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Streit, K., & Heiri, C. (2011). Die Tanne auf dem Vormarsch im Leihubelwald. In P. Brang, C. Heiri, & H. Bugmann (Eds.), Waldreservate. 50 Jahre natürliche Waldentwicklung in der Schweiz (pp. 174-185). Haupt.

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Academic year: 2022

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Streit, K.; Heiri, C. 2011. Die Tanne auf dem Vormarsch im Leihubelwald. In: Brang, P.; Heiri, C.; Bugmann, H. (Red.).

Waldreservate. 50 Jahre natürliche Waldentwicklung in der Schweiz. Birmensdorf, Eidg. Forschungsanstalt WSL; Zürich, ETH Zürich. Bern, Stuttgart, Wien, Haupt. 174-185.

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6.8

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Die Tanne auf dem Vormarsch im Leihubelwald

Der Leihubelwald macht auf seine Besucher einen urtümlichen Eindruck: Zahlreiche mächtige Tan- nen und Fichten ragen bis 42 m in die Höhe, kreuz und quer liegen Baumstämme im Weg, und dich- tes Moos bedeckt Bäume, Steine und den Wald- boden.

Die stammzahlreichen Bestände lassen nur wenige Sonnenstrahlen durchdringen (Titelfoto links); stellenweise, in kleinen Lücken, sieht man allerdings einzelne Sonnenflecken über den Wald- boden wandern. Besonders in den fichtenreichen Partien ist der Wald störungsanfällig, denn Fich- ten sind auf vernässten Böden – wie man sie im Leihubel verbreitet findet – wegen ihres flachen Wurzelwerks besonders windwurfgefährdet. Zu- dem sind sie anfällig auf Befall durch Borkenkä- fer. Wo Fichten absterben, gewinnt die Tanne wie- der an Boden. Da in montanen Mischwäldern der Fichtenreichtum oft eine Folge von Kahlschlägen, Aufforstungen und der Beweidung und damit der Bewirtschaftung ist, kann die Zunahme des Tan- nenanteils als Entwicklung zurück zum Naturwald interpretiert werden.

Nur wenige Sonnenstrahlen erreichen im dichten Leihubelwald den Waldboden.

Kathrin Streit und Caroline Heiri

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Das hoch über dem Sarnersee gelegene Natur- waldreservat Leihubelwald ist ein Vertreter des montanen Tannen-Fichtenwaldes. Ein Besuch des dunklen Leihubelwaldes mit seinen mächtigen Tannen (Titelfoto Kap. 6.8 und Abb. 6.8.1) und Fichten lässt sich mit einem Besuch des nahe ge- legenen Seeliwaldes (Kap. 6.13), einem lichten Bergföhrenwald auf Hochmoor, verbinden. Der Leihubelwald befindet sich im Besitz der Bürger- gemeinde Giswil.

obersubalpin

subalpin

hochmontan

obermontan

untermontan

submontan

kollin

sauer basisch

dürrtrockenfeuchtnass

Aletsch- wald 57, 59

Derborence 50

National- park

69 Nationalpark

58, 59

Leihubelwald 46, 49 Leihubel-

wald 19 Sihlwald

7, 8

Tariche 12, 14 Josenwald

40

Follatères 38

St. Jean 21 Bois de

Chênes, Josenwald 15

Scatlè, Seeliwald, Bödmerenwald

57

Seeliwald 71

Pfynwald 65

Scatlè, Bödmerenwald

60

Bois de Chênes, Josenwald,

Sihlwald 9 Sihlwald, Bois de Chênes

11

Position des Reservats Leihubelwald im Wasserhaushalt-Basengehalt- Ökogramm.

Das Klima im Leihubelwald ist nass und kühl. Die Lage in den Nordalpen bedeutet hohe Nieder- schläge und grosse Schneehöhen. Im Sommer können schwere Gewitter auftreten. Der Jahres- niederschlag beträgt 1700 mm, die Durchschnitts- temperatur 5,6 °C [1]. Der Leihubelwald ist nach Osten exponiert. Der geologische Untergrund be- steht aus Schlierenflysch. Der Boden ist tiefgrün- dig, tonig und skelettarm und neigt in Muldenla- gen zur Vernässung.

