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Archiv "KBV-Vertreterversammlung: Geschlossen gegen die Gesundheitsreform" (23.05.2003)

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ausärzte, Fachärzte und Psycho- therapeuten rücken zusammen.

Alle drei Fachgruppen haben sich auf ein Konzept geeinigt, das sie ge- meinsam mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) gegenüber der Politik vertreten wollen. Die in- nerärztlichen Auseinandersetzungen um den richtigen Weg bei der anstehen- den Gesundheitsreform scheinen damit beigelegt. Bundesgesund- heitsministerin Ulla Schmidt muss mit einer geschlossen auftretenden (Vertrags-)Ärzteschaft rechnen, die nicht bereit ist, sich auseinan- der dividieren zu lassen.

Dies ist das wichtigste Ergeb- nis der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung, die im Vorfeld des 106. Deut- schen Ärztetages am 19. Mai in Köln stattgefunden hat. Der un- mittelbar vor der Delegiertenver- sammlung zustande gekommene Kompromiss zwischen den Fach- gruppen sieht ein so genanntes 2-Tarife-Modell vor. Danach sollen die Versicherten zu einem be- stimmten Stichtag die Möglichkeit haben, sich für einen Hausarzt- oder Facharzttarif zu entscheiden. Bei der Wahl des Hausarzttarifs müssen sie zunächst den Hausarzt aufsuchen.

Ausgenommen davon sind Augenärzte und Gynäkologen. Alle anderen Fach- ärzte könnten nur auf Überweisung in Anspruch genommen werden. Dafür blieben die Versicherten im Sachlei- stungsprinzip.

Die Alternative wäre der Facharztta- rif. Hierbei hätten die Versicherten nach wie vor die freie Arztwahl und die freie Wahl der Versorgungsebene, müssten

aber in das Kostenerstattungsprinzip wechseln. Sie erhielten eine Rechnung über die kassenärztlichen Leistungen nach festen Punktwerten und müssten einen prozentualen Selbstbehalt tra- gen. Für beide Tarife würden nach den Vorstellungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung getrennte Chipkar- ten ausgestellt, um die Zuordnung des

Versicherten zu dem von ihm gewähl- ten Tarif transparent zu machen. Wählt der Versicherte das Hausarztsystem, nimmt aber Fachärzte ohne Überwei- sung direkt in Anspruch, würde auch dies zur Kostenerstattung führen.

Dieses Modell fand bei der Vertre- terversammlung der KBV großen Zu- spruch. Es ist auch nach Auffassung der Delegierten geeignet, die ambulante ärztliche Versorgung sinnvoll zu glie- dern, ohne zugleich der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) Geld zu

entziehen. Dies wäre nämlich die Folge eines Hausarztsystems, wie es der Bun- desregierung derzeit vorschwebt. Nach den Plänen von Ulla Schmidt sollen die Versicherten im Hausarztsystem einen Bonus in Form einer reduzierten Arz- neimittelzuzahlung erhalten. Ob dieses Geld von den Krankenkassen wieder eingespart werden kann, ist jedoch frag- lich. Bei dem 2-Tarife-Modell fie- le ebenso der Malus weg, der im Entwurf des Gesundheitssystem- modernisierungsgesetzes vorge- sehen ist. Die Versicherten, die sich für ein Hausarztsystem ent- schieden haben, müssten – so der Gesetzentwurf – bei der direkten Inanspruchnahme eines Facharz- tes ohne Überweisung durch ei- nen Hausarzt pro Behandlungs- fall eine Praxisgebühr von 15 Eu- ro entrichten.

Mit den beiden alternativen Ta- rifen erkennt die Kassenärztliche Bundesvereinigung die Notwen- digkeit an, die Rolle der Hausärzte im Gesundheitswesen zu stärken.

Sie ist aber davon überzeugt, dass ihr Modell den Patienten mehr Wahlfreiheiten lässt. Auch Haus- ärzte, Fachärzte und Psychotherapeu- ten glauben, mit dem 2-Tarife-Modell zu einer sinnvollen Kooperation zu kommen, ohne einem Wettbewerb un- ter ungleichen Rahmenbedingungen ausgesetzt zu werden. Dies wäre aber nach Ansicht der Delegierten der Fall, wenn das Gesundheitssystemmoderni- sierungsgesetz in der jetzt vorliegenden Form verabschiedet würde.

