturbehandlung allein durch hypnotische Effekte zustande kom- men, da sich das EEG unter Aku- punktur nicht im entsprechenden Sinn verändert.

Die ideologische Vorbereitung auf eine Akupunkturanästhesie in China kann möglicherweise zu einer über- lagernden suggestiven Wirkung und damit zu einer zusätzlichen Einspa- rung von Analgetika bzw. Narkotika führen. Andererseits lassen sich trotz fehlender ideologischer Beein- flussung in Deutschland und ande- ren westlichen Ländern die bekann- ten Ergebnisse im Rahmen einer Kombinationsanästhesie erzielen.

Abgesehen von der schnelleren Er- holung der Patienten nach einer sol-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 36 vom 7. September 1978 2007

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Psychiatrie in Japan

chermaßen durchgeführten Narkose kann für bestimmte Fälle, wie feh- lende Narkosefähigkeit im hohen Al- ter oder kurzzeitig wiederholte Ein- griffe, dieses schonende Verfahren reserviert werden.

Zum Einwand der Indolenz bei chi- nesischen Patienten darf ich darauf verweisen, daß die Tiefe des Ein- stichs auch hier in Deutschland von den meisten Patienten erst nach Herausziehen der Nadel wahrge- nommen wird, und wenn sie aus- drücklich darauf hingewiesen wer- den. Ausschlaggebend ist vielmehr neben dem Nadeldurchmesser die saubere Beherrschung der Einstich- technik.

Die Schwierigkeit des Zugangs zur Akupunktur ist bei der bisherigen Fülle der sekundären und tertiären Literatur erheblich gewesen. Die philosophisch durchsetzten Erklä- rungs- und Einordnungsbemühun- gen der alten Chinesen sind ein wei- terer Hinderungsgrund dafür, sich als westlich geschulter Arzt mit die- ser Therapie zu befassen. — Jedoch sollte nicht vergessen werden, daß in den letzten 20 Jahren in China ein erheblicher Wandel in der Einstel- lung zur Akupunktur stattgefunden hat. Heute wird in aller Regel nach pragmatischen Indikationsprogram- men bei bestimmten Erkrankungen verfahren. Erst bei nicht befriedi- gendem therapeutischen Anspre- chen wird das anfängliche Pro- gramm nach den alten chinesischen Regeln modifiziert.

Auch die Forschungsansätze der Chinesen entsprechen einem Vorge- hen, welches der westlichen Denkart zugänglicher ist. So werden tierex- perimentell zum Teil auch neue Punkte auf ihre physiologischen Korrelate hin untersucht. Ein Schwerpunkt liegt zur Zeit in der An- wendung zweier Rückenpunkte zwecks Relaxation der Muskulatur, besonders im Hinblick auf Abdomi- naloperationen. Dieses Problem be- hinderte bislang wesentlich den Ein- satz der Akupunktur in der Bauch- chirurgie, im Gegensatz zu den bes- seren Möglichkeiten im Thoraxbe- reich.

Abschließend kann somit gesagt werden, daß China auf dem Gebiet der Akupunktur kein Entwicklungs- land mehr ist.

Literatur

The Academy of Traditional Chinese Medicine:

An Outline of Chinese Acupuncture, Peking 1975 — H. Leicher, H. F. Herget, G. Kampik, E. Kolb: Gibt es begründbare Anwendungs- möglichkeiten für die Akupunktur bei Ge- sichts- und Kopfschmerzen? in Laryng. Rhinol 56 (1977) 387-396 — A. Jayasuriya, F. Fernan- do: Principles and Practice of Scientific Acu- puncture, Colombo 1978

Dr. Raymund Pothmann Lichtstraße 17, 4000 Düsseldorf

II. Abweichende Impressionen

Als bisher einziger deutscher Arzt war ich im vergangenen Jahr für neun Monate in Peking und durfte dort, dank eines Stipendiums, Aku- punktur studieren. Vergeben wurde das Stipendium durch China in Zu- sammenarbeit mit dem DAAD*). Zu- vor hatte ich zwei Jahre lang in Tai- wan Chinesisch gelernt. Die Ausbil- dung erfolgte in chinesischer Spra- che als Einzelunterricht und prak- tisch am Krankenbett der Poliklinik.

