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Heiri, C., & Hallenbarter, D. (2011). Der Urwald von Scatlè. In P. Brang, C. Heiri, & H. Bugmann (Eds.), Waldreservate. 50 Jahre natürliche Waldentwicklung in der Schweiz (pp. 208-219). Haupt.

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Academic year: 2022

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Heiri, C.; Hallenbarter, D. 2011. Der Urwald von Scatlè. In:

Brang, P.; Heiri, C.; Bugmann, H. (Red.). Waldreservate. 50 Jahre natürliche Waldentwicklung in der Schweiz. Birmensdorf, Eidg.

Forschungsanstalt WSL; Zürich, ETH Zürich. Bern, Stuttgart, Wien, Haupt. 208-219.

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6.11

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Der Urwald von Scatlè

Das kleine Reservat Scatlè befindet sich am steilen, von Felsbändern und Lawinenschneisen durchzo- genen Nord-Nordost-Hang des Piz Dado bei Bri- gels im Kanton Graubünden. Das Reservat ist rund 500 m breit und erstreckt sich von 1510 m ü.M. bis an die obere Waldgrenze, wo sich die Reservats- fläche bis auf einen lediglich 100 m breiten Wald- streifen verschmälert. Das Reservat wurde bereits im Jahre 1910 unter Schutz gestellt. Anhand von Pollenanalysen konnte der Urwaldcharakter die- ses Waldes bis ins 13. Jahrhundert nachgewiesen werden [1].

Die ausgeprägten Wurzeln der langkronigen, flechtenbehangenen Fichten krallen sich eindrücklich an den moosüberwachsenen Felsen im Blockschutt- Fichtenurwald Scatlè fest.

Caroline Heiri und Dionys Hallenbarter

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Vielen Wanderern, die von Brigels her kommend dem Bergbach Flem entlang ins Val Frisal hinauf- steigen, entgeht, dass an der linken Talseite ein kleines Juwel liegt – einer der letzten Fichtenur- wälder der Alpen. Scatlè (Aussprache: Schkatlee) steht seit 1910 unter Schutz und ist damit das älteste Schweizer Waldreservat. Dank des steilen und durch das Blockgewirr eines nacheiszeitlichen Felssturzes stark zerklüfteten Geländes wurde hier seit Menschengedenken kein Holz geschla- gen. Pollenanalytische Untersuchungen belegen, dass bis zurück ins 13. Jahrhundert nirgends in diesem Wald menschlicher Einfluss spürbar ist – weder durch Köhlerei noch durch Holznutzung.

Das Reservat ist im Eigentum der Gemeinde Breil/

Brigels.

obersubalpin

subalpin

hochmontan

obermontan

untermontan

submontan

kollin

sauer basisch

dürrtrockenfeuchtnass

Aletsch- wald 57, 59

Derborence 50

National- park

69 Nationalpark

58, 59

Leihubelwald 46, 49 Leihubel-

wald 19 Sihlwald

7, 8

Tariche 12, 14 Josenwald

40

Follatères 38

St. Jean 21 Bois de

Chênes, Josenwald 15

Scatlè, Seeliwald, Bödmerenwald

57

Seeliwald 71

Pfynwald 65

Scatlè, Bödmerenwald

60

Bois de Chênes, Josenwald,

Sihlwald 9 Sihlwald, Bois de Chênes

11

Position des Reservats Scatlè im Wasserhaushalt-Basengehalt- Ökogramm.

Scatlè ist geprägt durch ein kühl-feuchtes sub- alpines Klima. Dies zeigt sich mit einer durch- schnittlichen jährlichen Niederschlagssumme von 1440 mm und einer Jahresmitteltemperatur von lediglich 2,2 °C [2].

Das Reservat liegt auf Verrucano-Hangschutt, im unteren Teil mit groben Blöcken aus einem prä- historischen Bergsturz. Darauf hat sich ein skelett- reicher durchlässiger Silikatblockboden mit einer mehr oder weniger dünnen Rohhumusschicht entwickelt. Im oberen Teil sind die Böden weniger skelettreich. Es kommen auch alle Übergänge zu Braunerde- und Eisenhumuspodsolen vor [1].