In diesem Zusammenhang sprach Dr. med. Manfred Richter-Reichhelm, der Erste Vorsitzende der KBV, von A

A1400 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 2123. Mai 2003

KBV-Vertreterversammlung

Geschlossen gegen die Gesundheitsreform

Hausärzte, Fachärzte und Psychotherapeuten wollen gemeinsam gegen den Gesetzentwurf angehen. Der KBV-Vorsitzende Dr. med. Manfred Richter-Reichhelm präsentierte ein von allen getragenes Konzept zur Gliederung der ambulanten ärztlichen Versorgung.

KBV-Vorsitzender Dr. med. Manfred Richter-Reichhelm:

„Wer nicht kämpft, hat schon verloren!“

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„Brutalität gegenüber Ärzten und Pati- enten“. Der KBV-Vorsitzende sagte in seinem Bericht zur Lage: „Wenn das, was das Bundesministerium in seinem aktuellen Reformentwurf plant, Wirk- lichkeit wird, ist unser freiheitliches Ge- sundheitssystem am Ende. Freie Arzt- wahl wird es bald nicht mehr geben, der freiberufliche Arzt wird entmündigt.

Am meisten wird der Patient leiden.

Nur: Wenn diese bittere Erkenntnis Realität wird, ist eine Umkehr nicht mehr möglich.“

Richter-Reichhelm zitierte ein Wort von Bert Brecht: „Wer kämpft, kann verlieren; wer nicht kämpft, hat schon verloren.“ Die Kassenärz- te ließen sich nicht entmündigen, kontrollieren, drangsalieren und rationieren. Richter-Reichhelm:

„Wir lassen uns nicht zu Voll- streckern fragwürdiger Behand- lungsvorgaben konkurrierender Krankenkassen umfunktionieren!

Wir sind Ärzte, keine Sparkom- missare.“

Die Enttäuschung der Kas- senärzte über den vorliegenden Gesetzentwurf ist groß. KBV- Hauptgeschäftsführer Dr. jur. Rainer Hess erläuterte den Delegierten im De- tail, was die Bundesregierung plant (ein ausführlicher Bericht dazu in einer der nächsten Ausgaben).

Das Gesundheitssystemmodernisie- rungsgesetz wird nach Auffassung von

Richter-Reichhelm nicht dazu führen, Geld einzusparen. Allenfalls von Bei- tragssatzkosmetik könne die Rede sein.

Das eigentliche Ziel der Reform sieht der KBV-Vorsitzende in der Bedienung einer Ideologie. Der Gesetzentwurf sei eine Kampfansage an die freiberuflich niedergelassenen Ärzte. Richter-Reich- helm: „Die Regierung will, dass der nie- dergelassene freiberufliche

Facharzt stirbt. Sie will Be- fehlsempfänger, und die müs- sen angestellt sein. Die Regie- rung will Listen- und Zutei- lungsmedizin. Sie will den

Kassenstaat und bietet den Kranken- kassen dafür Macht ohne Risiko. Sie er- laubt den Krankenkassen, ihre Ärzte nach eigenen Kriterien auszuwählen.

Sie will einen Dumping-Wettbewerb niedergelassener Ärzte um Einzelver- träge. Sie will den AOK-Staat.“

Der Reformentwurf bahne den Weg dahin. In geradezu brutaler Art und Weise würden die Ziele verfolgt. Öf- fentlich spreche niemand aus, was wirk- lich beabsichtigt sei. Der Angriff auf die niedergelassenen Ärzte richte sich zunächst gegen die Fachärzte. „Was passiert denn mit den Fachärzten, die schon in der ersten Stufe dieser so ge- nannten Reform in das Einzelvertrags- system mit Krankenkassen gedrängt oder gelockt werden?“ wandte sich Richter-Reichhelm an die Delegierten.

