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Archiv "Psychisch Kranke und Gefährdete" (21.11.1974)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Nach gesicherter Erfahrung er- kranken Millionen Menschen in der Bundesrepublik im Laufe ihres Le- bens an psychischen Störungen.

Das Spektrum solcher Erkrankun- gen reicht von psychotischen Er- krankungen über psychische Fehl- entwicklungen und -haltungen bis zu Sozialisationsstörungen. Die Hil- fe für diese Kranken entspricht nicht dem, was nach heutigem Stand der Psychiatrie notwendig und auch möglich wäre. Die Bun- desrepublik steht einigen anderen Ländern hierin erheblich nach.

Eine auf Beschluß des Bundesta- ges tätig gewordene Sachverstän- digenkommisSion zur Erarbeitung einer Enquöte über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland hat in einem Zwi- schenbericht deutliche Mängel auf- gezeigt und Möglichkeiten der Ver- besserung vorgeschlagen.

Der Deutsche Ärztetag begrüßt, daß damit das Augenmerk der Öf- fentlichkeit auf ein Gebiet gerichtet wurde, in dem in der Bundesrepu- blik derzeit sehr deutliche Unzu- länglichkeiten bestehen. Der Deut- sche Ärztetag hat mehrfach und besonders eingehend 1970 auf die offensichtlich unzureichende psychiatrische Versorgung hinge- wiesen. Erneut greift der Deutsche Ärztetag Forderungen aus seinen früheren Stellungnahmen auf.

I. Verbesserung der stationären psychiatrischen Krankenpflege

• Stationäre psychiatrische Be- handlung und Pflege streben situa- tionsgerechte Behandlung, Vorbeu- gung vor Rückfällen und Rehabili-

tation an; sie dienen nicht in erster Linie der Ausgliederung und Ver- wahrung der Kranken. Deshalb reicht die Behandlung in pSychia- trischen Krankenhäusern öffentli- cher und privater Träger allein nicht aus. Erforderlich ist eine strukturelle Änderung der vorhan- denen Institutionen.

• Vordringlich ist eine Sanierung der größtenteils überalterten psychiatrischen Krankenhäuser und eine deutliche Reduzierung ih- rer Bettenzahl. Dafür müssen in ausreichend differenzierten Ein- zugsgebieten unter Berücksichti- gung der Ballungsgebiete neue stationdre Einrichtungen für psych- iatrisch Kranke geschaffen werden.

Geschlossene Abteilungen sollten soweit als möglich abgebaut wer- den. In den notwendigerweise ver- bleibenden geschlossenen Abtei- lungen soll für eine menschenwür- dige Unterbringung gesorgt wer- den. Jede unnötige Beschränkung der persönlichen Freiheit der Pa- tienten sollte vermieden werden.

• Auch an geeigneten allgemei- nen Krankenhäusern müssen psychiatrische Abteilungen einge- richtet werden, wobei eine be- stimmte Regelgröße für stationäre psychiatrische Einrichtungen nicht unterschritten werden sollte, um die notwendige Differenzierung des vielfältigen Angebots an psychiatri- scher Diagnostik und Therapie zu erhalten. Neben Sondereinrichtun- gen für Kinder- und Jugendpsych- iatrie ist vor allem die zunehmende

*) Die vorausgehenden Abschnitte des Blauen Papiers wurden in den Heften 25, 28, 31, 32, 33, 36, 37, 38, 40, 41, 43 sowie in Heft 44/1974 veröffentlicht.

Struktur des Sanitätswesens

die zivil-militärische Zusammenar- beit zur Erhaltung und Wiederher- stellung Kranker, Verletzter und Verwundeter, gleichgültig ob es sich um Zivilpersonen, Soldaten der Bundeswehr oder Angehörige verbündeter Staaten handelt, ganz besonderem Gewicht.

Im Gegensatz zu anderen Staaten, zum Beispiel zur Schweiz und Is-

rael, gibt es in der Bundesrepublik Deutschland für die medizinische Betreuung der Zivilbevölkerung nur begrenzt einheitliche Pläne, Geset- ze oder gar Vorbereitungen. Alles, was bisher geschehen ist, ist lük- kenhaft. Diese Mängel mit dem Sanitätsdienst der Bundeswehr, der nicht nur den eigenen militärischen Kräften, sondern auf Anforderung auch den NATO-Verbündeten pri- mär zu dienen hat, beheben zu wollen, ist nicht vertretbar.

Gar zu gern wird vergessen, daß in einem Verteidigungsfall der Ab- wehrkampf, wenn auch möglichst grenznah, so doch innerhalb des Territoriums der Bundesrepublik Deutschland geführt wird. Das ge- samte Bundesgebiet ist im Sinne der NATO-Definition Kampfzone, in der ungeachtet des außer Frage stehenden Primates der politischen Verantwortung die Operationsfrei- heit und -fähigkeit der Streitkräfte zu gewährleisten ist.

Alle Maßnahmen zur Erhaltung un- seres Staates und seiner Menschen werden bis zur Wiederherstellung unserer Grenzen den Gesetzen des Krieges unterworfen sein. Dies trifft nicht zuletzt auch für die Koordi- nierung ziviler und militärischer Maßnahmen auf dem Gebiet des Sanitäts- und Gesundheitswesens zu.

