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owohl niedergelassene Vertrags- ärzte als auch die meisten Kranken- hausärzte klagen über die zuneh- mende Arbeitsbelastung, die existenzi- ellen Unsicherheiten und die Überfor- derung durch das immer bürokratischer werdende Gesundheitssicherungssystem.Die verschlechterte wirtschaftliche und existenzielle Situation für niedergelas- sene Ärzte betrifft diese immer öfter auch im privaten Bereich. Zu diesen Feststellungen ge-
langt eine in Ro- stock-Warnemünde vom NAV-Virchow- Bund (Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands e.V.) vorgestellte Studie mit dem Ti- tel „Die vertrags- ärztliche Gegenwart im Lichte des Burn- out-Syndroms. Die wirtschaftliche Ent- wicklung und die ärztliche Selbstver-
waltung in der vertragsärztlichen Mei- nung“. Die von der Brendan-Schmitt- mann-Stiftung des NAV-Virchow-Bun- des durch deren Geschäftsführer Dr.
rer. soc. Klaus Gebuhr, Berlin, durchge- führte repräsentative Umfrage (März 2002; befragt wurden 5 700 Vertragsärz- te aller Fachrichtungen in West- und Ostdeutschland in ausgewählten Bun- desländern) kam zu folgenden Ergeb- nissen:
❃ Vertrags-(Kassen-)Ärzte arbeiten durchschnittlich elf Stunden pro Werk- tag und beraten und versorgen durch- schnittlich 51 Patienten je Arzt. Geht man von einer fünftägigen Arbeitswo- che aus, entspricht dies einem Arbeits- pensum von 61 Arbeitsstunden je Wo- che und der Behandlung von durch-
schnittlich 255 Patienten wöchentlich.
Die wachsende Arbeitsbelastung und der steigende Verwaltungs- und Büro- kratieaufwand in den Arztpraxen führe dazu, dass dadurch das Verhältnis zu den Patienten leidet. 60 Prozent der Be- fragten klagen darüber, zu wenig Zeit für ihre Patienten zu haben.
❃ Etwa drei Viertel der Vertragsärz- te sind mit ihrer Praxisorganisation zu- frieden. 90 Prozent der Befragten sind davon überzeugt, dass sie von ihren Helferinnen zuver- lässig unterstützt werden. Trotzdem ist nur die Hälfte der Kassenärzte mit der Zeiteinteilung ihres Arbeitstages zufrieden. Trotz der Arbeitsfülle und des zunehmenden Stres- ses wollen sie den- noch ihre selbst ge- setzten Ansprüche an die berufliche Arbeit und die Praxisziele nicht aufge- ben.
❃ Mehr als die Hälfte aller Ver- tragsärzte gab an, dass sie die Arbeit auslaugt (59 Prozent). Die gleich hohe Anzahl berichtete, dass sie am Ende ei- nes Arbeitstages „völlig erledigt“ seien (58 Prozent). Ähnlich hoch ist der An- teil der Vertragsärzte (57 Prozent), der unregelmäßig und unter Zeitdruck die Mahlzeiten einnimmt. Über ständige Schlafdefizite klagen 59 Prozent der Probanden.
❃ Dennoch fühlt sich eine deutliche Mehrheit der Vertragsärzte offensicht- lich nicht durch ein Burn-out gefährdet.
20 Prozent der Vertragsärzte sind „oft verzweifelt“, und 26 Prozent würden
„am liebsten alles hinwerfen“.
❃ Negativ belastet werden das Pri- vatleben und das Freizeitverhalten der Vertragsärzte durch die berufliche Tätigkeit. 69 Prozent gaben an, dass das Privatleben unter Überbeanspruchung in der Praxis leide. Nur 21 Prozent mei- nen, genügend Zeit zu haben, um per- sönliche Interessen im gewünschtem Umfang wahrnehmen zu können.