Aufgrund meiner dort gewonnenen Erfahrungen muß ich vielen Inter- pretationen von Herrn und Frau von Schumann widersprechen. Ich bin mir dabei bewußt, daß auch ich nur einen kleinen Teil Chinas kenne und nur subjektiv sein kann.

C) „Bereitwillige" Auskunft durch Dolmetscher oder andere Touristen- betreuer gibt es nicht. Auf die zu- meist lästigen Fragen der Ausländer werden Antworten gegeben, deren propagandistischer Gehalt oder de- ren Unverfänglichkeit wichtiger sind als der Wahrheitsgehalt. Bevorzugt werden Antworten, die bereits ir- gendwo offiziell in gedruckter Form erschienen sind.

Ich habe es nie erlebt, daß man die Patienten mit sozialistischer Pro- paganda belästigt oder suggestiv zu beeinflussen versucht hätte. Was den Autoren als äußerst entschei- dend erscheint, findet in Wirklich-

*) DAAD = Deutscher Akademischer Aus- tauschdienst

keit also gar nicht statt. Die meisten Patienten, die mit Akupunktur be- handelt werden, suchen sich diese Therapieart selbst aus, wie auch in Deutschland. Daneben gibt es bei geeigneten Krankheiten Überwei- sungen aus anderen Fach- richtungen. Die stärkste Überlap- pung tritt zur Orthopädie auf.

® Nur ein Teil aller Behandlungen erfolgt mit Akupunktur. Am häufig- sten wird vermutlich die Phytothera- pie angewendet. Grundsätzlich gibt es aber alle bei uns bekannten Medi- kamente. Selbstverständlich behan- delt man auch in China eine Pneu- monie mit Antibiotika. Die Eigensyn- these für ein neueres Medikament hinkt im allgemeinen nur wenige Monate hinter der westlichen Pro- duktion her.

® Man kann nicht ohne weiteres von „chinesischen Kollegen" bzw.

„Ärzten" reden, da der Titel „Arzt"

eine Sammelbezeichnung für die verschiedensten Ausbildungsgrade ist, entsprechend etwa Sanitätern, Heilpraktikern und Ärzten. Die ei- gentlichen Ärzte haben ein mit unse- rem vergleichbares Ausbildungsni- veau, denken in wissenschaftlichen Bahnen und üben zum Teil Aku- punktur aus, ohne die 4000 (I) Jahre alte Geschichte zu kennen. Auch mein Unterricht war nicht ganz so verwirrend wie das Zitat von Schnor- renberger und der daran anschlie- ßende Abschnitt mit dem Exkurs über die vier geistig/seelischen Qualitäten. In der offiziellen chinesi- chen Umschrift gibt es jedenfalls keines der vier „chinesischen" er- wähnten Worte.

® Vermutlich haben die Autoren sich selber noch nie behandeln las- sen, sonst würden sie nicht die Indo- lenz der Patienten mit der ange- wandten Nadeltiefe korrelieren.

Charakteristisch für die Akupunktur ist es ja gerade, daß die Nadeln in der Tiefe eine Empfindung auslösen, die keinen Schmerzcharakter hat.

Die chinesische Bezeichnung hier- für (zhäng) ist nicht übersetzbar.