„Die Fachärzte werden erpressbar! Das funktioniert ganz einfach. Jeder Fach- arzt wird gezwungen sein, vor allem mit mitgliederstarken Kassen Verträge zu haben. Ohne die kann er nämlich öko- nomisch nicht überleben. Diese Verträ- ge bekommt er aber dauerhaft nur dann, wenn er im wirtschaftlichen Inter- esse der Krankenkassen behandelt. Der Sparzwang wird dann oft genug das Medizinische dominieren: Eine Ver- schlechterung der gesamten Versor- gung wird die Folge sein.“

Es sei also kein Wunder, dass gerade die mitgliederstarken Krankenkassen, allen voran die AOK, dieses System wollten. Richter-Reichhelm: „Man darf sich schon die Frage stellen, ob es eine

Rolle spielt, dass Schlüsselstellen in zu- ständigen Ministerien, im federführen- den Bundestagsausschuss und in ande- ren einflussreichen Organisationen mit aktiven oder ehemaligen AOK-Ent- scheidern besetzt sind.“ Wenn diese neue Vertragsgestaltung komme, würde

Beratungen am Rande: VV- Vorsitzender Dr. med. Michael Hammer, KBV-Vorstandsmit- glied Dr. med. Theo Windhorst (v. l., Foto oben) sowie KBV-Vize Dr. med. Leonhard Hansen und KBV-Hauptgeschäftsführer Dr. jur. Rainer Hess (v. l., Foto links)

Alle Fotos: Bernhard Eifrig

Die Delegierten stimmten über eine Reihe von Anträgen zur Gesundheitspolitik ab.

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das von den Verfechtern des Wettbe- werbs gezielt diskriminierte „Vertrags- monopol“ der Kassenärztlichen Verei- nigungen durch ein Einkaufsmonopol der AOK als größter Krankenkasse in den Regionen abgelöst. Richter-Reich- helm zeigte sich davon überzeugt, dass der freiberuflich niedergelassene Fach- arzt in einem Einzelvertragssystem oh- ne Zulassung nicht lange überleben werde. Am Ende bliebe das Angestell- tenverhältnis, denn nach den Plänen der Regierung sollen Gesundheitszentren und Krankenhäuser den niedergelasse- nen Facharzt ersetzen. Der KBV-Vorsit- zende: „Welche Auswirkungen das auf die Patienten haben wird, sehen wir in England oder Holland: Wartelisten und lange Wartezeiten sowie Zuteilungsme- dizin. Und genau das ist die Ideologie der SPD.“

Politiker und Regierungsberater sag- ten das natürlich nicht. Sie verschwie- gen auch, dass der Patient sein Recht auf die freie Arztwahl weitgehend ver- liert. Denn in einem Einzelvertragssy- stem für Fachärzte existiere die freie Arztwahl praktisch nicht mehr. Dies zu verschweigen sei mehr als unredlich, das sei geradezu heuchlerisch.

Unter dem Beifall der Delegierten sagte Richter-Reichhelm an die Bun- desregierung gewandt: „Damit dürfen wir sie nicht davonkommen lassen. Un- sere Aufgabe ist es, mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln gegen diesen Anschlag auf die wohnortnahe, flächendeckende Versorgung zulasten der Patienten zu kämpfen. Vor allem müssen wir aufklären. Wir werden alle Kräfte mobilisieren, um diesen Ausver- kauf des Systems zu verhindern!“

Eigene Vorschläge zur Optimierung des Gesundheitswesens habe die KBV nicht erst mit dem jetzt vorliegenden 2-Tarife-Modell gemacht. Die Kas- senärzte haben bereits frühzeitig das Konzept der differenzierten Vertragsge- staltung bei der Politik ins Gespräch ge- bracht, sodass der Vorwurf, die Ärzte- schaft würde sich stets verweigern, ins Leere ginge. Einig sei man sich mit der Regierung in dem Ziel, das bisherige Nebeneinander der Sektoren zugunsten einer strukturierten Zusammenarbeit zwischen den Versorgungsebenen auf- zubrechen. Richter-Reichhelm: „Wir wollen auch den Wettbewerb. Aber wir A

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nders als die Bundesregierung geht die KBV-Vertreterversammlung davon aus, dass der Sicherstellungsauftrag für die ambu- lante Versorgung bei den Kassenärztlichen Ver- einigungen (KVen) bleibt. Damit wären weiter- hin Hausärzte, Fachärzte und Psychotherapeu- ten Mitglieder der KVen. Eine neue Struktur der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, die von den 23 Länder-KVen gebildet wird, müsse fol- gende Gesichtspunkte berücksichtigen:

>mehr Vertragswettbewerb durch gesetz- lich veränderte Rahmenbedingungen;

>veränderte Mitgliedschaftsstrukturen durch eine stärkere Heterogenität der Arzt- gruppen;

>die gegliederten Versorgungsbereiche der hausärztlichen, fachärztlichen und psy- chotherapeutischen Versorgung.