Steckbrief Naturwaldreservat Scatlè

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Steckbrief Naturwaldreservat Scatlè

KantonGraubünden Gemeinde Breil/Brigels Landeskarte 1:25 000 1213 Trun

Koordinaten 722.860 / 183.340 Reservatsfläche 24 ha

Meereshöhe 1510 bis 2015 m

Abb. 6.11.1 Das Reservat Scatlè vom Gegenhang aus gesehen, in den Jahren 1936 (links) und 2009 (rechts). Die Pfeile und Buchstaben bezeichnen Partien, wo sich die Waldstruktur verändert hat; a: eine Lawinenschneise wächst zu, b: eine neue Lücke ist entstanden, c: eine kleine Lücke wächst zu.

a

b

c a

b

c

0 0.5 1 2 Kilometer

0 0,5 1 Kilometer

Reservatsgrenze 2000 Reservatsgrenze 1910

6.11

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212 Waldreservate

Waldgeschichte

Mit den technischen Möglichkeiten früherer Zei- ten war eine Holznutzung in Scatlè kaum denk- bar. Aus verschiedenen Quellen geht hervor, dass zu keinem Zeitpunkt Holz im Reservat genutzt wurde [3], obwohl die Bewirtschaftung bis zur Reservatsgründung 1910 gestattet war. Hingegen beweideten Ziegen in den Sommermonaten das Reservat, was insbesondere die Verjüngung stark beeinflusst haben dürfte (vgl. Abb. 2.2). In jünge- rer Zeit wird die Gämse häufig im Reservat beob- achtet; sie zieht sich vor Störungen durch touris- tische Sommeraktivitäten in den Wald zurück, da sie hier Deckung und Äsung findet.

Am Südrand des Reservates schlug im Jahr 1984 eine Lawine eine Schneise in den Wald (Abb.

6.11.1 rechts). In der Schneise selbst wächst heu- te ein Jungwald auf, aber in der Folge befielen Borkenkäfer auch benachbarte lebende Fichten und schufen einige kleine Lücken (Abb. 6.11.2).

Der Befall breitete sich jedoch nicht weit aus.

Vom Orkan Vivian, der 1990 in der Surselva viele Wälder traf, wurde das Reservat kaum berührt.

Im Jahr 2000 wurde das Reservat von ursprünglich Waldgesellschaft

Das Reservat erstreckt sich von 1510 bis auf 2015 m ü.M. und liegt auf Blockschutt eines nacheiszeit- lichen Felssturzes. In den Spalten und Löchern des stark zerklüfteten Untergrundes bleibt der Schnee oft bis in den Juni liegen. Als Waldgesell- schaft dominiert dementsprechend der Torfmoos- Fichtenwald mit Landschilf (Sphagno-Piceetum calamagrostietosum villosae; EK 57). Es finden sich aber auch Übergänge zur Alpendostflur mit Fichte (Piceo-Adenostyletum; EK 60). Die höchs- ten Lagen werden durch Hochstaudenfluren mit Grünerlen und einzelnen Fichten geprägt. In der Baumschicht wachsen bis auf eine einzelne grosse Weisstanne ausschliesslich Fichten. In Bestandeslü- cken treten Vogelbeeren dazu, und grössere Blös- sen sind von Grünerlen besetzt. In der Strauch- schicht kommen blaues Geissblatt, Himbeere, Alpen-Heckenrose, Alpen-Johannisbeere und ab 1800 m ü.M. auch die Rostblättrige Alpenrose vor. In der Krautschicht dominieren Breiter Wurm- farn (Dryopteris dilatata), Heidelbeere (Vaccinium myrtillus) und Wolliges Reitgras (Calamagrostis villosa).

Abb. 6.11.2. Durch Windwurf und Borkenkäfer geschaffene Lücke im Urwald Scatlè.

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Scatlè 213

Abb. 6.11.3. Durchmesserverteilung im Reservat Scatlè 1965 und 2006. Daten der Kernfläche 2 auf 2,89 ha. Die Kluppschwelle lag 1965 bei 8 cm, 2006 bei 4 cm. Darstellung in 4 cm BHD-Klassen (Achsenbeschriftung bezeichnet Klassenmitte).

BHD [cm]

Stammzahl [N/ha]

60 50 40 30 20 10 0

1965

6 10 14 18 22 26 30 34 38 42 46 50 54 58 62 66 70 74 78

≥80 2006

Stammzahl [N/ha]

0 10 20 30 40 50 60

Fichte

andere Baumarten 9,13 ha um einen 15 ha grossen Schutzbereich er-

weitert (vgl. Karte Steckbrief). Heute umfasst das Naturwaldreservat 24 ha.