Die Erklärungsversuche der Autoren über die Wirkungsweise der Aku-

2008 Heft 36 vom 7. September 1978 DEUTSCHES ARZ'I'EBLATT

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punktur beruhen zum Teil auf fal- schen Annahmen und Beobachtun- gen. Sie tragen daher nichts zum Verständnis über die Wirkungsweise der Akupunktur bei. Zugegeben, es fehlt nach wie vor eine brauchbare Theorie. Solange es aber bei uns keine Ausbildungsmöglichkeiten in der Akupunktur gibt und zudem die ausübenden Heiler oft nur be- schränkte Kenntnisse in wissen- schaftlicher Medizin haben, wird es auch keinen Fortschritt geben kön- nen. Eine kassenärztliche Vergü- tung kann ich nur grundsätzlich be- fürworten, damit die Quacksalber- welle eingedämmt wird. Zuvor müß- te man aber Richtlinien aufstellen,

welche erworbenen Kenntnisse wie nachgewiesen werden.

Dr. med. Heinrich Hasper Gottorpstraße 52

2000 Hamburg 52

III. Konfuzius

Durch mein Studium der klassi- schen und modernen Sinologie, durch langjährige Beschäftigung mit japanischer Sprache und Kultur, durch viele Kontakte mit japani- schen und chinesischen Kollegen mit der Materie etwas vertraut, fand ich den Artikel des Autorenpaares zwar insgesamt aufschlußreich und belehrend, jedoch mit einigen Un- richtigkeiten und mit einem gründli- chen Mißverständnis fernöstlichen Denkens behaftet.

Japanische wie chinesische Natur- verehrung hat ihre Wurzel in einer sehr archaischen, religiösen Weltan- schauung, die den ganzen Fernen Osten beeinflußt hat und bis heute wirksam geblieben ist, weil sie im inneren Aufbau der chinesischen Bilderschrift tradiert wird. Sie wurde in China von Kung-tse theoretisch durchgearbeitet und kanonisiert, in Japan mit mythologischen Elemen- ten vielleicht polynesischer Herkunft durchsetzt und bildet bis heute je- nes lockere Denkgefüge, welches Shintoismus genannt wird. Seinen Namen Shin-to, d. h. Weg der Gei- ster, erhielt es, zu Unrecht, von die- sen mythologischen Elementen,

wohl in Analogie zur mythologi- schen Entwicklung des Taoismus in China.

Es war die grandiose Leistung des Kung-tse, aus dieser archaischen Religion ein bis heute im wesentli- chen gültiges, ethisches System ab- zuleiten, das nur in sinnenfällige Er- fahrung gründet und jeden Rück- griff auf mythologische Spekulation meidet. Dieses ethische System wur- de auch von den Japanern über- nommen und assimiliert. In seiner sinnenfälligen Einfachheit bildet es den sehr tragfähigen Boden für den Grundkonsensus sonst sehr ver- schiedenartig denkender Menschen.

Dieser ethische Grundkonsensus hatte zur Folge, daß das Bedürfnis großer Volksteile nach dogmatisier- ter Religion begrenzt blieb. Die dar- aus resultierende Haltung fernöstli- cher Menschen wird oft mit Ungläu- bigkeit oder gar Atheismus verwech- selt. Daß sie dies aber nicht ist, zeigt sich darin, daß sich militante Feind- lichkeit gegenüber dogmatisierten Religionen nur selten entwickelt hat.

Neuere Entwicklungen in dieser Richtung gründen in Identifikations- problemen gegenüber und dem Ge- fühl der Bedrohtheit durch europäi- sche Zivilisation und haben somit ganz andere Wurzeln als etwa der militante Atheismus der Sowjet- union und der von ihr beeinflußten Staaten. Im Abendland gab es Ent- wicklungen in Richtung dieser fern- östlichen Denkweise nur in winzigen Ansätzen, z. B. in der Person des Franz von Assisi. Deswegen war auch das Verständnis der Abendlän- der dafür nie groß.

Nicht den geringsten Zweifel habe ich daran, daß auch das Denken Mao Tse-tungs in dieser archai- schen, konfuzianisch formulierten Weltanschauung wurzelte, die er — wie Interview-Äußerungen über Gott und über das eigene Schicksal nach dem Tode belegen — durchaus als Religion verstand. Die Anti-Konfu- zius-Kampagne seiner letzten Tage ist denn auch nicht als ein Kampf gegen den Meister selbst zu verste- hen, sondern als eine Warnung vor dem Schicksal des Meisters, näm-

lich im Dogmatismus der Schüler gründlich mißverstanden zu werden.