Steckbrief Naturwaldreservat Leihubelwald

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Steckbrief Naturwaldreservat Leihubelwald

0 0.5 1 2

Kilometer

°

1 cm = 0 km 1:25'000

¯

0 0.5 1 2 Kilometer

Abb. 6.8.1. LiDAR Baumhöhenkarte. Diese mit Hilfe von lasergestützten Fernerkundungsmethoden erstellte Baum- höhenkarte zeigt eindrücklich, dass im Leihubelwald eine Ballung von besonders hohen Bäumen (dunkelblau) zu finden ist. Grosse Baumhöhen sind ein Indiz dafür, dass der letzte Ernteeingriff schon lange zurück liegt. Kartenda- ten: DTM_AV DOM © 2011 swisstopo (5704 000 000).

Kronenhöhenmodell

< 1 m 1–5 m 5–15 m 15–25 m

> 25 m

0 250 500 1'000

Meters

Kanton Obwalden Gemeinde Giswil

Landeskarte 1:25 000 1189 Sörenberg Koordinaten 653.740 / 191.290 Reservatsfläche 23,8 ha Waldfläche 23,8 ha Meereshöhe 1100 bis 1250 m

0 0,5 1 Kilometer

0 250 500 Meter

6.8

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178 Waldreservate

flur. Charakteristische Vertreter der Hochstauden sind im Leihubelwald der Graue Alpendost (Aden- ostyles alliariae), die Weisse Pestwurz (Petasites albus), der Alpenmilchlattich (Cicerbita alpina) und die Sumpfdotterblume (Caltha palustris).

Ausgeprägte Mulden sind grösstenteils baumfrei.

Hier bilden sich Lücken im Kronendach, da sich die Bäume der dichten Hochstauden wegen fast nur auf liegendem Totholz verjüngen. Dieses räumi- ge bis aufgelöste Bestandesgefüge ist typisch für den Schachtelhalm-Tannen-Fichtenwald (Equiseto sylvatici-Abieti-Piceetum, EK 49). Am Rande der vernässten Stellen können sich wieder Bäume eta- blieren, die Tanne vermag dies allerdings besser als die Fichte.

Nutzungsgeschichte

Obwohl der Leihubelwald erst Mitte des 20. Jahr- hunderts durch eine Strasse erschlossen wurde, zeugen noch heute deutlich sichtbare Reist-Kanä- le von einer einst intensiven Holznutzung. Nach dem ersten Weltkrieg wurde jedoch im Leihubel- wald kein Holz mehr genutzt [2, 3]. Im Jahr 1972 Waldgesellschaft

Geologisch liegt der Leihubelwald im Schlieren- flysch [1]. Dieser Untergrund verwittert schnell zu tiefgründigen, skelettarmen, tonigen, wenig durchlässigen Braunerden. Die Ausprägung des Bodens hängt stark vom Kleinrelief ab. Auf gut drainierten Kuppen werden die Nährstoffe aus dem Oberboden ausgewaschen, der Boden wird podsoliert. Hier bildet sich in der montanen Stu- fe ein Tannen-Buchenwald mit Wald-Hainsimse (Abieti-Fagetum luzuletosum, EK 19), in dem in der Oberschicht neben Tannen und Fichten auch Buchen gedeihen. Wo hingegen Hangwasser den Boden stärker beeinflusst und der Boden feuch- ter ist, bildet sich ein Peitschenmoos-Fichten- Tannenwald (Bazzanio-Abietetum, EK 46). Hier dominieren Tannen und Fichten, Buchen kommen allenfalls in der Unterschicht vor. Der Boden ist von Moosen und Heidelbeeren bedeckt, und die Tanne verjüngt sich reichlich (Abb. 6.8.2).

In flachem Gelände und in Mulden ist der Bo- den nass, weil der lehmige Untergrund das Hang- wasser staut. Im Sommer gedeiht hier eine dichte, hohe Krautschicht, die so genannte Hochstauden-

Abb. 6.8.2. Im Vordergrund Arten des Peitschenmoos-Fichten-Tannenwaldes, im Hintergrund der Waldschachtel- halm, welcher nasse Stellen anzeigt.

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Leihubelwald 179

schlossen die ETH und die Waldeigentümerin, die Bürgergemeinde Giswil, einen Pachtvertrag über 99 Jahre ab und stellten den Leihubelwald als Re- servat unter Schutz.