Waldstruktur

Die Bestandesstruktur in Scatlè zeichnet sich durch eine breite Variation der Durchmesser aus, wobei Dimensionen zwischen 40 und 60 cm BHD besonders häufig sind (als Buckel in der Durch- messerverteilung erkennbar, Abb. 6.11.3). Dieser Buckel verschob sich von 1965 bis 2006 von etwa 38 cm zu rund 58 cm BHD, wobei er sich stark ab- flachte (beispielhaft für Kernfläche 2 dargestellt in Abb. 6.11.4). Er könnte von einem pulsartigen Verjüngungsschub nach einer grossflächigen Stö- rung im 19. Jahrhundert herrühren. Eine Verände- rung zeigt sich auch bei der Anzahl dünner Bäume bis etwa 12 cm BHD, die 1965 noch spärlich waren und bis 2006 deutlich zunahmen, wohl teilweise infolge des Lawinenereignisses von 1984 am Süd- rand des Reservats. Es ist jedoch zu beachten, dass

im Jahr 1965 die Kluppschwelle bei 8 cm lag, wäh- rend bei den Folgeaufnahmen alle Bäume ab 4 cm BHD gemessen wurden.

Allgemein ist die Stammzahl relativ niedrig.

2006 standen im unteren Bereich des Reserva- tes (1600–1700 m ü.M., KF 1) 540 lebende Bäu- me pro ha und im oberen Bereich (1700–1800 m ü.M., KF 2) 305 Bäume pro ha (Abb. 6.11.5). Der Anteil dünner Bäume (BHD < 36 cm) an der Ge- samtstammzahl nahm seit 1965 zu, was einerseits auf das Absterben einiger dicker Fichten, anderer- seits auf zahlreiche Einwüchse zurückzuführen ist (Tab. 6.11.1).

Wenn ein Baumriese abstirbt oder mehrere nebeneinander stehende Bäume der Tod ereilt, entstehen Lücken im Kronendach, und mehr Licht fällt auf den Waldboden (Abb. 6.11.2). Sind be- reits junge Bäumchen da, dann packen sie jetzt ihre Chance und schiessen empor, vielleicht nach etlichen Jahrzehnten der Unterdrückung. Im Ur- wald Scatlè ist auch oft zu beobachten, dass sich Fichten auf Baumleichen verjüngen [4, 5]. Dieser erhöhte Kleinstandort ist etwas wärmer als der

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214 Waldreservate

Abb. 6.11.4. Veränderung der Durchmesserverteilung seit 1965 in der Kernfläche 2 (2,89 ha). Kluppschwelle 1965 bei 8 cm, ab 1977 bei 4 cm. Achsenbeschriftung bezeichnet Klassenmitte.

Durchmesserklassen à 4 cm

Stammzahl [N/ha]

1965 1977 1989 2006 60

50 40 30 20 10

0

6 10 18 26 34 42 50 58 66 74 82 90 98 106

Abb. 6.11.5. Entwicklung von Stammzahl und Grundfläche im Reservat Scatlè nach Baumarten. Daten der Kern- fläche 1 (3,47 ha) und Kernfläche 2 (2,89 ha). Die Kluppschwelle lag 1965 bei 8 cm, ab 1977 bei 4 cm.

Kernfläche 1 Kernfläche 2

andere Baumarten Fichte

1965 1977 1989 2006

Stammzahl [N/ha]

0 100 200 300 400 500 600

1965 1977 1989 2006

Stammzahl [N/ha]

0 100 200 300 400 500 600

1965 1977 1989 2006 0

10 20 30 40 50 60

1965 1977 1989 2006

Grundfläche [m²/ha]

Grundfläche [m²/ha]

0 10 20 30 40 50 60

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Scatlè 215

kalte Boden, apert im Frühjahr früher aus, was den Befall der Fichtenverjüngung durch den Schwar- zen Schneeschimmel (Herpotrichia juniperi) ver- mindert, und er schützt die kleinen Bäumchen vor der Konkurrenz durch die Bodenvegetation (Abb.

6.11.6).

Die Grundfläche der lebenden Bäume nahm zwischen 1965 und 1977 zu und danach bis 2006 gesamthaft ab (Abb. 6.11.5). Sie lag 2006 bei 43,2 m2 pro ha (KF 1) bzw. 41,9 m2 pro ha (KF 2).