Auf dieser Grundlage beschloss die Vertreter- versammlung der KBV Strukturprinzipien, die auf einer in Kürze anstehenden Klausurtagung weiter präzisiert werden sollen. Der bisherige Länderausschuss, in dem die Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden der Kassenärzt- lichen Vereinigungen der Länder vertreten sind, geht in einer neu strukturierten Vertreterver- sammlung auf. Die Vertreterversammlung, die bisher aus 110 Delegierten besteht, soll gestrafft werden. In dem neuen Gremium sollen zusätz-

lich Vertreter der Psychotherapeuten und der außerordentlichen Mitglieder (ermächtigte Kran- kenhausärzte) vertreten sein. Die drei Beraten- den Fachausschüsse bleiben bestehen. Damit wird die Gliederung der vertragsärztlichen Ver- sorgung in die hausärztliche, fachärztliche und psychotherapeutische Versorgung abgebildet.

Abweichend vom Gesetzentwurf der Bundesre- gierung soll der Vorstand ein Selbstverwaltungs- organ bleiben.Die Vertreterversammlung sprach sich gegen einen hauptamtlichen Vorstand aus. Die Vorstandsmitglieder würden demnach weiterhin ein Wahlamt ausüben, das ihnen die Aufrechterhaltung ihrer Praxis ermöglicht.

Der Vorstand soll fünf Mitglieder haben.

Drei davon werden jeweils von der Vertreter- versammlung als Vorsitzende der Fachaus- schüsse gewählt. Hinzu treten je ein Vor-

standsmitglied für den Bereich der hausärztli- chen und fachärztlichen Versorgung.Auf deren Antrag kann ihr Wahlamt in ein Hauptamt um- gewandelt werden. Durch Satzung der KBV kann der Vorstand um bis zu zwei weitere Sit- ze mit beratender Stimme ergänzt werden.

Der Vorstand entscheidet insgesamt auch über Vertragsabschlüsse und Richtlinien, Ent- würfe, die für die einzelnen Versorgungsberei- che unter Federführung des jeweils zuständigen Vorstandsmitgliedes ausgehandelt wurden.JM

Satzungsdiskussion

Neue Organisationsform

Die Delegierten befassten sich auch mit Vorschlägen des Satzungsausschusses zu einer neuen Organisationsform der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.

Der KBV-Vorstand verfolgt die Debatte über neue Strukturen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und ihrer Gremien.

Die Vertreterver- sammlung wird sich in einer Klausur- tagung noch ausführ- licher mit diesem Thema befassen.

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glauben, dass Einzelverträge sich auf Dauer nicht gegen flexible Kollektivver- träge durchsetzen können. Der Schlüs- sel für eine konstruktive Weiterentwick- lung unseres Versorgungssystems kann im Wettbewerb zwischen Einzel- und Kollektivvertragssystem liegen, wenn beide Vertragsformen mit gleichen Wettbewerbsvoraussetzungen gegen- einander antreten.“ Auch an der Dis- kussion um zukünftige Vergütungsfra- gen habe sich die KBV konstruktiv be- teiligt. Richter-Reichhelm verwies in diesem Zusammenhang auf den EBM

2000plus, der aus seiner Sicht die Chan- ce böte, zu vernünftigen Lösungen zu kommen. Demgegenüber seien die Vor- stellungen zur Weiterentwicklung des ärztlichen Vergütungssystems im Ge- setzentwurf sehr kursorisch.

Um konstruktive Entwicklungsmög- lichkeiten zur eröffnen, müsste die Re- gierung die gemeinsame Selbstverwal- tung stärken. Das Gegenteil sei aber der Fall. Die Selbstverwaltung habe bisher dafür gesorgt, dass ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der medizinischen Notwendigkeit und den wirtschaftli- chen Bedingungen gewährleistet ist.

Mit dem medizinischen Sachverstand der Ärzte und dem ökonomischen Blick der Krankenkassen sei es gelun- gen, das Niveau der medizinischen Ver- sorgung auf hohem Stand zu erhalten und die Ausgaben im Griff zu halten.