❃ 7,1 Prozent fühlen sich durch die ungünstiger werdende wirtschaftliche Situation und die verschlechterten be- ruflichen und gesetzlichen Rahmenbe- dingungen belastet. Die Ungewissheit über einen ausreichenden Verkaufser- lös bei Veräußerung der Praxis am Be- rufsende ist für 69 Prozent der Ärzte ein Belastungsfaktor. 63 Prozent empfin- den die eigenen finanziellen Verpflich- tungen als eine Belastung. Mehr als die Hälfte (52 Prozent) der Befragten gab an, in den letzten fünf bis sieben Jahren
„in gravierende wirtschaftliche Proble- me“ geraten zu sein. Für 60 Prozent ist die wirtschaftliche Zukunft sehr be- sorgniserregend. Wirtschaftliche Pro- bleme in der Praxis erwarten 23 Prozent der Vertragsärzte, und 52 Prozent rech- nen zum Teil damit.
❃ Mehr als 90 Prozent der Ärzte fühlen sich durch die Überregulierung durch den Gesetzgeber im Gesund- heitswesen und das Ausmaß der Ein- flussnahme der Politik und der Kran- kenkassen auf die Patientenversorgung belastet und gegängelt.
KVen nicht so beliebt
Über die Rahmenbedingungen der kas- senärztlichen Selbstverwaltung und der Kassenärztlichen Vereinigungen bezie- hungsweise der Kassenärztlichen Bun- desvereinigung gibt es ein differenzier- tes, zum Teil negatives Urteil: ✁ P O L I T I K
Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 27½½½½5. Juli 2002 AA1871
Kassenärzte
Klagen über hohe Arbeitsbelastung und Dauerstress
Studie der Brendan-Schmittmann-Stiftung des NAV-Virchow-Bundes
Foto:Peter Wirtz
Alltag der Kassenärzte: Stress nimmt zu.
Etwa die Hälfte (51 Prozent) der Be- fragten hält die ärztliche Selbstverwal- tung für unverzichtbar, für 31 Prozent ist sie nur „teilweise verzichtbar“. Für 23 Prozent der Vertragsärzte sind die Kassenärztlichen Vereinigungen unver- zichtbar, für die Hälfte sind sie teilweise unverzichtbar. Zwei Drittel meinen, dass die Kassenärztlichen Vereinigun- gen „unbedingt reformiert“ werden müssten, damit sie die wachsenden Auf- gaben umfassend und zeitgemäß erfül- len könnten. Den Sicherstellungsauftrag der KVen wollen 15 Prozent der Kas- senärzte unbedingt bei den KVen belas- sen. 33 Prozent wollen ihn nur zum Teil dort belassen und ihn mit den Kranken- kassen teilen. Eine Übernahme der Aufgabe der Kassenärztlichen Vereini- gungen durch die Ärztekammern bezie- hungsweise über die Berufsverbände der Ärzte wird von mehr als 60 Prozent der Vertragsärzte abgelehnt. Die Aus- stattung der Kassenärztlichen Vereini- gungen mit professionellen, hauptamt- lichen Führungen, ähnlich wie in großen Wirtschaftsunternehmen, wird von 56 Prozent der Vertragsärzte gefor- dert.
Besonders stark sind der Frust und die Ablehnung der befragten Kas- senärzte gegenüber Funktionsträgern der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung. Nur fünf Prozent sind der Mei- nung, dass die gewählten Repräsentan- ten der Kassenärztlichen Bundesverei- nigung fähig seien, die Interessen der Vertragsärzte wirkungsvoll gegenüber den Krankenkassen und der Politik zu vertreten, 42 Prozent sind teilweise die- ser Meinung.