Der Grundflächen-Zuwachs war mit 0,40 m2 pro ha und Jahr in der unteren Höhenstufe (KF 1) noch beträchtlich, in der oberen (KF 2) mit 0,13 m2 pro ha und Jahr aber sehr klein. Im Jahr 2010 wurden für eine Fallstudie der ETH Zürich in einer Teilfläche der Kernfläche 1 (0,8 ha) 643 m3 pro ha für den Vorrat des stehenden lebenden Bestan- des berechnet, was gut doppelt soviel ist wie im Durchschnitt in der Alpenregion [6]. Die Grundflä- che des stehenden Totholzes hat seit 1965 deut- lich zugenommen (Tab. 6.11.2). Ein deutliches Indiz für den Urwaldcharakter von Scatlè sind die hohen Totholz-Werte (stehend 87 m3 pro ha, liegend1 182 m3 pro ha), was im Vergleich zum Wirtschaftswald (Alpenregion: 12,3 m3 pro ha stehende tote Bäume und 13,5 m3 pro ha liegen- des Totholz; [7]) ein Vielfaches an potentiellem Lebensraum für xylobionte Organismen darstellt (Abb. 6.11.7; siehe auch Kap. 3).

1 Abschätzung basierend auf Datenaufnahme entlang eines Linientransektes in der Kernfläche 1 innerhalb der bereits erwähnten Teilfläche von 0,8 ha; Prakti- kum «Wald und Landschaft» des BSc-Studiengangs Umweltnaturwissenschaften, ETH Zürich.

Abb. 6.11.6. Ein toter umgefallener Baum dient jungen Fichten als optimaler Verjüngungsstandort.

Tab. 6.11.1. Zeitliche Entwicklung der Stammzahlen und der Anteile «dicker» und «dünner» Bäume im Urwald von Scatlè. Die Angaben beziehen sich auf die Kernflächen 1 und 2 mit insgesamt 6,36 ha. Klupp- schwelle 1965 bei 8 cm, ab 1977 bei 4 cm.

Dünne Bäume BHD 4–35,9 cm

Dicke Bäume BHD ≥ 36 cm

Total

[N/ha] % [N/ha] % [N/ha]

1965 219 56 % 171 44 % 390

1977 230 55 % 189 45 % 419

1989 205 57 % 157 43 % 362

2006 284 66 % 145 34 % 429

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216 Waldreservate

Jahren nachgewiesen, bei der Fichte von bis zu 160 Jahren [8]. Hillgarter [9] fand in seiner wald- baulichen und ertragskundlichen Untersuchung in Scatlè sogar bis zu 250 Jahre alte Fichten in der Unterschicht (Baumhöhe ≤ 11 m). Deshalb können in Naturwäldern Bäume gleicher Dimen- sion, aber unterschiedlichsten Alters direkt ne- beneinander wachsen [9] (siehe auch Kap. 6.10).

Nur wenige Bäume schaffen es allerdings bis in die Oberschicht, meist weil andere Bäume ihnen nicht genügend Ressourcen zum Überleben las- sen. Doch auch Sturm, Borkenkäfer, Schneelast, Pilze und Insekten oder Lawinen führen oft zum

«vorzeitigen» Baumtod. In Scatlè war dies letzt- mals 2008 der Fall, als starker Schneefall Ende Ok- tober 42 Fichten umdrückte. Hat ein Baum jedoch die Oberschicht erreicht, so hat er eine Chance, sein physiologisches Maximalalter zu erreichen.

Im Bödmerenwald (Kap. 6.10) wurden bis zu 480 Jahre alte, in Urwäldern der Westkarpaten bis zu 400 Jahre alte Fichten gefunden [8].

In einer Teilfläche des Reservats Scatlè (0,2 ha), die im Jahr 2000 intensiv untersucht wurde, betrug das mittlere Baumalter 171 Jahre, das Maximum rund 350 Jahre [10]. Die Altersverteilung ist aber Tab. 6.11.2. Stammzahl und Grundfläche von lebenden

und tot stehenden Bäumen in Scatlè. Die Angaben be- ziehen sich auf die Kernflächen 1 und 2 mit insgesamt 6,36 ha. Kluppschwelle 1965 bei 8 cm, ab 1977 bei 4 cm.

Stammzahl [N/ha] Grundfläche [m2/ha]

lebend tot lebend tot

1965 390 59 45,55 3,48

1977 419 74 50,48 3,79

1989 362 104 43,07 7,89

2006 429 108 42,61 7,61

Einzelbäume als wertvolle Archive der Waldgeschichte

Einige Baumarten sind fähig, auch mit wenig Licht im Schatten von grossen Bäumen zu über- leben und, wenn auch nur zentimeterweise, in die Höhe zu wachsen. Das Paradebeispiel für eine solche Baumart ist die Weisstanne; aber auch die Fichte ist schattentolerant. So sind bei Weisstan- nen Unterdrückungszeiträume von bis zu 240 Abb. 6.11.7. Der Urwald von Scatlè ist sehr reich an Totholz.

