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Archiv "Medizinische Probleme im Justizvollzug: Kein Platz für psychisch Kranke" (14.05.1999)

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A-1252

P O L I T I K

(24) Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 19, 14. Mai 1999 der privatärztlichen Versorgung be-

stimmen, nicht durch Versicherungs- bedingungen ausgehebelt werden.

Damit wird der Privatpatient, der ei- nen solchen Tarif wählt, schlechter gestellt als ein gesetzlich versicherter Patient, dem auch neuartige Metho- den der Medizin zugute kommen, so- fern sie die Kriterien „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich“ er- füllen. Der Privatpatient ist auch ge- genüber dem Beihilfeberechtigten be- nachteiligt, weil dieser weiß, welche Leistungen von der Beihilfe ausge- schlossen sind, da diese in den Bei- hilfe-Richtlinien oder -verordnungen aufgeführt sind.

Der Ausschluß analoger Bewer- tungen ist ferner eine Vereinbarung, die inhaltlich nicht präzise erfaßbar ist, da im Wechsel auf die Zukunft al- les gekappt wird, was an neuartigen Entwicklungen der Medizin von Ärz- ten erbracht werden kann. Ob der Versicherte die Auswirkungen eines solchen Tarifs bei Abschluß seines Versicherungsvertrages überhaupt er- kennen kann, ist fraglich. Kein Ver- sicherter will auf die Medizin von ge- stern verwiesen werden. Insofern liegt die Vermutung nahe, daß die Trag- weite der Entscheidung für einen sol- chen Tarif nicht erkennbar ist.

Sofern es Informationspflichten der Ärzte nach GOÄ betrifft, zum Beispiel bei der Leistungserbringung durch Dritte, der Zuziehung nieder- gelassener Ärzte zur Behandlung von stationär aufgenommenen Patienten, bei abweichenden Honorarvereinba- rungen, werden strenge rechtliche Anforderungen an den Arzt gestellt, die dem Patienten die Transparenz über das Leistungsgeschehen sichern.

Soweit es jedoch die weitreichende Entscheidung für einen Versiche- rungstarif betrifft, an den der Versi- cherte gebunden ist, sehen Gerichte über die Einschränkungen der Patien- tenrechte hinweg und stellen sich auf den Standpunkt, daß auch die Bedin- gungen des Gesetzes zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Ge- schäftsbedingungen (AGBG) erfüllt sind. Eine solche Rechtsprechung mißt mit zweierlei Maß. In ihren Aus- wirkungen ist sie für den betroffenen Versicherten diskriminierend.

Renate Hess

Bundesärztekammer, Köln

KOMMENTAR/AKTUELL

ie Kaiserin-Friedrich-Stiftung für das ärztliche Fortbildungs- wesen, Berlin, widmet sich mit ihren Symposien für Juristen und Ärz- te seit 20 Jahren Themen aus dem Spannungsfeld beider Berufe. Aus- gangspunkt sind jedoch in der Regel Probleme der ärztlichen Praxis. Daß sich der „Verhandlungsgegenstand“

aus dem Tätigkeitsfeld der Justiz her- leitet, kam erst einmal vor: 1981 wur- de das damals aktuelle Problem der Zwangsernährung und Zwangsbe- handlung gewählt. Das Thema des jüngsten, 23. Symposiums am 23. und 24. April in Berlin war die zweite Ausnahme; es lautete „Medizinische Probleme im Justizvollzug“. Auf diese Besonderheit wies Prof. Dr. med. Jür- gen Hammerstein hin, Geschäftsfüh- rer der Stiftung. Zu seiner Überra- schung hatten sich trotz der sehr spe- ziellen Fragestellung rund 130 Teil- nehmer angemeldet.

Für sie referierten Ärzte, An- staltsleiter, Rechtsanwälte, auch Ver- waltungsfachleute, und zwar mehr- heitlich aus der Praxis kommend und teilweise von spürbar großem Enga- gement. Im einzelnen ging es um Schweigerecht/Auskunftspflicht des Anstaltsarztes, psychisch Kranke im Justizvollzug und Suchtprobleme hin- ter Gefängnismauern.

Untersuchungshaft zur Verfah- renssicherung, Strafhaft als gesell- schaftliche Sanktion – Hauptaufgabe im Justizvollzug sei in erster Linie Si- cherung und nicht die Ausübung der ärztlichen Heilkunst und der Kran- kenpflege. Das konstatierte trocken Rainer Rex. Er ist Leitender Arzt des Krankenhauses der Berliner Voll-

zugsanstalten und Leiter des Medizi- nischen Dienstes im Berliner Justiz- vollzug. Dennoch sollen Gefangene dem Gesetz zufolge eine angemesse- ne medizinische Versorgung erhalten, die der in Freiheit vergleichbar ist.