Die dogmatischen Entwicklungen des Konfuzianismus hatten nämlich für die chinesische Sozialgeschichte verhängnisvolle Folgen. Wie der Kampf gegen die sogenannten „Vie- rerbande" zeigt, wurde Mao Tse- tungs letzte Warnung gut verstan- den und befolgt.

Die grundsätzliche und vortreffliche Eignung der konfuzianisch formu- lierten Weltanschauung zur Koope- ration mit dogmatisierten Denksy- stemen jeder Art erkannt zu haben, war die geniale Leistung der Jesui- ten im 17. Jahrhundert — sie ver- kannt zu haben, und das gilt auch für den Shintoismus, war einer der folgenschwersten Irrtümer der von der Scholastik beherrschten päpstli- chen Kurie.

Im übrigen spielen mythologische Figuren aus dem Vulgärshintois- mus, z. B. der Fuchsgott [nah, in ja- panischen und mythologische Figu- ren aus dem Vulgärtaoismus, z. B.

der Nephritkaiser, in chinesischen Psychosen die gleiche Rolle wie et- wa die Figuren Jesus, Maria oder der Erzengel Raphael in den abendlän- dischen. Man muß allerdings diese mythologischen Figuren kennen, um gezielte Fragen stellen zu kön- nen. Diese letzte Anmerkung ist als ein Seitenhieb zu verstehen auf den wissenschaftlichen Wert bestimm- ter, fachlich kamouflierter touristi- scher Aktivitäten.

Dr. med. Willy K. Müller Psychiatrisches

Landeskrankenhaus 6908 Wiesloch

IV. Kompliziertes Japan

Die kurze Zeit, die der Autor wahr- scheinlich in Japan verbrachte, macht es verständlich, daß viele ge- zogene Schlüsse oberflächlich blei- ben mußten oder einer Idealisierung traditioneller Werte unterzogen wur- den, die der heutigen japanischen Wirklichkeit nicht standhalten. Auf einige Fehlinformationen möchte ich aber dennoch hinweisen.

DEUTSCHES ÄRZ VEBLATT Heft 36 vom 7. September 1978 2009

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Spektrum der Woche Aufsätze Notizen Psychiatrie in Japan

So erhält man den Eindruck, als wenn die japanische Studenten- schaft aus Rechts- oder Linksextre- misten, Zen-Buddhisten oder Mit- gliedern der Soka-Gakkai besteht.

Der Anteil dieser Gruppen an der Gesamtstudentenschaft ist ver- schwindend gering, der Anteil der aktiv Zen-Buddhismus Betreiben- den an der Gesamtbevölkerung kann gar nicht in Prozentzahlen aus- gedrückt werden. Sehr zur Enttäu- schung vieler Ausländer spielt die- ser höchstens noch als unterschwel- lige Kulturströmung eine Rolle, aber nicht im konkreten Arbeitsleben des heutigen Japaners.

Ebenso ist nicht ganz richtig, daß die psychiatrischen oder psychothe- rapeutischen Behandlungsverfah- ren auf typisch ostasiatischer Auf- fassung beruhen. Im Gegenteil, die Morita-Therapie wird noch nicht einmal von einem Prozent der psychiatrischen Krankenhäuser in Japan betrieben, während der über- wiegende Teil westliche Psychiatrie und Psychotherapie anwendet. Ja- paner vermeiden es keineswegs, mit ihren Ärzten über Sex zu sprechen.

Die Psychoanalyse (die Japanische Gesellschaft für Psychoanalysen hat über 1000 Mitglieder) wird nach westlichen Schulen durchgeführt und lehnt den Ich-Anspruch des ja- panischen Patienten genausowenig ab wie den des deutschen. Gerade deshalb sind ihre Erfolge gering, weil das gestärkte Einzel-Ich sich in Gegensatz zur Gruppe stellen muß, was in Japan (noch ?) unmöglich ist.