Waldstruktur

Im Leihubelwald ist es dunkel. Hohe Fichten und Tannen stehen dicht an dicht und lassen nur wenig Sonnenstrahlen auf den Waldboden durchdrin- gen (Abb. 6.8.3 und Titelfoto Kap. 6.8). Die konti- nuierliche Abnahme der Stammzahlen verbunden mit einer konstanten Zunahme der Grundfläche (Abb. 6.8.4) ist typisch für einen Bestand in der Opti malphase seiner Entwicklung. Nur wenige Bäume der Oberschicht sterben im Leihubel ab, weshalb die Grundfläche gross bleibt (56 m2 pro ha im Jahr 1995; Abb. 6.8.4). Kleinräumig treten sogar weit grössere Werte von über 70 m2 pro ha auf (KF 5 und 6 auf 0,20 bzw. 0,25 ha; Tab. 6.8.1).

Sie gehören damit zu den grössten in Schweizer Naturwäldern festgestellten Werten. Im Fichten- Tannen-Buchen-Urwald Rothwald in Niederös-

terreich wurden in der Optimalphase 86 m2 pro Abb. 6.8.3. Auch zahlreiche dünne Bäume tragen zum tiefen Schatten im Leihubelwald bei.

Abb. 6.8.4. Entwicklung von Stammzahl und Grundfläche im Reservat Leihubelwald von 1973 bis 1995 nach Baum­

arten. Daten der Voll kluppierung auf 23,8 ha.

andere Baumarten Vogelbeere Bergahorn Buche Fichte Weisstanne Grundfläche [m2/ha]

1973 1983 1995

Stammzahl [N/ha]

0 200 400 600 800 1000 1200 1400

1973 1983 1995 0

10 20 30 40 50 60

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180 Waldreservate

blieb konstant bei rund 44 %, der Anteil der Buche nahm seit 1973 um 1 % zu und lag 1995 bei 8 % (Abb. 6.8.4). Neben den Hauptbaumarten Fichte, Tanne und stellenweise Buche sind auch weitere Laubbaumarten wie Bergahorn oder Vogelbeere in kleinen Anteilen beigemischt (Tab. 6.8.3) ha gemessen, im Fichten-Tannen-Buchen-Urwald

Čorkova Uvala in Kroatien 52,5 m2 pro ha [4]; im Tannen-Buchen-Urwald von Perucica variierten die Grundflächen je nach Phase zwischen 67 und 80 m2 pro ha [5].

Zu den hohen Grundflächen tragen die zahlrei- chen mächtigen Bäume bei; im Jahr 1995 wurde bei der dicksten Tanne ein BHD von 118 cm ge- messen. Insgesamt fanden sich 1995 im Reservat 10 Bäume pro ha mit einem BHD ≥ 80 cm, viel mehr als in bewirtschafteten Schweizer Wäldern mit durchschnittlich 1,3 Giganten pro ha [6].

Bei der Inventur 1973 dominierte die Fichte klar und machte 49 % der Bestandesgrundfläche aus.

Bis 1995 ging ihr Anteil jedoch auf 45 % zurück (Abb. 6.8.4). Nach Stammzahlen war die Fichte mit 25 % im Jahr 1995 deutlich schwächer vertre- ten als nach Grundfläche, was klar zeigt, dass die Fichte in der Oberschicht dominiert, in den klei- neren Durchmessern (mit grossen Stammzahlen) jedoch relativ schwach vertreten ist (siehe auch Tab. 6.8.2). Der Tannenanteil an der Grundfläche

Tab. 6.8.1. Grundfläche und Stammzahl 1983 und 1995 in allen Kernflächen des Reservats Leihubelwald. Die vom Orkan Vivian betroffenen Kernflächen sind mit einem Stern * gekennzeichnet.

Kernfläche Flächengrösse Stammzahl [N/ha] Grundfläche [m2/ha]

[ha] 1983 1995 1983 1995

1* 0,252 1007 873 40,2 34,1

2 0,254 987 893 53,3 60,3

3 0,241 2821 1997 54,9 56,0

4 0,247 1375 1192 67,8 67,4

5 0,183 1385 1254 64,9 71,5

6 0,253 1393 1176 65,7 71,6

7* 0,409 1730 1589 51,1 49,8

8* 0,436 1076 955 54,2 38,7

9 0,498 1246 1337 58,3 61,2

10* 0,442 1177 1100 76,8 67,6

11* 0,481 1088 913 63,5 56,3

12 0,521 1522 1302 52,5 62,7

13 0,539 930 821 45,4 50,4

Tab. 6.8.2. Baumartenanteile an der Stammzahl im Re- servat Leihubelwald im Jahr 1995, aufgeschlüsselt nach

«dünnen» und «dicken» Bäumen. Daten der Vollklup- pierung auf 23,8 ha.