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Scatlè 217

gen, dass Scatlè, welches von der eher störungsan- fälligen Baumart Fichte dominiert wird, kaum je in einen klassischen Gleichgewichtszustand kommen wird. Die Bestandesdynamik ist vielmehr geprägt von wiederkehrenden kleinräumigen Störungen durch Borkenkäfer, Stürme, Schneebruch und La- winen (Abb. 6.11.2, 6.11.7 und 6.11.8).

nicht gleichmässig; 100 bis 200 Jahre alte Bäume sind in dieser Fläche selten, das heisst in dieser Flä- che herrschten in den letzten 200 Jahren aus wel- chen Gründen auch immer «verjüngungsfeind- liche» Bedingungen. Zudem beobachtete Götz [10], dass tote Bäume in gewissen Jahren gehäuft auftreten, was auf frühere Naturereignisse wie beispielsweise Windwürfe oder Schneebruch hin- weisen könnte. Spätere Untersuchungen in einem grösseren Bereich des Reservats konnten diese Alterslücke jedoch nicht bestätigen [11, 12], was darauf hinweist, dass die Beobachtung von Götz [10] auf einen lokalen Effekt zurückzuführen ist.

Zudem hat Bigler [11] in seiner Studie noch ältere, nämlich über 400-jährige Fichten gefunden (430 Jahrringe auf 1,30 m über Boden), was das in den Urwäldern der Westkarpaten gefundene Maxi- malalter für Fichte [8] sogar noch übertrifft.

Eine bestandesweite Störung konnte Bigler [11] anhand von Jahrringuntersuchungen von le- benden und toten Bäumen nachweisen, welche er in den Kernflächen 1 und 2 beprobte. Nach einer starken, etwa 100 Jahre dauernden Unterdrü- ckungsperiode (erkennbar an einem sehr gerin- gen Jahrringwachstum) konnte er in der Periode zwischen 1850 und 1860 an rund zwei Dritteln sei- ner Probebäume eine starke Freistellung nachwei- sen, denn die Jahrringbreiten nahmen damals ab- rupt zu und verblieben danach auf einem höheren Niveau. Der bestandesweit gefundene Wachs- tumsschub deutet auf eine grossflächige Störung hin wie zum Beispiel Windwurf. Borkenkäferbe- fall als alleinigen Störfaktor beurteilt Bigler [11]

aufgrund der Höhenlage (1500 bis 1700 m ü.M.) beziehungsweise der Temperatur (Mitteltempe- ratur etwa 2 °C), der Ostexposition des Hanges und des Endes der kleinen Eiszeit als sehr unwahr- scheinlich, da «spontane» Borkenkäfermassen- vermehrungen grundsätzlich auf mil dere Tempe- raturen angewiesen sind. Borkenkäfer könnten jedoch durchaus als Begleitfaktor nach einem Windwurf aufgetreten sein, wie dies auch heute oft beobachtet wird (Kap. 6.7 und 6.8). Auf Wind- wurf als denkbares Szenario weisen die Aufzeich- nungen des damaligen Bündner Kantonsforst- inspektors Coaz [13] hin. Gemäss seinem Bericht an den Gros sen Rat fanden im Zeitraum von 1851 bis 1868 «mehr oder weniger bedeutende Wind- würfe» auf Kantonsgebiet statt.

Die unterschiedlichen Muster der Waldstruktur

in verschiedenen Teilflächen des Reservates zei- Abb. 6.11.8. In Lücken stellt sich eine Strauchschicht ein;

hier der Rote Holunder (Sambucus racemosa).

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218 Waldreservate

[8] Korpel’ Š. 1995. Die Urwälder der Westkarpaten.

Stuttgart/Jena/New York, Gustav Fischer. 307 S.

[9] Hillgarter F.-W. 1971. Waldbauliche und ertrags- kundliche Untersuchungen im subalpinen Fichten- wald Scatlè/Brigels. Diss. Nr. 4619, ETH Zürich. 80 S.

[10] götz M. 2001. Baumalterzusammensetzung und Absterbeprozess in einer ausgewählten Teilfläche des Waldreservates Scatlè/Brigels. Diplomarbeit im Fachbereich Waldbau. ETH Zürich. 66 S.

