Liechti, T.; Brang, P.; Heiri, C. 2011. Uralter, karstiger Bödmerenwald. In: Brang, P.; Heiri, C.; Bugmann, H. (Red.).
Waldreservate. 50 Jahre natürliche Waldentwicklung in der Schweiz. Birmensdorf, Eidg. Forschungsanstalt WSL; Zürich, ETH Zürich. Bern, Stuttgart, Wien, Haupt. 196-207.
6.10
Uralter, karstiger Bödmerenwald
Zuhinterst im Muotatal unterhalb der Höhe des Pragelpasses erstreckt sich einer der urtümlichsten Wälder der Alpen, der rund 550 ha grosse Bödme- renwald. Das weite Gelände steigt nur wenig an, ist aber durchfurcht von Gräben und Brüchen. Auf den wüchsigsten Standorten bilden die meist in Gruppen wachsenden Fichten ein lockeres Wald- gefüge, unterbrochen von abgrundtiefen, mit Moospolstern behangenen Karrenspalten und moorigen Mulden. Dort, wo der Wald in trockene Felsenfluren übergeht, krallen sich uralte Fichten neben strauchförmigen Moorbirken und knorri- gen Bergföhren in Felsspalten.
Die Fichte, die Hauptbaumart im Bödmerenwald, im Abendlicht. Die Fichten stehen im Bödmerenwald oft in kleinen Gruppen beieinander auf Felsblöcken.
Tobias Liechti, Peter Brang und Caroline Heiri
Der Bödmerenwald ist im Herbst am schönsten, wenn sich das Pfeifengras (Molinia caerulea) oran- ge und die Heidelbeeren (Vaccinium myrtillus) rot verfärben. Ein guter Einblick in die wüchsigeren Teile ist von der Pragelpassstrasse her möglich, die mitten durch das alte Reservat führt (östlich von «In den Balmblätzen»). Intensiver erleben lässt sich der Bödmerenwald auf dem Wander- weg, der von den Gschwändhütten über Stägen südlich am Roggenstöckli vorbeiführt. Kaum noch waldfähige Standorte mit strauchförmigen Moor- birken finden sich im «Tälti» neben dem Weg vom Äbnenmattstock Richtung Unter Gschwänd.
Der Bödmerenwald ist im Eigentum der Oberall- meindkorporation Schwyz.
Das Bödmerengebiet zählt mit über 2500 mm Jahresniederschlag zu den niederschlagsreichsten Gegenden der Schweiz. Ein grosser Anteil der Niederschläge fällt als Schnee. Die Jahresdurch- schnittstemperatur beträgt 3 bis 4 °C. Extreme
obersubalpin
subalpin
hochmontan
obermontan
untermontan
submontan
kollin
sauer basisch
dürrtrockenfeuchtnass
Aletsch- wald 57, 59
Derborence 50
National- park
69 Nationalpark
58, 59
Leihubelwald 46, 49 Leihubel-
wald 19 Sihlwald
7, 8
Tariche 12, 14 Josenwald
40
Follatères 38
St. Jean 21 Bois de
Chênes, Josenwald 15
Scatlè, Seeliwald, Bödmerenwald
57
Seeliwald 71
Pfynwald 65
Scatlè, Bödmerenwald
60
Bois de Chênes, Josenwald,
Sihlwald 9 Sihlwald, Bois de Chênes
11
Position des Reservats Bödmeren- wald im Wasserhaushalt-Basen
gehalt-Ökogramm.
Temperaturen treten auf den verkarsteten Pla- teaus mit hoher Ein- und Ausstrahlung und in den Dolinen-Becken auf, in denen sich während des ganzen Jahres Kaltluftseen bilden können.
Geologisch gehört das Gebiet zu den nördlichen Kalkalpen. Nur das Roggenstöckli bildet eine geo- logische Klippe der Drusbergdecke, die aus Kiesel- kalken besteht. Auffällig sind manche Felswände mitten im Wald (Abb. 6.10.1), Karrenspalten, Kar- renschlote und eingebrochene Dolinen sowie die abflusslosen Becken tektonischen Ursprungs, wel- che Tälchen oder lange Senken bilden.