Erst seit die Einnahmen der Kranken- versicherung zurückgingen, gebe es ernsthafte Probleme. Dies sei jedoch nicht von der Selbstverwaltung ver- schuldet, sondern Folge des politisch in- itiierten Verschiebebahnhofs. Der Re- gierung gehe es nun darum, die Selbst- verwaltung zu entmachten.

Richter-Reichhelm: „Es ist schon per- fide, was da geplant ist. Mit dem so ge- nannten Deutschen Zentrum für Qua- lität in der Medizin soll offiziell ein unab-

hängiges, beratendes Institut der bisheri- gen Selbstverwaltung zuarbeiten. Mit- glieder dieses Zentrums sollen das Bun- desgesundheitsministerium, die Spitzen- verbände der Krankenkassen, der Ver- band der privaten Krankenversiche- rung, die Deutsche Krankenhausgesell- schaft, die KBV, die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, die Bundesärzte- kammer, der Deutsche Pflegerat und die für die Wahrnehmung der Interessen der Patienten maßgeblichen Organisationen auf Bundesebene sein. Bei dieser Vielfalt ist schon klar, wer das Sagen haben wird:

das Bundesgesundheitsministerium und die Krankenkassen. Diese bestimmen im Zentrum.“

Regulierungswut der Bundesregierung

Die Regulierungswut der Regierung zei- ge sich auch daran, dass sie dieses staatli- che Institut damit beauftragen wolle, Empfehlungen für die ärztliche Fortbil- dung zu machen. Richter-Reichhelm:

„Anstatt auf die ärztliche Selbstver- pflichtung zu setzen, wird wieder regu- liert und kontrolliert. Und das nach staatlichen Vorgaben. Solch eine Fortbil- dung halten wir für falsch. Denn Ärzte bilden sich auch heute ständig fort.“

Der Sitzungssaal im Kölner Maritim Hotel: Die Debatte zur Gesundheitsreform nahm den gesamten Vormittag in Anspruch.

Dr. med. Werner Baumgärtner: „Das 2- Tarife-Modell ist ein guter Kompromiss.“

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Richter-Reichhelms Fazit: „Diese Re- gierung macht ein bewährtes System leichtfertig kaputt.“ Alle Bemühungen der KBV, beim Bundesgesundheitsmini- sterium und in den Regierungsparteien gegen diese Pläne zu intervenieren, hät- ten bislang keinen Erfolg gehabt. Zwar kündigte der KBV-Vorsitzende weitere Gespräche mit Vertretern der Regie- rungskoalitionen an, aber die Hoffnun- gen der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung richten sich auf den Bundesrat, der dem Reformgesetz zustimmen muss.

„Wir hoffen sehr“, sagte Richter-Reich- helm, „dass auch die Opposition auf Bundesebene unsere Kritik an diesem Gesetzentwurf teilt und die darin liegen- de Gefahr für ein freiheitliches Gesund- heitswesen sieht. Es gibt bereits deutliche Aussagen der Sozial- und Gesundheits- experten von CDU/CSU und FDP, die eindeutig den Weg in einen Kassenstaat und eine Kassenmedizin ablehnen. Die Oppositionsparteien können von ihrer Grundeinstellung her nicht noch mehr Bürokratie und Kontrolle im Gesund- heitswesen wollen; sie fordern vielmehr seit Jahren zu Recht den Abbau der Überregulierung und Überbürokratisie- rung in unserem Gesundheitswesen.“

Auch einige SPD-Politiker auf Lan- desebene hätten ähnliche Bedenken ge- gen die geplante Zersplitterung der Versorgungslandschaft. Die Bundeslän- der – auch die SPD-geführten – würden mit den Folgen dieses Gesetzes leben müssen. Nach Auffassung von Richter- Reichhelm müssten sie ein vitales Inter-

esse daran haben, eine tragfähige regio- nale Versorgungsstruktur aufrechtzu- erhalten. Der KBV-Vorsitzende: „Ich glaube nicht, dass ein Ministerpräsident seinen Bürgern erklären will, weshalb er seinen gewohnten Facharzt nicht mehr aufsuchen kann. Ich glaube nicht, dass ein Ministerpräsident seinen Lan- deskindern Wartelisten in Gesundheits- zentren und Krankenhausambulanzen zumuten will, weil die Facharztpraxis um die Ecke nicht mehr existiert. Es

gibt also Hoffnung, dass sinnvolle Vor- schläge zur Weiterentwicklung des Ver- trags- und Versorgungssystems noch ei- ne Chance haben. Diese Hoffnung be- steht, solange es in der Politik um Inhal- te geht.“

Richter-Reichhelm appellierte an die- ser Stelle erneut an die Geschlossenheit in den eigenen Reihen: „Wenn die Ärz- teschaft gehört und beachtet werden

will, muss sie mit einer Stimme sprechen.