Dieser Vorgabe seien die Anstaltsärz- te verpflichtet. Trotz aller Verbesse- rungen im modernen Strafvollzug gilt nach Ansicht von Rex noch der Satz:

„Knast macht krank“. Die Insassen müßten damit fertig werden, einge- sperrt zu sein. Krankheiten würden neu ausbrechen oder sich verstärken.

Hinzu kämen bei vielen Entzugser- scheinungen und Selbstverletzungen.

Keine spezielle

„Vollzugsmedizin“

Arzt und Ärztin werden nicht auf dieses spezielle Arbeitsfeld vorberei- tet. Mit seinen Widersprüchen muß man leben können. Auf diese Aspekte ging neben anderen Prof. Dr. med.

Norbert Konrad ein, Leiter der Abtei- lung für Psychiatrie und Psychothera- pie des Krankenhauses der Berliner Justizvollzugsanstalten. Der Arzt sei als ein Teil der Anstalt eingebunden in ein System, das schädigende Wir- kungen habe. Er übernehme zudem Schlichtungs- und Befriedungsfunk- tionen. Gleichwohl sprachen sich mehrere Ärzte dagegen aus, eine spe- zielle Weiterbildung „Vollzugsmedi- zin“ oder ähnliches zu kreieren. Am nützlichsten seien breitangelegte me- dizinische Kenntnisse, die Bereit- schaft, hinter Gittern zu arbeiten, und der Wille, sich vieles vor Ort anzueig- nen.

Medizinische Probleme im Justizvollzug

Kein Platz für

psychisch Kranke

Ärzte, die Insassen in Justizvollzugsanstalten betreuen, arbeiten in einem besonderen Spannungsfeld. Ihre Tätigkeit wird erschwert durch Geld- und Personalmangel, Süchte der Gefangenen und spezifische ethische Konflikte.

D

(2)

Rex zufolge ist es ein Problem, daß in manchen Justizvollzugsanstal- ten Druck auf die Ärzte ausgeübt wird, nicht zu oft externe Hilfe zu be- anspruchen. Dabei spielt einerseits Geld eine Rolle, denn für die medizi- nische Versorgung in einem Gefäng- nis gibt es einen Etat. Ein weiterer Grund ist, daß die Haftanstalten oft zu wenig Personal haben. Wenn ein Teil davon dann noch eingesetzt wird, um einen Gefangenen in ein Kran- kenhaus oder zu einem niedergelasse- nen Arzt zu bringen, wird es eng. Fol- ge für die Ärzte: „Sie sind ständig genötigt, das Ob und Wann von Maß- nahmen abzuwägen“, so Rex. Das bringe sie immer wieder an die Gren- ze des Übernahmeverschuldens, ge- gebenenfalls der unterlassenen Hilfe- leistung. Für die Folgen habe der Arzt einzustehen, obwohl er die unzurei- chende Ausstattung der Anstalt nicht zu verantworten habe.

Als problematisch bezeichnete Rex weiterhin das Arzt-Patient-Ver- hältnis hinter Gittern. Es sei stark kon- trolliert; der Patient sehe den Arzt zu- weilen als Feind, Gegner oder An- griffsscheibe. Zum Teile liege das dar- an, daß vollzugstechnische Entschei- dungen auf den Arzt abgewälzt wür- den, obwohl sie mit medizinischen Er- wägungen nichts zu tun haben. Das be- stätigte Christoph Flügge, Leiter der Abteilung Justizvollzug in der Senats- verwaltung für Justiz, Berlin. Ärzte würden von Gefangenen ebenso wie von der Anstaltsleitung benutzt, um Wünsche durchzusetzen oder eben ab- zuwehren. So sei in Berlin per Verpfle- gungsverordnung festgelegt, daß der Arzt zu entscheiden habe, ob ein Ge- fangener Käse statt Wurst bekommen dürfe. Dabei sei dies in den wenigsten Fällen eine medizinische Fragestel- lung.

Mehr psychisch Kranke als „draußen“

Zum Thema „Psychisch Kranke im Strafvollzug“ referierte Prof. Kon- rad. In epidemiologischen Studien zeigt sich nach seinen Worten sowohl länder- wie diagnoseübergreifend, daß Gefangene häufiger unter psychischen Störungen leiden als die Allgemeinbe- völkerung. Zwar sei die Mehrheit von

ihnen prinzipiell behandelbar, je nach Erkrankung ambulant oder stationär.

Doch in der Praxis, das bestätigten Teilnehmer, mangele es an Therapie- plätzen und Betten in psychiatrischen Abteilungen. Zudem fehlten verbind- liche rechtliche Kriterien zur Aufnah- me in oder zur Entlassung aus einer Psychiatrischen Abteilung im Justiz- vollzug.