Entsprechend der Geologie ist das Relief des Ge- bietes sehr vielfältig. Steile Felswände wechseln mit mässig geneigten Plateaulagen und Mulden ab. Die unterschiedlichen Gesteine und insbeson- dere deren Tongehalt wirken sich stark auf die Bodenbildung und die Wüchsigkeit der Standorte aus.
Steckbrief Naturwaldreservat Bödmerenwald
Steckbrief Naturwaldreservat Bödmerenwald
Abb. 6.10.1. Locker stehen die Fichten in der Karstlandschaft des Bödmerenwaldes.
Kanton Schwyz Gemeinde Muotathal
Landeskarte 1:25 000 1172 Muotatal Koordinaten 204.000 / 706.750 Reservatsfläche 550 ha, davon 411 ha Naturwaldreservat Waldfläche 411 ha Meereshöhe 1400 bis 1702 m
0 0.5 1 2 Kilometer
0 0,5 1 Kilometer
Reservatsgrenze 2009 Reservatsgrenze 1983 Reservatsgrenze 1971 Sonderwaldreservat
6.10
200 Waldreservate
Im Jahre 1971 wurde nördlich der Pragelpassstras- se ein 4,8 ha grosses Waldreservat ausgeschie- den, das 1983 auf 70 ha vergrössert wurde. Eine Erweiterung des Reservates auf 450 ha lehnten die Mitglieder der Oberallmeindkorporation im Jahr 2001 zwar ab; 2009 stimmten sie aber einem angepassten Projekt zu. Als Natur oder Sonder
waldreservat stehen heute 550 ha Wald unter Schutz: fast der gesamte Bödmerenwald und der angrenzende Dimmerwald und Schluechtwald im Bisistal (s. Karte im Steckbrief).
Ein Fichtenwald mit lockerem Gefüge
Der heutige Bödmerenwald hat seinen Ursprung vor rund 7000 Jahren. Er entwickelte sich nach dem Rückzug der Gletscher aus einem Pionier
wald aus Bergföhren und Birken [3] über einen Tannen-Fichtenwald zum heutigen subalpinen Fichtenwald. Genetische Untersuchungen zeig- ten, dass die Fichte aus einem Eiszeitrefugium im Norden der Schweiz einwanderte [4]. Heu- te dominiert sie im Bödmerenwald mit 95 % der Stammzahl und 97 % des Holzvorrats [5]. Unter den Fichten gibt es auch viele Exemplare mit sehr schmalen Kronenformen, so genannte Säulenfich- ten; dies dürfte eine Anpassung an grosse Schnee- lasten darstellen.
Auf flachgründigen, felsigen Standorten kommt auch die Bergföhre vor, sie bildet aber nur Waldgesellschaft
Der Bödmerenwald liegt in der subalpinen Stufe der nördlichen Kalkalpen. Spezielles Merkmal sind die kleinflächigen Standortmosaike, die sich auf- grund des kalkigen, verwitterten Untergrundes auf Karren, Rippen, Felsbändern und in Mulden ausgebildet haben (Abb. 6.10.2). Auf kleiner Dis- tanz findet man nebeneinander Zwergsträucher, Hochstauden, üppige Moospolster, kleine Moore und den kahlen Fels.
Auf den tiefgründigen Böden in den nördlichen Teilen des Reservats gedeihen subalpine Fichten- wälder mit rottenartigen Strukturen; sie gehö- ren zum Torfmoos-Fichtenwald mit Landschilf (Sphagno-Piceetum calamagrostietosum villosae, EK 57) und zur Alpendostflur mit Fichte (Piceo- Adenostyletum, EK 60). In den südlich angren- zenden Teilen des Bödmerenwaldes ist jedoch die Bodenentwicklung wenig fortgeschritten. Hier finden sich schwach wüchsige Waldgesellschaf
ten wie der Zwergbuchs-Fichtenwald (Polygalo chamaebuxi-Piceetum, EK 53) mit lockerer Besto- ckung. Gegen den Pragelpass hin lockert sich der Wald immer mehr auf und geht in Karstflächen mit Zwergstrauchheiden oder Weideland über.
