[116] Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 110|
Heft 25|
21. Juni 2013VON SCHRÄG UNTEN
Horror
Dr. med. Thomas Böhmeke
D
as röstige Aroma der zermahlenen Arabica- bohne schmeichelt sich via Bulbus olfacto- rius in das Telencephalon, die aufgehende Sonne taucht ihre warmen Strahlen in die noch kühle Kü- che, die Vögel zwitschern das Dunkel hinweg und verjagen die Chimären der Nacht. Es ist ein schöner Morgen, aber das gestrige Abendessen war opulent, der Wein schwer, daher die Ruhe der Nacht fraktu- riert. Wie hast du geschlafen, Chérie, hattest du auch solche Alpträume?, will ich von meiner besseren Hälf- te wissen. „Ja, ganz schlimm, ich habe geträumt, ich würde in einem Erdloch festsitzen und könnte mich nicht bewegen, über mir fuhren lauter Panzer hinweg!Du liebe Güte, so gruselig habe ich schon lange nicht mehr geträumt, etwas Schlimmeres kann man sich nicht vorstellen.“ Wie bitte?! Erdloch, Panzer und Quadriple- gie, solch ein Alp ist ja noch übersichtlich, also ich habe etwas viel Schockierenderes durchgemacht! Meine Ché - rie zieht ihre Lider zusammen; das macht sie immer, wenn sie der Auffassung ist, ich würde übertreiben.
Stell dir vor, so berichte ich ihr atemlos, ich habe ge- träumt, dass mein alter Weggefährte meine Koronar - gefäße dilatieren will! Das war der blanke Horror, weil ich zusehen musste, wie er den Führungskatheter im linken Hauptstamm verkantet! „Was du nicht sagst.“
Die Lider ziehen sich noch mehr zusammen. Und dann, so berichte ich weiter von meiner nächtlichen Pein, bohrte er doch glatt einen extrasteifen Rekanalisations- draht durch meine Intima! „Soso. Ist das fürchterlich?“
Und ob! Weil das ganz und gar nicht notwendig war, denn meine Koronarien waren völlig frei! „Das will ich hoffen.“ Ja, ganz und gar jungfräulich, und trotzdem wollte er mir einen Stent in der proximalen LAD ein- bauen! „Und? So etwas machst du doch jede Woche bei deinen Patienten.“ Ja, nein, aber das hier, das war die Hölle! Ich wollte schreien, aber es kam kein Ton heraus! „Warum denn?“ Weil, und das kannst du dir nicht vorstellen, wie schlimm das war, er hat einen fün- fer Ballon benutzt! Ich sah meine ganze Intima schon in Fetzen aufgehen! „Ach, nein?“ Die Augen meiner Ché- rie sind nur noch so groß wie eine überzählige Mamille,
ich ignoriere diesen Blepharospasmus, komme ich doch zum fulminanten Finale meiner nocturnen Not:
Das war aber nicht das Schlimmste! Mein Ad . . . , mein Ad . . ., das war so grausam, ich kann es gar nicht sa- gen! „Was kannst Du nicht sagen?“ Ich bringe es kaum über die Lippen, so erschütternd war das! „Nun sag schon!“ Das war GRAUENVOLL! Mein Adenosin- Diphosphat-P2Y12-Rezeptor war nicht blockiert! „Aha.
Wenn du gleich einkaufen gehst, vergiss bitte nicht den Zucker. Wir haben keinen mehr.“
Es ist zum Heulen. Sie versteht mich nicht. Meine Chérie ist Chemikerin, und es könnte sein, dass es viel- leicht unter Umständen möglicherweise etwas schwie- rig ist, die Alpträume eines Arztes nachzuvollziehen.
Wem könnte ich nur mein Leid klagen? Wer versteht mich wirklich? Sie! Genau, Sie, angekommen beim Allerletzten im Deutschen Ärzteblatt! Das finde ich wunderbar! Also, liebe Kollegin, lieber Kollege, das muss ich Ihnen unbedingt erzählen, da wollte mich doch glatt mein alter Weggefährte . . .
Dr. med. Thomas Böhmeke ist niedergelassener Kardiologe in Gladbeck.