Woher der Autor die Meinung hat, daß die japanische Frau heute ein

„privates, freies" Dasein ohne Be- schränkung im öffentlichen Leben führt, weiß ich nicht. Jedenfalls zeugt sie von ziemlicher Unkenntnis der japanischen Gesellschaft.

Auch heute wird die Frau von ihrer Firma und sogar im Staatsdienst aufgefordert (Gesetze haben in Ja- pan eine andere Bedeutung als bei uns!), von sich aus zu kündigen, um sich zwischen 23 und 25 Jahren auf ihre Heirat vorzubereiten (die höhe-

ren Positionen, die nach dem Senio- ritätsprinzip vergeben werden, sind Männern vorbehalten). Geheiratet wird durch Vermittlung von Eltern, Freunden und Lehrern nach kompli- zierten sozialen Regeln und eher nach wirtschaftlichen und Standes- gründen als aus Liebe.

Familienplanung durch Anti-Baby- Pille ist durch das Koseisho (Wohl- fahrtsministerium) und nicht durch die Ärztekammer verboten, die dazu gar keine Befugnis hat. Männer wer- den auch heute noch grundsätzlich ohne ihre Ehefrauen eingeladen (es sei denn, man baut den Ausländern einen Türken), eher noch mit ihren Freundinnen, wenn sie sich finan- ziell eine leisten können.

Man könnte noch einiges anmerken, wozu der Platz hier nicht ausreicht.

Es bewahrheitet sich hier leider wie- der der untaugliche Versuch, eine höchst komplexe Gesellschafts- struktur wie die japanische mit kei- nen Sprachkenntnissen in kürzester Zeit und durch Vermittlung von Ja- panern kennenzulernen, die sich den „gaijin" (Außenmenschen = Ausländer) gegenüber völlig anders verhalten, als sie es in ihrer Innen- struktur tun.

Dr. Jürgen Nüssner 3-36-29 Kugayama Suginami-Ku Tokyo

V. Bestätigung

Ihren Aufsatz „Japans Psyche ist an- ders" in DEUTSCHES ÄRZTEBLATT habe ich mit großem Interesse gele- sen. Angeregt durch meinen Kon- greßbesuch in Kyoto im September vorigen Jahres, verbunden mit eini- gen Klinikbesichtigungen habe ich auch meine Reiseeindrücke zusam- mengefaßt. Die Arbeit wird im Laufe des Jahres in der Zeitschrift für Psy- chosomatische Medizin erscheinen.

Ihr Interesse voraussetzend, darf ich Ihnen — ausnahmsweise einmal un- aufgefordert — mein Manuskript zu- senden. Die Berichte über Japan und speziell auch über japanische Psychiatrie und Psychotherapie

ähneln sich ja so sehr, daß man sei- ne eigenen Beobachtungen immer wieder bestätigt findet.

Professor

Dr. med. Heinz Schepank Zentralinstitut

für Seelische Gesundheit J 5,

6800 Mannheim 1

Schlußwort

Einwände gegen unsere Auffassung von der Akupunktur haben wir von Anhängern dieser Methode erwartet.

Indessen haben wir in unseren Pra- xen außer einer vorübergehenden, sicherlich psychischen Wirkung bis- her keine dauerhaften Besserungen oder sogar Heilungen bei Patienten gesehen, die von Kollegen oder Heil- praktikern mit Akupunktur behan- delt worden sind. Leider teilt Poth- mann nicht mit, was die Chinesen im Forschungszentrum Shanghai an Ratten und anderen Versuchstieren feststellen konnten, bei denen mit Akupunktur experimentiert wird. Auf die mit den herkömmlichen Narko- semitteln kombinierte Akupunktur- anästhesie, die Pothmann erwähnt, hatten wir bereits selbst hingewie- sen .und bemerkt, daß dafür ein er- heblicher Arbeits- und Zeitaufwand erforderlich ist, so daß diese Metho- de in der allgemeinen Praxis bei am- bulanten Eingriffen ungeeignet ist.