An sehr trockenen aber warmen Orten kom- men seltene Bergföhren-Waldgesellschaften wie der Steinrosen-Bergföhrenwald (Rhododendron hirsuti-Pinetum montanae, EK 69) vor [1].
Teile des Waldes sind weitgehend unberührt Schon seit dem 13. Jahrhundert wurden die Alpen im Bödmerengebiet bewirtschaftet. Auf den nähr- stoffreichsten Böden wurde der Wald gerodet und in Weide umgewandelt [2]. Für Hütten und Zäune sowie für die Käseproduktion wurde im alpnahen Wald Holz geschlagen und gesammelt.
Schriftliche Dokumente berichten von Holzfre- vel und belegen, dass im Bödmerenwald ständig Holz genutzt wurde. 1835 führte ein Holzhändler umfangreiche Holzschläge durch und baute für den Holztransport sogar eine Holzriese (Holz- rutschbahn). Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde im wüchsigen, nördlichen Teil des Bödme- renwaldes viel Holz geschlagen [2]. Doch wegen der schlechten Zugänglichkeit und der geringen Holzvorräte blieben zentrale Teile des Bödmeren- waldes über Jahrhunderte weitgehend unberührt.
Abb. 6.10.2. Kleinstandortsmosaik mit Felsen und Mulden im Bödmerenwald [1].
Bödmerenwald 201
bis 2003 weitgehend ungestört. Die Stammzahl nahm in den untersuchten 30 Jahren insgesamt leicht ab, die Grundfläche hingegen zu. Während viele Bäume dicker wurden, sich also hin zu stär- keren Durchmesserklassen verschoben, nahm die Stammzahl bei den dünneren Bäumen (BHD unter 48 cm) infolge der zunehmenden Konkurrenz ab (KF 3, Abb. 6.10.5). Diese Entwicklung ähnelt der in einem Altersklassenwald eher als der in einem Plenterwald.
Auf einer Kernfläche veränderte sich die Wald- struktur in den letzten Jahrzehnten allerdings stark: In Kernfläche 2 warf der Sturm Vivian 1990 einen Teil der Bäume, und danach starben weite- re Bäume infolge Borkenkäferbefalls. Die Stamm- zahl und die Grundfläche der lebenden Bäume nahmen daher stark ab (Tab. 6.10.1), und zwar in allen Durchmesserstufen (Abb. 6.10.5). Dieses Bei- spiel zeigt eindrücklich, dass Stürme und Borken- käfer die Struktur von subalpinen Fichtenwäldern stark prägen können [6]; solche Störungen traten aber bisher im Bödmerenwald nur lokal auf und waren daher in den letzten drei Jahrzehnten nicht strukturbestimmend.
2 % des Holzvorrats. Tanne, Buche und Bergahorn sind selten. In kalten Mulden auf Karst wachsen strauchförmige Moorbirken, die an die Tundren des hohen Nordens erinnern.
Die Fichten im Bödmerenwald wachsen oft in kleinen Gruppen, so genannte Rotten, weil sie sich nur auf günstigen Kleinstandorten verjüngen können, besonders auf Kuppen, die mit Zwerg- sträuchern oder lockerer Krautvegetation be- wachsen sind (Titelbild Kap. 6.10, Abb. 6.10.3). In den Mulden hingegen bleibt der Schnee sehr lang liegen und behindert deshalb die Verjüngung.
Besonders viele Fichten verjüngen sich rund um besonnte Strünke, da hier der Schnee schnell aus- apert und wenig Konkurrenzvegetation vorhan- den ist. Fichtenkeimlinge können aber auch auf Moderholz Fuss fassen und so vereinzelt in sonst von Hochstauden dominierten Mulden gedeihen.