Anschrift des Verfassers:

Generalstabsarzt

Dr. med. Ernst Rebentisch 53 Bonn

Bundesministerium der Verteidigung

DAS BLAUE PAPIER

Psychisch Kranke und Gefährdete

Das Blaue Papier: Abschnitt D 3 der „Gesundheits- und sozialpolitischen Vorstellungen der deutschen Ärzteschaft"")

3430 Heft 47 vom 21. November 1974 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Psychiatrie des Alters in neu zu schaffenden Einrichtungen an be- sonderen beziehungsweise allge- meinen Krankenhäusern zu ermög- lichen. Süchtig-Abhängige und Al- koholkranke, geistig Behinderte und Schwachsinnige werden einst- weilen eine mehr zentralisierte Versorgungsstruktur weiterhin be- nötigen.

Eine Sonderstellung nehmen An- fallsleiden ein, weil hier zu der ge- hörigen Diagnostik und medika- mentösen Einstellung für Problem- fälle spezielle auch überregionale Einrichtungen geboten sind.

Behandlung psychisch Kranker, die gegen Strafgesetze verstoßen ha- ben, muß in eigens dafür geschaf- fenen psychiatrischen Behand- lungs- und Pflegeeinrichtungen, also auch sozialtherapeutischen Anstalten und Abteilungen, erfol- gen.

II. Ausbau der nicht-stationären Einrichtungen einschließlich psychotherapeutischer Behand- lungs und Ausbildungsstätten Vielen kranken Menschen bleibt heute eine angemessene psychia- trische und psychotherapeutische Behandlung vorenthalten, weil ent- sprechende Beratungs- und Be- handlungsmöglichkeiten fehlen.

Damit ging die ehemals führende Stellung der deutschen Psychiatrie auf dem Gebiet der "Außenfürsor- ge" verloren. Unter Mitarbeit der niedergelassenen Nervenärzte und dafür ausgebildeter Psychothera- peuten müssen im Interesse der Psychohygiene, der Sozial- und Präventivpsychiatrie beschützende Werkstätten, Tag- und Nachtklini- ken sowie therapeutische Gemein- schaften für den Personenkreis ge- schaffen werden, der stationärer Behandlung nicht mehr bedarf, aber noch des besonderen Schut- zes für eine Übergangszeit.

Nicht zuletzt müssen mehr psy- chotherapeutische Behandlungs- und Ausbildungsmöglichkeiten ge-

schaffen Werden. Die ambulante Vor- und Nachbehandlung ist pri- märe Aufgabe der niedergelasse- nen Nervenärzte und der Hausärz- te. Auf diese Weise soll gerade dem psychisch Kranken eine durchgehende Behandlung zur Verfügung stehen. Dies scheitert regional nicht selten an einem Mangel niedergelassener Nerven- ärzte. Besonders in solchen Fäl- len sollten Ärzte der . psychiatri- schen Krankenhäuser in größerem Umfang persönlich an der ambu- lanten Behandlung beteiligt wer- den. Eine lnstitutionalisierung am- bulanter psychiatrischer Behand- lungsdienste ist abzulehnen. Statt- dessen sind Errichtung und Aus- bau von Beratungsstellen in freier oder öffentlicher Trägerschaft zü- gig voranzutreiben.

Zur Realisierung all dieser Maß- nahmen sind erhebliche finanzielle Mittel notwendig. Daher ist eine sorgfältige, realistische Planung

Spektrum der Woche Aufsätze ·Notizen DAS BLAUE PAPIER

unter Berücksichtigung von Schwerpunkten in der zeiHichen Reihenfolge ihrer Verwirklichung unerläßlich.

Da Übergangshäuser, Tag- und Nachtkliniken, Wohngemeinschaf- ten und ähnliche Einrichtungen der medizinischen und beruflichen Rehabilitation psychisch Kranker dienen, sollten für den Ausbau und den Betrieb dieser Einrichtungen in sehr viel größerem Umfang Mit- tel der Rehabilitationsträger einge- setzt werden.

..,.. Unter Betonung der Notwendig- keit unverzüglicher Maßnahmen warnt der Deutsche Ärztetag vor Planungsutopie. Mit dem Ruf nach psychotherapeutischer Hilfe dürfen nicht zum Schaden der Betroffenen unerfüllbare Hoffnungen geweckt werden, die letztlich zu herben Ent- täuschungen führen können. Jede Behandlung, das gilt auch für die Psychotherapie, hat ihre Grenzen.

Alkoholmißbrauch

und Drogenabhängigkeit

Das Blaue Papier: Abschnitt D 4 der "Gesundheits- und sozialpolitischen Vorstellungen der deutschen Ärzteschaft

Große Besorgnis hat in den letzten Jahren in der gesamten westlichen Weit das Problem des Drogenmiß- brauchs vor allem bei Jugendli- chen ausgelöst. Ebenso gefährlich für die Gesundheit ist der steigen- de Mißbrauch von Beruhigungs-, Schmerz- und Weckmitteln bei Er- wachsenen, der mehr und mehr auf Jugendliche übergreift.

Der Deutsche Ärztetag hat wieder- holt vor den Gefahren der Drogen- abhängigkeit gewarnt, zugleich aber darauf hingewiesen, daß der von der Öffentlichkeit weit weniger bemerkte Alkoholismus nach wie vor nicht nur wegen der Zahl der

Betroffenen das größte Problem in der Suchtbekämpfung darstellt.

Die schwerwiegenden Folgen der Abhängigkeit von Suchtmitteln für die Gesundheit und das Schicksal eines jeden Betroffenen sind allge- mein bekannt. Doch dürfen auch die erheblichen wirtschaftlichen Belastungen der Gemeinschaft und die Gefährdung der Öffentlichkeit durch die sogenannte Beschaf- fungskriminalität nicht übersehen werden.

Die Behandlung süchtig abhängig Gewordener ist schwierig, sehr aufwendig und zeitlich langwierig,

DEUTSCHES ARZTEBLA'IT Heft 47 vom 21. November 1974 3431

Referenzen

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