Die Bereitschaft, sich in die Arbeit der ärztlichen Selbstverwaltung und vor allem in die Körperschaften einzubrin- gen, ist nur schwach entwickelt. 16 Pro- zent der Befragten üben neben ihrer Tätigkeit als niedergelassener Arzt noch eine Funktion in einem Berufsver- band, in einer wissenschaftlichen Ge- sellschaft, in der Kassenärztliche Verei- nigung oder in der Landesärztekammer
aus. Dr. rer. pol. Harald Clade
Quelle: Klaus Gebuhr: Die vertragsärztliche Gegenwart im Lichte des Burn-out-Syndroms. Die wirtschaftliche Ent- wicklung und die ärztliche Selbstverwaltung in der ver- tragsärztlichen Meinung, Brendan-Schmittmann-Stiftung des NAV-Virchow-Bundes (Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands e.V.), 13 Seiten, Berlin, Mai 2002
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A1872 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 27½½½½5. Juli 2002
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apier ist geduldig.“ Diese Weisheit gilt insbesondere für die Eckpunk- te des Aktionsplans „Drogen und Sucht“, die jetzt vom Bundeskabinett verabschiedet wurden. Pünktlich zum Weltdrogentag und rechtzeitig vor den Bundestagswahlen präsentierte die Drogenbeauftragte der Bundesre- gierung, Marion Caspers-Merk (SPD), Strategien zur Bekämpfung legaler und illegaler Drogen. Künftig soll vor allem den legalen Rauschmitteln wie Alkohol und Nikotin der Kampf ange- sagt werden, erklärte Caspers-Merk in Berlin.Weil Papier aber geduldig ist, blieb Deutschland noch genügend Zeit, um auf dem Treffen der Gesundheitsmini- ster der Europäischen Union (EU) ver- gangene Woche in Luxemburg ein EU- weites Werbeverbot für Tabakprodukte abzulehnen. Stattdessen beharrt die Bundesregierung weiter auf der Positi- on, dass die EU keine Kompetenz habe, um ein solches Verbot auszusprechen.
Der Europäische Gerichtshof hatte be- reits im Herbst 2000 auf Antrag Deutschlands die so genannte Tabak- Richtlinie wegen mangelnder Rechts- grundlage annulliert.
Prävention von Drogenkonsum und Suchtkrankheiten
Deutschlands Alleingang verwundert umso mehr, als doch das druckfrische Eckpunktepapier eine weitere Harmo- nisierung der europäischen Drogen- und Suchtpolitiken anmahnt. „Die Bundesregierung wird sich zukünftig auf internationaler Ebene dafür einset-
zen, dass entsprechende gemeinsame Strategien abgestimmt werden“, heißt es in dem Aktionsplan.
Auch sonst bieten die Eckpunkte ei- ne Reihe innovativer Ansätze: So will die rot-grüne Bundesregierung die Prävention und Früherkennung von Drogenkonsum und Suchtkrankheiten stärken. Zur Verbesserung der Früher- kennung sollen Ärzte und Pflegeper- sonal weiter qualifiziert werden. Nach Angaben des Bundesgesundheitsmini- steriums ist jedes fünfte Bett in deut- schen Krankenhäusern ein „Sucht- bett“ und jeder zehnte Arztbesuch ein
„Suchtbesuch“. Künftig wolle man er- reichen, dass nicht das meiste Geld am Ende für die Behandlung, sondern am Anfang für die Prävention und Früher- kennung ausgegeben wird. Ein erster Schritt für einen gemeinsamen Finan- zierungspool für Präventionsmaßnah- men sei ein in diesem Jahr geschlos- sener Vertrag mit der Zigarettenin- dustrie. Caspers-Merk: „In den näch- sten fünf Jahren wird die Industrie 11,8 Millionen Euro für Präventions- maßnahmen, die sich an Kinder und Jugendliche richten, bezahlen.“ Das Geld wird der Bundeszentrale für ge- sundheitliche Aufklärung zur Verfü- gung gestellt.
Kinder und Jugendliche vor Tabakprodukten schützen
Der komplette Aktionsplan „Sucht und Drogen“ der Bundesregierung soll bis zum Frühjahr 2003 erarbeitet sein und den „Nationalen Rauschgiftbekämp- fungsplan“ von 1990 ablösen. Caspers- Merk beklagte, dass die bisherigen dro- genpolitischen Strategien einseitig auf illegale Drogen ausgerichtet seien. Es reiche nicht aus, wie im Rauschgift- bekämpfungsplan der Kohl-Regierung, an den selbstkontrollierten Umgang mit legalen Suchtmitteln zu appellieren.
„Die Verfügbarkeit von Tabakproduk- ten für Kinder und Jugendliche muss er- schwert werden“, so Caspers-Merk. Ei- ne erste Maßnahme sei das Jugend- schutzgesetz, dem der Bundesrat jetzt zugestimmt hat. Danach ist ein Abgabe- verbot von Tabakprodukten an Kinder und Jugendliche nun gesetzlich festge- schrieben. Samir Rabbata