Die Stichprobeninventuren im ganzen Böd- merenwald zeigen, dass dieser mit rund 25 m2 Grundfläche pro ha nur locker bestockt ist und sich seit 1974 nur wenig veränderte (Abb. 6.10.4 und Tab. 6.10.1). In drei von vier 1,2 ha grossen Kernflächen verlief die Entwicklung von 1973
Abb. 6.10.3. In den wüchsigeren Partien im Bödmerenwald stehen die Fichten stellenweise dicht an dicht.
202 Waldreservate
Totholz und Holzabbau
Die Hauptgründe für die Entstehung von Totholz im Bödmerenwald sind Stürme, Borkenkäfer und bei Bäumen der Unterschicht auch die Konkur- renz durch grössere Bäume.
In Fichtenurwäldern in den Westkarpaten liegt das Totholzvolumen bei 13 bis 14 % des Holzvor- rats der lebenden Bäume [7]. Auch im ganzen Bödmerenwald wurde im Jahre 2004 mit 32,6 m3 pro ha eine mittlere Totholzmenge gefunden, welche 13 % des Holzvorrates entspricht. Diese Menge setzt sich zur Hälfte aus liegendem Totholz (Abb. 6.10.6) und zu je einem guten Viertel aus Strünken und Dürrständern zusammen, die oft in Gruppen vorkommen [7].
Räumlich ist das Totholz sehr ungleichmässig verteilt. Das alte Reservat mit Vivian-Sturmflächen weist an liegendem Totholz 37,3 m3 pro ha auf, in anderen Teilgebieten wurde das liegende Totholz oft genutzt und ist daher mit 7,9 m3 pro ha nur spärlich vorhanden. Hier stellen Baumstrünke mit 20,7 m3 pro ha die wichtigste Totholzressource dar.
Totholz dient in seinen verschiedenen Ab
baustadien unterschiedlichen Organismen als Le- bensraum (Kap. 3). Dank Vivian liegt im Bödme- renwald momentan viel Totholz der Abbaustadien 2 bis 3 auf einer Skala von 1 bis 6 (Abb. 6.10.7).
Stark vermodertes liegendes Totholz der Ab- baustadien 5 und 6 ist selten oder schon von der Vegetation überwachsen. Vermutlich sammelten die Älpler früher frisches Totholz für die traditio-
Tab. 6.10.1. Entwicklung von Stammzahl, Grundfläche und Volumen der lebenden Bäume im Bödmerenwald. Daten von 1973 und 2003 aus den vier Kernflächen (KF) von je 1,21 ha, und Daten der Stichprobeninventur (SP) von 1974 und 1998. Kluppschwelle bei der SP 12,0 cm, in den KF 4,0 cm. SF: Standardfehler.
Kernflächen Stichprobeninventur
Jahr KF 1 KF 2 KF 3 KF 4 Jahr SP SF
Stammzahl [N/ha] 1973 315 463 270 477 1974 227 10
2003 247 224 243 378 1998 206 10
Grundfläche [m2/ha] 1973 44,38 58,20 32,79 55,92 1974 23,90 1,26
2003 51,76 33,06 42,18 58,20 1998 24,48 1,30
Volumen [m3/ha] 1973 526 682 384 656 1974 231 13
2003 606 531 491 679 1998 241 14
Abb. 6.10.4. Entwicklung der Grundfläche von 1973 bis 2003 im Reservat Bödmerenwald. Daten aus den Kernflächen 2 und 3 (je 1,21 ha) und aus der Stichpro- beninventur im ganzen Bödmerenwald. Die genauen Erhebungsjahre sind in Tab. 6.10.1 zu finden.
70 60 50 40 30 20 10 0 Grundfläche [m2/ha]
KF 2 KF 3 SP
1973 1988 2003
nelle Käseproduktion mit Kessi am offenen Feuer [2]. Wie rasch sich Totholz im Bödmerenwald oder allgemeiner in subalpinen Fichtenwäldern zer- setzt, wird gegenwärtig in Kernflächen mit Hilfe von Bäumen erforscht, die bereits vor langem ab- gestorben sind.