Die Meinung von Hasper, daß in Chi- na weder Dolmetscher noch andere Touristenbegleiter bereitwillige Aus- künfte erteilen, entspricht nicht den Erfahrungen, die wir als eine von der Bundesärztekammer im Jahre 1975 organisierte Gruppe gemacht ha- ben. Wir diskutierten recht ausgie- big mit chinesischen Kollegen in englischer Sprache; falls man diese nicht beherrschte, wurden Dolmet- scher bereitwillig eingeschaltet, sei es beim Besuch eines Universitäts- hospitals, sei es in Krankenstationen auf dem Lande, in denen es nur

„Barfußärzte" gab, welche lediglich mit Kräutern behandelten. Moderne Medikamente wie Antibiotika, Korti- sone u. a. haben wir dort nirgends entdecken können; sie sind den gro- ßen Krankenhäusern vorbehalten,

2010 Heft 36 vom 7. September 1978 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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wie wir erfuhren. Andererseits wur- den wir von den chinesischen Kolle- gen und Dolmetschern in fachlicher und kultureller Hinsicht befragt. Hin- zu kam, daß die Chinesen um so aufgeschlossener wurden, je weiter wir uns von Peking entfernten.

Schon äußerlich bemerkten wir die Unterschiede: Im Raum von Peking waren alle Männer und Frauen mit einer Art Einheitsuniform bekleidet und trugen gleiche Haarschnitte. Je mehr wir uns dem Süden Chinas nä- herten, desto lässiger wurde diese Uniformierung der Bekleidung und die Haartracht gehandhabt. Wir sa- hen dort Frauen, die farbige Blusen trugen, und Männer in Hemdsär- meln. Da unser Pekinger Dolmet- scher aus dem Süden stammte, war er entsprechend aufgeschlossen und vermittlungsbereit für die mei- sten unserer Wünsche.

Die Ausführungen von Willi K. Mül- ler über die Wurzeln der japanischen und chinesischen Naturverehrung bilden eine Ergänzung zu unseren Darstellungen. Indessen war es nicht unsere Absicht, diesen histori- schen Grundlagen, die im übrigen umstritten sind, nachzugehen, son- dern wir wollten die Problematik des Fernen Ostens von heute in sozial- psychologischer und sozialpsychia- trischer Sicht soweit darstellen, wie es der uns dankenswerterweise von der Redaktion des DEUTSCHEN ÄRZTEBLATTES zur Verfügung ge- stellte Raum ermöglichte. Die Aus- einandersetzung mit der westlichen Welt, zu der auch die USA rechnen, hat in Japan intensiv begonnen, und auch China wird in absehbarer Zeit nicht umhinkommen, sich mit der abendländischen modernen Kultur und Technik zu befassen.

Daß mythologische Figuren aus dem Vulgärshintoismus und -Taoismus in Psychosen der Japaner und Chi- nesen die gleiche Rolle spielen wie etwa die Figuren Jesus und Maria in den abendländischen, mag vorkom- men. Im übrigen stellte Schalten- brand bereits 1931 (Z. gs. Neurol.

Psych.) fest, daß in Peking die Psy- chosen im wesentlichen eine gleich- artige Symptomatik wie in Deutsch- land zeigten. Auch Pfeiffer (Trans-

kulturelle Psychiatrie, Stuttgart 1971) berichtet von Wahninhalten, die man als nahezu allgemeingültig bezeichnen könnte. Das gleiche ha- ben wir von japanischen Psychiatern vernommen. Die mythologischen In- halte von Psychosen, die Müller er- wähnt, sind nichts Ungewöhnliches, aber auch nichts Besonderes. Wie in der westlichen Welt richten sich die Wahninhalte nach den jeweiligen epochalspezifischen kulturellen und zivilisatorischen Strömungen.