Nach den Erfahrungen von Kon- rad werden psychische Erkrankungen bei Häftlingen oft auch dann nicht er- kannt, wenn diese schon lange im Ge- fängnis sind. Als Beispiel nannte er aggressiv larvierte Depressionen. Was

die Frage der Haftfähigkeit anbe- langt, so war er der Meinung, daß durch die Therapiemöglichkeiten der letzten Jahre viele Krankheitsbilder behandelbar geworden seien; damit seien die Betroffenen im Grunde haftfähig. Ob aber zum Beispiel schi- zophren Erkrankte in ein Gefängnis gehörten, sei keine von Psychiatern zu beantwortende Frage. Nach europäi- schen Strafvollzugsgrundsätzen soll- ten Menschen, bei denen eine Gei- steskrankheit festgestellt wird, nicht in Anstalten des Strafvollzugs unter- gebracht werden.

Aus der Sicht als Anstaltsleiter schilderte Ekkehard Hoffmann die Probleme mit psychisch Kranken.

Hoffmann ist Leiter der Untersu- chungshaftanstalt Weiterstadt/Hessen.

Dort leben rund 750 bis 800 Gefangene aus dem Zuständigkeitsgebiet des Amtsgerichts Frankfurt/Main. Konzi-

piert ist das Gefängnis für 600 Insassen.

Viele von ihnen, sagte Hoffmann, sei- en nach jahrelangem Suchtmittel- mißbrauch, sozialer Entwurzelung und Ausgrenzung psychisch krank.

Hoffmann schilderte die Verhal- tensweisen psychisch Kranker und die Probleme, die dem Haus ange- sichts der knappen Personalausstat- tung dadurch entstehen. „Eine Justiz- vollzugsanstalt wie Weiterstadt ist für psychisch Kranke überhaupt nicht gerüstet“, betonte er. Sie hielten sich eben oft nicht an Regeln, zerstörten Dinge, beanspruchten eine Betreu- ung, die die Ärzte wie das gesam- te Personal überfordere. Kümmerten sich Bedienstete pflegerisch um sie, würden sie dafür oft noch von ihren Kollegen verspottet. Dazu komme, daß keiner von ihnen für den Umgang mit psychisch Kranken ausgebildet sei.

In Weiterstadt besteht durch ei- nen Vertrag mit einem psychiatrischen Krankenhaus in der Nähe die Mög- lichkeit, Insassen bei Bedarf dort un- terzubringen. Das ist offenbar nicht überall ohne weiteres möglich. Refe- renten und Teilnehmer beklagten, daß manche Krankenhäuser die Aufnah- me von Häftlingen ablehnen. Entwe- der störten sie sich an ihrer Bewa- chung, die in manchen Fällen angeord- net werde, oder sie verlangten eine solche, obwohl sie die Haftanstalt nicht für notwendig halte. Manche Ärzte, gerade auf psychiatrischen Sta- tionen, lehnten eine Aufnahme auch ab, weil sie der Auffassung sind, die Beschränkungen in Verbindung mit der Haft paßten nicht zu den Thera- piekonzepten.

In Weiterstadt kommen schließ- lich stundenweise Krankenhausärzte der psychiatrischen Abteilung in die Haftanstalt. Die medizinische Abtei- lung ist allerdings nicht auf externe Mitarbeiter eingerichtet. Es fehle an Platz für ungestörte Untersuchungen und Gespräche, berichtete Hoffmann.

Psychopharmaka würden nur sehr vorsichtig eingesetzt, weil es an Perso- nal fehle, um die entsprechenden Pati- enten zu beobachten. Zudem seien mehr als 80 Prozent der Insassen Aus- länder. Gerade bei ihnen sei eine psy- chische Erkrankung aber noch schwe- rer zu diagnostizieren, und eine Thera- pie mittels eines Dolmetschers sei kaum vorstellbar. Sabine Rieser A-1253

P O L I T I K AKTUELL

Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 19, 14. Mai 1999 (25)

Ärzte und Gefangene

Im deutschen Justizvollzug wer- den nach Angaben von Rainer Rex jährlich rund 220 000 Gefangene inhaf- tiert. Die Länder betreiben knapp 200 Justizvollzugs- und Jugendstraf- anstalten. Die primärärztliche Ver- sorgung der Inhaftierten obliegt An- staltsärzten, die durch Fachärzte und Assistenzärzte in neun Justizvollzugs- krankenhäusern unterstützt werden.

Insgesamt stehen 395 Ärzte zur Ver- fügung, mehrheitlich hauptamtlich be- schäftigt. Meist sind es Allgemein- mediziner sowie Internisten, Chirur- gen und Psychiater. Die Einbeziehung externer Ärzte/Therapeuten ist die

Regel. Rie

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