Bödmerenwald 203
Abb. 6.10.5. Durchmesserverteilung nach Baumarten im Bödmerenwald von 1973 und 2003. Darstellung in 4 cm BHD-Klassen (Achsenbeschriftung bezeichnet Klassenmitte). Daten der Kernflächen 2 und 3 (je 1,21 ha).
Kernfläche 2
Stammzahl [N/ha]
50 40 30 20 10 0 0 10 20 30 40 50
1973
6 10 14 18 22 26 30 34 38 42 46 50 54 58 62 66 70 74 78
≥80
Stammzahl [N/ha]
Stammzahl [N/ha]
50 40 30 20 10 0 0 10 20 30 40 50
Stammzahl [N/ha]
2003
Kernfläche 3 1973
6 10 14 18 22 26 30 34 38 42 46 50 54 58 62 66 70 74 78
≥80 2003
Fichte
andere Baumarten BHD [cm]
BHD [cm]
204 Waldreservate
Die ältesten Bäume wachsen auf den kargsten Böden
Viele Urwälder zeichnen sich durch uralte Bäume und grosse Altersunterschiede zwischen den ein- zelnen Bäumen aus; es sei denn, Störungen hät- ten zu grossflächiger Waldverjüngung geführt.
Im Bödmerenwald wurde die Altersstruktur an 53 Stichprobenpunkten untersucht. An jedem Stich- probenpunkt wurden mit einem Jahrringbohrer Bohrkerne entnommen, jeweils von den zehn am nächsten stehenden Bäumen von mindestens 14 cm BHD [8].
Die Auszählung der Jahrringe ergab, dass im Bödmerenwald die Bäume ab 14 cm BHD im Durchschnitt 183 Jahre alt sind. Das nachgewie- sene maximale Alter liegt bei 484 Jahren. Die Al- tersstreuung ist dort am grössten, wo die Alter am höchsten sind (Abb. 6.10.8). Sowohl das hohe Maximalalter wie auch die grosse Altersstreuung weisen auf eine, während Jahrhunderten unge- störte Entwicklung hin. Der BHD und das Baumal- ter hängen nicht zusammen: Die dicksten Fichten
Abb. 6.10.6. Totholz im Bödmerenwald, ein Lebensraum für die Fauna und eine Kinderstube für kleine Fichten.
Abb. 6.10.7. Anzahl Stück und Volumen des liegenden Totholzes im Bödmerenwald, geordnet nach zuneh- mendem Abbaugrad. Die Jahre sind geschätzt.
1 Rinde und Zweige intakt, 0 bis 5 Jahre nach dem Tod des Baumes
2 bereits durchhängend oder teilweise aufliegend, Zweige fehlen, Rinde intakt, 5 bis 15 Jahre
3 Rinde weg, Holz kompakt, grosse Stücke, am Boden, 10 bis 40 Jahre
4 Holz zerfällt in kleine Stücke, weich, Querschnitt rund bis oval, ganzer Stamm am Boden, 30 bis 80 Jahre
5 Holz weich, pulverig, Holz wird zu Boden, Quer- schnitt oval, 60 bis 120 Jahre
6 Modriger Erdwulst, >100 Jahre
Volumen Anzahl Stück 7
6 5 4 3 2 1 0
30 25 20 15 10 5 0
Totholzvolumen [m3/ha] Totholzstücke [N/ha]
1 2 3 4 5 6
Abbaugrad
Bödmerenwald 205
Abb. 6.10.8. Maximalalter und Altersstreuung nach Wuchskategorie im Reservat Bödmerenwald. Daten von je 10 Bäumen pro Stichprobenpunkt. Die Altersstreuung ist als Quartilsabstand dargestellt. Beispiel: In einer Stichprobe sind 25 % der Bäume jünger als 120 Jahre und 25 % älter als 220 Jahre, dass heisst 50 % der Bäume haben ein Alter zwischen 120 Jahren und 220 Jahren. Somit beträgt der Quartilsabstand dieser Stichprobe 100 Jahre. Orthofoto 2003 (50 cm Pixel) © Bundesamt für Landestopografie.