Baumart

Dünne Bäume BHD 4,0–35,9 cm

Dicke Bäume BHD ≥ 36,0 cm

Weisstanne 43,9 % 42,0 %

Fichte 20,9 % 52,2 %

Buche 29,1 % 5,7 %

Andere Laubbäume 6,1 % 0,1 %

Total 100,0 % 100,0 %

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Leihubelwald 181

me, und zwar hauptsächlich Fichten (Abb. 6.8.5).

Als Folge befielen Borkenkäfer – allen voran der Buchdrucker Ips typographus – das Windwurfholz und stehende lebende Fichten, mit einem Höhe- punkt in den Jahren 1992 und 1993, wie Einträ- ge im Kontrollheft zeigen. Die von Sturm und Buchdrucker-Folgebefall betroffenen Flächen liegen alle am südlichen Rand des Reservats. In ihnen nahm die Grundfläche der Fichte deutlich ab (Abb. 6.8.6). Insgesamt ging die Grundfläche der Fichte von 1983 bis 1995 auf 7 von 13 Kern- flächen zurück, die der Tanne hingegen nur auf einer (Abb. 6.8.6). Die Fichte war in den fünf am stärksten betroffenen Kernflächen (1, 7, 8, 10 und 11) 1983 noch die dominierende Baumart, zwölf Jahre später nur noch in deren zwei. In den be- troffenen Kernflächen verkleinerte sich aber auch die gesamte Grundfläche, während sie in den restlichen Kernflächen stagnierte oder zunahm (Tab. 6.8.1).

Am stärksten betroffen war die Kernfläche 8.

Hier starben zwischen 1983 und 1995 64 % der Tab. 6.8.3. Stammzahlentwicklung [N/ha] im Reservat

Leihubelwald von 1973 bis 1995. Daten der Vollkluppie- rung auf 23,8 ha.

Baumart 1973 1983 1995

Weisstanne 575 532 495

Fichte 390 341 286

Buche 305 304 293

Bergahorn 25 23 22

Vogelbeere 30 17 11

Andere Laubbäume

Grauerle 12 21 20

Mehlbeere 4 4 3

Weide 2 2 3

Esche 1 1 1

Kirschbaum <1 <1 <1 Hängebirke <1 <1 <1

Spitzahorn <1 – <1

Linde – <1 –

Grünerle – <1 –

Sträucher

Hasel <1 <1 <1

Roter Holunder – <1 <1

Alpen-Geissblatt – – <1

Total 1346 1246 1134

Strukturwandel im Leihubelwald

Die Fichtendominanz in der Oberschicht dürfte nicht mehr lange anhalten. Im Leihubelwald ge- winnt nämlich die Tanne gegenüber der Fichte an Boden (Abb. 6.8.4; Tab. 6.8.3). Die oben beschrie- benen Waldgesellschaften sind im Leihubelwald etwa in ähnlichen Anteilen anzutreffen, in den Kernflächen ist jedoch der Peitschenmoos-Fich- ten-Tannenwald übervertreten. In dieser Waldge- sellschaft dominiert im Naturwald die Tanne. Bei der letzten Erhebung im Jahr 1995 wies die Fichte zwar auf den Kernflächen die höchste Grundflä- che auf; diese nahm allerdings gegenüber der Er- hebung 1983 ab, wogegen die Grundflächen von Tanne und Buche zunahmen. Was sind die Ursa- chen dieses Baumartenwechsels?

Im Februar 1990 warf der Orkan Vivian in Mit- teleuropa ungefähr 100 Millionen m3 Holz [7]. Vi- vian warf oder brach auch im Leihubelwald Bäu-

Abb. 6.8.5. Konsolenpilze (Rotrandiger Baumschwamm, Fomitopsis pinicola) haben die Stämme gebrochener Fichten in der Kernfläche 8 besiedelt.

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182 Waldreservate

Klassen von 4 bis 16 cm sind viele Tannen bereit, in die Oberschicht durchzuwachsen, jedoch nur wenige Fichten. Hingegen ist nicht zu erwarten, dass die in der Unterschicht noch zahlreichen Bu- chen in die Oberschicht durchwachsen, denn die Kernfläche 8 befindet sich im Peitschenmoos­Fich- ten-Tannenwald, in dem die Buche wenig konkur- renzstark ist.