Dies können wir aber nur erreichen, wenn wir die internen Differenzen beile- gen. Hausärzte, Fachärzte und Psycho- therapeuten müssen an einem Strang ziehen, um die Freiberuflichkeit aller niedergelassenen Ärzte und Psychothe- rapeuten dauerhaft zu erhalten. Denn eins ist klar: Auch wenn die Fachärzte und die Psychotherapeuten die Ersten sind, die ins Einzelvertragssystem ge- drängt werden – die Hausärzte werden das nach einigen Jahren auch erleben.“

Der KBV-Vorsitzende wurde noch deut- licher: „Wir dürfen uns nicht gegenseitig verunglimpfen. Fachärzte dürfen nicht Hausärzten arrogant die Qualifikation absprechen, dürfen nicht behaupten, bei Einführung des Hausarztsystems gäbe es Tote, wie es Dermatologen taten.

Wenn wir zusammenstehen wollen, müs- sen wir unseren Psychologischen Psy- chotherapeuten einen festen Platz in der KV geben. Wenn wir mit einer Stimme sprechen wollen, dürfen Hausärzte nicht den Alleinanspruch auf die sprechende Medizin und Zuwendung reklamieren und Medizintechnik verteufeln. Und der Hausärzteverband muss in der Öffent- lichkeit den Eindruck vermeiden, die Gesetzesvorlage sei für ihn ,das Gelbe vom Ei‘, sondern er muss mit uns ge- meinsam den Angriff auf die Freiberuflichkeit der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten abweh- ren.“ Ein Weg dahin sei ei- ne neue Organisationsform der KBV und der KVen (siehe Bericht zur Sat- zungsdiskussion).

Lang anhaltenden Bei- fall erhielt der KBV-Vorsit- zende für den Schlussap- pell in seinem Bericht zur Lage: „Ich betone es noch einmal: Gegen diesen Ge- setzentwurf müssen wir, je- der Einzelne, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln Widerstand leisten!

Jeder Arzt, jeder Psychotherapeut ist ein Multiplikator. Wenn Inhalte die Re- formdiskussionen nicht mehr bewegen, müssen wir die Ärzte und Therapeuten sensibilisieren. Und sie müssen ihren Patienten klar machen, was auf sie zu- kommt. Nicht polemisch, sondern sach- lich, offen, fair.“ Josef Maus

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Einstimmiges Votum für den Leitantrag zum Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz

Seit Jahren eine Befürworterin der Kostenerstattung:

Dr. med. Gerda Enderer-Steinfort aus der KV Nordrhein

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Die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bun- desvereinigung fordert die Bundesregierung und die Regierungskoalition aus SPD und Grünen mit Nach- druck auf, die in Deutschland bestehende freie Arzt- wahl der Versicherten unter kassenübergreifend zu- gelassenen Vertragsärzten auch für die fachärztliche Versorgung aufrechtzuerhalten. Sie darf nicht einem wettbewerblichen Experimentierfeld von Einzelver- trägen durch über 300 Krankenkassen überantwortet werden.

Durch selektives Kontrahieren der Krankenkassen mit jeweils von ihnen ausgewählten Vertragsärzten würde die Versorgungssicherheit für Patienten mas- siv beeinträchtigt. Der in seiner wirtschaftlichen Exi- stenz von solchen Einzelverträgen abhängige Ver- tragsarzt würde die im Interesse seiner Patienten zu fordernde berufliche Unabhängigkeit verlieren und wäre auch in seinen medizinischen Entscheidungen erpressbar.