235 322 226
298 271 309 446
178
464 478 318
449 293
422 396 283 178
484 122
258 269 156
367
355 466 223 252
221 165
192 281 239
234
253 392 220
223 224
141 261 270 238
277
219 223 262 200
179 209 235 247
223
235 322 226
298 271 309 446
178
478 464
449 318 293
422 396 283 178
484 269 122
156 258 367
355 466 223 252
221 165
192 281 239
234
253 392 220
223 224
141 261 270 238
277
219 223 262 200
179 209 235 247
223
10 Bäume pro Stichprobenpunkt:
Wuchskategorien
normal wüchsiger Kalk-Fichtenwald wenig wüchsiger Kalk-Fichtenwald aufgelöster Kalk-Fichten-Bergföhrenwald
Jahre
Maximales Alter Streuung (Quartilsabstand)
0 250 500 m
206 Waldreservate
Jahre und das Durchschnittsalter 189 bzw. 177 Jahre, wobei nur Bäume aus der herrschenden Schicht untersucht wurden [11]. Die Altersstruktur der Bäume im Bödmerenwald zeigt, dass in eini- gen Teilen des Waldes nie oder nur wenig Holz genutzt wurde und es dort keine flächigen Natur- katastrophen gab.
Vielfalt dank Waldkontinuität
Neben einer sehr grossen Vielfalt an Gefässpflan- zen und Moosarten ist der Bödmerenwald be- rühmt für seine einmaligen holzbewohnenden Flechten. Eine besonders schöne und ausserhalb des Bödmerenwaldes extrem seltene Art ist die Engelshaarflechte (Usnea longissima, Abb. 6.10.9).
Biologen haben auch eine grosse Vielfalt an Kelch- oder Stecknadelflechten (Caliciales) ent- deckt. Diese unscheinbaren, stecknadelartigen Gebilde wachsen fast nur auf der Rinde stehender alter Bäume. Sie gelten daher als Indikatoren für langfristig ungestörte Wälder [12]. Auch die Pilz- vielfalt ist sehr gross und insbesondere reich an Alt- und Totholz bewohnenden Arten. Mehrere Arten konnten im Bödmerenwald erstmals für die Schweiz nachgewiesen werden [13].
Charakteristische Flechten und Pilze von un- gestörten Wäldern kommen auch in den über Jahrhunderte sehr extensiv genutzten Randbe- reichen des Waldes vor. Sie konnten überleben, weil einerseits der Wald kontinuierlich Bestand hatte und andererseits ständig Alt- und Totholz in verschiedener Qualität und ausreichender Menge vorhanden war.
Literatur
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Ber. Schwyzerische Nat.forsch. Ges. 13: 9–49.
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Geschichtliches zu Wald und Alpen. Mitt. Hist. Ver.
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[3] vanDer Knaap W.o.; van leeUWen J.F.n.; sperisen c.
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In: liecHti t.; vanDer Knaap W. o.; sperisen c.; Groner
U.; KüFFer n.; Horat s.; rotH B. Urwaldcharakteris- tiken des Bödmerenwaldes. Ein interdisziplinäres Forschungsprojekt. Schwyz, Stiftung Urwald-Reser- vat Bödmeren. 69–80.
sind nicht besonders alt, sondern sie wachsen auf den wüchsigeren Standorten. Hier sind die äl- testen Bäume 200 Jahre alt, wobei ihr Alter nur wenig streut. Das sind aber bei weitem nicht die ältesten Bäume: Diese wachsen vielmehr auf sehr kargen Böden, die kaum noch waldfähig sind.
Auf wüchsigeren Standorten im alten Reser- vat wurde das Alter in einer anderen Studie an 27 Bäumen bestimmt, welche ein Sturm geworfen hatte [9]. Die Bäume waren zwischen 1753 und 1855 gekeimt, davon 24 Bäume innert 53 Jahren.