[11] Bigler C.; BugMann H. 2004. Predicting the time of tree death using dendrochronological data. Ecol.

Appl. 14: 902–914.

[12] Anonymus 2009. Feldaufnahmen im Rahmen des Praktikums «Wald und Landschaft» des BSc-Studi- engangs Umweltnaturwissenschaften, ETH Zürich.

Unveröffentlicht.

[13] Coaz J. 1869. Geschichtlich-statistischer Bericht an den hochl. Grossen Rath über das Forstwesen in Graubünden mit besonderer Berücksichtigung des Zeitraums von 1851/52 bis 1868. Chur. 38 S.

[14] FreHner M.; Burnand J. 2009. Bericht über die Stand- ortskartierung 2009 der Naturwaldreservate Alet- schwald, Derborence, Follatères, Pfynwald, Scatlè und St. Jean. Sargans und Zürich. 14 S.

Literatur

[1] Kral F.; Mayer H. 1969. Pollenanalytische Beiträge zur Geschichte des Naturwaldreservates Scatlè/Bri- gels. Schweiz. Z. Forstwes.120: 536–558.

[2] Bigler C. 2003. Growth-dependent tree mortality:

ecological processes and modeling approaches based on tree-ring data. ETH Zürich Diss Nr. 15145.

131 S.

[3] Klöti H. 1991. Das Fichtenurwaldreservat Scatlè.

Bündnerwald 4, 1: 13–21.

[4] Martin S. 2003. Moderholzverjüngung im Waldre- servat Scatlè. Diplomarbeit, Professur Gebirgswald- ökologie, ETH Zürich. 101 S.

[5] eiCHrodt r. 1969. Über die Bedeutung von Moder- holz für die natürliche Verjüngung im subalpinen Fichtenwald. Dissertation, Institut für Waldbau, ETH Zürich. 122 S.

[6] Cioldi F.; BaltenSWeiler a.; Brändli u.-B.; duC p.; ginz-

ler C.; Herold Bonardi a.; tHürig e.; ulMer u. 2010.

Waldressourcen. In: Brändli u.-B. (Red.) Schweize- risches Landesforstinventar. Ergebnisse der dritten Erhebung 2004–2006. Birmensdorf, Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, Bern, Bundesamt für Umwelt BAFU. 31–113.

[7] Brändli u.-B.; aBegg M.; duC p.; ginzler C. 2010. Bio- logische Vielfalt. In: Brändli u.-B. (Red.) Schweize- risches Landesforstinventar. Ergebnisse der dritten Erhebung 2004–2006. Birmensdorf, Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, Bern, Bundesamt für Umwelt BAFU. 189–230.

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Scatlè 219

Datengrundlage

Im Reservat liegen vier grosse Kernflächen übereinander. Die beiden oberen, 1,63 ha (KF 3) und 1,59 ha (KF 4) gross, liegen oberhalb 1800 m ü.M. in lückigen Beständen und wurden nur 1965 inventa- risiert. Die unteren liegen zwischen 1580 und 1800 m ü.M. und sind 3,47 ha (KF 1) beziehungsweise 2,89 ha (KF 2) gross; für sie liegen Daten von vier Erhebungen vor: 1965, 1977, 1989 und 2006. 1965 wurde ein Kluppschwelle von 8 cm verwendet, bei den folgenden Erhebungen eine solche von 4 cm.

Die teilweise üppigen Grünerlenvorkommen (insbesondere im Einzugsgebiet der Lawinenschnei- sen) wurden nicht konsequent und 2006 gar nicht mehr erfasst.

1971 erschien die Dissertation von F.-W. Hillgarter zur waldbaulichen und ertragskundlichen Un- tersuchung in Scatlè [9]; diese ist bis heute eine der umfassensten Arbeiten zur Bestandesdynamik im Urwaldreservat Scatlè. Im Jahr 2000 wurden insgesamt 178 Bohrkerne auf einer Teilfläche von 0,21 ha entnommen, sowohl von lebenden als auch von toten Bäumen, um genauere Hinweise auf Alter und Geschichte des Bestandes zu liefern [10]. Im Rahmen einer dendrochronologischen Studie zur Untersuchung des Absterbeprozesses von Fichten wurden u.a. in Scatlè 22 Paare von toten und lebenden Bäumen beprobt [2]. Im Jahr 2009 wurde das Reservat pflanzensoziologisch kartiert [14].

Referenzen

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