Es mag für Teile der Politik und der Krankenkassen sowie für die Gewerkschaften unbequem sein, sich mit einer ihrem direkten Einfluss entzogenen ärztli- chen Selbstverwaltung freiberuflicher Vertragsärzte in der Ausgestaltung des Gesundheitswesens ausein- ander setzen zu müssen. Das rechtfertigt es jedoch nicht, den im Interesse der Versicherten gesetzlich geschaffenen kassenübergreifenden Versorgungs- auftrag der Kassenärztlichen Vereinigungen bis hin in die Agenda des Bundeskanzlers öffentlich gezielt als

„Vertragsmonopol“ zu diskreditieren und ihn durch ein marktwirtschaftliches Einkaufsmonopol der AOK als größter regionaler Einzelkasse zu ersetzen.

Das jetzige Vorhaben der Regierungskoalition, die Sicherstellung der ambulanten Versorgung sukzessiv im Beitragswettbewerb der Krankenkassen um

„gute Risiken“ deren Einkaufskartellen, Eigenein- richtungen oder in deren Auftrag Managementge- sellschaften der Industrie zu übertragen, führen zu marktwirtschaftlichen Versorgungsstrukturen. Deren negative Auswirkungen auf die Qualität und Indivi- dualität der Patientenversorgung können „evidenz- basiert“ in den Vereinigten Staaten nachvollzogen werden.

Der Versuch, einen solchen Wettbewerb in Deutschland und dessen massive kostentreibende Auswüchse durch staatliche Vorgaben und Kontrol- len solidarisch zu steuern, muss scheitern. Dies gilt insbesondere für die Behandlungsvorgaben eines jetzt pseudostaatlichen, die Aufsichtsfunktionen des Staates mit den Aufgaben der Selbstverwaltung un- zulässigerweise vermischenden zentralen Qualitäts- institutes und für die zur Eindämmung eines ungezü- gelten Kassen- und Leistungserbringerwettbewerbes vorgesehene massive staatliche Reglementierung und Kontrolle der Selbstverwaltung.

Die von der Vertreterversammlung ausdrücklich begrüßte Stärkung der Hausarztfunktion als „Lotse im Gesundheitswesen“ kann diese Fehlentwicklung

nicht verhindern, zumal die Hausärzte selbst in ein engmaschiges, ihre ärztliche Entscheidungsfreiheit massiv einschränkendes Prüf- und Kontrollsystem eingebunden werden sollen.

Die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung wendet sich entschieden gegen dieses weltweit einmalige gesetzgeberische Expe- riment eines unkoordinierten Nebeneinanders und Gegeneinanders unterschiedlichster Vertrags- und Organisationsformen der ambulanten Versorgung;

dies würde das auch nach der Begründung des Entwurfes bewährte deutsche Gesundheitssystem zulasten der Qualität der Versorgung in ein unkon- trollierbares Chaos stürzen. Nicht die angestrebte solidarische Wettbewerbsordnung, sondern der alles entsolidarisierende Wettbewerb wäre die Folge die- ser „Reform“.

Es ist für die Vertreterversammlung insbesondere nicht hinnehmbar, wenn der jetzige Gesetzentwurf der Regierungskoalition

>die freiberufliche wohnortnahe Tätigkeit nie- dergelassener Vertragsfachärzte und -psychothera- peuten mittelfristig abschaffen und die fachärztliche Versorgung der Bevölkerung an Krankenhäuser und Gesundheitszentren konzentrieren will; dies ist – wie europäische Nachbarländer beweisen – der sichere Weg in die Wartelisten- und damit in die Zweiklas- senmedizin;

>Hausärzte, Augenärzte und Frauenärzte als ver- bleibende Pflichtmitglieder in Kassenärztlichen Verei- nigungen unter noch schärfere unzumutbare Budget- und Kontrollbedingungen mit nahezu ausschließlich ordnungspolitischer Zielsetzung gestellt werden sol- len; als Ausweg aus diesem Dilemma bleibt ihnen nur die Anstellung in einem Gesundheitszentrum oder der Einzelvertrag über eine von Sparzwängen ausdrück- lich befreite integrierte Versorgung;

>alle anderen Vertragsfachärzte/Vertragspsycho- therapeuten einem für sie ebenso unzumutbaren Ein- zelvertragswettbewerb von Krankenkassen ausset- zen will und damit die Versorgungssicherheit für die Bevölkerung beseitigt.