Tatsächlich brauste 1739 ein gewaltiger Orkan durch die Schweiz und auch durch das Muotatal.
Dieser könnte das Keimbett für die untersuchten Bäume geschaffen haben. Möglich ist aber auch, dass hier vor rund 200 Jahren viel Holz geschlagen wurde.
Auch im Fichtenurwald Scatlè bei Brigels (Kap.
6.11) wurde das Baumalter bestimmt [10]. Die äl- testen Bäume waren dort rund 430 Jahre alt. Wie im Bödmerenwald korrelierte der BHD nicht mit dem Baumalter. In zwei alten, abgelegenen sub- alpinen Fichtenwäldern in den St. Galler Churfirs- ten betrug das maximale Baumalter 399 bzw. 355
Abb. 6.10.9. Von der seltenen Engelshaarflechte (Usnea longissima) bedeckte Fichtenäste im Bödmerenwald.
Bödmerenwald 207
[11] Hitz o. 2003. Boden- und dendroökologische Un- tersuchungen zum Vegetationsmosaik auf Karstflä- chen in den Churfirsten. Diplomarbeit im Fachge- biet Gebirgswaldökologie, ETH Zürich. 63 S.
[12] Groner U.; Frei M. 2005. Epiphytische und lignicole Flechten. In: liecHti t.; vanDer Knaap W. o.; sperisen
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vanDer Knaap W. o.; sperisen c.; Groner U.; KüFFer n.;
Horat s.; rotH B. Urwaldcharakteristiken des Böd- merenwaldes. Ein interdisziplinäres Forschungspro- jekt. Schwyz, Stiftung Urwald-Reservat Bödmeren.
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[14] Groner U. 1985. Palynologie der Karsthöhlensedi- mente im Hölloch, Zentralschweiz. Diss. Geogr. Uni- versität Zürich. 172 S.
[15] HantKe r. 1995. Erdgeschichte des Bödmerenwaldes (Gemeinde Muotathal, Kt. Schwyz). 2. überarbeite- te Aufl. Ber. Eidgenöss. Forsch.anst. Wald Schnee Landsch. 337: 32 S.
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[5] rotH B.; liecHti t. 2005. Vorrat, Zuwachs und Be- standesstrukturen. In: liecHti t.; vanDer Knaap W.
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[6] Korpel‘ Š. 1995. Die Urwälder der Westkarpaten.
Stuttgart/Jena/New York, Gustav Fischer. 307 S.
[7] liecHti t.; vanDer Knaap W. o.; sperisen c.; Groner U.;
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[9] GaBriel J.; BräKer o.-U.; Matter J.-F. 2001. Alters- struktur und Wachstum anhand geworfener Bäume auf einer Windwurffläche im Waldreservat Bödme- ren. Schweiz. Z. Forstwes. 152: 61–70.
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131 S.
Datengrundlage
Die ETH führte in den Jahren 1973, 1989 und 2003 in vier Kernflächen von total 4,8 ha Inventuren aller stehenden Bäume durch. Seit den 80er Jahren wurden Flora und Fauna und andere Besonder- heiten des Bödmerenwaldes vertieft untersucht, darunter auch die Baumalter [8]. Die Resultate die- ser Arbeiten wurden in den Heften 8, 9, 10, 11 und 13 der Berichte der Schwyzer Naturforschenden Gesellschaft und an anderer Stelle [14, 15, 16, 17] publiziert. Waldinventuren auf Stichprobenpunk- ten führte das Kantonsforstamt 1974 und 1998 durch, und 2004 wurde auch das Totholz erhoben.
Von 2002 bis 2005 wurde der Bödmerenwald im Auftrag der Stiftung Urwaldreservat Bödmeren interdisziplinär erforscht [7], wobei gezeigt wurde, dass der Bödmerenwald in einigen Aspekten urwaldnah ist. 2009 wurde die Nutzungsgeschichte des Bödmerenwaldes aufgearbeitet [2].