Nüssner hat unseren Aufsatz wohl noch oberflächlicher gelesen, als er meint, daß wir Japan bereist hätten.

Bezüglich der japanischen Frauen hatten wir nämlich dargestellt, daß sie im allgemeinen um das 25. Le- bensjahr herum heiraten, nachdem sie von ihren Betrieben in der Haus- haltsführung unterwiesen und auch sonst auf die Ehe vorbereitet waren, und daß darüber hinaus viele Mäd- chen selbst von dieser „Bemutte- rung" durch ihren Arbeitgeber und von der Bevormundung durch die Eltern sich befreit hätten. Ebenso berichteten wir, daß nicht die Ehe- frau des Gastgebers, sondern die weiblichen Angestellten der Klinik an Einladungen teilnahmen.

Daß es daneben auch traditionelle Formen mit Beschränkung der weib- lichen Gleichberechtigung gibt, hat- ten wir gleichfalls erwähnt. Wir hat- ten fernerhin dargestellt, daß viele Strömungen unter den japanischen Studenten zu beobachten sind, daß aber die meisten von ihnen nach Vollendung des Studiums zu Prag- matikern werden und das ehemals so gehaßte Establishment akzeptie- ren. Die Psychoanalyse spielt nach unseren Erkundigungen, die wir bei Leitern japanischer Kliniken einge- zogen haben, im Vergleich zu Euro- pa eine völlig untergeordnete Rolle.

Es sind in Japan kaum zwei Dutzend voll ausgebildeter Psychoanalytiker, auch gibt es keine psychoanalyti- sche Ausbildungsinstitution.

Dr. med. Dr. phil. habil.

Hans-Joachim von Schumann Dr. med. Margarete von Schumann Rembrandtstraße 30

4000 Düsseldorf

AUFWAND UND ERTRAG

Bei der folgenden Zuschrift bleibt Ihnen, lieber Leser, nichts anders übrig, als die beiden angesprochenen Textstellen nochmals nachzulesen, um den Zusam- menhang herzustellen (DEUTSCHES ÄRZTEBLATT, Heft 27/1978, Seiten 1592 und 1588):

Renger-Ehrenberg

.. Sie brachten die Glosse, in der Sie eine Äußerung von Frau Renger über die Abgeordneten-Diäten sehr nett auf die Ärztehonorare bezogen.

In derselben Ausgabe finde ich auf Seite 1588 ein Zitat des Bundesar- beitsministers Dr. Ehrenberg, das man in ähnlicher Weise gestalten könnte: „Die Fragen, ob der enorme Mitteleinsatz für das politische Sy- stem zu einer entsprechenden Ver- besserung des Ansehens der Politi- ker führt, sind lauter geworden. Wir werden uns diesen Fragen stellen müssen — nicht nur, weil der Gesetz- geber den Politikern den Auftrag ge- geben hat, sich mit der Effizienz und der Effektivität der Regierung zu be- fassen. Die Notwendigkeit, das Ver- hältnis von Aufwand und Ertrag in den politischen und administrativen Gremien kritisch zu überprüfen, er- gibt sich auch aus den enger gezo- genen Finanzierungsspielräumen, die ein abgeschwächtes Wirt- schaftswachstum nun einmal mit sich bringt." Schade, daß Herr Dr.

Ehrenberg kein Kassenarzt ist, unse- re Funktionäre könnten viel von sei- ner Argumentation lernen.

Dr. med. H. W. Gutacker Bernhard-Klein-Straße 15 5340 Bad Honnef 1

KINDERMORD

Zu dem Artikel von Prof. Dr. Elisabeth Trube-Becker: „Vernachlässigung von Säuglingen und Kleinkindern" in Heft 17/1978:

Im guten Jahr 1695

Im vergangenen Jahr hatte ich etwa 10 000 Kirchenbucheinträge aus den Jahren 1603-1798 von Pfarreien der

Mittelmosel und des Hunsrücks

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 36 vom 7. September 1978 2011

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