1983 noch lebenden Fichten mit BHD ≥ 36 cm.

Rund die Hälfte der zwischen 1983 und 1995 ge- storbenen Bäume lag 1995 am Boden, während die restlichen zu Dürrständern wurden (Abb. 6.8.7).

Aus der Durchmesserverteilung der lebenden Bäume in den Jahren 1983 und 1995 lässt sich ab- leiten, in welche Richtung sich der Bestand in der Kernfläche 8 entwickeln dürfte. In den drei BHD­

Abb. 6.8.6. Veränderung der Grundfläche von Fichte und Tanne pro Kernfläche (KF) zwischen den Aufnahmen 1983 und 1995. Die vom Orkan Vivan betroffenen Kernflächen sind mit einem * gekennzeichnet.

–20 –15 –10 –5 0 5 10

*KF1 KF2 KF3 KF4 KF5 KF6 *KF7 *KF8 KF9 *KF10 *KF11 KF12 KF13 Veränderung der Grundfläche [m2/ha] zwischen 1983 und 1995

Fichte Weisstanne

Abb. 6.8.7. Zustand von Fichten im Jahr 1995 in der von Sturm und Borkenkäfer am stärksten betroffenen Kern- fläche 8. Berücksichtigt sind nur Bäume, welche in der Inventur 1983 als lebend klassiert wurden.

0 5 10 15 20 25 30 35 40 45

6 10 14 18 22 26 30 34 38 42 46 50 54 58 62 66 70 74 78

Stammzahl [N/ha]

BHD [cm]

Fichte 1983–1995 stehend abgestorben Fichte 1983–1995 liegend abgestorben Fichte 1995 lebend

(11)

Leihubelwald 183

der Oberfläche [8], was die Fichten sturmanfällig macht. Ausserdem hat die Tanne eine grössere Fähigkeit, im tiefsten Schatten auszuharren, wäh- rend sich die Fichte im geschlossenen Altbestand kaum verjüngt.

Stürme können auch im Urwald ganze Bestän- de flächig werfen [9]. Geworfene Fichten sind unter der Rinde noch während einiger Monate feucht genug, um dem Buchdrucker die Brut zu erlauben. Dieser Borkenkäfer ist hauptsächlich ein Sekundärschädling, er befällt also Fichten, wel- che bereits geschwächt sind, zum Beispiel durch anhaltende Trockenheit und Hitze. Nach einem Windwurf ist aber das Angebot an günstigen Brut- stätten in den liegenden Fichten sehr gross. Die Käfer vermehren sich daher rasant und können in der Folge als Primärschädlinge auch gesunde Fichten befallen [10]. Der Buchdrucker verschont hingegen die Tanne. Die Tanne setzt sich also nicht nur im direkten Konkurrenzkampf gegen Dieser Trend gilt für den ganzen Leihubelwald

(Abb. 6.8.8): Die Tanne ist deutlich stammzahl- reicher als die Fichte, die Fichte ist hingegen in der Oberschicht stärker vertreten (Tab. 6.8.2). Die nächste Erhebung wird zeigen, ob dieser Trend weg von der Fichte hin zur Tanne anhält.

Der Vormarsch der Tanne wird im Leihubelwald unter anderem dadurch beschleunigt, dass sie – im Gegensatz zur Fichte – nicht vom Buchdrucker befallen wird. Zwar können auch Tannenborken- käfer (Pityokteines-Arten) bei Massenvermehrun- gen zu beträchtlichen Schäden an Tannen führen, sie sind dafür jedoch auf warme Witterung und Trockenheit angewiesen und treten daher in hö- heren Lagen deutlich seltener als Primärschädlin- ge auf als der Buchdrucker.

Ein weiterer Vorteil der Tanne gegenüber der Fichte ist ihre tiefere Verwurzelung auf schwe- ren, tonigen Böden. Unter solchen Bodenverhält- nissen streichen die Fichtenwurzeln flach unter

Abb. 6.8.8. Durchmesserverteilung nach Baumarten im Reservat Leihubelwald 1973 und 1995. Darstellung in 4 cm BHD-Klassen (Achsenbeschriftung bezeichnet Klassenmitte). Daten der Vollkluppierung auf 23,8 ha.