Dieses gesetzgeberische Experiment zerstört das Vertrauen der sozialversicherten Patienten

>in die Gewährleistung einer medizinisch not- wendigen von ökonomischen Repressalien und da- mit verbundener Leistungsrationierung freien haus- ärztlichen Versorgung sowie

>in die allen Versicherten unabhängig von ihrer Kassenzugehörigkeit zu gewährleistende

>Versorgungssicherheit im Krankheitsfall durch den Vertragsfacharzt und -psychotherapeuten ihrer Wahl.

Es ist für den sozialversicherten Patienten unzu- mutbar,

>die Wahl des für ihn geeigneten Facharztes nicht mehr unter den Kriterien Wohnortnähe und Qualität treffen zu können, sondern darauf angewie-

sen zu sein, dass der Arzt seiner Wahl einen Vertrag mit seiner Krankenkasse hat und für die Dauer der notwendigen Behandlung behält;

>eine Krankenkasse als Gesunder wählen zu müssen, deren Leistungsfähigkeit im Krankheitsfall wegen danach erfolgter selektiver und zeitlich be- fristeter Auswahl fachärztlicher Leistungserbringer aber nicht beurteilen zu können;

>wegen der existenziellen Abhängigkeit der Ver- tragsfachärzte/Vertragspsychotherapeuten von je- weils befristeten Einzelverträgen mit Krankenkassen berechtigte Zweifel an der fachlichen Unabhängig- keit dieser Ärzte/Psychotherapeuten in ihrer medizi- nischen Entscheidung haben zu müssen;

>als sozialversicherter Patient mit einer schweren kostenintensiven chronischen Erkrankung befürchten zu müssen, dass seine Krankenkasse im Beitrags- wettbewerb trotz eines für alle Krankenkassen ein- heitlichen Leistungskataloges alle Instrumente des selektiven Kontrahierens einsetzen wird, um ihn zum Kassenwechsel oder zum Wechsel in für sie günstige budgetierte Versorgungsstrukturen zu bewegen;

>als Patient bei einem vertragslosen Zustand in die Mühlsteine gewerkschaftsähnlicher Auseinan- dersetzungen zwischen seiner Krankenkasse und ihr gegenüberstehenden ärztlichen Genossenschaften zu geraten;

>auch in Deutschland wie bereits in den meisten EU-Ländern demnächst mit Wartezeiten für fachärzt- liche Leistungen leben zu müssen, weil die Politik von Rot/Grün gezielt auf eine Verknappung des fachärzt- lichen Leistungsangebotes und seine Konzentration am Krankenhaus gerichtet ist.

Die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung betont, dass sich die Vertragsärz- te einer auch aus ihrer Sicht notwendigen Reform des Gesundheitswesens in Deutschland nicht ver- schließen, sondern im Gegenteil bereits in ihrem Handlungskonzept, in den Beiträgen der KBV am

„Runden Tisch“ und in der Politik nach der Bundes- tagswahl unterbreiteten Alternativkonzepten eigene konkret umsetzbare Vorschläge unterbreitet haben.

Sie zielen auf eine langfristige finanzielle Stabilisie- rung der GKV durch Erweiterung der Beitragsbemes- sungsbasis,Ausgliederung versicherungsfremder Lei- stungen, Beseitigung der Verschiebebahnhöfe und auf eine differenzierte Vertragsgestaltung mit einem Nebeneinander von Kollektiv- und Einzelverträgen ab. Dabei hat sich die Vertreterversammlung bereits in ihrem Handlungskonzept zu Einführung eines Hausarztwahltarifes, zur Förderung kooperativer Ver- sorgungsstrukturen, zur Ablösung sektoraler Bud- gets durch eine Neuordnung des ärztlichen Vergü- tungssystems und darauf basierend einer stärkeren Durchlässigkeit von ambulanter und stationärer Ver- sorgung bekannt.

Mit dem von der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung angebotenen System differenzierter Verträge wird eine einheitliche Versorgung aller Versicherten dort gewährleistet, wo sie notwendig ist, dort aber ausdrücklich ein Qualitätswettbewerb eröffnet, wo er möglich und sinnvoll ist.

Die Absichten der Politik zerstören dagegen das Ver- trauen der Bevölkerung in eine qualifizierte medizini- sche Versorgung. Dies werden die Vertragsärzte mit al- len Mitteln im Interesse ihrer Patienten verhindern! )

Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz

Leitantrag der Vertreterversammlung

zur Gesundheitsreform

Referenzen

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