BHD [cm]

Weisstanne Fichte Buche Bergahorn Vogelbeere andere Baumarten

Stammzahl [N/ha]

700 600 500 400 300 200 100 0

1973

6 10 14 18 22 26 30 34 38 42 46 50 54 58 62 66 70 74 78

≥ 80

Stammzahl [N/ha]

0 100 200 300 400 500 600 700

1995

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184 Waldreservate

[7] Eidg. Forschungsanstalt WSL; Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft BUWAL (Hrsg.) 2001. Lothar. Der Orkan 1999. Ereignisanalyse.

Birmensdorf, Bern, Eidg. Forschungsanstalt WSL, Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft BUWAL. 365 S.

[8] Kutschera L.; Lichtenegger e. 2002. Wurzelatlas mit- teleuropäischer Waldbäume und -sträucher. Graz, Stuttgart, Leopold Stocker Verlag.

[9] KorpeL’ Š. 1995. Die Urwälder der Westkarpaten.

Stuttgart/Jena/New York, Fischer. 310 S.

[10] WermeLinger B. 2004. Ecology and management of the spruce bark beetle Ips typographus: a review of recent research. For. Ecol. Manage. 202: 67–82.

[11] LeiBundgut h. 1993. Europäische Urwälder. Wegwei- ser zur naturnahen Waldwirtschaft. Bern, Haupt.

260 S.

die Fichte durch, sondern sie hat auch ihre Hel- fer. Eine ähnliche Entwicklung ist im Urwald von Derborence zu beobachten (Kap. 6.7). Die Fichte hingegen kann ihre Stärke dann ausspielen, wenn ein Sturm einen Bestand flächig umwirft. Ist der Wald weg, wächst die Fichte mit ihrem raschen Ju- gendwachstum der Tanne davon und kann sich in der Oberschicht dominant etablieren [11].

Im Leihubelwald zeigt sich, wie natürliche Pro- zesse die vom Menschen beeinflusste Baumarten- zusammensetzung über viele Jahrzehnte wieder näher an den Naturwaldzustand heranführen. Zu- dem kann anhand dieses Beispieles gezeigt wer- den, dass Störungen wie Windwurf integraler Be- standteil der natürlichen Walddynamik sind und die kleinräumigen Strukturen massgeblich prägen (Abb. 6.8.9).

Literatur

[1] Lienert L. (Gesamtltg.) 1982. Die Pflanzenwelt von Obwalden. Sarnen, Kantonales Oberforstamt OW.

[2] gross d. 1982. Einfluss von Hochstaudenvorkom- men auf die natürliche Verjüngung von Fichte und Tanne in einem Naturwaldreservat (Leihubel/Gis- wil). Diplomarbeit. ETH, Zürich. 36 S.

[3] christen r. 2009. Mündliche Mitteilung.

[4] mayer h.; neumann m. 1981. Struktureller und ent- wicklungsdynamischer Vergleich der Fichten­Tan- nen-Buchen-Urwälder Rothwald/Niederösterreich und Čorkova Uvala/Kroatien. Forstwiss. Cent.bl.100:

111–132.

[5] LeiBundgut h. 1982. Europäische Urwälder der Berg- stufe. Bern und Stuttgart, Haupt. 306 S.

[6] BrändLi u.-B.; aBegg m.; duc p.; ginzLer c. 2010. Bio- logische Vielfalt. In: BrändLi u.-B. (Red.) Schweize- risches Landesforstinventar. Ergebnisse der dritten Erhebung 2004–2006. Birmensdorf, Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, Bern, Bundesamt für Umwelt BAFU. 189–230.

Abb. 6.8.9. Windwurf hat den Leihubelwald in den ver- gangenen Jahrzehnten umgestaltet. Er ist die treibende Kraft bei der Überführung der homogenen Bestandes- strukturen zu einem kleinräumigen Bestandesmosaik.

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Leihubelwald 185

Datengrundlage

Im Gründungsjahr 1972 wurde das Reservat pflanzensoziologisch kartiert. Ein Jahr später wurden vier Kernflächen mit Flächengrössen von 0,24 bis 0,25 ha eingerichtet. In den Jahren 1983 und 1995 wurden die Aufnahmen in den Kernflächen von 1972 wiederholt; zusätzlich wurden neun weitere Kernflächen von 0,18 bis 0,54 ha aufgenommen, so dass nun 13 Kernflächen mit einer Gesamtfläche von 4,75 ha bestehen. Zusätzlich wurde das ganze Reservat 1972, 1983 und 1995, unterteilt in fünf Abteilungen, vollkluppiert.

Referenzen

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